Unter einem
Ubertragungseffekt
(auch
Spill-over-Effekt
,
Spillover-Effekt
,
Spillover
oder
Spill-over
;
englisch
spillover
;
deutsch
?verschutten“, ?uberlaufen“
) wird in den
Wirtschaftswissenschaften
und anderen
Fachgebieten
die Ubertragung von
Daten
,
Ereignissen
,
Gefuhlen
,
Informationen
,
Verhaltensweisen
oder
Wissen
von einem Fachgebiet auf ein anderes
Sachgebiet
oder
Wirtschaftssubjekt
verstanden.
Ernst B. Haas
, der Begrunder des
Neofunktionalismus
, pragte 1958 den Begriff des
Spill-over
, der bald ? als modischer
Anglizismus
? weite Verbreitung fand.
[1]
Zwischen unterschiedlichen
Lebensbereichen
kann es zur Ubertragung von Ereignissen oder Zustanden kommen. Im Gegensatz zum
Dominoeffekt
erfolgen diese Ubertragungen jedoch nicht zwangslaufig, sondern eine Ubertragung ist mit einer
Wahrscheinlichkeit
verbunden. Beispielsweise kann das
Lob
eines
Vorgesetzten
zu einer positiven
Stimmung
in der
Privatsphare
fuhren.
[2]
Der Ubertragungseffekt besteht hierbei darin, dass der gelobte Ehepartner seine
Arbeitszufriedenheit
wahrscheinlich auch auf die Familie ubertragt. Dieser Ubertragungsmechanismus wird in der
Psychoanalyse
als
Projektion
bezeichnet.
Der Ubertragungseffekt kann positive oder negative Auswirkungen beim Empfanger auslosen.
Bruno S. Frey
unterscheidet in seiner
Marktpsychologie
zwischen dem
Verdrangungs-
,
Verstarkungs-
und Ubertragungseffekt:
[3]
- Verdrangungseffekt
: Bezahlung und Vorschriften fuhren unter bestimmten Bedingungen zur Verdrangung der
intrinsischen Motivation
(ein Kind bekommt Geld fur das Rasenmahen und ist deshalb nicht mehr bereit, andere Hausarbeiten kostenlos durchzufuhren). Die Wirkung auf die intrinsische Motivation ist bei der Verdrangung unerwunscht.
- Verstarkungseffekt
: Unter bestimmten Bedingungen wird intrinsische Motivation aufgebaut (ein Schuler bekommt Geld fur eine gute
Schulnote
). Die Wirkung auf die intrinsische Motivation ist beim Verstarkungseffekt erwunscht.
- Ubertragungseffekt
: Die durch
externe Effekte
verursachten Veranderungen der intrinsischen Motivation konnen sich auf angrenzende Gebiete auswirken.
Ein Ubertragungseffekt tritt umso wahrscheinlicher auf, wenn ein
Marktteilnehmer
seine eigene Motivation zwischen verschiedenen Gebieten differenzieren kann.
[4]
Werden
Marketinginstrumente
wie beispielsweise
Werbung
eingesetzt, so wirken sie sich auf das
Kaufverhalten
der
Konsumenten
erst in spateren Perioden aus. Das Kaufverhalten beruht auf
Wahrnehmungen
des Konsumenten, die durch aktuelle oder vergangene
Erfahrungen
beeinflusst werden. Dieser Effekt wird als Ubertragungseffekt (
englisch
carry-over-effect
) bezeichnet.
[5]
Die Botschaft der Werbung wird auf den Konsumenten ubertragen, der diese Werbung spater seiner
Kaufentscheidung
zugrunde legt.
Ein
Spillover
liegt auch dann vor, wenn das
Absatzvolumen
eines kaum beworbenen
Produkts
(
Langsamdreher
) entweder wegen seiner
Komplementaritat
zu einem
Schnelldreher
(etwa Anzug und Krawatte) oder wegen einer
Substitutionsbeziehung
(Margarine-Butter) in der gleichen Periode beeinflusst wird.
[6]
Hierbei werden gegenseitige
Interdependenzen
der Guter untereinander ausgenutzt.
Spillover
nennt man auch die Wirkung eines Produktes eines Herstellers mit hohem Bekanntheitsgrad (beispielsweise eines
Marktfuhrers
) auf vergleichbare Konkurrenzprodukte oder die Wirkung des Produktes A eines Herstellers auf ein Produkt B desselben Produzenten. So kann z. B. das
Image
einer
Marke
auf ein neues Produkt ubertragen werden (
Umbrella-Effekt
bei Ubertragung eines positiven Images,
Kannibalismus-Effekt
bei Ubertragung eines negativen Images). Im engeren Sinne liegt ein Ubertragungseffekt dann vor, wenn das
positive
Image eines Produktes oder eines Unternehmens sich auf ein anderes Produkt ubertragt.
Spillovers
gibt es insbesondere, wenn von einem
Teilmarkt
sich die Anderungen von
Marktdaten
auf einen anderen Teilmarkt auswirken. Sinkt beispielsweise auf dem
Gutermarkt
bei verringerter
Produktion
das
Guterangebot
, ist hiermit ein negativer Ubertragungseffekt auf den
Arbeitsmarkt
verbunden, weil hier die
Arbeitsnachfrage
der
Unternehmen
produktionsbedingt sinkt.
[7]
Gleiches gilt, wenn sich
Finanzkrisen
der
Finanzwirtschaft
auf die
Realwirtschaft
auswirken. Die komplementare
Interdependenz
zwischen Finanz- und Realwirtschaft wird haufig zur Erklarung von Finanzkrisen herangezogen. Die
Finanzkrise ab 2007
wirkte sich vom
Finanzmarkt
durch ein Spillover auf die Realwirtschaft aus.
[8]
In der
Wirtschaft
weisen Wirtschaftssubjekte wegen ihrer
Wirtschaftsobjekte
eine
Geschaftsbeziehung
,
Handelsbeziehung
oder
Vertragsbeziehung
zu anderen Wirtschaftssubjekten auf. Die Storung bei einem Wirtschaftssubjekt (
Betriebsstorung
,
Unternehmenskrise
) muss sich deshalb nicht zwangslaufig auf andere auswirken. In solchen Fallen wird vom
Contagion-Effekt
gesprochen.
Gerat ein
Großunternehmen
mit umfangreichen Geschaftsbeziehungen zu
Lieferanten
,
Subunternehmen
,
Zulieferern
und
Kunden
in die
Insolvenz
, so kann sich dies als Ubertragungseffekt auf die Geschaftspartner auswirken. Beispiel ist das britische Bauunternehmen
Carillion
, das im Januar 2018 insolvent wurde und rund 30.000 Geschaftspartner in finanzielle Schwierigkeiten oder zur Insolvenz brachte.
[9]
An
Borsen
kann sich der fallende
Aktienkurs
einer bestimmten Aktie auch auf andere Aktien auswirken, was ebenfalls als Ubertragungseffekt bezeichnet wird.
[10]
Grund fur einen solchen Effekt kann der irrationale
Noise
sein. Werden eine ganze Borse oder gar mehrere Borsen hiervon betroffen, liegt ein
Borsenkrach
zugrunde. Im
Bankwesen
gehort das
Herdenverhalten
etwa beim
Bank Run
zu den Ubertragungseffekten.
Unternehmen
und
Behorden
konnen versuchen, derartige Effekte durch
Krisenmanagement
und
Risikomanagement
vor ihrem Entstehen wahrzunehmen und ihre Folgen zu mildern oder zu verhindern.
In den internationalen Beziehungen wird der Begriff
Spill-over
(hier selten:
Ubertragungseffekt
) vor allem fur Phanomene innerhalb von Integrationsgemeinschaften verwendet, wo er die Auswirkungen nationaler oder ubernationaler
politischer
Entscheidungen
auf andere Bereiche beschreibt. Hauptanwendungsfeld war bislang die europaische Integration mit der
Europaischen Union
als Schwerpunkt. Der Begriff wird vor allem von Anhangern der
neofunktionalistischen
Integrationstheorie verwendet. Demnach kann die Uberfuhrung bestimmter Politikbereiche an die Europaische Union (
Vergemeinschaftung
) dazu fuhren, dass sich auch in anderen Bereichen eine
Tendenz
zur Vergemeinschaftung entwickelt. Sektorale Integration fuhrt hiernach zur Verflechtung immer weiterer Sektoren. Dafur finden sich zahlreiche Beispiele in der Geschichte der europaischen Integration, so etwa im Bereich des
Binnenmarktes
, in dem das
Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs
zur verstarkten Entwicklung einer gemeinsamen
Wahrungspolitik
und letztlich zur Gemeinschaftswahrung
Euro
gefuhrt hat. Ebenso durch die Aufnahme weiterer Themen/Zustandigkeiten (Politiken) in die Vertrage, beginnend mit der
EEA
1986/1987 durch die Aufnahme der Bereiche (Politiken) wie
Umweltschutz
,
Forschung
und
Technologie
sowie
Bildung
; spater fortgesetzt durch den
Vertrag von Maastricht
halt dieser Prozess bis heute an.
In der
Entwicklungspolitik
spricht man von Ubertragungseffekten vor allem im Zusammenhang von hohen
Verstadterungsraten
bzw. deren Konsequenzen, wie die Entstehung von
Metropolen
und
Megastadten
innerhalb der
Dritten Welt
(
Kairo
,
Neu-Delhi
,
Sao Paulo
etc.) zeigt. Die Ubertragungseffekte ergeben sich durch
Agglomerationsnachteile
wie Zusammenbruch der
Verkehrsinfrastruktur
, hohe
Schadstoffbelastung
,
Unterbeschaftigung
,
Informelle Siedlungen
,
Kriminalitat
und anderes.
Im Rahmen der
Stadtsoziologie
und den
Kulturwissenschaften
werden mit
Spillover
oder
raumlich externen Effekten
unentgeltliche positive oder negative Auswirkungen einer
Region
auf eine andere Region bezeichnet, die zur Besserstellung einzelner Regionen im Vergleich zu anderen fuhren. Spillovers entstehen, wenn die geographischen Grenzen der Nutzung eines (offentlichen) Gutes nicht mit denen der
Gebietskorperschaften
ubereinstimmen, der raumliche Kreis von Nutznießern und Belasteten auseinanderklafft. Diesen Zusammenhang analysiert auch das
Konzept der zentralen Orte
. Zentrale Orte sind Stadte, die als
Mittelpunkt
eines bestimmten wirtschaftlichen Verflechtungsbereichs einen Bedeutungsuberschuss gegenuber den umliegenden Regionen besitzen. Das Problem dabei ist, dass Spillovers zu einer Unterversorgung eines zentralen Ortes mit einem von der offentlichen Hand bereitgestellten Gut fuhren (Ausbeutungshypothese). Um diesen Missstand zu beheben, bieten sich verschiedene
Internalisierungsstrategien
an. So konnen die zentralen Orte von den extern Begunstigten eine Kostenerstattung fordern (vergleiche dazu das
Sachsische Kulturraumgesetz
) oder es ubernimmt eine ubergeordnete Gebietsebene, z. B. das Land, in Form einer
Subventionierung
den Spillover-Ausgleich.
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