Die
Verwaltungsgerichtsbarkeit
ist der Zweig der deutschen
Gerichtsbarkeit
, der der gerichtlichen Kontrolle des Handelns der
offentlichen Verwaltung
dient. Die auf der Grundlage von
Art. 95
des
Grundgesetzes
eingerichteten Verwaltungsgerichte gewahrleisten in ihrem Zustandigkeitsbereich die von
Art. 19
Abs. 4 GG verlangte Uberprufbarkeit samtlicher
offentlicher Akte
. In erster
Instanz
sind die Verwaltungsgerichte zustandig (
§ 45
VwGO
). Da im 17. Jahrhundert die Verwaltungsgerichte nicht mit unabhangigen Richtern, sondern mit
Beamten
besetzt waren, hat sich die historische Bezeichnung
außerordentliche Gerichtsbarkeit
erhalten. Diese Unterscheidung hat jedoch keine Bedeutung mehr, da
Art. 92
,
97
GG jede Rechtsprechung personlich und sachlich unabhangigen Richtern zuweist.
Zustandig sind die Verwaltungsgerichte fur die
offentlich-rechtlichen Streitigkeiten
nicht
verfassungsrechtlicher
Art (
§ 40
Abs. 1 Satz 1
VwGO
). Die Abgrenzung zu den Zivilgerichten der
ordentlichen Gerichtsbarkeit
und zu der
Sozialgerichtsbarkeit
ist teilweise recht kompliziert und auch umstritten. Daneben existiert fur
steuerrechtliche
Streitigkeiten die
Finanzgerichtsbarkeit
.
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut. Fur die meisten verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist als erste Instanz das
Verwaltungsgericht
zustandig
.
Berufungs
- und
Beschwerdeinstanz
der Verwaltungsgerichte sind die
Oberverwaltungsgerichte
(OVG) bzw.
Verwaltungsgerichtshofe
(VGH) der Bundeslander. Jedes Bundesland hat mittlerweile ein OVG oder einen VGH, das oder der ? außer in Bayern, Sachsen-Anhalt und den
Stadtstaaten
? seinen Sitz nicht in der
Landeshauptstadt
hat, um die Unabhangigkeit von der Verwaltung auch raumlich zu verdeutlichen (zur Liste der Sitze siehe Oberverwaltungsgericht). Schleswig-Holstein etwa hat erst 1991 ein eigenes OVG eingerichtet; bis dahin war das
OVG Luneburg
in
Niedersachsen
gem.
§ 3
Abs. 2 VwGO auch fur das Land Schleswig-Holstein zustandig.
Die Oberverwaltungsgerichte sind bei
Normenkontrollverfahren
uber
Satzungen
und
Rechtsverordnungen
(
§ 47
VwGO), bei landesbehordlichen
Vereinsverboten
und der Zulassung bestimmter Infrastrukturvorhaben (
§ 48
VwGO) als erste Instanz berufen.
Revisions
- und
Rechtsbeschwerdeinstanz
ist das
Bundesverwaltungsgericht
mit Sitz in
Leipzig
. Auch dem Bundesverwaltungsgericht hat der Gesetzgeber in bestimmten Fallen eine erstinstanzliche Zustandigkeit zugewiesen (
§ 50
VwGO); unter anderem fur offentlich-rechtliche nicht-verfassungsrechtliche Bund-Lander-Streitigkeiten, Vereinsverbote durch den Bundesinnenminister oder die Zulassung bestimmter Infrastrukturvorhaben. Das Bundesverwaltungsgericht ist in diesen Fallen gleichzeitig erst- und letztinstanzlich zustandig.
Im mittelalterlichen Recht wurde obrigkeitliches Handeln in der Regel
gewohnheitsrechtlich
begrenzt. Ab dem Spatmittelalter, besonders mit dem
Reichstag zu Worms
und der Grundung des
standischen
Reichskammergerichts
1495 und des
kaiserlich
besetzten
Reichshofrats
1497/98 entwickelten sich erste Formen der Verwaltungsgerichtsbarkeit (→
Untertanenprozess
).
Im
aufgeklarten Absolutismus
wurde bei der Staatstatigkeit zwischen der hoheitlichen Funktion und dem Staat als Wirtschaftssubjekt (
Fiskus
) unterschieden. Wurde der Staat wirtschaftlich tatig, bewegte er sich auf Augenhohe mit den
Untertanen
und unterwarf sich der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
[1]
Mit dem Untergang des
Heiligen Romischen Reiches
und dem
Wiener Kongress
war der Prozess des Ubergangs vom
Personenverbandsstaat
zum
institutionellen Flachenstaat
auch rechtstheoretisch abgeschlossen und die Ausgestaltung des Rechts lag in der
Souveranitat
des Landesherren.
Liberale
Rechtstheoretiker wie
Mittermaier
,
Pfeiffer
und
Jordan
pladierten fur einen
Justitzstaat
, der sich vor ordentlichen Gerichten verantworten musse. Stattdessen setzte sich die
Administrativjustitz
durch, die theoretisch die
Gewaltenteilung
zwischen Rechtssprechung und Verwaltung durchsetzte und Verwaltungshandeln in die alleinige Zustandigkeit der
Exekutive
unter dem Souveran legte.
[2]
Die als ?Verwaltungsgerichte“ bezeichneten Dienststellen waren besondere Abteilungen von Behorden. Kontrolleure und Kontrollierte unterstanden den gleichen Aufsichtsbehorden, so dass unabhangige
Gerichte
nicht bestanden. Als voll justiziabel wurde neben den Tatigkeiten des Staates als Fiskus auch das Entschadigungswesen bei Enteignungen betrachtet, welches in Ermangelung unabhangiger Verwaltungsgerichte deshalb den ordentlichen Gerichten zugewiesen war. Diese geschichtliche Entwicklung hat zur Folge, dass bis heute das
Staatshaftungsrecht
der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen ist und durch die ordentlichen Gerichten entschieden wird. Die Verfassung der
Frankfurter Nationalversammlung
von 1848/49 forderte ein Ende der ?Verwaltungsrechtspflege“ (Artikel X § 182 Abs. 1). Damit sollte die Verwaltungsrechtspflege von der ordentlichen Gerichtsbarkeit und nicht mehr von der Administrativjustiz (manchmal auch als Kameraljustiz bezeichnet) wahrgenommen werden.
Der
erste deutsche Verwaltungsgerichtshof
wurde durch Gesetz vom 5. Oktober 1863 im
Großherzogtum Baden
errichtet.
[3]
Das
preußische Oberverwaltungsgericht
wurde mit dem preußischen Verwaltungsgerichtsgesetz vom 3. Juli 1875 errichtet. 1875 wurde auch im
Großherzogtum Hessen
die Verwaltungsgerichtsbarkeit eingefuhrt, 1876 in Wurttemberg und in Bayern 1879. Die ubrigen Einzelstaaten des Deutschen Reiches von 1871 grundeten ihre OVGe oder VGHe spater ? die letzten, zu denen Hamburg, Bremen
[4]
und die beiden Mecklenburg gehorten, allerdings erst in der
Weimarer Republik
. Die Unterinstanz (also die heutigen Verwaltungsgerichte) gab es nicht. Auch ein Verwaltungsgerichtshof mit reichsweiter Zustandigkeit existierte nicht. Hamburg war das erste Land, das 1921 sowohl Verwaltungsgericht als auch Oberverwaltungsgericht nach Art. 107 der
Weimarer Reichsverfassung
eingerichtet hatte. In den ubrigen Landern wurde nur langsam dieser programmatische Ansatz verwirklicht. Bremen richtete z. B. erst mit Gesetz vom 14. September 1933 ein Oberverwaltungsgericht ein.
An eine unabhangige Verwaltungsgerichtsbarkeit war in der
Zeit des Nationalsozialismus
nicht zu denken. Mit
Fuhrererlass
vom 28. August 1939 wurde ?an die Stelle der Anfechtung einer Verfugung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren […] die Anfechtung im Beschwerdewege bei der vorgesetzten Behorde oder der Aufsichtsbehorde“ gesetzt.
[5]
?Die Beschwerdebehorde [konnte] im Hinblick auf die grundsatzliche Bedeutung oder die besonderen Umstande des Einzelfalls statt der Beschwerde das verwaltungsgerichtliche Verfahren zulassen.“ Am 3. April 1941 wurde ein
Reichsverwaltungsgericht
durch weiteren Fuhrererlass errichtet.
[6]
Dieses sollte ?die Verwaltung durch Vereinigung oberster Verwaltungsgerichte vereinfachen und damit zugleich die zumal in Kriegszeiten gebotenen Ersparnisse an Personal und Verwaltungskosten erzielen“. Dazu wurden das Preußische Oberverwaltungsgericht, der
Reichsdienststrafhof
, das
Reichswirtschaftsgericht
, der
Verwaltungsgerichtshof in Wien
, die Oberste Spruchstelle fur
Umlegungen
, die Oberste Spruchbehorde fur
Wasser- und Bodenverbande
, das Entschadigungsgericht
[7]
und das Reichskriegsschadenamt
[8]
zum Reichsverwaltungsgericht als ?oberste Spruchbehorde der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ vereinigt. 1944 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit generell abgeschafft.
[9]
[10]
Nach dem
Zweiten Weltkrieg
wurde mit dem
Kontrollratsgesetz
36 die Wiedererrichtung der Verwaltungsgerichte beschlossen.
[11]
Wahrend dieser Prozess in den
Westzonen
anlief, geschah dies in der
SBZ
nur zogernd. Zwar hatte die sowjetische Militaradministration in Folge des Kontrollratsgesetzes Nr. 46 am 8. Juli 1947 den Befehl 173 erlassen, in den
Landern der SBZ
Verwaltungsgerichte neu zu schaffen. Jedoch hielt die
SED
nicht nur die
Gewaltentrennung
, sondern auch eine unabhangige Kontrolle des Verwaltungshandelns fur eine ?Waffe der Reaktion“ und in einer sozialistischen Gesellschaft ohne Interessengegensatze fur uberflussig.
[12]
Dennoch war in der
Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
von 1949 in Art. 138 I und allen funf Landesverfassungen der Sowjetzone die Institution von Verwaltungsgerichten vorgesehen. Im Hinblick auf die interalliierte Ubereinkunft drangte die
SMAD
zu einer Umsetzung dieses Verfassungsauftrage. Es kam jedoch nur in Thuringen,
Brandenburg
und Mecklenburg zu der Einrichtung eines Verwaltungsgerichtes.
[13]
Die bereits eingesetzten Verwaltungsgerichte wurden mit der Umwandlung der Lander in
Bezirke
1952 wieder abgeschafft.
[14]
[15]
Das
Gesetz uber die Bearbeitung der Eingaben der Burger
sah lediglich eine informelle Konfliktbewaltigung durch
Petitionen
vor.
Nach 1946 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den suddeutschen Landern durch Landergesetze,
[16]
in Norddeutschland durch Verordnung der britischen Militarregierung
[17]
hinsichtlich der Gerichtsverfassung, des Verfahrens und besonders hinsichtlich der Zulassigkeit des Verwaltungsrechtsweges auf eine vollig neue Grundlage gestellt.
[18]
Mit dem Grundgesetz wurde in der BRD eine unabhangige, dreistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit wiedererrichtet. Im Jahre 1952 konstituierte sich der
Bund Deutscher Verwaltungsrichter
(BDVR). Erst 1960 trat die
Verwaltungsgerichtsordnung
in Kraft, die die Verwaltungsgerichtsbarkeit als einen vollwertigen unabhangigen Zweig der Justiz installierte. Die entscheidende Neuerung gegenuber den Zeiten der Weimarer Republik bestand in der verwaltungsgerichtlichen Allzustandigkeit bei offentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art (
§ 40
VwGO). Der Verwaltungsrechtsweg war nun nicht mehr an die Verwirklichung enumerativ aufgezahlter Eroffnungstatbestande gekoppelt, welche in der Regel einen formlichen
Verwaltungsakt
voraussetzten, so dass auch tatsachliches Verwaltungshandeln einer verwaltungsgerichtlichen Uberprufung zuganglich wurde.
In verwaltungsgerichtlichen Verfahren gilt in Deutschland der
Amtsermittlungsgrundsatz
(hier Ermittlungsgrundsatz genannt,
§ 86
VwGO,
§ 76
FGO,
§ 103
SGG).
Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist grundsatzlich kostenpflichtig. Nach
§ 188
VwGO gelten jedoch einige Ausnahmen: in Verfahren der Jugendhilfe nach dem
SGB VIII
, in Verfahren der Ausbildungsforderung nach dem
BAfoG
und dem
AFBG
, in Verfahren der
Kriegsopferfursorge
und der Schwerbehindertenfursorge und in sonstigen Verfahren der Fursorge (z. B. Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht bei Beziehern von Sozialleistungen, Wohngeldverfahren, umstritten bei Verfahren uber die Unterbringung von Obdachlosen in eine Notunterkunft) werden keine Gebuhren und Auslagen erhoben.
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- ↑
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- ↑
vgl.
Christian Kirchberg
:
Von der Konsolidierung zur Marginalisierung ? Verwaltungsrechtspflege in Deutschland von der Jahrhundertwende bis zum Ende des ?Dritten Reichs“.
Verwaltungsblatter, Sonderbeilage 2013, S. 20?24.
- ↑
Eckart Hien
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Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 191. De Gruyter, 2014.
ISBN 978-3-11-035052-4
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- ↑
Matthias Etzel: Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat (1945?1948); Band 7 von
Beitrage zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts
, 1992,
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ISBN 978-3-16-145994-8
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- ↑
Felix Muhlberg:
Informelle Konfliktbewaltigung. Zur Geschichte der Eingabe in der DDR
Chemnitz, Univ.-Diss. 1999, S. 70 ff.
- ↑
Dieter Pohl
:
Justiz in Brandenburg 1945 bis 1955.
2001, S. 59?62
- ↑
vgl.
Gesetz uber die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Landern der Deutschen Demokratischen Republik
, GBl. DDR 1952, S. 613,614
- ↑
Maira Mildred Susanne Baderschneider:
Der Burger als Richter: eine empirische Untersuchung des ehrenamtlichen Richters an den allgemeinen Verwaltungsgerichten.
2010,
ISBN 978-3-631-61208-8
, S. 13?14,
online
- ↑
vgl. die Aufzahlung in § 195 Abs. 1 Nr. 3?6 VwGO in der Fassung vom 1. April 1960,
BGBl. I S. 17
- ↑
Verordnung Nr. 141 vom 1. April 1948, Verordnung Nr. 165 vom 15. September 1948, Verordnungsblatt fur die Britische Zone (VOBl BrZ) 1948, S. 111, 263
- ↑
Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie eines Gesetzes uber die Beschrankung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
BT-Drs. 3/55 vom 5. Dezember 1957, S. 24