Gruppen-
Emblem
der Thule-Gesellschaft mit einem Kreis und einem abgerundeten
Hakenkreuz
.
Die
Thule-Gesellschaft
war ein politischer
Geheimbund
, der gegen Ende des
Ersten Weltkrieges
im August 1918 in
Munchen
von
Rudolf von Sebottendorf
gegrundet wurde und in seiner starksten Phase im Winter 1918/19 rund 1500 Mitglieder hatte.
Er wurde nach der sagenhaften Insel
Thule
benannt, die weit im Norden gelegen haben soll. Die Thule-Gesellschaft war
volkisch
-
antisemitisch
ausgerichtet. Sie bekampfte die
Novemberrevolution
von 1918, den von
Kurt Eisner
(
USPD
) ausgerufenen
Freien Volksstaat Bayern
sowie die nachfolgende
Munchner Raterepublik
, die sie als Ausfluss einer ?
judischen Weltverschworung
“ ansah. Nach 1919 verlor sie schnell an Bedeutung und loste sich 1925 auf. In jungerer Zeit ist sie Anknupfungspunkt vielfaltiger
Verschworungstheorien
und
Fiktionen
.
Die Gesellschaft ging auf den 1912 gegrundeten antisemitischen
Germanenorden
zuruck, der sich 1916 gespalten hatte. Anfang 1918 sammelte der Abenteurer und
Okkultist
Rudolf von Sebottendorf
, der 1913 nach langerem Aufenthalt im
Osmanischen Reich
nach Deutschland zuruckgekehrt war und reich geheiratet hatte, die verbliebenen bayerischen Anhanger des Ordens in Munchen. Dabei bediente er sich eines scheinbar okkultistischen Rahmens und der altgermanischen Anspielung im Namen, um die eigentlichen Ziele zu kaschieren.
[1]
Dass der Germanenorden im Hintergrund stand, sollte nicht deutlich werden.
[2]
Am 17./18. August 1918 wurde der neue Geheimbund mit der Bezeichnung ?Thule Gesellschaft, Orden fur deutsche Art“ offiziell gegrundet.
[3]
Am 3. August 1919 wurde er unter dem Namen ?Thule-Gesellschaft zur Erforschung deutscher Geschichte und Forderung deutscher Art e. V., Sitz Munchen“ ins
Vereinsregister
eingetragen.
[1]
Der Versammlungsort war von 1919 bis 1924 das Munchener
Luxushotel
?Vier Jahreszeiten“
. Im Winter 1918/19 hatte die Thule-Gesellschaft etwa 1.500 Mitglieder, davon 250 in Munchen.
[1]
Es handelte sich uberwiegend um Akademiker, Aristokraten und Geschaftsleute.
[4]
Als Emblem der Gesellschaft wurde ein
Hakenkreuz
mit Strahlenkranz hinter einem blanken Schwert gewahlt, als
Mottos
galten ?Halte dein Blut rein“ und ?Bedenke, dass du ein Deutscher bist“, die Grußformel der Mitglieder untereinander war ?Heil und Sieg“.
[1]
Die Gesellschaft entfaltete eine massive, vor allem antisemitisch gepragte Propagandatatigkeit, indem sie ?den“ Juden als ?Todfeind des deutschen Volkes“ bezeichnete und die teilweise wirren und unruhigen Zustande der
Ratezeit
als angebliche Beweise einer ?judischen Weltverschworung“ vorbrachte, die es zu bekampfen gelte.
[5]
Ziel der Thule-Gesellschaft war die Errichtung einer
Diktatur
und die Vertreibung aller
Juden aus Deutschland
.
[1]
Das Publikationsorgan war der
Munchener Beobachter
, der durch finanzielle Unterstutzung von Seiten
Kathe Bierbaumers
gekauft werden konnte. 1920 wurde das Blatt von der
Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei
(NSDAP) ubernommen und in
Volkischer Beobachter
umbenannt.
[6]
Daneben versuchte Sebottendorf
ariosophischen
Lehren in der Gesellschaft Geltung zu verschaffen. Er ließ sie in seine Reden einfließen, und es wurden Studienkreise zu diesbezuglichen Themen wie nordische Kultur und
Heraldik
eingerichtet.
[4]
Nach der Ausrufung des
Freien Volksstaates Bayern
am 8. November 1918 durch Kurt Eisner, den die Gegner der Revolution als Landesverrater, Zerstorer bayrischer Traditionen und nicht zuletzt als angeblich aus
Galizien
zugewanderten Juden diffamierten,
[7]
wurde der
Kampfbund Thule
als militarischer Arm der Thule-Gesellschaft gegrundet. Dieser beteiligte sich im Dezember 1918 an den Vorbereitungen eines
Staatsstreichs
, an einem Versuch, Ministerprasident Eisner zu entfuhren, und an verschiedenen Gewalttaten.
[6]
[8]
An der Ermordung Eisners am 21. Februar 1919 war die Thule-Gesellschaft indirekt beteiligt: Der Morder
Anton Graf von Arco auf Valley
war zuvor zeitweilig Mitglied der Gesellschaft gewesen. Er wurde wegen seiner halbjudischen Mutter ausgeschlossen
[9]
und wollte durch den Mord an Eisner seine nationale Gesinnung beweisen.
[10]
Im Januar 1919 war der Thule-Aktivist
Karl Harrer
, ein Sportjournalist des
Munchner Beobachters
, an der Grundung der
Deutschen Arbeiterpartei
beteiligt, deren Vorsitzender er wurde. Sie wurde 1920 in NSDAP umbenannt.
[6]
Harrer war jedoch schon zuvor mit
Adolf Hitler
in Konflikt geraten und verließ die DAP.
[11]
Etliche Personen, die spater in der NSDAP Bedeutung erlangten, wurden als ?Gaste“ der Thule-Gesellschaft registriert, darunter
Alfred Rosenberg
,
Rudolf Heß
und
Hans Frank
. Hitler selbst war nie Mitglied der Thule-Gesellschaft.
[4]
[12]
Auch gegen die im April 1919 ausgerufene
Munchner Raterepublik
wurde die Thule-Gesellschaft aktiv.
[6]
Thule-Aktivisten unterwanderten die Munchner
Rote Armee
und die
Kommunistische Partei
und sammelten Informationen. Dabei konnten sie sich als angebliche Eisenbahnbeamte dieses Verkehrsmittels bedienen, da der Thule-Vorsitzende
Friedrich Knauf
als Bahninspektor ihnen entsprechende Ausweise besorgte.
[6]
Die gewonnenen Informationen wurden an die nach
Bamberg
ausgewichene
SPD
-gefuhrte Regierung weitergeleitet.
Wahrend der Rateherrschaft in Munchen bot Sebottendorff in den von ihm angemieteten Raumen im Hotel ?Vier Jahreszeiten“ volkisch ausgerichteten Organisationen, die ihre bisherigen Raumlichkeiten verloren hatten, Unterschlupf. Dazu gehorten die
Nationalliberale Partei
, der
Alldeutsche Verband
,
[4]
der
Deutsche Wehrverein
und der
Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband
.
[1]
Am 26. April 1919 wurde das Hotel ?Vier Jahreszeiten“ als Sitz der Thule-Gesellschaft von der raterepublikanischen Militarpolizei gesturmt, und etwa 20 Personen wurden festgenommen.
[6]
Am 30. April wurden sieben in der Gewalt der Militarpolizei befindliche Thule-Mitglieder, darunter Prinz
Gustav Franz Maria von Thurn und Taxis
und drei weitere Adlige, im
Luitpold-Gymnasium
erschossen. Als ?
Geiselmord im Luitpold-Gymnasium
“ erregte dies internationales Aufsehen und loste in Munchen Entsetzen bei der bis dahin ruhig gebliebenen Bevolkerung aus. In den folgenden Tagen des 1.?3. Mai wurde die Raterepublik durch den Einmarsch der Reichswehr und konterrevolutionarer
Freikorps
niedergeschlagen.
[13]
Zur Bedeutung der Thule-Gesellschaft schreibt der Historiker
Nicholas Goodrick-Clarke
:
?Aufgrund ihrer Propaganda und ihrer konterrevolutionaren Tatigkeit, aber auch wegen des Martyrertodes der Geiseln spielten die ?Thule-Gesellschaft‘ und der ?Germanenorden‘ eine bedeutende Rolle beim Entstehen einer aufgeheizten und emotionsgeladenen Atmosphare, in der extreme Bewegungen wie der
Nationalsozialismus
gedeihen konnten.“
[4]
Nach dem gewaltsamen Ende der Munchner Raterepublik zerfiel die Thule-Gesellschaft und verlor ihre Bedeutung in der volkischen Bewegung.
[6]
Sebottendorff, der die konterrevolutionaren Aktivitaten der Gesellschaft organisiert hatte, wurde dafur verantwortlich gemacht, dass die Mitgliederlisten in die Hande der Militarpolizei gelangt waren, und zog sich aus der Gesellschaft zuruck.
[14]
In den ersten Jahren hatte die Gesellschaft etwa 200 Mitglieder. Da schließlich weniger als 20 Mitglieder ubrig blieben, die sich zu Gedenksitzungen versammelten,
[3]
wurde sie um 1925 aufgrund mangelnder Unterstutzung aufgelost.
[15]
1932 wurde sie aus dem Vereinsregister geloscht.
[8]
Es gab mehrere erfolglose Neugrundungs-Versuche,
[6]
zuletzt 1933 durch Sebottendorf, der sich zudem mit seinem Buch
Bevor Hitler kam
(1933)
[16]
als Vorlaufer des Nationalsozialismus anzupreisen versuchte. Das stieß allerdings auf den Widerstand des nationalsozialistischen Regimes, und Anfang 1934 wurde er kurzzeitig inhaftiert und dann aus Deutschland abgeschoben.
[14]
[6]
Die Verwendung des Hakenkreuzes als Symbol der NSDAP geht auf einen Vorschlag
Friedrich Krohns
zuruck, der neben der NSDAP auch dem Germanenorden und der Thule-Gesellschaft angehorte.
[17]
Entgegen Krohns Vorschlag setzte Hitler jedoch durch, dass das Symbol in umgekehrter Drehrichtung verwendet wurde. Beide Varianten waren damals in volkischen Kreisen gebrauchlich.
Eine Hypothese besagt, dass der Gruß der Thule-Gesellschaft ?Heil und Sieg“ spater zum ?Sieg Heil“ des
Hitlergrußes
wurde.
[18]
In der Nachkriegszeit wurde die Thule-Gesellschaft zum Gegenstand vieler, teils abenteuerlicher
Mythen
und Spekulationen, die zum Teil auf Sebottendorfs Memoiren zuruckgehen, in denen er den Anteil der Thule-Gesellschaft an der Entstehung der NSDAP stark ubertrieben hatte. In ihrem Buch
Le matin des magiciens
(1960, deutsch:
Aufbruch ins dritte Jahrtausend
, 1962) behaupteten
Louis Pauwels
und
Jacques Bergier
, dass zwei angebliche Mitglieder der Thule-Gesellschaft,
Dietrich Eckart
und
Karl Haushofer
, in den fruhen 1920er Jahren Einfluss auf Hitler erlangt hatten, indem sie ihm Kenntnisse uber okkulte Krafte ubermittelten, welche ihnen unter anderem durch die Thule-Gesellschaft zuganglich geworden seien.
[19]
Diese Gesellschaft sei der ?
magische
Mittelpunkt der NS-Bewegung“ und im Geheimen die eigentlich lenkende Kraft des
Dritten Reiches
gewesen. Auch
Alfred Rosenberg
, einer der fuhrenden
Ideologen
der NSDAP, wurde in diesem Zusammenhang genannt. Tatsachlich war Eckart ein bedeutender Mentor Hitlers in dessen Anfangszeit als Parteifuhrer, indem er ihn in die ?bessere Gesellschaft“ einfuhrte, und auch dem
Geographen
Haushofer wird in der seriosen Literatur ein Einfluss auf Hitler zugeschrieben, allerdings nur auf
geopolitischem
Gebiet (?
Lebensraum im Osten
“). Es gibt jedoch keinerlei Belege dafur, dass Haushofer irgendetwas mit der Thule-Gesellschaft zu tun hatte, und auch Eckart und Rosenberg waren keine Mitglieder, sondern wurden lediglich als deren Gaste bei gewissen Veranstaltungen registriert. Ebenso gibt es fur das behauptete Fortbestehen der Gesellschaft im Dritten Reich und fur angebliche okkulte Aktivitaten keine Indizien. Die diesbezuglichen Darstellungen von Pauwels und Bergier werden daher samtlich als rein fiktiv betrachtet.
[15]
Zu den zahlreichen weiteren Ausgestaltungen dieser Fiktion gehort ein 1964 von Dietrich Bronder publiziertes Buch, das denselben Titel tragt wie Sebottendorfs Buch von 1933,
Bevor Hitler kam
.
[20]
Darin behauptet Bronder, die Thule-Gesellschaft habe Kontakte zu geheimen Klosterorden in
Tibet
gepflegt, und die vom ?
SS-Ahnenerbe
“ finanzierte
Deutsche Tibet-Expedition 1938/39
sei unternommen worden, um eine Radioverbindung zu den dortigen
Lamas
herzustellen. Bronder erganzte seinen pseudohistorischen Bericht durch eine gefalschte Mitgliederliste der Thule-Gesellschaft, auf der u. a. Hitler und
Benito Mussolini
aufgefuhrt waren.
[21]
Die vielfaltigen Schilderungen angeblicher okkulter Aktivitaten der Thule-Gesellschaft reichten bis zu der Behauptung, man habe dort
satanistische
Praktiken gepflegt. So schrieb
Trevor Ravenscroft
in
The Spear of Destiny
(1972, deutsch:
Der Speer des Schicksals
, 1974), bei derartigen
Ritualen
seien Juden und Kommunisten
geopfert
worden, und Eckart und Haushofer hatten Hitler in diese Praktiken eingeweiht und ihn so zu einem Werkzeug des Bosen gemacht.
[22]
In Wirklichkeit war die Thule-Gesellschaft eine rein weltliche, politische Kampforganisation,
[23]
okkulte oder
esoterische
Rituale wurden nicht praktiziert. Insofern gilt es in der Geschichtswissenschaft als ?Trugschluss“, anzunehmen, ?der
Nationalsozialismus
hatte sich hauptsachlich in einem Dunstkreis des Okkultismus entwickelt“.
[24]
Einige jungere
rechtsextreme
Gruppierungen nahmen Bezug auf die Thule-Gesellschaft und ubernahmen den ?Thule“-Namen, so das
Thule-Netz
in den 1990er Jahren. Auf die Thule-Gesellschaft rekurriert auch das rechtsextreme
Thule-Seminar
, das 1980 gegrundet wurde.
[25]
- Literatur
- Der Roman
Das Buch der Lugen
von
Brad Meltzer
beschreibt die Thule-Gesellschaft als okkulte Fuhrerschaft, die sich unter dem Deckmantel des Nationalsozialismus dem Erforschen der Geheimnisse und Ursprunge des Universums sowie einer vergangenen ubermachtigen germanischen Rasse verschrieben hat.
- Im
Witchlight
-Zyklus von
Marion Zimmer Bradley
uberlebt die Thule-Gesellschaft das Dritte Reich und nimmt unter Leitung ihres magisch begabten Anfuhrers Toller Hassloch aus dem Verborgenen Einfluss auf historische Ereignisse.
- Film und Fernsehen
- Spiele
- Im Videospiel
Clive Barker’s Jericho
versucht die Thule-Gesellschaft im Handlungsverlauf, mit okkulten Methoden die Welt zu vernichten.
- Im Videospiel
BloodRayne
ist ein Endgegner ein Thule-Hohepriester.
- Im Videospiel
Lost Horizon
ist die Thule-Gesellschaft an der Jagd nach einem Artefakt in
Tibet
im Jahr 1936 beteiligt.
- In den Videospielen der
Wolfenstein
-Reihe offnet die Thule-Gesellschaft ebenfalls ein Tor zu einer
Parallelwelt
bzw. nutzt die mysteriosen Krafte dieser Welt zum Bau von Waffen.
- Im Rollenspiel
Hollow Earth Expedition
ist die Thule-Gesellschaft eine treibende Kraft fur die wissenschaftliche Erforschung der
Hohlwelt
durch das Dritte Reich.
- Im Point-and-Click-Adventure
Dracula 3: Der Pfad des Drachen
arbeiten Mitglieder der Thule-Gesellschaft darauf hin, Vampire zu werden, um einen Kriegsvorteil zu erringen.
[27]
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