Wilhelm Lattmann
(*
5. Oktober
1864
in
Gottingen
; †
20. April
1935
in
Goslar
) war ein
deutscher
Politiker
(
DSP
,
DvP
,
DNVP
).
Wilhelm Lattmann, der Sohn des Gymnasiallehrers
Julius Lattmann
(1818?1898), besuchte die
Volksschule
und das Gymnasium in Clausthal. Nach dem Abitur, das er 1883 ablegte, studierte er
Rechtswissenschaften
in
Tubingen
(1883 bis 1885) und
Gottingen
(1885 bis 1887). Wahrend seines Studiums wurde er 1883 Mitglied der
Verbindung Normannia Tubingen
. 1892 heiratete er. Aus der Ehe ging unter anderem der spatere General
Martin Lattmann
hervor, der wahrend des Zweiten Weltkrieges in fuhrender Funktion dem
Nationalkomitee Freies Deutschland
angehorte. Ein Enkel Lattmanns war der Schriftsteller und SPD-Bundestagsabgeordnete
Dieter Lattmann
.
[1]
Als Jurist brachte Lattmann es bis zum Amtsrichter (Amtsgerichtsrat) am
Amtsgericht Schmalkalden
.
[2]
Politisch begann Lattmann sich in den 1890er Jahren in rechten, antisemitischen Parteien des
Kaiserreiches
zu betatigen. Im
Juni 1903
wurde Lattmann fur die
Deutschsoziale Partei
erstmals in den
Reichstag des Kaiserreiches
gewahlt, in dem er bis zum Januar 1912 den
Reichstagswahlkreis Regierungsbezirk Kassel 2
(Kassel-Melsungen) vertrat. Nachdem der langjahrige Reichstagsabgeordnete
Karl Hermann Forster
1912 gestorben war, bewarb er sich in der Nachwahl am 19. Dezember 1912 um dessen Mandat im
Reichstagswahlkreis Reuß alterer Linie
. Er kam in der Wahl abgeschlagen mit 1571 Stimmen auf den dritten Platz; das Mandat gewann der Kandidat der
SPD Reuß alterer Linie
Max Cohen
mit 7911 Stimmen, der Nationalliberale und spatere Reichskanzler
Gustav Stresemann
(5329 Stimmen) erreichte Platz 2.
[3]
Daneben war er von 1904 bis 1908 Mitglied des
Preußischen Abgeordnetenhauses
. Von 1911 bis 1914 amtierte Lattmann als Vorsitzender der Deutschsozialen Partei, dann von 1915 bis 1918 als Vorsitzender der
Deutschvolkischen Partei
.
[4]
Offentliches Aufsehen erregte Lattmann insbesondere auch als einer der aggressivsten
Antisemiten
des Kaiserreiches.
[5]
Als Reichstagsabgeordneter schloss er sich der Fraktionsgemeinschaft der
Wirtschaftlichen Vereinigung
an, die Antisemiten- und Bauernparteien umfasste, und hatte zeitweise den Vorsitz ihrer Reichstagsfraktion inne.
[6]
Im Reichstag bezog Lattmann unter anderem zur
Kolonialpolitik
Stellung, in der er ?einem vernunftigen Herrenstandpunkt“ das Wort redete: in diesem Sinne insistierte Lattmann, der sich selbst als ?Progressiven“ in der Kolonialfrage ansah, dass die Schwarzafrikaner in den deutschen Kolonien ? selbst nach einer Bekehrung zum Christentum ? den weißen Einwohnern, ?vom Standpunkt der Rasse gesehen“, nicht als gleichwertig angesehen werden konnten.
[7]
Nach dem Krieg wurde Lattmann Mitglied der
Deutschnationalen Volkspartei
(DNVP). Im Oktober 1919 zog er fur diese im Nachruckverfahren in die
Weimarer Nationalversammlung
ein, in der er den ausgeschiedenen Abgeordneten
Karl Veidt
ersetzte.
[8]
Lattmann erfuhr eine ungewollte Beruhmtheit, als
Sigmund Freud
ihn in der
Psychopathologie des Alltagslebens
als ein Beispiel dessen, was heute gemeinhin als
Freudscher Versprecher
gilt, anfuhrte: Er, Lattmann, trat 1908 im Reichstag fur eine Ergebenheitsadresse an
Wilhelm II.
ein, und wenn man das tue, ?[…] so wollen wir das auch ruckgratlos tun.“ Nach, laut Sitzungsprotokoll, minutenlanger sturmischer Heiterkeit erklarte der Redner, er habe naturlich
ruckhaltlos
gemeint.
- Die Geschichte und der gegenwartige Stand des Innungswesens in Deutschland.
1908.
- Die Wahrheit uber die Reichsfinanzreform.
1909.
- Die sozialen Aufgaben unseres Volkes im Lichte der Reichstagswahl.
1912.
- Armbrustschiessen und Maienfest im Jahre 1614. Thuringisches Volksfestspiel in 3 Aufzeichnungen.
1914.
- Staatshilfe in Kriegsnot volkstumliche Darstellung der hauptsachlichsten ...
1915.
- Helge Dvorak:
Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft.
Band I:
Politiker.
Teilband 3:
I?L.
Winter, Heidelberg 1999,
ISBN 3-8253-0865-0
, S. 246.
- Elke Kimmel:
Lattmann, Wilhelm
, in:
Handbuch des Antisemitismus
, Band 2/2, 2009, S. 457
- Bernhard Mann
:
Biographisches Handbuch fur das Preußische Abgeordnetenhaus 1867?1918
(=
Handbucher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien.
Band 3). Droste, Dusseldorf 1988,
ISBN 3-7700-5146-7
, Nr. 1322.
- ↑
John C. Dove:
Who’s Who in Germany 1992.
1992, S. 1330.
- ↑
Charles Robert Bacheller:
Class and Conservatism.
1981, S. 449.
- ↑
Christian Espig: Die "Soziale Morphologie" als methodischer Zugang einer lokalen Religionswissenschaft am Beispiel des Furstentums Reuß a.L., Diss. 2016, S. 193,
Digitalisat
- ↑
Dieter Fricke
:
Lexikon zur Parteiengeschichte.
1983.
- ↑
Stanley Suval:
Electoral Politics in Wilhelmine Germany.
1985, S. 140. Auch Helmut Berding:
Moderner Antisemitismus in Deutschland.
1988, S. 137.
- ↑
Thomas Ormond:
Richterwurde und regierungstreue.
1994, S. 320.
- ↑
Sara Friedrichsmeyer:
The Imperialist Imagination. German Colonialism and Its Legacy.
1999, S. 115.
- ↑
Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung.
Band 343, Berlin 1920, S. 3505 (
Digitalisat
)