Tarasp
(
[t??ra?p]
ⓘ
/
?
) ist ein Ortsteil der Gemeinde
Scuol
im
Unterengadin
im
Schweizer
Kanton
Graubunden
.
Bis zum 31. Dezember 2014 war Tarasp eine eigenstandige
politische Gemeinde
. Am 1. Januar 2015 wurde Tarasp mit den vier Gemeinden
Ardez
,
Ftan
,
Guarda
und
Sent
in die Gemeinde Scuol eingegliedert.
Die Herkunft des Ortsnamens Tarasp ist nicht sicher geklart; die herkommliche Deutung als lateinisch
Terrae asperae
≪raue Erde≫ wirft Fragen auf.
[1]
Blasonierung
:
Gespalten von Gold und Blau, in Gold schwebend lateinisches rotes Kreuz (
Passionskreuz
), in Blau gold-rot-goldener Bogenpfahl (
Regenbogen
).
Die Gemeinde Scuol gibt hierzu an: ≪Es handelt sich um das Wappen der Familie von Tarasp, die im 11. und 12. Jahrhundert gelebt hat. Das Kreuz erinnert daran, dass Mitglieder dieser Familie an einem Kreuzzug und an Wallfahrten nach Jerusalem teilgenommen haben. Der Regenbogen symbolisiert die Verbindung zwischen Gott und den Menschen oder auch die Herrlichkeit Gottes.≫
[2]
Ausgehend von dem blauen Feld als Hintergrund hatte ein Regenbogen in Farben wie Rot-Gold-Blau oder Rot-Gold-Grun die
heraldische Farbregel
verletzt. So ist die ungewohnliche Farbkombination Gold-Rot-Gold im Regenbogen zu erklaren.
[3]
Die ehemalige Gemeinde auf der rechten
Inn
seite besteht aus elf
Fraktionen
. Darunter gehoren der Hauptort
Fontana
(
[f?n?taːn?]
ⓘ
/
?
, 1403 m u. M.) mit der Dreifaltigkeitskirche und das Hoteldorf
Vulpera
(1280 m) sowie
Sparsels
(
[?p?r?s?ls]
ⓘ
/
?
) zu den wichtigsten. Die weiteren Fraktionen sind
Aschera
(
[????ːr?]
ⓘ
/
?
),
Avrona, Chaposch
(
[t???p??]
ⓘ
/
?
),
Chants
(
[t?ants]
ⓘ
/
?
),
Florins
(
[fl??rins]
ⓘ
/
?
),
Nairs, Sgne
(
[s?eː]
ⓘ
/
?
) und
Vallatscha
. Die Ortsteile gruppieren sich um das Wahrzeichen der Gemeinde, das
Schloss Tarasp
.
Auf dem ehemaligen Gemeindegebiet liegen die Gipfel
Piz Pisoc
(3173 m),
Piz Plavna Dadaint
(3166 m),
Piz Plavna Dadora
(2981 m) und
Piz Zuort
(3119 m).
Bevolkerungsentwicklung
|
Jahr
|
1630
|
1835
|
1850
|
1900
|
1950
|
1960
|
1980
|
1990
|
2000
[4]
|
2013
|
Einwohner
|
242
|
403
|
357
|
278
|
307
|
396
|
293
|
241
|
328
|
341
|
Nach einem bedeutenden Bevolkerungszuwachs bis ins fruhe 19. Jahrhundert verlor die ehemalige Gemeinde zwischen 1835 und 1900 massiv Bewohner (1835 403, 1900 278 Einwohner = ?31 %), und dies trotz touristischen Einrichtungen wie
Baderhausern
und Hotels. Bis 1930 wuchs die Bevolkerung leicht an ? zwischen 1950 und 1960 sogar stark (1950?1960: +29 %). Nach dem dann erreichten Hochststand von 396 Personen kam es zu einer zweiten grossen Abwanderungswelle bis 1990 (1960?1990: ?39 %).
Trotz jahrhundertelanger
osterreichischer
Herrschaft sprach die Bevolkerung bis zum Beginn des
Ersten Weltkriegs
beinahe geschlossen
Vallader
, eine
bundnerromanische
Mundart
(1880: 92 %, 1910: 87 %). Dieser Anteil sank dann in der Zwischenkriegszeit auf 79 Prozent (1941). Seither wachst der Anteil der
Deutschsprachigen
bestandig. Dennoch waren die Romanischsprachigen noch 1970 mit 155 Personen (oder 45,32 %) eine relative Mehrheit. Seit 1980 sind die Deutschsprachigen in der Mehrheit, doch halten Gemeindeverwaltung und Schule weiterhin zum Romanischen. Die deutschsprachige Mehrheit erklart sich vor allem durch das in Avrona ansassige Internat, das jedoch gesellschaftlich wenig Kontakt mit der sonst romanischen Gemeinde hat.
[5]
[6]
1990 konnten sich noch 58 Prozent, im Jahr 2000 noch 46,6 Prozent der Bevolkerung auf Romanisch verstandigen. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte zeigt folgende Tabelle:
Sprachen in Tarasp GR
|
Sprachen
|
Volkszahlung 1980
|
Volkszahlung 1990
|
Volkszahlung 2000
|
Anzahl
|
Anteil
|
Anzahl
|
Anteil
|
Anzahl
|
Anteil
|
Deutsch
|
138
|
47,10 %
|
125
|
51,87 %
|
172
|
52,44 %
|
Ratoromanisch
|
129
|
44,03 %
|
102
|
42,32 %
|
126
|
38,41 %
|
Italienisch
|
8
|
2,73 %
|
8
|
3,32 %
|
8
|
2,44 %
|
Einwohner
|
293
|
100 %
|
241
|
100 %
|
328
|
100 %
|
Die Bewohner von Tarasp sind vornehmlich
Katholiken
, in einem sonst
reformiert
gepragten Gebiet. Dies ist eine Folge der habsburgischen Geschichte der ehemaligen Gemeinde.
Prahistorische
Schalensteine
sind in der Gemeinde nachgewiesen.
Die Herren von Tarasp, die aus Oberitalien stammten, veranlassten Rodungsarbeiten und errichteten im 11. Jahrhundert erste Siedlungen, das
Schloss
wurde um 1040 aus strategischen Grunden erbaut. Eine Urkunde von 1089/1096, die in einer Abschrift von 1365 vorliegt, erwahnt das
Castro de Taraspes
.
Um 1200 wurden Sumpfe trockengelegt und Seen abgeleitet. Der angelegte Taraspersee diente dem Fischfang und als Loschwasserreserve. Ein zentrales Dorf entstand indessen nicht, sondern allmahlich wurden die zehn Weilersiedlungen Aschera, Vallatscha, Chaposch, Fontana, Sparsels, Florins, Sgne, Chants,
Vulpera
und Avrona aufgebaut.
Bald nach dem Aussterben des adligen Geschlechts ubernahmen die Grafen von
Tirol
die Regentschaft. Seit 1464 gehorte der Ort den
Habsburgern
, welche in der Folgezeit diverse Adelsgeschlechter mit dem Gebiet
belehnten
. Kirchlich gehorte der Ort bis zur Reformation zu Scuol, die kirchliche und wirtschaftliche Trennung erfolgte 1559. Acht Jahre spater erhielt Tarasp im Hauptort Fontana seine eigene Pfarrkirche. Tarasp blieb als osterreichische Grafschaft auch nach der Reformation katholisch.
1630 lebten 242 Einwohner in Tarasp, 1835 waren es 403, danach nahm die Personenzahl wieder leicht ab. Seit 1850 schwankte die Einwohnerzahl zwischen 278 und 396 Personen.
[7]
1678 trat Kaiser
Leopold I.
die Herrschaft zunachst pfandweise an den Reichsfursten
Ferdinand Joseph von Dietrichstein
ab, ehe sie 1684 in Anerkennung seiner Verdienste als gefurstete Reichsgrafschaft ganz in dessen Besitz uberging. Mit dem Erwerb dieses reichsunmittelbaren Territoriums war auch die Voraussetzung der Zulassung zur Furstenbank des
Reichstages
erfullt, an dem der Furst erstmals am 4. Oktober 1686 teilnahm und dort den Platz zwischen den Fursten von
Salm
und
Nassau-Hadamar
erhielt. Durch § 29 des
Reichsdeputationshauptschlusses
von 1803 fiel die bisherige osterreichische
Enklave
an die
Helvetische Republik
bzw. die
Schweiz
. Fur diesen Verlust wurde Furst
Johann Baptist Karl Walther von Dietrichstein
in § 11 mit der Herrschaft
Neuravensburg
aus dem Besitz des Klosters
St. Gallen
entschadigt.
Dank zahlreicher auf dem Gemeindegebiet gelegener
Mineralquellen
entwickelten sich Tarasp und insbesondere die Fraktion Vulpera in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts vom Bauerndorf zu einem der bedeutendsten Kurorte der Schweiz. 1845 entstand in Vulpera ein erstes Hotel, ≪Zu den Salzwasserquellen≫. 1860 wurde die Tarasp-Schulser Gesellschaft gegrundet, 1865 in der Fraktion Nairs, auf
Scuoler
Gemeindegebiet direkt am Inn, das ≪Grand Hotel Kurhaus Tarasp≫, 1874?1876 am Innufer die Trinkhalle,
[8]
[9]
1896/97 in Vulpera das 1989 abgebrannte ≪
Hotel Waldhaus Vulpera
≫ sowie 1898?1900 das ≪Hotel Schweizerhof≫ errichtet. Seine Blutezeit erlebte der Tourismus in Vulpera bis zum Ersten Weltkrieg.
[10]
In den 1930er Jahren erlebte der Badertourismus einen drastischen Abschwung, von dem sich Tarasp erst in den 1970er Jahren durch den Wintertourismus und die aufkommende Parahotellerie erholte.
[7]
Heute ist die Uberalterung der Bevolkerung ein Problem.
[11]
Fur einen besseren Strassenanschluss und etwas Abhilfe wurde von 2007 bis 2010 die 235 Meter lange
Innbrucke von Scuol nach Vulpera
gebaut.
- Die Gemeinde wird von dem in seinen Grundzugen aus dem 11. Jahrhundert stammenden
Schloss Tarasp
uberragt. Es zahlt zu den imposantesten Schlossern Graubundens. Schloss Tarasp wurde um 1900 von
Karl August Lingner
, dem Fabrikanten von
Odol
, erworben und im Stile des
Historismus
renoviert. Er vermachte es dem Grossherzog
Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt
. Nachdem es lange im Besitz der Erben aus dem Haus
Hessen-Kassel
gewesen war, wurde es im Marz 2016 vom Kunstler
Not Vital
erworben.
[12]
Das Schloss besitzt eine kostbare Orgel der Orgelbauwerkstatt Gebruder Jehmlich aus dem Jahr 1916, welche zu den grossten Orgeln in Privatbesitz in Europa zahlt.
[13]
- In der Nahe des Weilers Sgne liegen prahistorische
Schalensteine
, die sogenannten ≪Hexenplatten≫.
- 1874?1876 wurde durch den Schweizer Architekten
Bernhard Simon
am Innufer gegenuber dem Kurhaus Tarasp eine Wandel- und Trinkhalle erbaut. Im achteckigen Kuppelbau werden die Heilquellen
Bonifacius
,
Lucius
und
Emerita
gefasst.
[8]
- Die Dreifaltigkeitskirche, in Fontana, ist ein nach Norden gerichteter Barockbau. Er wurde 1674 bis 1678 von Blasius Ploirer auf den Grundmauern der Pfarrkirche Sankt Antonius von 1567 errichtet.
[14]
- Das Pfarrhaus
[15]
- ≪Villa Engiadina≫,
[16]
erbaut 1901 durch
Karl Gottlieb Koller
- Wohnhaus, in Fontana
[17]
- Die wilde
Clemgia
-Schlucht ist von
Vulpera
und Avrona erreichbar.
In der Tradition der
Ubernamen der Engadiner Dorfer
heissen die Tarasper
ils magliamessas
(deutsch ≪die Messefresser≫).
Der in
Scuol
gelegene
Bahnhof Scuol-Tarasp
ist der ostliche Endpunkt der
Rhatischen Bahn
(RhB)-
Strecke aus Bever
. Von dort sind Nairs, Vulpera, Chants, Sgne und Fontana direkt uber eine Postautolinie erreichbar.
Seit dem 10. Oktober 2010 fuhrt die 236 Meter lange Stahlbetonbrucke
Punt d’En Vulpera/Tarasp
, die den
Inn
in etwa 50 Meter Hohe uberspannt, nach Tarasp.
Im Sommer ist Tarasp fur Wanderer und Biker auch ein Ausgangspunkt fur Touren in den
Schweizer Nationalpark
. In Vulpera befindet sich eines der altesten
Freibader
der Schweiz (erbaut 1930 im
Art deco
Stil vom Baderpionier
Beda Hefti
), oberhalb Vulperas ein Neun-Loch-
Golfplatz
.
Im Winter wird eine
Loipe
gespurt. Am Ortsrand von Fontana war von 1964 bis 2010 ein
Stangenschlepplift
in Betrieb. Dieser wurde 2014 abgebaut. Plane von 2011 fur einen Ersatz des alten Lifts wurden 2013 verworfen.
[18]
Ubrig blieb ein 200 m langer Ubungslift, ebenfalls beim Weiler Fontana. Das
Skigebiet Motta Naluns
auf der gegenuberliegenden Talseite ist mit der Buslinie zu erreichen.
Vier Hotels, zwei Restaurants, zwei
Agrotourismusbetriebe
und etwa 35 Ferienwohnungen sind fur den Tourismus da.
[19]
Tarasp lebt neben dem Tourismus von der Berglandwirtschaft, Handwerk, Kunsthandwerk und einigen kleinen Verkaufsladen. 5 Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaften 170 Hektaren; zusatzlich gibt es zwei Alpen, die bestossen werden: Alp Laisch und Alp Plavna.
[20]
-
≪Grand Hotel Kurhaus Tarasp≫ um 1870. Radierung von Heinrich Muller
-
Tarasp, Putschigls, Kurhaus Tarasp. Historisches Luftbild von W. Friedli (1947)
-
Dorfteil Fontana
-
Lai da Tarasp und Schloss
-
Fontana und Schloss
-
Dorfteil Sparsels
-
≪Villa Engiadina≫
- Paul Eugen Grimm:
Tarasp.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
- Ignatz de Luca:
Die furstlich Dietrichsteinsche Herrschaft Trasp.
In:
Geographisches Handbuch von dem Oestreichischen Staate.
2. Band
Die im ostreichischen Kreise gelegenen Lander.
Verlag Johannes Paul Krauß, Wien 1790, S. 531?533 (
Google eBook, vollstandige Ansicht
)
- Jurg Wirth:
Ihr Ferienort stellt sich vor: Tarasp-Vulpera.
Gammeter, St. Moritz/Scuol 2016.
- ↑
Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen
.
Hrsg. vom Centre de Dialectologie an der Universitat Neuenburg unter der Leitung von Andres Kristol. Frauenfeld/Lausanne 2005, S. 865.
- ↑
Tarasp: Name und Wappen
scuol.net
- ↑
Bernhard Peter:
Besondere Motive: Regenbogen
welt-der-wappen.de
- ↑
Paul Eugen Grimm:
Tarasp.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
12. Juli 2017
.
- ↑
Bundesamt fur Statistik (Hrsg.):
Eidgenossische Volkszahlung 2000.
Band 12: Jean-Jacques Furer:
Die aktuelle Lage des Romanischen
(=
Statistik der Schweiz.
1:
Bevolkerung
). BFS, Neuchatel 2005,
ISBN 3-303-01202-4
.
- ↑
Manfred Gross:
Romanisch. Facts & Figures.
2. uberarbeitete und aktualisierte Auflage. Lia Rumantscha, Chur 2004,
ISBN 3-03900-034-9
.
- ↑
a
b
Paul Eugen Grimm:
Tarasp.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
12. Juli 2017
.
- ↑
a
b
Trinkhalle Bad Tarasp (Foto)
auf baukultur.gr.ch.
- ↑
(ohne Nennung des Autors:)
Das Bad Tarasp-Schuls-Vulpera.
In:
Die Schweiz. Schweizerische illustrierte Zeitschrift.
16, 1912, S. 332?334 (mit Luftaufnahme der Hotelanlage und Foto der Trinkhalle).
- ↑
Paul Eugen Grimm:
Vulpera.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
8. Dezember 2016
.
- ↑
Die Rampe furs Durcheinandertal.
nzz.ch, 9. Oktober 2010
- ↑
Not Vital erwirbt Schloss Tarasp ? Pressemitteilung
- ↑
Tarasp ? Schloss Tarasp (Salonorgel) ? Orgel Verzeichnis ? Orgelarchiv Schmidt.
Abgerufen am 7. Mai 2022
(deutsch).
- ↑
Katholische Kirche heilige Dreifaltigkeit (Foto)
auf baukultur.gr.ch.
- ↑
Pfarrhaus (Foto)
auf baukultur.gr.ch.
- ↑
Villa Engiadina (Foto)
auf baukultur.gr.ch.
- ↑
Wohnhaus (Foto)
auf baukultur.gr.ch.
- ↑
Artikel
in der
Sudostschweiz
vom 14. Dezember 2013.
- ↑
Jurg Wirth:
Ihr Ferienort stellt sich vor: Tarasp-Vulpera.
Gammeter, St. Moritz/Scuol 2016, S. 11?22.
- ↑
Jurg Wirth:
Ihr Ferienort stellt sich vor: Tarasp-Vulpera.
Gammeter, St. Moritz/Scuol 2016, S. 10?11.
Territorien und Stande des Osterreichischen Reichskreises im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation (1500?1806)