Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen

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Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE) (in Osterreich Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen oder SvE ), [1] im englischen Sprachraum Critical Incident Stress Management (CISM), soll Posttraumatischen Belastungsstorungen bei Angehorigen der Rettungsdienste , Feuerwehr , Katastrophenschutz und Polizei vorbeugen. Ahnliche Konzepte gibt es auch bei Fluggesellschaften fur ihr Personal. Das Konzept kann auf andere Gruppen ubertragen werden, die beruflich bedingt gemeinsam einer potenziell traumatisierenden Situation ausgesetzt waren. Ahnliche Begriffe existieren, wie etwa Organisierte Personalbetreuung bei Extremeinsatzen und Nachsorge (OPEN) (siehe Notfallseelsorge ) und die Psychosoziale Unterstutzung fur Einsatzkrafte (PSU) . SbE leistet damit fur Einsatzkrafte in etwa das Gleiche wie die Krisenintervention im Rettungsdienst fur Angehorige.

Die vorbeugende Wirkung von SbE ist unbewiesen; im Gegenteil konnte die Wahrscheinlichkeit fur Belastungsstorungen sogar erhoht werden. [2] [3] Andere Studien belegen die Wirksamkeit des CISD hinsichtlich der Reduktion der akuten und Langzeitbelastung der Betroffenen und zeigen ein Schadigungsrisiko nur fur bestimmte Risikogruppen auf. [4]

Belastende Ereignisse im Sinne der SbE rufen so ungewohnlich starke emotionale Reaktionen hervor, dass die Funktionsfahigkeit der mit ihr konfrontierten Person beeintrachtigt wird. Deren Reaktion ist gekennzeichnet durch ?Gefuhl der Ohnmacht“, ?Hilflosigkeit“ oder ?Schuld“, eine ?Identifikation mit dem Opfer“, ?massive personliche Betroffenheit“, ?hohe Ereignisintensitat“ oder eine ?Bedrohung von eigenem Leib und Leben“. Die individuelle Bewaltigungsstrategie der betroffenen Person ist uberfordert. Es kann sich eine akute Belastungsstorung entwickeln. Dauert sie langer als vier Wochen, spricht man von Posttraumatischer Belastungsstorung (kurz: PTBS oder im Englischen Posttraumatic Stress Disorder , PTSD).

SbE/CISM soll als vorbeugende und begleitende Maßnahme die Menschen bei der Verarbeitung der Stresssymptome nach solchen besonders belastenden Ereignissen unterstutzen. Es umfasst spezielle Schulungen, auf die Belastungsreaktion abgestimmte Maßnahmen, und Nachsorge. Professionelle Einsatzkrafte bleiben im Gegensatz zu Normalpersonen in aller Regel fur die Dauer des Einsatzes voll handlungsfahig und arbeiten ihr trainiertes Programm ab. Sie erleben die Traumatisierung durch einen Einsatz erst in der ersten Ruhephase nach dem Einsatzgeschehen.

Daher lauft die Nachbearbeitung des Einsatzes in mehreren Phasen ab:

  • Die Demobilization (Einsatzabschluss) dauert in der Regel nicht langer als zehn Minuten und informiert die Teilnehmer uber das Einsatzgeschehen und eventuell auftretende physische, kognitive, emotionale und verhaltensspezifische Symptome, sowie Stress Management. Diese Veranstaltung hat psychoedukativen Charakter und richtet sich an Gruppen von Einsatzkraften (maximal 50), die nach ihrem Einsatz abgelost werden.
  • Ein Defusing ist eine Kurzbesprechung (nicht langer als 45 Minuten). Es wird oft direkt nach dem Ereignis, spatestens jedoch am gleichen Tag, etwa am Ende der Dienstschicht mit einer kleineren Teilnehmerzahl durchgefuhrt, sodass mehr Raum fur individuelle Interaktion ist.
  • Das Debriefing (Nachbesprechung) stellt die intensivste und langste Form der CISM-Intervention (bis zu vier Stunden). Ein Debriefing wird erst einige Tage nach dem potenziell traumatisierenden Ereignis durchgefuhrt. Es benotigt ein geordnetes Setting (Umgebung), in der die subjektiven Eindrucke und Erlebnisse der Teilnehmer thematisiert werden konnen. Diese Besprechungen werden von Teams aus psychosozialen Fachkraften und aus speziell geschulten Einsatzkraften ( Peers ) gefuhrt. Der amerikanische Notfallmediziner Jeffrey T. Mitchell ( University of Maryland ), der diese Nachsorgetechniken mitentwickelt hat, empfiehlt dabei, dass die Peers aus anderen Organisationen kommen, um Vertraulichkeit zu wahren und Eigeninteressen auszublenden.
  • One-on-One ist ein Gesprach zwischen einer Fachperson und einem Betroffenen. Dies ist die direkteste Form der Intervention.

Dabei stehen das Aussprechen von personlich Erlebtem, Anerkennen und kognitive Bearbeitung von Gefuhlen, und der Austausch innerhalb der Gruppe im Vordergrund. Es konnen auch praktische Streßbewaltigungstechniken vermittelt werden.

Jede dieser Interventionen ist vertraulich. Die Vorgesetzten erfahren nicht die Inhalte der Gesprache. Es gilt die Schweigepflicht nach §203 StGB. Es handelt sich um vorbeugende Interventionen, nicht um Psychotherapie . SbE wird in manchen Diensten intern angeboten, andernorts auch extern im Rahmen einer kirchlichen Notfallseelsorge. Die Feuerwehr Munchen zum Beispiel hat einen eigenen Peer-Berater-Dienst etabliert, Einige Diozesen (katholische Verwaltungseinheiten) haben eigene Mitarbeiter fur die Seelsorge im Feuerwehr- und Rettungsdienst. Bei der Polizei wird diese Aufgabe haufig vom polizeipsychologischen Dienst ubernommen. Fur fliegendes Personal organisiert die Stiftung Mayday CISM -Kurse und unterhalt ein Betreuungsnetz, das durchschnittlich drei Einsatze pro Woche mit Flugbesatzungen im deutschen Sprachraum absolviert.

  • Richard J. McNally: Remembering Trauma . Harvard University Press, Cambridge. ISBN 0-674-01802-8 .
  • Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly und Andreas Igl, Joachim Muller-Lange (Hrsg. d. dt. Ausgabe): Streßbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Zur Pravention psychischer Traumatisierung . Stumpf & Kossendey, Edewecht 1998, ISBN 3-923124-72-4 .
  • George S. Everly, Jeffrey T. Mitchell: CISM - Stressmanagement nach kritischen Ereignissen - ein neuer Versorgungsstandard bei Notfallen, Krisen und Katastrophen. Facultas-Univ.-Verl., Wien 2002, ISBN 3-85076-560-1 .
  • Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly, Joachim Muller-Lange: Handbuch Einsatznachsorge. Stumpf & Kossendey, Edewecht 2005, ISBN 3-932750-91-8 .
  • Gisela Perren-Klingler: Debriefing - Erste Hilfe durch das Wort . Verlag Paul Haupt, Bern 2001, ISBN 3-258-05994-2 .
  • Gisela Perren-Klingler: Trauma - Vom Schrecken des Einzelnen zu den Ressourcen der Gruppe . Verlag Paul Haupt, Bern 2000, ISBN 3-258-05164-X .
  • Jeffrey T. Mitchell, George S. Everly: Critical Incident Stress Management (CISM): A Practical Review , ICISF - International Critical Incident Stress Foundation, Inc., 2017, ISBN 978-1-943001-02-6 .

Einzelnachweise

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  1. SvE Peer Team des Wiener Roten Kreuzes. Beispiel osterreichischer Peers. In: www.sve-psd.at. Ehemals im Original (nicht mehr online verfugbar) ; abgerufen am 30. Marz 2023 . @1 @2 Vorlage:Toter Link/www.sve-psd.at ( Seite nicht mehr abrufbar . Suche in Webarchiven )
  2. McNally, Bryant, Ehlers: Does early psychological intervention promote recovery from post-traumatic stress? In: Psychological Science in the Public Interest. 4, 2003, S. 45?79.
  3. Clemens, Karin; Ludke, Christian: Psychologische Soforthilfe: Debriefing kann schaden. In: Deutsches Arzteblatt. 10. Juli 2002, abgerufen am 31. Januar 2023 .
  4. Beck, T.; Kratzer, D. Mitmansgruber, H. und Andreatta, M.P.: Die Debriefing Debatte ? Fragen nach der Wirksamkeit. In: Zeitschrift fur Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin ZPPM . Band   03 , 2007, S.   9 ? 20 .