Theodor Kardinal Innitzer
(*
25. Dezember
1875
in
Neugeschrei
,
Bohmen
; †
9. Oktober
1955
in
Wien
) war ein osterreichischer Geistlicher, ab 1911 Professor fur
Neues Testament
an der
Universitat Wien
, 1929/30
Sozialminister
und ab 1932
Erzbischof
der
Erzdiozese Wien
.
Innitzer wurde als Sohn Wilhelm Innitzers, eines Burgers in
Weipert in Nordbohmen
, Haus Nr. 362, und Posamentiers in einer Textilfabrik, und seiner Gemahlin Maria, geborene Seidl, Tochter eines Bergwerkbeamten aus dem Burgerhaus Nr. 242, geboren.
[1]
Nach der Pflichtschule war er kurz
Lehrling
in einer Textilfabrik. Der
Dechant
seiner Heimatgemeinde ermoglichte ihm schon in den Jahren 1890 bis 1898 den Besuch des Gymnasiums in
Kaaden
.
1898 trat er ins
Wiener Priesterseminar
ein und empfing am 25. Juli 1902 die
Priesterweihe
. Zunachst war er
Kaplan
in
Pressbaum
, danach 1910 Studienprafekt und spater
Subregens
des Wiener Priesterseminars.
Innitzer war Mitglied der katholischen Studentenverbindungen K.O.H.V. Nordgau Wien,
KHV Babenberg Wien
und der
KOHV Franco-Bavaria Wien
im
OCV
sowie der
K.O.L. Maximiliana Wien
im
K.O.L.
[2]
1906 wurde er zum
Dr. theol.
an der
Universitat Wien
promoviert
und
habilitierte
sich im Jahr 1908. Danach war er
Privatdozent
, 1911 bis 1932
Professor
und ab 1913 Inhaber des
Lehrstuhles
fur neutestamentliche
Exegese
an der Universitat Wien. 1923 war er an der Grundung der
Missionsgesellschaft Konigin der Apostel
beteiligt. 1928/29 wurde er
Rektor
der Universitat Wien. 1929/30 gehorte er als Sozialminister dem
Kabinett Schober III
an, 1931/32 war er
Dekan
der theologischen Fakultat.
[3]
Am 19. September 1932 wurde er von
Pius XI.
zum Erzbischof von Wien ernannt, die
Bischofsweihe
spendete ihm am 16. Oktober desselben Jahres der
Apostolische Nuntius
in Osterreich,
Enrico Sibilia
;
Mitkonsekratoren
waren Ernst Karl Jakob Seydl und
Franz Kamprath
, beide Weihbischofe in Wien. Von 1932 bis 1949 war er auch
Apostolischer Administrator
des
Burgenlandes
. Am 13. Marz 1933 wurde er als
Kardinalpriester
mit der
Titelkirche
San Crisogono
in das
Kardinalskollegium
aufgenommen. Im selben Jahr grundete er das
Dom- und Diozesanmuseum
. Die von
Engelbert Dollfuß
, zu dem Innitzer engen Kontakt hielt, so bezeichnete
Selbstausschaltung des Parlaments
und der diktatorische
Standestaat
wurden von ihm begrußt. Die katholische Kirche war in den folgenden Jahren einer der Stutzpfeiler des
austrofaschistischen
Systems.
In den 1930er Jahren protestierte er als eine der wenigen westlichen Personlichkeiten gegen den ?
Holodomor
“, eine durch die Sowjets eingeleitete Hungerkatastrophe in der Ukraine. Er rief in Folge eine internationale und interkonfessionelle Hilfsaktion fur die Hungeropfer ins Leben. Am 20. August 1933 veroffentlichte Innitzer auf der Titelseite der Zeitung
Die Reichspost
einen eindringlichen Appell: ?Kardinal Innitzer ruft die Welt gegen den Hungertod in Russland auf.“ Dabei verwendete er bewusst den Aufruf
Deus lo vult
der Kreuzzuge und ersetzte den Sinn mit einem durchaus karitativen:
Auf zur gemeinsamen bruderlichen Tat, ehe es zu spat ist! Gott will es!
[4]
Ebenso organisierte er Konferenzen, um die Offentlichkeit auf den Holodomor aufmerksam zu machen.
[5]
Viel Kritik rief sein Verhalten nach dem ?
Anschluss Osterreichs
“ an das
Dritte Reich
hervor. Er sprach sich ? unter starkem Druck der nationalsozialistischen Fuhrung ? vor der Volksabstimmung uber den Anschluss am 10. April 1938 offentlich fur diesen aus. Beim Besuch von
Adolf Hitler
am 15. Marz 1938 im
Hotel Imperial
in Wien ließ er ?die Glocken lauten“, stattete dem ?von Gott gesandten Fuhrer“ einen offiziellen Besuch ab
[6]
und unterzeichnete am 18. Marz eine von
Gauleiter Burckel
angeregte
Feierliche Erklarung der osterreichischen Bischofe
, in der diese den
Anschluss
Osterreichs befurworteten. Von Burckel beraten, unterschrieb Innitzer das Begleitschreiben handschriftlich mit der Formel
… und
Heil Hitler!
. Diese Erklarung wurde zusammen mit Innitzers Hitlergruß ohne Zustimmung der Bischofe im ganzen
Deutschen Reich
durch Plakate
[7]
verbreitet.
Nachdem Innitzer im
Austrofaschismus
die politische Linie des Vatikans vertreten hatte, distanzierte sich der Heilige Stuhl nun von dessen Erklarung. Auf Wunsch von Papst
Pius XI.
musste Innitzer am 6. April 1938 in Rom eine Klarstellung unterzeichnen, die im
Osservatore Romano
veroffentlicht wurde. Der Papst richtete dem Erzbischof aus, dass es keine beschamendere Episode der Kirche als die Erklarung der osterreichischen Bischofe gebe. Die Hoffnung auf einen ? versprochenen ? kirchenfreundlichen Kurs des neuen Regimes erfullte sich nicht. Bald wurden kirchliche Zeitungen und Vereine verboten. Auch das
Konkordat
wurde aufgehoben. Diese Schritte bewogen Innitzer zu einer Wende im Umgang mit dem neuen Regime.
[3]
Am 7. Oktober 1938 hatte Kardinal Innitzer wie jedes Jahr die Jugend zu einer Andacht zum traditionellen
Rosenkranzfest
eingeladen. Aufgrund des bestehenden Verbots katholischer Vereine rechnete man mit 300 oder hochstens mit 2000 Jugendlichen. Doch fullten zirka 9000 Jugendliche den
Stephansdom
bis auf den letzten Platz, so dass eine eindrucksvolle Atmosphare entstand. Innitzer predigte zu den Jugendlichen die beruhmt gebliebenen Worte: ?Jetzt [mussen wir uns] umso standhafter zum Glauben bekennen, zu Christus ? unserem Fuhrer!“, und die Menge brach in Jubel aus. Nach der Andacht zogen die Jugendlichen Kirchenlieder singend zum
Palais des Erzbischofs
, wo sie ?Wir wollen unseren Bischof sehen!“ riefen. Am folgenden Tag sturmten Trupps der
Hitlerjugend
das Palais. Sie zertrummerten Fenster, zerstorten Gemalde und warfen Mobel zum Fenster hinaus. Erst nach 40 Minuten, als die gewalttatige Jugend langst verschwunden war, traf langsam die Polizei ein. Viele Historiker sehen in dieser Andacht und der
Rosenkranz-Demonstration
den Ursprung des katholischen osterreichischen Widerstandes.
1940 grundete der Kardinal die
Erzbischofliche Hilfsstelle fur nichtarische Katholiken
. Sie verhalf hunderten katholischen ?Nichtariern“ zur Flucht in ein sicheres Ausland.
Im Oktober 1944 hielt Innitzer eine Predigt in der Pfarre Wien-
Reindorf
, bei der auch Mitglieder der
NSDAP-Ortsgruppe
zuhorten und daruber einen Bericht schrieben. Sie kritisierten in ihrem Bericht, dass Innitzers Rede ?raffiniert demoralisierend abgefasst“ war. Dabei ist wohl an Aussagen wie die folgende gedacht: ?Man weiß nicht, was kommen wird. Moglich, daß auch Wien Kriegsschauplatz wird.“ Allerdings fuhrte Innitzer das Kriegsgeschehen unmittelbar auf Gott zuruck, er sah darin eine Strafe fur das Fehlverhalten der Menschen. Daneben außerte Innitzer auch sein Bedauern uber die geringe Teilnahme am kirchlichen Leben: Kinder wachsen ohne Kommunion und Beichte auf, haben in der Schule keinen Religionsunterricht, es gibt keine Priesterseminare mehr, und nur ein Sechstel der Katholiken geht in die heilige Messe.
[8]
Solche Hinweise lassen sich auch als indirekte Kritik an der nationalsozialistischen Regierung verstehen, da durch deren Maßnahmen der kirchliche Einfluss zuruckgedrangt wurde.
1950 wurde zur Unterstutzung Innitzers
Franz Jachym
zum
Koadjutor
sedi datus
ernannt. Diese besondere Funktion, welche im
Kirchenrecht
(seit 1983) nicht mehr vorhanden ist, bedeutete, dass Jachym nicht der Person Kardinal Innitzers als designierter Nachfolger beigegeben war, sondern der Erzdiozese Wien selbst (daher
sedi datus
, d. h. ?dem (Bischofs-)Sitz beigegeben“) als permanenter Koadjutor, aber ohne Nachfolgerecht, als welcher er auch unter Innitzers Nachfolger
Franz Kardinal Konig
im Amt blieb.
Kardinal Innitzers Grab befindet sich in der
Bischofsgruft des Wiener Stephansdoms
.
In dem US-amerikanischen Spielfilm
Der Kardinal
(
The Cardinal
, 1963) wurde Kardinal Innitzer von
Josef Meinrad
dargestellt.
Im Jahr 1985 wurde in Wien-
Dobling
(19. Bezirk) der
Kardinal-Innitzer-Platz
nach ihm benannt.
Seit 1962 wird jahrlich der
Kardinal-Innitzer-Preis
vergeben.
- Johannes der Taufer. Nach der heiligen Schrift und der Tradition dargest. von Theodor Innitzer.
Mayer, Wien 1908.
- Kommentar zum Evangelium des heil. Lukas mit Ausschluß der Leidensgeschichte.
(Von Franz Xaver Polzl. 2. umgearb. Auflage bes. von Theodor Innitzer.) Graz u. Wien 1912.
- Hofrat Dr. Fr. X. Polzl.
Styria
, Graz 1915.
- Kommentar zum Evangelium des heiligen Markus mit Ausschluß der Leidensgeschichte.
(Begrundet von Franz Xaver Polzl. 3. umgearb. Auflage bes. von Theodor Innitzer.) Graz u. Wien 1916.
- Kurzgefaßter Kommentar (Commentar) zu den vier heiligen Evangelien.
(Begrundet von Franz Xaver Poelzl fortgesetzt von Theodor Innitzer. 4 verb. Auflage) Graz 1928.
- Die Religion der Erde in Einzeldarstellungen.
(Gemeinsam mit Fritz Wilke.) Leipzig u. Wien 1929.
- Das Heilige Jahr und der Friede.
In: Hermann Hoffmann:
Die Kirche und der Friede.
1933.
- Er ist auferstanden! Bilder von Josef von Fuhrich. Erklarung von Theodor Innitzer.
Bernina, Wien 1949.
- Glaubensbrief.
Herder, Wien 1939?40
- Was tun wir selbst? Kardinal-Erzbischof Theodor Innitzer u. Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym rufen zur Hilfe f. junge Familien.
Kath. Familienwerk der Erzdiozese Wien, Wien 1951.
- Hellmut Butterweck
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Osterreichs Kardinale: von Anton Gruscha bis Christoph Schonborn.
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- ↑
Ukraine: Nur Innitzer protestierte gegen Hungertod von Millionen.
In:
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Einheitliche Stellungnahme der Bischofe Osterreichs zur Wahl
Plakat herausgegeben von Gauleiter Burckel, 1938, ONB PLA16307154
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Predigt am 8. Oktober 1944, nachgeschrieben durch NSDAP-Mitglieder. Zitiert nach Graf-Stuhlhofer:
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