Als
Tofet
(
hebraisch
??????
, plur. Tephatim) bezeichnen einige Stellen im
Tanach
, der hebraischen
Bibel
, bestimmte Platze, wo die fruheren
Kanaaniter
religiose
Kinderopfer
ausgefuhrt haben sollen.
[1]
An anderen Bibelstellen bedeutet der Ausdruck ?Gespei“, ?Gespott“, ?Grauel“ oder ?Schande“. Er erscheint jeweils in Kontexten, die den Glauben der
Israeliten
an
JHWH
von vorisraelitischen Kulten abgrenzen. Daraus ergab sich das Forschungsproblem, ob in diesen Kulten und der fruhen Religion Israels solche Opfer real praktiziert wurden, gegebenenfalls bis wann und wie weit sie verbreitet waren.
Die etymologische Herleitung und ursprungliche Bedeutung des Wortes sind ungewiss. Die Konsonantenfolge erscheint auch in anderen semitischen Sprachen (phnitisch: molk) mit der wahrscheinlichen Bedeutung ?Speichel“, ?Auswurf“. Manche Forscher sehen es als verwandt mit dem
syrisch
-
aramaischen
???????? (
tephaya
, ?Kochherd“) an.
[2]
Dann bedeutete es ursprunglich ?Feuerstelle“.
Die
masoretische
Vokalisierung gleicht der von Worten wie
boschet
(?Schande“) und
molech
. Dies konnte eine verachtende Wertung ausdrucken.
[3]
Der Ausdruck erscheint einmal im
Deuteronomistischen Geschichtswerk
im Zusammenhang einer Kultreform des Konigs
Joschija
(640 bis 609 v. Chr.), der die noch ubrigen kanaanaischen Kultstatten zerstoren oder unbrauchbar machen ließ (
2 Kon
23,10
EU
):
?Ebenso machte er das Tofet im Tal der Sohne
Hinnoms
unrein, damit niemand mehr seinen Sohn oder seine Tochter fur den
Moloch
durch das Feuer gehen ließ.“
Die Wendung ?durch das Feuer gehen“ wird als rituelles Verbrennen gedeutet. Sie erscheint auch in
2 Kon
17,17
EU
in einer summarischen Aufzahlung des
Gotzendienstes
Israels neben anderen abgelehnten Riten aus der kanaaanischen, assyrischen und
babylonischen Religion
. Israels Propheten hatten Israel vor den Folgen solcher
Abgotterei
gewarnt. Doch Konige und Volk hatten Gottes Gebote fortgesetzt missachtet. Dem sei unvermeidbar Gottes Zorngericht uber ganz Israel gefolgt. Deshalb sei zuerst das
Nordreich Israel
(722 v. Chr.), spater auch das
Sudreich Juda
(586 v. Chr.) untergegangen. Die Rede erklart also theologisch in der Ruckschau, was historisch eingetreten war.
Der Prophet
Jeremia
(627 bis 585 v. Chr.) gehorte zu den scharfsten Kritikern der Tempelpriester und des Tempelkults. In einer seiner wahrscheinlich kurz vor der babylonischen Eroberung Jerusalems verkundeten Gerichtspredigten gegen das Volk und seine Fuhrer heißt es (
Jer
7,31.32
EU
):
?Auch haben sie die Kulthohe des Tofet im Tal Ben-Hinnom gebaut, um ihre Sohne und Tochter im Feuer zu verbrennen, was ich nie befohlen habe und was mir niemals in den Sinn gekommen ist.
Seht, darum kommen Tage ? Spruch des Herrn ?, da wird man nicht mehr vom Tofet reden oder vom Tal Ben-Hinnom, sondern vom Mordtal und im Tofet wird man Tote begraben, weil anderswo kein Platz mehr ist.“
Eine weitere Gerichtspredigt Jeremias erging im Tal Ben-Hinnom ?am Eingang des Scherbentors“ (
Jer
19,3?13
EU
):
?Hort das Wort des Herrn, ihr Konige und ihr Einwohner Jerusalems! So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Seht, ich bringe solches Unheil uber diesen Ort, dass jedem, der davon hort, die Ohren gellen.
Denn sie haben mich verlassen, mir diesen Ort entfremdet und an ihm anderen Gottern geopfert, die ihnen, ihren Vatern und den Konigen von Juda fruher unbekannt waren. Mit dem Blut Unschuldiger haben sie diesen Ort angefullt.
Sie haben dem Baal eine Kulthohe gebaut, um ihre Sohne als Brandopfer fur den Baal im Feuer zu verbrennen, was ich nie befohlen oder angeordnet habe und was mir niemals in den Sinn gekommen ist.
Seht, darum werden Tage kommen ? Spruch des Herrn ?, da wird man diesen Ort nicht mehr Tofet oder Tal Ben-Hinnom nennen, sondern Mordtal.
Dann vereitle ich die Plane Judas und Jerusalems an diesem Ort. Ich bringe sie vor den Augen ihrer Feinde durch das Schwert zu Fall und durch die Hand derer, die ihnen nach dem Leben trachten. Ich gebe ihre Leichen den Vogeln des Himmels und den Tieren des Feldes zum Fraß. Ich mache diese Stadt zu einem Ort des Entsetzens und zum Gespott; jeder, der dort vorbeikommt, wird sich entsetzen und spotten uber alle Schlage, die sie getroffen haben. Ich gebe ihnen das Fleisch ihrer Sohne und Tochter zu essen; einer wird das Fleisch des andern verzehren in der Not und Bedrangnis, mit der ihre Feinde und alle, die ihnen nach dem Leben trachten, sie bedrangen. […]
Im Tofet wird man Tote bestatten, weil sonst kein Platz ist zum Begraben. So werde ich mit diesem Ort verfahren ? Spruch des Herrn ? und mit seinen Bewohnern, um diese Stadt dem Tofet gleichzumachen. Die Hauser Jerusalems und die Hauser der Konige von Juda sollen unrein werden wie der Ort des Tofet, alle Hauser, auf deren Dachern man dem ganzen Heer des Himmels Rauchopfer und anderen Gottern Trankopfer dargebracht hat.“
Aus dieser Rede entnimmt man, dass das Tofet in einem der Taler am Stadtrand Jerusalems lag; angenommen wird meist eine Schlucht unterhalb des sudostlichen Teils der Stadtmauer. Dort ware laut Jeremia fruher einmal ein Opferplatz des Gottes
Baal
gewesen; den Gott Moloch nannte er hier nicht (vgl. Jer 32,35). Er bezog sich offenbar auf eine Menschenopferpraxis, die den Israeliten ursprunglich fremd war, die sie aber spater im eigenen Gebiet von anderen Volkern ubernahmen. Ob dem Baal uberhaupt Kinder geopfert wurden, ob und wann die Israeliten dies nachahmten und ob diese Kindesopfer zu Jeremias Zeit noch ausgeubt wurden, ist historisch stark umstritten und wird oft verneint.
[4]
Denn die Rede setzt voraus, dass der Ort des Tofet damals bereits unrein, also als Opferplatz ungeeignet war, so wie es der ubrigen Stadt angekundigt wird. Zudem lagen Opferstatten fur Baal ublicherweise auf Hugeln, nicht in Talern. Aufgrund von Notizen spaterer Quellen nimmt man an, dass die Talsenke vor der Stadt eine Art Mullhalde war, wo Fleischabfalle ? vielleicht auch Leichen von Hingerichteten ? hingeworfen wurden.
[5]
Darauf verweist auch der
Leichenfraß
von Vogeln unter freiem Himmel, den Jeremia den Bewohnern Jerusalems als zu ihrem Fehlverhalten analoges kommendes Schicksal androhte. Der aus nackter Hungersnot ? etwa infolge einer jahrelangen Belagerung der Stadt ? geborene
Kannibalismus
war das fur Israeliten denkbar Schlimmste, was ihnen widerfahren konnte. Dann ware Jeremias Hinweis auf Baal und ihm dargebrachte Menschenopfer als summarische Zusammenfassung und außerste Zuspitzung seiner Kritik an der Anpassung an fremde Kultgebrauche zu verstehen, die ins Unheil fuhrten und deshalb ruckwirkend abgelehnt wurden.
[6]
Die
Tora
verbietet wiederholt (ob schon vor oder erst nach der prophetischen Kritik, ist ebenfalls umstritten) alle Menschenopfer in Israel (
Ex
13,2.12f
EU
; 22,28f
EU
; 34,19f
EU
;
Num
3,1ff
EU
; 18,15
EU
;
Dtn
15,19
EU
) und bedroht ihre Ausubung mit
Todesstrafe
(
Lev
20,2
EU
) oder Ausschluss aus Gottes Volk (
Dtn
18,10
EU
). Denn sie galten als Inbegriff dessen, was dem Gott Israels ein ?Greuel“ war und sein Zorngericht heraufbeschwor. Demgemaß konnte der Ausdruck
tofet
spater auch allgemein fur verabscheuungswurdige Dinge stehen. In diesem Sinn heißt es in
Hi
17,6b
EU
:
?Zum Spott fur die Leute stellte er mich hin, ich wurde einer, dem man ins Gesicht spuckt.“
Die Ubersetzung folgt der
Septuaginta
, die
tofet
hier mit
gelos
(?Gespott“) wiedergab.
[7]
Als
Tofet
werden auch verschiedene
phonizische
und
punische
Kultstatten bezeichnet, die im Mittelmeerraum gefunden worden sind: in
Karthago
, auf Sizilien
Mozia
,
[8]
auf Sardinien
Bithia
(beim Kap Spartivento),
Nora
,
Monte Sirai
,
Tharros
, eventuell in
Tyrus
(
Libanon
)
[9]
oder auf einem
Trachythugel
beim historischen
Sulci
, heute
Sant’Antioco
.
Umstritten ist, ob all diese Statten fur Kinderopfer benutzt wurden oder ob es sich dabei um rituelle Kinderbeisetzungen handelt. Die These, Kinderopfer der Phonizier seien eine von den Griechen erfundene verleumderische Legende, ist von
Sabatino Moscati
vertreten worden.
[10]
- Michaela Bauks
:
Kinderopfer als Weihe- oder Gabeopfer. Anmerkungen zum ?mlk“-Opfer
. In: Markus Witte; Johannes F. Diehl (Hrsg.):
Israeliten und Phonizier. Ihre Beziehungen im Spiegel der Archaologie und der Literatur des Alten Testaments und seiner Umwelt
. Academic Press, Fribourg 2008,
ISBN 978-3-7278-1621-5
,
S.
233?251
(auch bei Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2008,
ISBN 978-3-525-53036-8
).
- John Day:
Molech. A god of human sacrifice in the Old Testament
. Cambridge University Press, Cambridge 1989,
ISBN 0-521-36474-4
(englisch).
- Kersey Graves
:
Explanation of Hell, Hades, Tartarus, Infernus, Gehenna, and Tophet
. In:
The biography of Satan: or, A historical exposition of the devil and his fiery dominions
. Book Tree, Escondido, CA,
ISBN 1-885395-11-6
,
S.
116
(englisch,
books.google.de
).
- G. C. Heider:
Molech
. In: Pieter W. Van Der Horst, Karel Van Der Toorn, Bob Becking (Hrsg.):
Dictionary of Deities and Demons in the Bible
. 2., erweiterte und revidierte Auflage. Brill Academic Pub, Leiden / Boston / Koln 1999,
ISBN 90-04-11119-0
,
S.
581?585
(englisch).
- Glenn E. Markoe:
Die Phonizier
. Theiss, Stuttgart 2003,
ISBN 3-8062-1816-1
(englisch:
The Phoenicians
. London 2000. Ubersetzt von Tanja Ohlsen).
- Otto Kaiser:
Den Erstgeborenen deiner Sohne sollst du mir geben. Erwagungen zum Kinderopfer im Alten Testament
. In: Volkmar Fritz (Hrsg.):
Von der Gegenwartsbedeutung des Alten Testaments. Gesammelte Studien zur Hermeneutik und zur Redaktionsgeschichte
. Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 1984,
ISBN 3-525-58144-0
,
S.
142?166
.
- ↑
Glenn E. Markoe:
Die Phonizier. Volker der Antike.
Konrad Theiss, 2003,
ISBN 3-8062-1816-1
, S. 134.
- ↑
Eduard Konig:
Hebraisches und aramaisches Worterbuch zum Alten Testament
. Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1922,
S.
555
(
books.google.de
).
- ↑
L. Koehler, W. Baumgartner (Hrsg.):
Hebraisches und Aramaisches Lexikon zum Alten Testament
. 3. Auflage.
Band
1
:
Alef?Ajin
,
Band
2
:
Pe?Taw
. Brill, Leiden / Boston 2004,
ISBN 978-90-04-14037-0
, Eintrag zu
Topheth
(hebraisch, deutsch, Originaltitel:
The hebrew and aramaic lexicon of the old testament
.).
- ↑
Thomas Knoppler:
Menschenopfer II.2.: Der Moloch-Kult.
In:
Die Religion in Geschichte und Gegenwart.
Band 5, Mohr/Siebeck, 4. Auflage, Tubingen 2002, Sp. 1087 f.
- ↑
Jewish Encyclopedia: Artikel ?Tophet“
(englisch).
- ↑
Christl M. Maier:
Jeremia als Lehrer der Tora.
Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2002,
ISBN 3-525-53880-4
, S. 118?124 (
books.google.de
).
- ↑
Otto Eißfeldt:
Hiob. Handbuch zum Alten Testament.
Band 17. Mohr Siebeck, Tubingen 1952, S. 40.
- ↑
Il tophet di Mozia
bei www.regione.sicilia.it (italienisch)
- ↑
Helga Seden,
A Tophet in Tyre?
In:
BERYTUS.
Band 39, 1991
(englisch).
- ↑
Sabatino Moscati
:
Il sacrificio punico dei fanciulli: Realta o invenzione?
In:
Quaderni dell'Accademia Nazionale dei Lincei.
261, Rom 1987 (zitiert nach: Walter Burkert:
Kulte des Altertums.
Munchen 1998, S. 71, Fn. 76).