Sozialreform

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Als Sozialreformen bezeichnete man im 19. Jahrhundert zunachst politische Bestrebungen, die soziale Lage der Arbeiter und ihrer Familien zu verbessern. Der Begriff hat allerlei unterschiedliche Aspekte.

Sozialpolitik [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als Sozialreform bezeichnet man einzelne Verbesserungsmaßnahmen im Rahmen der Sozialpolitik bis hin zum Aufbau eines Sozialstaates . Wahrend Sozialpolitik im engeren Sinn die Korrektur der Gesetze und Institutionen des Staates bedeutet, die deshalb notwendig sei, weil die liberale, rein marktorientierte Wirtschaft gewisse Veranderungen nicht aus sich selbst betreiben konne, verstand man unter Sozialreform eine weitergehende Veranderung der Wirtschaft und ihrer eigenen Struktur fur mehr soziale Gerechtigkeit , welche einerseits uber den Umweg der Sozialpolitik, also uber die ?Zustandereform“, andererseits aber auch uber eine ?Gesinnungsreform“, vor allem in Richtung auf eine Sozialpartnerschaft anstelle der Klassengegensatze, erstrebt wurde.

Sozialreformerische Ansatze gingen im 19. Jahrhundert von verschiedenen Seiten aus. [1] Eine wichtige Rolle spielte dabei zunachst die burgerlich-liberale Sozialreform. Eine der ersten Organisationen war der Aachener Verein zur Beforderung der Arbeitsamkeit (1824/34), der Centralverein fur das Wohl der arbeitenden Klassen (1844), spater dann der Verein fur Socialpolitik (1873). Daneben gab es sozialreformerische Initiativen mit christlichen Hintergrund (Christliche Sozialreform), welche u. a. auf Wilhelm Emmanuel von Ketteler , Adolph Kolping und Karl von Vogelsang zuruckging. Eine bedeutende Quelle solcher Bestrebungen ist die von Papst Leo XIII. mit der Enzyklika Rerum novarum begrundete katholische Soziallehre .

Sozialismus, Arbeiterbewegung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im fruhen Sozialismus in Frankreich, Großbritannien und Deutschland gab es einen jahrzehntelangen Streit um die Rolle von Sozialreformen im politischen und okonomischen Kampf der Arbeiterbewegung . Saint-Simon und Louis Blanc zum Beispiel waren der Ansicht, dass staatliche Sozialreformen erst die Grundlage dafur schaffen mussten, dass Arbeiter am kulturellen und politischen Leben teilhaben konnten. Friedrich Engels , Karl Marx und spater Rosa Luxemburg kritisierten diese Ansichten als illusorisch und nannten sie ? reformistisch “, was abwertend gemeint war. Sie sahen darin eine Ablenkung vom Ziel der sozialistischen Revolution . Hinter diesem Streit steckten unterschiedliche Auffassungen vom Charakter des burgerlichen Staates.

Sozialabbau oder Reformen am Sozialsystem [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

In den 1990er Jahren bekam der Begriff Sozialreform einen anderen Sinn. Unternehmerverbande, Wirtschaftswissenschaftler und -politiker behaupteten, angesichts verschiedener Entwicklungen ( Arbeitslosigkeit , demographischer Wandel , Globalisierung ) konne der Sozialstaat in Deutschland und anderen hoch entwickelten Landern nur dann ?im Kern erhalten“ werden, wenn man einschneidende ?Reformen der sozialen Sicherungssysteme“ durchfuhre, das heißt: viele Sozialleistungen reduzieren, die Renten absenken, die Arbeitszeiten verlangern usw. Gewerkschafter, linke Sozialdemokraten, Sozialisten, Sozialpolitiker, Globalisierungskritiker, aber auch einzelne Wirtschaftswissenschaftler griffen diese Politik, die sie als Sozialabbau bezeichnen, an. Den Begriff Sozialreform fur solche Politik zu verwenden, kritisieren sie als Euphemismus .

Wirtschaftsliberale Politologen stellten zudem die These auf, dass soziale Sicherheit die Tendenz habe, Menschen gegenuber dem Staat unmundig zu machen. Das war das Gegenteil der These von Saint-Simon , mit der die Geschichte der Sozialreform begonnen hatte. Im 19. Jahrhundert gab es noch einen breiten Konsens ? bis in die katholische Kirche hinein ?, dass vor allem Armut Menschen unmundig mache.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Vgl. hierzu die 40-bandige Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914 von Wolfgang Ayaß , Florian Tennstedt u. a.