Uwe Wesel
(*
2. Februar
1933
in
Hamburg
; †
11. September
2023
in
Berlin
) war ein deutscher
Rechtswissenschaftler
und
Rechtshistoriker
, der an der
Freien Universitat Berlin
lehrte.
Uwe Wesel kam als altester von drei Sohnen eines Maschinenschlossers und fruheren Seemanns und einer Kinderkrankenschwester zur Welt und wuchs in
Hamburg-Fuhlsbuttel
auf.
[1]
Der Vater war uberzeugter
Nationalsozialist
; er verließ die Familie nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs
.
[2]
In den ersten Nachkriegsjahren trug Uwe mit
Schwarzmarktgeschaften
zum Uberleben der Familie bei, wurde deswegen 1947 von der
Oberschule Alstertal
verwiesen,
[3]
nach zwei Jahren
Mittelschule
aber 1949 an der Oberschule St. Georg aufgenommen, wo er 1953 das Abitur ablegte.
[4]
Anschließend studierte Wesel, der sich an der Schule vor allem fur Mathematik und Naturwissenschaften interessiert hatte, an der
Universitat Hamburg
Klassische Philologie
bei
Bruno Snell
. Sein Studium finanzierte er durch Nachhilfeunterricht und Arbeit als
Tallymann
im
Hamburger Hafen
,
[5]
bis er in die
Studienstiftung des deutschen Volkes
aufgenommen wurde.
1956 wechselte Wesel das Studienfach und nahm das Studium der
Rechtswissenschaft
auf, nach eigener Aussage, weil er sich fur die Altertumswissenschaft aus Interesse an der Antike entschieden hatte, aber weder Lehrer noch Ausbilder von Lehrern werden wollte; zudem wurde er durch seinen Kommilitonen, den Juristen
Otto Schily
, beeinflusst.
[6]
1958 ging er an die
Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen
, wo
Wolfgang Kunkel
, Direktor des
Leopold-Wenger-Instituts fur Rechtsgeschichte
, sein wichtigster Lehrer wurde. Bei ihm war Wesel von 1961 bis 1968 zunachst wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann
Assistent
. 1961 legte er das
Erste juristische Staatsexamen
ab. Da er nur die Note ?befriedigend“ erhielt, konnte er in Munchen nicht
promovieren
und musste an die
Universitat des Saarlandes
in
Saarbrucken
ausweichen, wo er 1965 bei
Gunther Jahr
mit einer Dissertation zum Romischen Recht zum Dr. iur.
promoviert
wurde. 1966 bestand er in Munchen das
Zweite Staatsexamen
mit der Note ?gut“, und 1968
habilitierte
er sich mit einer Schrift zum romischen Kaufrecht fur die Facher Rechtsgeschichte,
Burgerliches Recht
und
Zivilprozessrecht
, wobei das dritte Fach erst im Zuge des Habilitationsverfahrens hinzugefugt wurde.
[7]
Wesel arbeitete zwei Monate probehalber in einer großen Anwaltskanzlei, entschied sich aber trotz der glanzenden Verdienstaussichten gegen eine Laufbahn als Rechtsanwalt, weil man dort, wie er in seinen Memoiren selbstironisch schreibt, ?morgens schon um neun anfangen“ musste und er lieber ein ausgeschlafener als ein vermogender Mann sein wollte.
[8]
Im Herbst 1968 ging er zunachst fur ein Semester als
Privatdozent
an die
Freie Universitat Berlin
und wurde dort als Nachfolger von
Ulrich von Lubtow
zum
Ordentlichen Professor
fur
Romisches Recht
, Burgerliches Recht und Zivilprozessrecht berufen. Die Ernennung erfolgte zum 21. Marz 1969.
[9]
Damit geriet er zugleich mitten in die Diskussion um die
Hochschulreform
und die Unruhen der
Studentenrevolte
. Wesel hatte bereits in Munchen begonnen, sich zu politisieren; er war zunachst Mitglied im
Liberalen Studentenbund Deutschlands
(LSD), der Studentenorganisation der
FDP
, und seit 1960 Mitglied der
SPD
. Die FU Berlin erhielt durch das Berliner Universitatsgesetz von 1969 eine
Prasidialverfassung
mit
Drittelparitat
. Wesel setzte sich fur die Wahl von
Rolf Kreibich
zum Universitatsprasidenten ein und erklarte sich dann bereit, sich als Kandidat der ?linken Fraktion“ im Konzil um das Amt des Vizeprasidenten zu bewerben, wohl wissend, wie er spater schrieb, dass er dadurch ?nie wieder einen
Ruf
an eine andere Juristenfakultat erhalten wurde.“
[10]
Mit 36 Jahren wurde er zum ersten Vizeprasidenten der Freien Universitat gewahlt. Anders als alle spateren Vizeprasidenten ubte er das Amt neben seiner vollen Lehrverpflichtung aus. Das Universitatsprasidium mit Wesel war wahrend seiner Amtszeit scharfen Angriffen von links und rechts ausgesetzt, in erster Linie durch die linksradikalen ?
Roten Zellen
“ und die ?
Notgemeinschaft fur eine freie Universitat
“, einen Zusammenschluss konservativer Professoren. Ende Juni 1973 trat Wesel aus Protest gegen den von ihm heftig bekampften
[11]
?
Loffler
-Plan“, eine Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes, die die freie Pruferwahl im Staatsexamen einschrankte, von seinem Amt als Vizeprasident zuruck und widmete sich in der Folge nur noch seiner wissenschaftlichen und publizistischen Tatigkeit.
Im Marz 2001 wurde Wesel
emeritiert
. Danach war er ab 2006 als Rechtsanwalt tatig.
[12]
Wesel war zweimal verheiratet und hatte einen Sohn aus erster Ehe. Er starb im September 2023 im Alter von neunzig Jahren.
Zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn beschaftigte Wesel sich vornehmlich mit Spezialfragen des antiken romischen Rechts. Die meisten seiner ab 1980 in rascher Folge erscheinenden Bucher behandelten dann rechtsgeschichtliche Themen oder waren Einfuhrungen in das Recht, die sich uber ein juristisches Fachpublikum hinaus an eine breitere Leserschaft richteten und hohe Auflagen erreichten (nach der
Juristischen Weltkunde
von 1984 vor allem das 1992 zunachst in der
Anderen Bibliothek
erschienene
Fast Alles, was Recht ist
, einer der wenigen Bestseller mit juristischer Thematik). Auf dem Gebiet der Rechtsgeschichte untersuchte er zum einen
Fruhformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften
(1985), nachdem er sich bereits 1980 in
Der Mythos vom Matriarchat
, einer Untersuchung zur Stellung der Frau, kritisch von
Johann Jakob Bachofen
abgegrenzt hatte, zum anderen schrieb er zusammenfassende Uberblicksdarstellungen, von denen insbesondere die
Geschichte des Rechts
(1997) zum Standardwerk wurde.
Sein wohl prominentestes Werk
Fast alles, was Recht ist
(zehn Auflagen) erfasste erst nach einem Hinweis von
Manfred Gunther
, Autor des Buches
Fast alles, was Jugendlichen Recht ist
auch das Jugendhilferecht.
Fur den
Verlag C. H. Beck
bearbeitete er 2013 zu dessen 250. Verlagsjubilaum eine Halfte der Verlagsgeschichte. Seine Darstellung des Verlages im Nationalsozialismus unter der Leitung von
Heinrich Beck
stieß teilweise auf Widerspruch. Wesel stellte die Arisierung des Verlags von Otto Liebmann 1933 als einen Geschaftsvorgang dar, bei dem der gezahlte Kaufpreis dem tatsachlichen Wert des Liebmann-Verlages zur damaligen Zeit entsprach.
[13]
Die Berufung von
Carl Schmitt
als Herausgeber der
Deutschen Juristen-Zeitung
,
Heinrich Becks Beitritt zur NSDAP und die Herausgabe von juristischen Kommentaren zu expliziten NS-Gesetzen stellte Wesel als den ?Zeitumstanden“ geschuldet dar.
[14]
Wesel war Mitglied des
PEN-Zentrums Deutschland
und regelmaßiger Mitarbeiter der
ZEIT
, der
Kritischen Justiz
und des
Kursbuches
. Seine Texte zeichnen sich durch Distanz und Ironie aus; zum Spannungsverhaltnis von Wissenschaft und Journalismus zitierte er gern
Immanuel Birnbaum
: ?Im Idealfall weiß der Professor alles uber Nichts und der Journalist nichts uber Alles“.
[15]
Er beobachtete als Journalist den Prozess gegen
Erich Honecker
und verfasste daruber ein Buch.
[16]
2021 legte er mit
Wozu Latein, wenn man gesund ist? Ein Bildungsbericht
seine Autobiografie vor.
[17]
[18]
Wesel wurde 1974 aus der SPD
ausgeschlossen
, nachdem zwei vorhergegangene
Ausschlussverfahren
gescheitert waren. Der Parteivorstand begrundete diesen Schritt damit, dass Wesel mit einem Vortrag uber die Rolle des individuellen Terrors in der Arbeiterbewegung, den er vor dem
Kommunistischen Studentenverband
an der FU Berlin gehalten hatte und der im sozialistischen
Berliner Extra-Dienst
abgedruckt worden war, ?taktische Ratschlage an Kommunisten“ gegeben habe. Laut Wesel bezweckte und erreichte er mit dieser Rede jedoch, dass der KSV die Sinnlosigkeit seiner Angriffe auf und Belastigungen von FU-Professoren erkannte und die Krawalle tags darauf endeten.
[19]
Ab dem 1. September 2008 war Wesel wieder Mitglied der SPD (Abteilung Grunewald).
1978/1979 war Wesel Mitglied der Jury des dritten
Russell-Tribunals
.
- Die Hausarbeit in der Digestenexegese. Eine Einfuhrung fur Studenten und Doktoranden.
v. Kleist, Munchen 1966,
ISBN 3-87440-123-5
.
- Rhetorische Statuslehre und Gesetzesauslegung der romischen Juristen.
C. Heymann, Koln 1967 (zugleich juristische Dissertation vom 29. Juli 1965, Universitat des Saarlandes, Saarbrucken, unter dem Titel:
Zur Methode der Interpretation von Gesetzen im romischen Recht.
).
- Zur dinglichen Wirkung der Rucktrittsvorbehalte des romischen Kaufs.
In:
Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte
, Romanistische Abteilung
85 (1968), S. 94?172 (zugleich Habilitationsschrift Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen 1968).
- Der Mythos vom Matriarchat. Uber Bachofens Mutterrecht und die Stellung von Frauen in fruhen Gesellschaften vor der Entstehung staatlicher Herrschaft.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980 (=
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
333),
ISBN 3-518-27933-5
(7. Auflage 1994)
- Aufklarungen uber Recht. Zehn Beitrage zur juristischen Entmythologisierung.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981 (=
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
368),
ISBN 3-518-27968-8
.
- Fruhformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften. Umrisse einer Fruhgeschichte des Rechts bei Sammlern und Jagern und akephalen Ackerbauern und Hirten.
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1985,
ISBN 3-518-57706-9
.
- Juristische Weltkunde. Eine Einfuhrung in das Recht.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984 (=
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
467),
ISBN 978-3-518-28067-6
(8. Auflage 2000).
- Recht und Gewalt. 13 Eingriffe.
Kursbuch-Verlag, Berlin 1989,
ISBN 3-88022-980-5
.
- Fast Alles, was Recht ist. Jura fur Nichtjuristen.
Eichborn, Frankfurt am Main 1992 (=
Die Andere Bibliothek
),
ISBN 978-3-8218-4092-5
(10. Auflage: C. H. Beck, Munchen 2021,
ISBN 978-3-406-73477-9
).
- Der Honecker-Prozeß. Ein Staat vor Gericht.
Eichborn, Frankfurt am Main 1994,
ISBN 3-8218-0435-1
.
- Die Huter der Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht, seine Geschichte, seine Leistungen und seine Krisen.
Eichborn, Frankfurt am Main 1996,
ISBN 3-8218-1381-4
.
- Geschichte des Rechts. Von den Fruhformen bis zur Gegenwart.
(1. Auflage unter dem Titel:
Geschichte des Rechts. Von den Fruhformen bis zum Vertrag von Maastricht.
) C. H. Beck, Munchen 1997,
ISBN 3-406-54716-8
. (5., neu bearbeitete Auflage 2022).
- Risiko Rechtsanwalt.
Blessing, Munchen 2001,
ISBN 3-442-15207-0
.
- Die verspielte Revolution. 1968 und die Folgen.
Blessing, Munchen 2002,
ISBN 3-89667-190-1
.
- Recht, Unrecht und Gerechtigkeit. Von der Weimarer Republik bis heute.
C. H. Beck, Munchen 2003,
ISBN 3-406-50354-3
.
- Der Gang nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht in der Geschichte der Bundesrepublik.
Blessing, Munchen 2004,
ISBN 3-89667-223-1
.
- Geschichte des Rechts in Europa. Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon.
C. H. Beck, Munchen 2010,
ISBN 978-3-406-60388-4
.
- 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C. H. Beck. 1763?2013.
C. H. Beck, Munchen 2013,
ISBN 978-3-406-65634-7
.
- Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Besatzungszeit bis zur Gegenwart.
C. H. Beck, Munchen 2019,
ISBN 978-3-406-73439-7
.
- Wozu Latein, wenn man gesund ist? Ein Bildungsbericht.
C. H. Beck, Munchen 2021,
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- Patrick Bahners:
Nahezu unbandig. Ironie als Kritik und Vollendung der Methode. Zum Tod des Juristen Uwe Wesel
. In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
. 15. September 2023,
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- Nachruf: Uwe Wesel, 90
. In:
Der Spiegel
. 15. September 2023,
ISSN
2195-1349
(
spiegel.de
[abgerufen am 17. September 2023]).
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Uwe Wesel:
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Wolf-Dieter Narr, Uwe Wesel:
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Portrat
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Wozu Latein, wenn man gesund ist? Ein Bildungsbericht.
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Der Honecker-Prozeß. Ein Staat vor Gericht.
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Ernst Reuß:
≫Sie werden sich falsch entscheiden≪ Der Rechtshistoriker Uwe Wesel bietet komprimiert deutsche Zeitgeschichte.
In:
nd-aktuell.de.
28. Marz 2022,
abgerufen am 29. Marz 2022
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Benno Heussen:
Buchbesprechung Uwe Wesel Autobiografie.
In:
Mitteilungen des Munchner Anwaltvereins (MAV).
Munchner Anwaltverein, 1. Januar 2022,
abgerufen am 14. September 2023
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Uwe Wesel:
Die verspielte Revolution.
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