Versohnung

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Versohnung ist ein theologischer und philosophischer Begriff, der haufig auch in der Alltagssprache , der Politik oder der Psychologie verwendet wird.

Das schwache Verb versohnen hat sich aus dem mittelhochdeutschen Wort versuenen entwickelt, das zum Stammwort Suhne gehort. Die daraus gebildete Form versuhnen hat sich noch bis ins 19. Jahrhundert gehalten. Der heute geltende Umlaut o stammt aus dem Bairischen und Schwabischen : Im Spatmittelalter wandelte sich ein ue vor einem n zum o . [1]

Glaube und Theologie

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Im christlichen Glauben ist die durch die Sunde entstandene Kluft zwischen Gott und Mensch zu ver-suhnen. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden, um die Menschen zu sich zuruckzuholen und sie wieder mit ihm zu vereinen (siehe auch Rechtfertigung ). Besonders deutlich wird dies durch das Leiden und Auferstehen Jesu Christi: Der Gottessohn leidet freiwillig, um die Menschen wieder mit Gott zu versohnen. Dies wird zum Beispiel an den Worten, die er vom Kreuz sprach, deutlich: ?Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“ ( Lukas 23,34  EU ). Der Apostel Paulus nimmt dies in seinen Briefen auf: ?Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus fur uns gestorben ist, als wir noch Sunder waren“ ( Romer 5,8  EU ). Paulus verknupft die Versohnung mit dem Kreuzestod Jesu Christi: Nicht Gottes Rache, sondern seine Liebe zu den Menschen kommt darin zum Ausdruck. So schreibt Paulus an anderer Stelle: ?Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versohnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versohnung anvertraute“ ( 2 Kor 5,19  EU ). Fur die Bibel ist wichtig, dass nicht die Menschen Gott versohnlich stimmen mussen, sondern er barmherzig ist. Den Christen ist aufgetragen, die Botschaft von dieser Versohnung zu verbreiten. Im wichtigsten Gebet der Christen, dem Vaterunser , heißt es: ?Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Auch viele Gleichnisse Jesu sprechen von der Vergebung (vgl. Liste der Gleichnisse Jesu ). In der Bergpredigt verlangt Jesus von denen, die ihm nachfolgen, sogar die Feinde zu lieben . Die Botschaft und das Vorbild Jesu wird von den Christen gleichsam als Wendepunkt in der Heilsgeschichte verstanden, als Hohepunkt der Versohnung: Weil Gott den Menschen die Sunden vergeben hat, sollen sie auch allen anderen Menschen bereitwillig vergeben. Doch steht diese Botschaft auf der Basis des Alten Testaments , in dem Gott als barmherzig und verzeihend beschrieben wird (vgl. Psalm 78,38  EU ; Psalm 103,8f.  EU ).

Aus dieser Grundbotschaft entwickelte sich in der christlichen Theologie die Lehre der Versohnung von Gott und Mensch durch Jesus Christus, die als Soteriologie bezeichnet wird und in den verschiedenen Konfessionen unterschiedlich ausgepragt ist. Sehr einflussreich fur die katholische und evangelische Theologie war zum Beispiel die Satisfaktionslehre nach Anselm von Canterbury aus dem 12. Jahrhundert, die versucht, die Wiedergutmachung der Sundenschuld durch das Kreuzesleiden Christi zu erklaren und dabei die Barmherzigkeit mit der Gerechtigkeit Gottes zu vermitteln. Die Versohnung kommt darin nicht gut zum Ausdruck. Vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die biblische Botschaft von der Versohnung in der Soteriologie wieder starker zum Tragen gebracht. [2] In der katholischen Theologie ist die individuelle Versohnung traditionell eng verknupft mit Buße und Beichte , doch kann die Lossprechung durch den Priester ( Absolution ) die Versohnung von Menschen untereinander nicht ersetzen. Eine Absolution gibt es nur im Gewissen des Glaubigen durch den Glauben ; sie schutzt nicht vor weltlichen Strafen. Das Bußsakrament macht deutlich, dass die Kirche eine Gemeinschaft von Menschen ist, die Schuld und Sunde ernst nehmen und vor Gott und miteinander uberwinden mochten: Christen stellen sich ihrer Schuld auch vor der kirchlichen Gemeinschaft, die der Priester reprasentiert, und lassen sich die Versohnung Gottes zusprechen. Die Beichte wird daher haufig auch als Sakrament der Versohnung bezeichnet.

Hervorzuheben im Judentum ist insbesondere der große judische Feiertag Jom Kippur , an dem ? etwas verkurzt dargestellt ? die Versohnung mit dem Ewigen dadurch erreicht wird, dass wir uns miteinander versohnen: Das reuevolle Eingestandnis von Sunden ist eine Bedingung zur Suhne. ?Der Versohnungstag befreit von Sunden gegen Gott, jedoch von Sunden gegen den Nachsten erst, nachdem die geschadigte Person um Verzeihung gebeten worden ist“ heißt es im Talmud .

Hawaiische Tradition

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Eine besondere Tradition ist Ho?oponopono : Es ist ein psycho-spirituelles Verfahren der alten Hawaiianer , dessen Anwendung weit uber achthundert Jahre zuruckreicht [3] und das heute wieder vor allem in einer modern- esoterischen Form angewendet wird. Als geistige Reinigung , einer Korrektur von Fehlverhalten ( Sunden ), ist es eine vielstufige Gebets- und Atemubung. Traditionell wurde das Verfahren, bei dem alle an einem Problem beteiligten Personen anwesend waren (im Geiste auch die Ahnen ), durch einen kahuna mit Heilkraften geleitet, eine Art Schamane . Die zur Mithilfe angerufenen hoheren Wesen waren vorwiegend Naturgeister, aber auch ein Familiengeist, genannt 'aumakua. Die esoterischen Formen, deren Begrunderin die kahuna Morrnah Simeona war, konnen allein durchgefuhrt werden.

In Hegels Philosophie ist mit Versohnung die Vermittlung gemeint, die am Ende der Dialektik die Widerspruche in einer Synthese aufhebt . Die Einheit von Begriff und Sein soll erreicht werden.

In Gesellschaft und Politik wird Versohnung als ein moglicher Bestandteil einer Vergangenheitsbewaltigung und/oder Konfliktregelung betrachtet. So wurden zahlreiche Wahrheits- und Versohnungskommissionen gegrundet. Die Ermittlung der Wahrheit bezuglich des realen Geschehens wird sowohl bei einer Vergangenheitsbewaltigung als auch bei einer Konfliktregelung fur erforderlich gehalten. Mitunter werden auch Denkmale zum Zwecke der Versohnung errichtet, z. B. das Vietnam Veterans Memorial .

  • Michael Bongardt , Ralf Karolus Wustenberg (Hrsg.): Versohnung, Strafe und Gerechtigkeit. Das schwere Erbe von Unrechts-Staaten. Edition Ruprecht, Gottingen 2010, siehe da unter anderem: Joachim Gauck : Versohnung, Strafe und Gerechtigkeit als gesellschaftliche und politische Herausforderungen. S. 17?18, ISBN 978-3-7675-7132-7 (= Kontexte , Band 40, herausgegeben von Michael Bongardt).
  • Anne Couderc, Corine Defrance , Ulrich Pfeil (Hrsg.), La reconciliation / Versohnung. Histoire d’un concept entre oubli et memoire / Geschichte eines Begriffs zwischen Vergessen und Erinnern . Peter Lang, Brussel 2022, ISBN 9782875744890 .
  • Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hrsg.): Verstandigung und Versohnung nach dem ?Zivilisationsbruch“? Deutschland in Europa nach 1945 . Peter Lang, Bern 2016 (= Schriftenreihe der Bundeszentrale fur politische Bildung , Bd. 1731), Bonn 2016, ISBN 978-2-87574-334-3 .
  • Axel Montenbruck : Zivilreligion. Eine Rechtsphilosophie II. Grundelemente: Versohnung und Mediation, Strafe und Gestandnis, Gerechtigkeit und Humanitat aus juristischen Perspektiven. 3. erheblich erweiterte Auflage. Universitatsbibliothek der Freien Universitat Berlin, 2011 (open access)
  • Adrian Schenker , Otfried Hofius , Dietrich Korsch, Hans-Richard Reuter: Versohnung I. Altes Testament II. Neues Testament III. Theologiegeschichtlich und dogmatisch IV. Ethisch. In: Theologische Realenzyklopadie . 35 (2003), S. 16?43 (theol. Uberblick)
  • Heinrich Rieker : Nicht schießen, wir schießen auch nicht! Versohnung von Kriegsgegnern im Niemandsland 1914?1918 und 1939?1945 , Donat , Bremen 2006, ISBN 978-3-938275-18-4 .
  • Dirk Schurmann: Versohnung statt Allversohnung! Gottes wunderbares Versohnungsangebot und der Irrtum der Allversohnung. Edition Nehemia, Steffisburg 2020, ISBN 978-3-906289-31-1 (Leseprobe) .

Einzelnachweise

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  1. Friedrich Kluge: Etymologisches Worterbuch der deutschen Sprache. Walter de Gruyter, Berlin 1975, Lemma versohnen.
  2. Bernhard Knorn: Versohnung und Kirche . Theologische Ansatze zur Realisierung des Friedens mit Gott in der Welt (=  Frankfurter Theologische Studien . Band   74 ). Aschendorff, Munster 2016, ISBN 978-3-402-16061-9 . Gunther Wenz: Geschichte der Versohnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit (=  Munchener Monographien zur historischen und systematischen Theologie . Band   11 ). Band   2 . Kaiser, Munchen 1986, ISBN 3-459-01639-6 .
  3. Pali Jae Lee, Koko Willis: Tales from the Night Rainbow. Night Rainbow Publishing, Honolulu, Hawaii 1990, ISBN 0-9628030-0-6 .
Wiktionary: Aussohnung  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
Wiktionary: Versohnung  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen