Das Grab von Theodor Schieffer und seiner Ehefrau Annelise geborene Schreibmayr im Familiengrab Rieck auf dem
Burgfriedhof Bad Godesberg
in Bonn
Theodor Schieffer
(*
11. Juni
[1]
oder
11. Juli
[2]
1910
in
Bad Godesberg
; †
9. April
1992
ebenda) war ein deutscher
Historiker
und
Diplomatiker
, der die Geschichte des
fruhen
und
hohen Mittelalters
erforschte. Er bekleidete Lehrstuhle fur Mittelalterliche Geschichte an den Universitaten
Mainz
(1951?1954) und
Koln
(1954?1975). Schieffer gehorte als Urkundeneditor zu den bedeutendsten Diplomatikern in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts.
Theodor Schieffer, Sohn eines Volksschulrektors und spateren Stadtschulrates, studierte von 1929 bis 1935 Geschichte, Romanistik und Klassische Philologie in
Bonn
,
Berlin
und
Paris
. In Bonn wurde er Mitglied des
K.St.V Arminia
und in Berlin des
K.St.V. Semnonia
im
Kartellverband
.
[3]
Anschließend wurde er 1934 bei
Wilhelm Levison
promoviert
uber das Thema:
Die papstlichen Legaten in Frankreich vom
Vertrage von Meersen
(870) bis zum Schisma von 1130
. 1935 wurde er Mitarbeiter der
Monumenta Germaniae Historica
(MGH). Von deren Prasidenten
Paul Fridolin Kehr
und seinem Nachfolger
Edmund E. Stengel
wurden ihm die selbststandige Bearbeitung der Diplomata
Lothars I.
,
Lothars II.
,
Zwentibolds
,
Ludwigs des Kindes
und der burgundischen Konige ubertragen; aus dieser Beschaftigung ging 1942 seine
Habilitationsschrift
Das Urkundenwesen der Konige von Burgund
hervor. Er wechselte in den Archivdienst, da er eine kritische Haltung gegenuber dem Nationalsozialismus hatte. Um eine beschleunigte Verbeamtung nach dem Ende der Archivarausbildung zu erreichen, trat Schieffer zum 1. Dezember 1939 in die
NSDAP
ein (
Mitgliedsnummer
7.280.318).
[4]
1939 legte er die Archivprufung ab und wurde Staatsarchivassessor am
Geheimen Staatsarchiv
, 1942 dort Staatsarchivrat. Vom Sommer 1940 bis Anfang 1942 gehorte er der Archivschutzkommission in Paris an und leitete umfangreiche Verfilmungsmaßnahmen in nordfranzosischen und belgischen Archiven.
[5]
1942 heiratete Schieffer in Berlin. Aus der Ehe stammten zwei Tochter und ein Sohn. Sein 1947 geborener Sohn
Rudolf Schieffer
war von 1994 bis 2012 Prasident der Monumenta Germaniae Historica.
Nach dem Krieg stand einer Universitatslaufbahn nichts mehr im Wege und so wurde er 1946 zunachst Dozent mit dem Titel eines außerplanmaßigen Professors an der neugegrundeten Universitat Mainz, 1951 wurde er dort ordentlicher Professor. Einen zwischenzeitlichen Ruf auf den Munchener Lehrstuhl von
Rudolf von Heckel
lehnte er ab. Als Nachfolger von
Gerhard Kallen
wechselte er 1954 auf den Lehrstuhl fur Mittlere und Neuere Geschichte sowie Geschichtliche Hilfswissenschaften nach Koln. Dort lehrte er bis zu seiner Emeritierung 1975. Eine Berufung nach Wien lehnte er ab. Zu Schieffers akademischen Schulern gehorten unter anderem
Egon Boshof
,
Ludwig Falkenstein
,
Hermann Jakobs
,
Hans Heinrich Kaminsky
und
Josef Semmler
.
Von 1952 bis 1955 war er Prasident der
Gesellschaft fur mittelrheinische Kirchengeschichte
. Er wurde 1956 Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica in Munchen, ebenso 1957 in der
Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
und 1964 dann auch in der
Rheinisch-Westfalischen Akademie der Wissenschaften
und ebenfalls 1964 als korrespondierendes Mitglied der
Gottinger Akademie der Wissenschaften
und seit 1969 als ordentliches Mitglied. Schieffer war von 1968 bis 1974 Mitherausgeber der
Historischen Zeitschrift
. Seinem eigenen Wunsch entsprechend erhielt Schieffer keine Festschrift.
[6]
Am 9. April 1992 ist Schieffer in seiner Geburtsstadt Bad Godesberg gestorben. Nach seinem Tod erschien eine kleine von der MGH herausgegebene Gedenkschrift. Nach dem Tod seines Sohnes wurde sein wissenschaftlicher Nachlass dem Archiv der MGH ubergeben.
Schieffer veroffentlichte 1954 zum 1200. Gedenktag von
Bonifatius
die bahnbrechende Studie
Winfrid-Bonifatius und die christliche Grundlegung Europas
. Dabei vermied Schieffer eine Heroisierung des angelsachsischen Missionars und stellte nuchtern fest: ?Der Heidenprediger, der Bistums- und Klostergrunder, der Martyrer ist nicht zu losen von dem autoritatsglaubigen, scheinbar schwunglosen, angstlich-kleinlichen, unselbstandigen, ja engherzigen Reprasentanten der romischen Amtskirche“.
[7]
Auf einem Vortrag bei den Bonifatius-Feierlichkeiten in Mainz im Juni 1954 zeichnete Schieffer ein schnorkelloses Bild des Missionars. Fur Bonifatius lehnte Schieffer den Titel ?Apostel der Deutschen“ ab. Vielmehr wurde Bonifatius zum Architekten des christlichen Europas im Sinne des Abendlandes umgedeutet. Doch auch fur Schieffer war Bonifatius ?ein bahnbrechender Mitbegrunder unseres Kulturkreises“.
[8]
Fur die von
Peter Rassow
herausgegebene Darstellung
Deutsche Geschichte im Uberblick
verfasste Schieffer den Beitrag uber
Das Zeitalter der Salier 1024?1125
.
- (Hrsg.)
Handbuch der europaischen Geschichte.
Band 1:
Europa im Wandel von der Antike zum Mittelalter.
Klett-Cotta, Stuttgart 1976.
- Die deutsche Kaiserzeit. (900?1250).
Ullstein, Frankfurt 1975.
- Die Lothringische Kanzlei um 900.
Bohlau, Koln/Graz 1958.
- Winfrid-Bonifatius und die christliche Grundlegung Europas.
Herder, Freiburg 1954.
- Angelsachsen und Franken. Zwei Studien zur Kirchengeschichte des 8. Jahrhunderts
(=
Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse.
Jahrgang 1950, Band 20). Verlag der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (in Kommission bei Franz Steiner Verlag, Wiesbaden), Wiesbaden 1951.
- Die papstlichen Legaten in Frankreich vom Vertrage von Meersen (870) bis zum Schisma von 1130.
Ebering, Berlin 1935.
- Heinrich Appelt
:
Nachruf Theodor Schieffer.
In:
Deutsches Archiv fur Erforschung des Mittelalters
.
Bd. 48, 1992, S. 417?419. (
Digitalisat
).
- Josef Fleckenstein
:
Nachruf auf Theodor Schieffer 11. Juli 1910 ? 09. April 1992.
In:
Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen
, 1992, S. 253?263 (
online
; PDF; 832 kB).
- Horst Fuhrmann
:
Zeitenthobene Geschichte. Historiograph und Urkundenforscher vor Flammenhorizonten: Zum Tode des Mediavisten Theodor Schieffer.
In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
, 11. April 1992, S. 30.
- Rolf Große
:
Theodor Schieffer. Ein rheinischer Historiker und seine ?Begegnung mit der romanisch-franzosischen Welt“.
In:
Ulrich Pfeil
(Hrsg.):
Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Grundungsvater. Ein personengeschichtlicher Ansatz
(=
Pariser historische Studien.
Bd. 86). Oldenbourg, Munchen 2007, S. 119?137 (
Digitalisat
).
- Hermann Jakobs
:
Theodor Schieffer (1910?1992). Ein Gelehrtenleben im 20. Jahrhundert.
In:
Historisches Jahrbuch
.
Bd. 113, 1993, S. 1?20.
- Erich Meuthen
:
Nekrolog. Theodor Schieffer 11.VII.1910 ? 9.VI.1992.
In:
Historische Zeitschrift
.
Bd. 256, 1993, S. 241?248.
- Erich Meuthen:
Nachruf auf Theodor Schieffer.
In:
Rheinisch-Westfalische Akademie der Wissenschaften Jahrbuch 1992.
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- Heribert Muller
:
Schieffer, Theodor.
In:
Neue Deutsche Biographie
(NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005,
ISBN 3-428-11203-2
, S. 735 f. (
Digitalisat
).
- Heribert Muller
:
Theodor Schieffer. * 11.7.1910 † 9.4.1992 [Nachruf].
In:
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.
Bd. 31, 1992, S. 117?127.
- Heribert Muller:
Dem Gedenken an Theodor Schieffer (1910?1992).
In:
Archiv fur mittelrheinische Kirchengeschichte
.
Bd. 44, 1992, S. 487?492.
- Konrad Fuchs:
Schieffer, Theodor.
In:
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(BBKL). Band 16, Bautz, Herzberg 1999,
ISBN 3-88309-079-4
, Sp. 1420?1426
(
Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive
)
.
- ↑
Konrad Fuchs:
Schieffer, Theodor.
In:
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(BBKL). Band 16, Bautz, Herzberg 1999,
ISBN 3-88309-079-4
, Sp. 1420?1426
(
Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive
)
.
- ↑
Mitarbeiterseite bei der Monumenta Germaniae Historica
.
- ↑
Wolfgang Lohr:
Theodor Schieffer.
In: Siegfried Koß, Wolfgang Lohr (Hrsg.):
Biographisches Lexikon des KV.
3. Teil (=
Revocatio historiae.
Band 4). SH-Verlag, Schernfeld 1994,
ISBN 3-89498-014-1
, S. 91 f.
- ↑
Ulrich Pfeil:
Eugen Ewig ? ≫Creer un ordre transnational≪. Von einem Mittler zwischen Deutschland und Frankreich.
In:
Ulrich Pfeil
(Hrsg.):
Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Grundungsvater. Ein personengeschichtlicher Ansatz.
Munchen 2007, S. 293?322, hier: S. 298 (
online
).
- ↑
Die Urkunden der burgundischen Rudolfinger.
Bearbeitet von Theodor Schieffer unter Mitwirkung von Hans Eberhard Mayer. Munchen 1977 (=
Monumenta Germaniae historica. Diplomata.
2.
Regum Burgundiae e stirpe Rudolfina diplomata et acta
), S. VIII f.
- ↑
Rolf Große:
Theodor Schieffer. Ein rheinischer Historiker und seine ?Begegnung mit der romanisch-franzosischen Welt“.
In: Ulrich Pfeil (Hrsg.):
Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Grundungsvater.
Munchen 2007, S. 119?137, hier: S. 120.
- ↑
Theodor Schieffer:
Winfrid-Bonifatius und die christliche Grundlegung Europas.
Freiburg 1954, S. 286.
- ↑
Theodor Schieffer:
Des Winfrid-Bonifatius geschichtliche Sendung (Vortrag bei den Bonifatius-Feierlichkeiten in Mainz am 21. Juni 1954).
In:
Archiv fur mittelrheinische Kirchengeschichte.
Bd. 6, 1954, S. 9?23. Vgl. dazu
Matthias Pape
:
Das Bonifatius-Gedenkjahr 1954 im allgemeinpolitischen und gesamtkirchlichen Kontext.
In:
Franz Felten
(Hrsg.):
Bonifatius ? Leben und Nachwirken. Die Gestaltung des christlichen Europa im Fruhmittelalter.
Mainz 2007, S. 375?410, hier: S. 378.