Vatileaks 1.0

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Begriff Vatileaks wurde durch den damaligen Pressesprecher des Vatikans , Federico Lombardi , in Anlehnung an Wikileaks gepragt [1] und beschreibt die Veroffentlichung von vertraulichen Dokumenten des Vatikans 2011 und 2012.

Zeitlicher Ablauf und Inhalt der Enthullungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Paolo Gabriele (2005)

Seit 2011 waren immer wieder interne Dokumente der Vatikanstadt in die Medien gelangt. In einigen Unterlagen, die der papstliche Kammerdiener Paolo Gabriele (1966?2020) an die Medien weitergegeben haben soll, ging es um Vorwurfe der Korruption , des Missmanagements und der Gunstlingswirtschaft im Vatikan. Außerdem wurde Kritik an der Fuhrung des Istituto per le Opere di Religione (Vatikanbank) geubt. [2] Zudem spricht der Untersuchungsbericht von einer versteckten homosexuellen Lobby innerhalb der Kurie. Eine Villa außerhalb der Ewigen Stadt , eine Sauna im romischen Vorort Quarto Miglio und ein Schonheitssalon im historischen Zentrum werden als Orte von homosexuellen Begegnungen genannt. Ebenso sei es auf dem Gebiet des Vatikans zu intimen Begegnungen zwischen Mannern der Kirche gekommen. [3]

2011 und 2012 soll Gabriele geheim gehaltene Dokumente aus dem Vatikan geschmuggelt haben. Neben vier Nonnen und den beiden Privatsekretaren Georg Ganswein und Alfred Xuereb war er einer der wenigen Vertrauten, die Zugang zu den Privatraumen des Papstes hatten. Gabriele soll außerdem Briefe des Papstes an dessen Sekretar Georg Ganswein sowie Dokumente zum Fall der 1983 entfuhrten Burgerin der Vatikanstadt Emanuela Orlandi offentlich gemacht haben.

Des Weiteren wurde Gabriele der Diebstahl von Wertgegenstanden vorgeworfen. [4]

Veroffentlichung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Umfeld des Papstes beschaftigte den Heiligen Stuhl seit der Buchveroffentlichung des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi mit dem Titel Sua Santita ( Seine Heiligkeit , 2012). Darin publizierte er die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI. , wozu Briefe, Faxe sowie Gesprachsvorlagen zahlten. Unter anderem wurde ein internes Vatikan- Memorandum fur ein Treffen des Papstes mit dem italienischen Prasidenten Giorgio Napolitano abgedruckt. [5]

Untersuchung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im April 2012 setzte der Papst zur Untersuchung der Dokumentendiebstahle eine Untersuchungskommission ein, die aus den drei emeritierten Kardinalen Julian Herranz (Leitung), Jozef Tomko und Salvatore De Giorgi bestand. [6] Unterstutzt wurde diese durch den vatikanischen Innenminister Erzbischof Giovanni Angelo Becciu . [7]

Am 25. Mai 2012 wurde der Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, festgenommen. [8] Nach seinen Vernehmungen im Vatikanstaat wurde Gabriele am 21. Juli 2012 aus der Haft entlassen und unter Hausarrest gestellt. [9] Vor Prozessbeginn war angekundigt worden, dass dieser nach italienischem Strafprozessrecht erfolgen werde, welches zwei Rechtsmittelinstanzen vorsieht.

Manche Beobachter außerten Zweifel daran, dass der eher als schlichtes Gemut beschriebene Kammerdiener Paolo Gabriele wirklich alleine hinter der Affare stecke, und sahen in ihm eher einen moglichen Sundenbock . [10]

Anfang Juni 2012 gab die Zeitung La Repubblica bekannt, dass man auch nach Gabrieles Festnahme weitere Geheimpapiere erhalten hatte. [11]

Reaktionen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Papst Benedikt XVI. zeigte sich nach Angaben aus seinem Umfeld ?betrubt und geschockt“ [12] uber die Enthullungen in der Affare um die Weitergabe vertraulicher Dokumente des Vatikans an die Medien. Die Festnahme seines Kammerdieners sei eine ?schmerzhafte“ Entwicklung, zitieren ihn italienische Medien unter Berufung auf einen Vertrauten.

Im Juni 2012 außerte sich erstmals ein deutscher Kardinal zu dem Skandal. Der Berliner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki bezeichnete es in der Wochenzeitung Die Zeit als ?umso argerlicher“, wenn ?im Raum der Kirche eine Bank schlecht agiert oder sogar Geldwasche passiert und finanzielle Unregelmaßigkeiten geschehen.“ Woelki stellte auch fest, dass die Kirche jedoch so gut wie moglich an der Uberwindung der Missstande arbeite, und forderte ?einen Prozess der Selbstreinigung“. [13]

Prozesse und Verurteilungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der Prozess des Vatikan gegen Gabriele begann am 29. September 2012 und stand unter der Leitung von Gerichtsprasident Giuseppe Dalla Torre . Wegen Beihilfe zum Diebstahl musste sich auch Claudio Sciarpelletti verteidigen. Bei dem Informatiker im papstlichen Staatssekretariat, der als Vertrauter von Gabriele gilt, war eines der gestohlenen Papiere gefunden worden. Acht per Losverfahren ausgewahlte Journalisten nicht-vatikanischer Medien durften den Prozess begleiten. Wahrend des Verfahrens gab Gabriele am 2. Oktober 2012 zu, vertrauliche Dokumente weitergegeben und ohne Komplizen gehandelt zu haben. Dennoch erklarte er sich nicht des schweren Diebstahls schuldig, sondern nur Benedikt XVI. gegenuber schuldig. Ebenfalls wurde entschieden, eine Untersuchung zu seinen Haftbedingungen einzuleiten. [14] [15]

Das Gericht befand Gabriele am 6. Oktober 2012 des schweren Diebstahls fur schuldig und verurteilte ihn zu 18 Monaten Haft. [16] Nach Angaben von Pressesprecher Lombardi wurden durch das Urteil weitere Ermittlungen nicht ausgeschlossen. [17] Gianluigi Nuzzi appellierte nach dem Urteil an Benedikt XVI., Paolo Gabriele zu begnadigen. [18] Am 25. Oktober 2012 trat Gabriele die Haftstrafe im Vatikan an (und nicht wie allgemein erwartet in einem italienischen Gefangnis). [19] Benedikt XVI. besuchte ihn am 22. Dezember 2012 im Gefangnis, vergab ihm und hob die Verbußung der Reststrafe auf. Gabriele wurde noch am selben Tag entlassen und kehrte zu seiner Familie zuruck. [20]

Am 5. November 2012 begann vor einem vatikanischen Gericht der Prozess gegen Claudio Sciarpelletti. Am 10. November 2012 wurde er der Beihilfe zum Diebstahl von Vatikan-Dokumenten, begangen von Paolo Gabriele, schuldig gesprochen. [21] Sciarpellettis Strafe von zwei Monaten Gefangnis wurde auf funf Jahre zur Bewahrung ausgesetzt, da er sich zuvor keines Vergehens schuldig gemacht und bei den Ermittlungen kooperiert hatte. [22]

Gesetzgeberische Maßnahmen und Vatileaks 2.0 [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im Juni 2013 wurde mit Artikel 116-bis ein neuer Tatbestand in das Strafgesetzbuch des Vatikanstaates eingefugt, der die Verbreitung vertraulicher Informationen und Dokumente unter Strafe stellt. [23]

Auf dessen Grundlage begann im November 2015 vor dem Gerichtshof des Vatikanstaates ein Prozess gegen den Pralaten Lucio Vallejo Balda , der am 2. November 2015 in Untersuchungshaft genommen wurde, gegen die PR-Agentin Francesca Immacolata Chaouqui , die beiden Journalisten Emiliano Fittipaldi und Gianluigi Nuzzi sowie einen weiteren Angeklagten. Diese Affare wird als Vatileaks 2.0 bezeichnet. [24]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Gianluigi Nuzzi: Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI. Piper, 2. Auflage 2012, ISBN 978-3-492-05575-8 .
  • Das italienische Original hat den Titel Sua Santita. Le Carte Segrete Di Benedetto XVI und wurde am 17. Mai 2012 im Verlag CHIARE LETTERE S.R.L. veroffentlicht, ISBN 978-88-6190-095-0 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Yvonne Staat: Mal angenommen… Frankfurter Allgemeine, 16. Juni 2012, abgerufen am 7. November 2012 .

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Paul Kreiner: Seiner Heiligkeit untreuer Kammerdiener. Der Tagesspiegel, 30. Mai 2012, archiviert vom Original ; .
  2. Bischof prangert Korruption im Vatikan an. Spiegel Online, 27. Januar 2012, abgerufen am 26. September 2012 .
  3. derwesten.de
  4. Paul Badde : Hat Papst-Vertrauter ?nicht alle Tassen im Schrank“? Die Welt, 12. August 2012, abgerufen am 26. September 2012 .
  5. Skandal im Vatikan: Kammerdiener des Papstes drohen 30 Jahre Haft. Wiener Zeitung, 26. Mai 2012, abgerufen am 26. September 2012 .
  6. Jorg Bremer: Die Jagd auf die ?Raben“. Frankfurter Allgemeine, 18. Juni 2012, abgerufen am 26. September 2012 .
  7. domradio.de ( Memento vom 10. Februar 2013 im Webarchiv archive.today )
  8. Kammerdiener des Papstes festgenommen ? Verratsverdacht. Spiegel Online, 25. Mai 2012, abgerufen am 26. September 2012 .
  9. Papst-Kammerdiener darf nach Hause. tagesschau.de, 21. Juli 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 24. Juli 2012 ; abgerufen am 26. September 2012 .
  10. Inhaftierter Kammerdiener des Papstes als Sundenbock? Mitteldeutsche Zeitung , 28. Mai 2012, abgerufen am 31. Juli 2021 .
  11. Neue Geheimdokumente aus dem Vatikan aufgetaucht. Spiegel Online, 3. Juni 2012, abgerufen am 27. September 2012 .
  12. ?Vatileaks“-Affare: Papst-Kammerdiener festgenommen. N24, 26. Mai 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 10. April 2016 ; abgerufen am 27. September 2012 .
  13. Deutscher Kardinal beklagt Geldwasche im Vatikan. ZEIT ONLINE, 27. Juni 2012, abgerufen am 27. September 2012 .
  14. Ehemaliger Kammerdiener des Papstes gibt Geheimnisverrat zu. Paolo Gabriele gesteht. Focus Online, 2. Oktober 2012, abgerufen am 9. Oktober 2012 .
  15. sueddeutsche.de: Papst begnadigt ehemaligen Kammerdiener
  16. Urteil des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2012 (auf Italienisch)
  17. Andrea Bachstein: Berufung oder Begnadigung. Suddeutsche Zeitung, 6. Oktober 2012, abgerufen am 10. Oktober 2012 .
  18. Enthullungsautor Nuzzi bittet Papst um Gnade fur Ex-Kammerdiener. ZEIT ONLINE, 8. Oktober 2012, abgerufen am 10. Oktober 2012 .
  19. Stefan Troendle: Der erste Vatikan-Haftling der Neuzeit ruckt ein. Papst-Kammerdiener kommt ins Gefangnis. tagesschau.de, 25. Oktober 2012, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 25. Oktober 2012 ; abgerufen am 30. Oktober 2012 .
  20. Vatican Information Service, VIS 22-12-2012-Year XXII - Num. 233
  21. Urteil des Gerichtshofs vom 10. November 2012 (auf Italienisch)
  22. Bewahrungsstrafe fur Sciarpelletti verhangt. Zweiter ?Vatileaks“-Prozess. Focus Online, 10. November 2012, abgerufen am 10. November 2012 .
  23. Gesetz des Staates der Vatikanstadt Nr. IX vom 11. Juli 2013 , das Anderungen im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung enthalt (auf Italienisch)
  24. Oliver Meiler: Vatikanstadt ? Unerwunschte Informationen. Suddeutsche Zeitung, 24. November 2015, abgerufen am 24. November 2015 .