Die
turkische
Kunstmusik
(
Turk Sanat Muzi?i
, abgekurzt
TSM
; auch:
Klasik Turk Musikisi
?klassische turkische Musik“,
Saray Musikisi
?Palast-Musik“) ist einer der zwei Hauptzweige der
turkischen Musik
; sie ist zu unterscheiden von der
turkischen Volksmusik
(
Turk Halk Muzi?i
).
Die Ursprunge der turkischen Kunstmusik liegen am Anfang des 14. Jahrhunderts.
Man teilt ihre Geschichte in sechs Epochen ein:
- Vorbereitende Epoche (
Hazırlayıcı donem
; 1360?1435)
- Fruhe Klassik (
?lk klasik donem
; 1640?1712)
- Spate Klassik (
Son klasik donem
; 1778?1846)
- Neoklassik (
Neoklasik donem
; 1825?1897)
- Romantik (
Romantik donem
; 1880?1955)
- Reform (
Reform donemi
)
Die turkische Kunstmusik ist stark von der
klassischen arabischen
und
persischen Musik
beeinflusst.
Ein großer Unterschied zwischen der europaischen Musik und der turkischen Kunstmusik liegt in der Unterteilung der
Tone
: Wahrend in der europaischen Musik nur
Ganz-
und
Halbtone
existieren, wird der Ganzton in der turkischen Kunstmusik theoretisch in neun Teiltone (
koma
) zerlegt.
Grundbestandteil der turkischen Kunstmusik ist der
Makam
(etwa ?Tonart“ oder ?Tonleiter“). Das G-Dur der westlichen Musik entspricht z. B. ungefahr der Skala von
Rast
, g-moll z. B. ungefahr der von
Nihavend
. Daruber hinaus gibt es Skalen, die den
Kirchentonarten
ahneln, und ferner solche, die typisch orientalisch sind. Es gibt insgesamt uber 500
makamlar
in der turkischen Kunstmusik. Zusatzlich zur melodischen Festlegung ist jede Komposition an ein rhythmisches Muster
(usul)
gebunden.
Charakteristisch fur die turkische Kunstmusik ist außerdem ihre
Einstimmigkeit
, die in der Praxis als
Heterophonie
realisiert wird.
Die
taksimler
sind kurze
Improvisationsstucke
vor oder innerhalb des Liedes, die vom Sanger oder einem erfahrenen Mitglied des Orchesters dem Lied hinzugefugt werden konnen. Einen gesungenen Taksim nennt man
gazel
. In ihm wird ein Gedicht im jeweiligen Makam vorgetragen.
Andere, nicht improvisierte Instrumentalformen sind
pe?rev
und
saz semaisi
.
Ein Auffuhrungszyklus, der aus einem Wechsel von instrumentalen und gesungenen Stucken besteht, wird als
fasıl
bezeichnet.
In der turkischen Musik werden unter anderem
Tanbur
,
Ud
,
Kanun
und
Ney
gespielt. Die Harfe
Ceng
verschwand Anfang des 18. Jahrhunderts.
Der
Rhythmus
ist sehr wichtig. Die
Darbuka
ist eine Becher
trommel
aus dem arabischen Raum. Weiterhin gibt es
Kudum
sowie große und kleine Rahmentrommeln (
Def
), die manchmal mit Schellen (
Zil
) besetzt sind.
Weiterhin werden Geigen, Celli, Kontrabasse, Klarinetten und viele andere Instrumente benutzt, welche die feinen Teiltone (
koma
) der turkischen Klassik erzeugen konnen (siehe oben unter ?Tonsystem“).
Der orientalische Einfluss auf die europaische Musik liegt in der
Militarmusik
, nicht im festen Regelwerk des Makam oder der Schonheit des Taksim.
Die Militarkapelle der
Osmanen
, auch
Janitscharenkapelle
genannt, verbreitete nicht nur Angst und Schrecken in Europa. Die neue Art der Musik und die unbekannten Instrumente losten eine Mode aus, die bis heute in den
Sinfonieorchestern
anhalt.
Die europaischen klassischen Komponisten des 18. Jahrhunderts standen unter dem Einfluss turkischer Kunstmusik, besonders was die Rolle der
Blechblaser
und
Schlaginstrumente
in den Janitscharenkapellen betraf.
Diese turkische Mode fuhrte den Gebrauch von
Becken
,
Basstrommel
und
Glocke
in das Sinfonieorchester ein. Bestimmte Kompositionen aus der Feder von
Joseph Haydn
,
Mozart
oder
Beethoven
verdanken ihre Entstehung wesentlich turkischer Musikinspiration. Mit diesen Instrumenten wurden dramatische und spannende Akte in den Kompositionen teilweise erst moglich.
Mit der
Renaissance
Ende des 16. Jahrhunderts entstand im Zuge der Wiederbelebung der italienischen Kunstmusik die
Oper
. Dabei flossen turkische Elemente in die italienische Oper ein, die bis heute nachwirken.
Die Lust an orientalischen Motiven in Musik, Malerei und Architektur (siehe den Artikel
Arabeske
) zeigt, wie positiv der Nahe Osten den Europaern erschien, als im 18. Jahrhundert Fernreisen nur Forschern und Handlern vorbehalten waren.
Als nachhaltig erwies sich der Einfluss auf die Musik. So entstanden bekannte musikalische Werke wie
Joseph Haydns
Militarsinfonie
und einige seiner Opern nur, um turkische Instrumente einfließen lassen zu konnen.
Turkische Instrumente wurden auch in
Beethovens
9. Sinfonie
einbezogen. Mozart schrieb sein bekanntes
Rondo alla turca
. Dieses imitiert geschickt die klirrenden Schlaginstrumente einer turkischen Janitscharenkapelle. Er verwendete in einigen seiner Opern auch turkische
Motive
.
Turkische klassische Musik wird nur in Konservatorien unterrichtet. Die am meisten geachteten und altesten
Konservatorien stehen in
Istanbul
. Die popularsten Sangerinnen der turkischen klassischen Musik sind die verstorbenen
Hamiyet Yuceses
und
Safiye Ayla
sowie
Muzeyyen Senar
(geboren 1918). Sie wird auch ?Diva der Republik“ genannt, weil sie der erste Star des turkischen Staates (nicht des
Osmanischen Reiches
) war. Weitere bekannte und populare Kunstler sind z. B.
Ahmet Ozhan
,
Zeki Muren
(verstorben 1996),
Bulent Ersoy
,
Muazzez Ersoy
,
Emel Sayın
,
Adnan ?enses
,
Mustafa Keser
und
Huner Co?kuner
.
- Ralf Martin Jager:
Turkische Kunstmusik und ihre handschriftlichen Quellen aus dem 19. Jahrhundert.
Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner, Eisenach 1996.
- Kurt Reinhard
, Ursula Reinhard:
Musik der Turkei
. Bd. 1:
Die Kunstmusik
. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1984.
- Karl L. Signell:
Makam. Modal Practice in Turkish Art Music
. Da Capo Press, New York 1986.