Osterreich
|
Verwaltungsgerichtshof
? VwGH ?
p1
|
|
Staatliche Ebene
|
Bund
|
Stellung
|
fur die
Verwaltungsgerichtsbarkeit
zustandiges
Hochstgericht
|
Hauptsitz
|
Wien
|
Prasident
|
Rudolf Thienel
|
Mitarbeiter
|
68 Richter
[1]
|
Haushaltsvolumen
|
23 Mio. EUR
(2022)
[2]
|
Website
|
http://www.vwgh.gv.at/
|
Der Verwaltungsgerichtshof in der ehemaligen
Bohmischen Hofkanzlei
am Judenplatz 11 in Wien
Verhandlungssaal des Verwaltungsgerichtshofs
Der
Verwaltungsgerichtshof
(VwGH) ist das in
Osterreich
fur die
Verwaltungsgerichtsbarkeit
zustandige
Hochstgericht
. Es ist damit neben dem
Verfassungsgerichtshof
(VfGH) und dem
Obersten Gerichtshof
(OGH) eines von drei
Hochstgerichten in Osterreich
.
Die außere Organisation des Verwaltungsgerichtshofes regeln
Art. 134
B-VG
und das
Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985
. Der Verwaltungsgerichtshof besteht aus einem Prasidenten, einem Vizeprasidenten und aus weiteren Richtern. Die Richter des Verwaltungsgerichtshofes werden vom
Bundesprasidenten
auf Vorschlag der
Bundesregierung
ernannt. Soweit es sich nicht um die Stelle des Prasidenten oder des Vizeprasidenten des Verwaltungsgerichtshofes handelt, ist die Bundesregierung ihrerseits an Dreiervorschlage der Vollversammlung des Verwaltungsgerichtshofes gebunden. Fachliche Voraussetzungen fur das Richteramt am Verwaltungsgerichtshof sind die Vollendung des Studiums der Rechtswissenschaft und eine mindestens zehnjahrige Praxis in einem juristischen Beruf. Ihrer beruflichen Herkunft nach, kommen die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes in der Regel aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil- und Strafgerichte), aus der allgemeinen Verwaltung des Bundes und der Lander, aus der Finanzverwaltung und der Rechtsanwaltschaft. Die Richter sind ? so wie die Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit ? unabhangig, unversetzbar und unabsetzbar. Sie treten mit Ablauf des Jahres, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden, in den Ruhestand.
Derzeit gehoren dem Verwaltungsgerichtshof der Prasident
Rudolf Thienel
, die Vizeprasidentin
Anna Sporrer
,
[1]
13 Senatsprasidenten und 53 Hofrate an.
Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz in Wien im einstigen Gebaude der
Bohmischen Hofkanzlei
,
1.
,
Judenplatz
11. Hier war bis 2012 auch der Verfassungsgerichtshof untergebracht.
Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet nach
Art. 133
B-VG uber:
Wichtigste Zustandigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ist seine Entscheidung uber Revisionen. Revision kann erheben:
- jede Person, die sich durch das Erkenntnis oder den Beschluss in seinen Rechten verletzt behauptet
- die belangte Verwaltungsbehorde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
- der zustandige Bundesminister in bestimmten Angelegenheiten, in denen die Lander Bundesrecht vollziehen
- andere Personen und Institutionen in Fallen, in denen dies gesetzlich vorgesehen ist (Art. 133 Abs. 8 B-VG).
Voraussetzung fur die Zulassigkeit einer Revision ist nach Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG:
(4) Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulassig, wenn sie von der Losung einer Rechtsfrage abhangt, der grundsatzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu losende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulassig ist.
[...]
(9) Auf die Beschlusse der Verwaltungsgerichte sind die fur ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Artikels sinngemaß anzuwenden. Inwieweit gegen Beschlusse der Verwaltungsgerichte Revision erhoben werden kann, bestimmt das die Organisation und das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes regelnde besondere Bundesgesetz.
Ob die Revision zulassig ist, hat gemaß
§ 25a
Abs. 1
VwGG
bereits das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss auszusprechen. Bejaht das Verwaltungsgericht die Zulassigkeit der Revision, kann eine
ordentliche Revision
erhoben werden. Verneint das Verwaltungsgericht die Zulassigkeit der Revision, kann eine
außerordentliche Revision
erhoben werden. Im Rahmen der
außerordentlichen Revision
ist gemaß
§ 28
Abs. 3 VwGG darzulegen, warum die Revision abweichend von der Meinung des Verwaltungsgerichts doch zulassig sei.
Rechtsmittel an den Verwaltungsgerichtshof unterliegen gemaß
§ 24
Abs. 2 VwGG dem
Anwaltszwang
. Mit anderen Worten mussen Rechtsmittel durch einen bevollmachtigten Rechtsanwalt verfasst sein und nicht bloß ? wie fruher ? unterschrieben. In bestimmten Fallen kommt auch die Vertretung durch einen Steuerberater oder Wirtschaftsprufer in Frage. Bedurftige Personen haben im Rahmen der
Verfahrenshilfe
Anspruch auf kostenlose Vertretung durch einen Rechtsanwalt.
Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist im Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) und in der Geschaftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes naher geregelt.
Subsidiar
(ersatzweise) kommt das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) zur Anwendung.
Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet immer in Senaten:
- Senate, die aus 5 Mitgliedern bestehen, (Funfer-Senate) bilden hierbei den Regelfall. Sie sind zustandig, wenn nicht ausdrucklich der Dreier-Senat oder ein verstarkter Senat zustandig ist.
- Dreier-Senate werden vorwiegend zur Entscheidung in Verwaltungsstrafsachen und fur formelle Entscheidungen gebildet.
- Dagegen sind verstarkte Senate (9 Mitglieder) zustandig, wenn von der bisherigen Rechtsprechung abgegangen wird oder wenn die zu losende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet worden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof wurde verfassungsmaßig erstmals in der
Dezemberverfassung
1867 vorgesehen. Im Konkreten wurde seine Errichtung erst durch das vom (seit 1871 amtierenden) Kabinett unter Furst
Adolf von Auersperg
und dem Minister ohne Portefeuille
Joseph Unger
im
Reichsrat
eingebrachte Gesetz vom 22. Oktober 1875, kundgemacht am 2. April
1876
, bestimmt.
[3]
Ein weiteres Gesetz und zwei Verordnungen des
Gesamtministeriums
regelten im gleichen Jahr das Vorgehen bei Kompetenzkonflikten, die Geschaftsordnung und Personalangelegenheiten.
[4]
Am 2. Juli 1876 nahm der Verwaltungsgerichtshof seine Tatigkeit auf. Ursprunglich bestand er aus 12 Mitgliedern. Im ersten Jahr hatte er 271 Beschwerden zu bearbeiten.
Die Prinzipien der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind seit 1876 im Kern dieselben geblieben. Der seit 1876 geaußerte Wunsch nach verwaltungsgerichtlichen Unterinstanzen wurde vom Verfassungsgesetzgeber erst 2012 mit Wirksamkeitsbeginn 2014 erfullt. Zum Ende der Monarchie 1918 bestand der Verwaltungsgerichtshof aus 49 Mitgliedern, an die pro Jahr etwa 10.000 Beschwerden herangetragen wurden.
[5]
Die
Provisorische Nationalversammlung
fur
Deutschosterreich
beschloss am 6. Februar 1919 das
Gesetz uber die Errichtung eines deutschosterreichischen Verwaltungsgerichtshofes
.
[6]
Dem Gesetz entsprechend hatte der Vollzugsausschuss des Parlaments, der (am 15. Marz 1919 abgeschaffte)
Staatsrat
, die Richter zu ernennen. Der letzte Prasident des
Reichsgerichts
fur die
im Reichsrat vertretenen Konigreiche und Lander
,
Karl Grabmayr
, wurde zum Prasidenten des republikanischen Verwaltungsgerichtshofes ernannt.
1934 wurde der Verwaltungsgerichtshof von der
Standestaatsdiktatur
mit dem
Verfassungsgerichtshof
zum
Bundesgerichtshof
vereinigt. Da die Verfassungsgerichtsbarkeit ? im Gegensatz zur Verwaltungsgerichtsbarkeit ? in der nationalsozialistischen Zeit beseitigt wurde, erfolgte 1940 die Ruckbenennung in Verwaltungsgerichtshof, 1941 die Fusion mit dem
Preußischen Oberverwaltungsgericht
zum
Reichsverwaltungsgericht
(RVG). Nach dem Ende der NS-Herrschaft nahm der Verwaltungsgerichtshof im Dezember 1945 seine Tatigkeit erneut auf.
Mit der
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012
, die mit 1. Janner 2014 in Kraft trat, wurden die Zustandigkeiten des Verwaltungsgerichtshofes umfassend geandert. Wahrend vor dem 1. Janner 2014 der Verwaltungsgerichtshof zustandig war, uber Beschwerden gegen Bescheide der in
letzter Instanz zustandigen Verwaltungsbehorden
zu entscheiden, entscheiden nun die
Verwaltungsgerichte
(
Landesverwaltungsgerichte
,
Bundesverwaltungsgericht
,
Bundesfinanzgericht
) uber solche Beschwerden (
Bescheidbeschwerden
). Der Verwaltungsgerichtshof kann sich fortan auf die Zustandigkeit als Revisionsinstanz konzentrieren. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof traditionell zwar einziges Verwaltungsgericht in Osterreich war, mit den
Unabhangiger Verwaltungssenaten
und den
Kollegialbehorden mit richterlichem Einschlag
jedoch auch andere Institutionen bestanden, die Verwaltungsgerichtsbarkeit im weiteren Sinn ausgeubt haben. Diese Institutionen waren in der Regel
Tribunale
(also
Gerichte
) im Sinne der
Europaischen Menschenrechtskonvention
, jedoch keine Gerichte im staatsrechtlichen Sinn (also im Sinne des
Bundes-Verfassungsgesetzes
). Im Jahr 2008 wurde mit dem
Asylgerichtshof
erstmals ein zweites Verwaltungsgericht geschaffen; dieses ist im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 im
Bundesverwaltungsgericht
aufgegangen.
Dem Verwaltungsgerichtshof steht seit dessen Grundung ein Prasident vor, der aktuell gemaß
Art. 134 Abs. 4
B-VG
auf Vorschlag der
Bundesregierung
vom
Bundesprasidenten
ernannt wird. Dabei ist die Bundesregierung bei ihrem Vorschlag ? anders als bei den anderen Richtern des VwGH ? fur die Besetzung des Prasidenten- und Vizeprasidenten-Postens nicht an einen Dreiervorschlag des Gerichtshofs selbst gebunden. Nachdem der Verwaltungsgerichtshof der Republik Osterreich in der Zeit von 1934 bis 1945 nicht existierte (zuerst ersetzt durch den standestaatlichen Bundesgerichtshof und anschließend zu einem reichsdeutschen Verwaltungsgericht umfunktioniert), werden die Prasidenten seiner Nachfolgegerichte wahrend dieser Zeit nicht in der Liste der Prasidenten des Verwaltungsgerichtshofs gefuhrt.
- Dieter Altenburger/Kerstin Holzinger (Hrsg.), unter Mitarbeit von Claudia Wutscher und Christoph Urtz:
Schriftsatze an VwG, VfGH und VwGH (Stand 2023).
7., neu bearbeitete Auflage. LexisNexis ARD Orac, Wien 2023,
ISBN 978-3-7007-7784-7
.
- Friedrich Dolp (Hrsg.):
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Geltende Rechtsgrundlagen uber Einrichtung, Aufgabenkreis und Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes nach dem Stande vom 1. Dezember 1986
(=
Handausgabe osterreichischer Gesetze und Verordnungen.
Gruppe 3:
Verwaltungsrecht mit Ausschluß des Finanzrechts.
NF Bd. 15,
ZDB
-ID
574379-5
). Verlag der Osterreichischen Staatsdruckerei, Wien 1987,
DNB
901411558
.
- Rudolf Muller (Hrsg.),
Verfahren vor dem VfGH, dem VwGH und den VwG ? "Der Machacek"
, 7., ganzlich uberarbeitete Auflage. Manz, Wien 2020,
ISBN 978-3-214-06359-7
.
- Gerhard Muzak:
B-VG ? Bundes-Verfassungsrecht. Kurzkommentar.
6. Auflage. Manz, Wien 2020,
ISBN 978-3-214-18652-4
.
- Peter Oberndorfer
:
Die osterreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ein Grundriss fur Studium und Praxis. Mit den die Verwaltungsgerichtsbarkeit betreffenden Rechtsvorschriften und Musterschriftsatzen im Anhang.
Trauner, Linz 1985,
ISBN 3-85320-297-7
.
- Thomas Olechowski
:
Der osterreichische Verwaltungsgerichtshof. Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Osterreich ? das Palais der ehemaligen Bohmisch-Osterreichischen Hofkanzlei. (125 Jahre VwGH (1876?2001)).
Verlag Osterreich, Wien 2001,
ISBN 3-7046-1689-3
, S. 79?113.
- ↑
a
b
Verwaltungsgerichtshof:
Die Richter
, abgerufen am 16. Marz 2014.
- ↑
Bundesfinanzgesetz 2022.
(PDF) Bundesministerium der Finanzen,
abgerufen am 5. Marz 2022
(Seite 15).
- ↑
RGBl. Nr. 36 / 1876 (= S. 85)
- ↑
RGBl. Nr. 37, 94 und 95 / 1876
- ↑
Geschichte des VwGH von 1876 bis 1918
(
Memento
vom 3. Januar 2014 im
Internet Archive
)
- ↑
StGBl. Nr. 88 / 1919 (= S. 152)