Als
Seiltanz
bezeichnet man eine Aktion, bei der eine oder mehrere Personen auf einem straff gespannten oder durchhangenden Seil laufen, tanzen und andere Kunststucke ausfuhren.
Die Kunst des Seiltanzes gab es bereits in der Antike bei den
Griechen
, viel haufiger aber bei den
Romern
. Man unterschied
Funambuli
, die auf starken Seilen, und
Neurobatae
, die auf Darmsaiten laufen. Letztere hießen auch
Aerobatae
(?Lufttanzer“), weil sie bei der Dunne der Saiten aus der Entfernung in freier Luft zu tanzen schienen. Seiltanzerkunststucke finden sich auf Vasen und Wandgemalden der Antike. Auf einigen Munzen von
Kyzikos
ist sogar das Besteigen des Turmseils dargestellt.
Spater kamen von Indien und Agypten Seiltanzer nach
Konstantinopel
. Im Mittelalter kannte man indische, persische, morgenlandische Gaukler dieser Art. Der Seiltanzer
Arcangelo Tuccaro
verfasste eine illustrierte Schrift uber seine Kunst (Paris 1599).
Als ?Drahtseilakt“ bezeichnet man eine akrobatische Vorfuhrung von Seiltanzern auf einem
Drahtseil
. Vor der Erfindung des Drahtseils 1834 wurde die Akrobatik auf Hanfseilen ausgeubt. Die ersten Drahtseilakte fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Spektakular waren die Uberquerung der
Niagarafalle
oder des Zwischenraums zwischen den Zwillingsturmen des
World Trade Centers
.
Mit dem
usbekischen
Wort fur ?Seiltanz“,
dorboz
, bezeichnen sich usbekische Seiltanzer und Gaukler, die in einem Familienzirkus zusammenarbeiten und im Sommer hauptsachlich im zentralasiatischen
Ferghanatal
ubers Land reisen, um bei Familienfeiern und anderen Gelegenheiten ihr darstellendes Spiel zu zeigen.
[1]
In fruheren Jahrhunderten zogen die usbekischen Seiltanzer uberwiegend allein mit ihrer Familie umher, erst Anfang des 20. Jahrhunderts organisierten sie sich in Gruppen mit Strukturen, die einem europaischen Zirkus vergleichbar sind.
[2]
Bei Darbietungen auf dem Schlapp- oder Tanzseil spricht man von Seiltanz, auf dem Hochseil von (Draht-)Seillauf.
Das Schlappseil ist ein zwischen zwei festen Punkten lose hangendes Seil. Auf diesem werden im
Balancieren
verschiedene Kunststucke vorgefuhrt. Leichte seitliche Schwingbewegungen halten den Artisten im
Gleichgewicht
. Neben dem Laufen und Drehen auf dem Schlappseil gibt es viele verschiedene Tricks wie
Einradfahren
,
Jonglieren
, Hand- und Kopfstand, und Schwingen.
Das Tanzseil ist wie auch das Schlappseil in einer Hohe von bis zu 4 m an zwei festen Punkten befestigt. Es ist jedoch mit einer Zugkraft bis zu 40 kN gespannt. Man nennt es deshalb auch Steifseil, direkt ubersetzt aus dem englischen ?tight rope“. Als Balancehilfe dient oftmals ein Balancefacher, der tropfen- oder kreisformig ist. Eine Besonderheit des Tanzseils ist die Federung, die insbesondere von franzosischen Artisten genutzt wird. Diese erleichtert die tanzerische Darbietung mit Sprungen, Drehungen und Schrittfolgen. Die Seillangen betragen in dieser Disziplin etwa 5 m. Es werden abgespannte Seile bzw. freistehende Apparate verwendet. Seitenabspannungen wie beim Hochseil sind unublich.
Ein Hochseil ist wie das Tanzseil ein stark gespanntes Seil aus Draht und wird in großeren Hohen verwendet. Im Zirkus betragt die Hohe etwa 8 bis 10 Meter, im Freien konnen es bis uber hundert Meter sein. Hochseillaufer benutzen ublicherweise eine Balancierstange, die zwischen 5 m und 20 m lang und bis 30 kg schwer ist, um ein großeres
Tragheitsmoment
und einen tieferen
Schwerpunkt
zu erlangen, was das Balancieren erheblich erleichtert. Manche Artisten, besonders aus Amerika und Spanien, arbeiten jedoch auch freihandig, dann aber meist auf einem relativ kurzen Seil. Bei den im Freien ublichen Hohen und den Seillangen von bis zu mehreren hundert Metern ist es ohne Balancierstange nahezu unmoglich, dem Wind und den auftretenden Schwingungen standzuhalten. Lange Seile werden in bestimmten Abstanden mit seitlichen Abspannseilen (?Cavaletti“) gegen zu starkes Ausschwingen gesichert.
Auf dem gespannten Seil (Tanzseil oder Hochseil) konnen auch Radschlage, Bogen, Spagat oder Sprunge gemacht werden, man kann mit einem speziell praparierten Einrad darauf fahren oder mit einem Stuhl darauf sitzen.
Mitunter wird ein Hochseilakt mit dem Aufstieg auf dem Schragseil begonnen, der sich umso schwieriger gestaltet, je starker das Seil geneigt ist. Zu den wohl altesten Kunststucken gehort das Gehen mit
Stelzen
oder Korben an den Fußen sowie mit verbundenen Augen. Es wurden Schubkarren ubers Seil geschoben und Personen getragen. Nach dem Fahrrad finden auch Einrader und Motorrader auf dem Hochseil Verwendung.
Neben verschiedenen Formen des Zwei- und Dreimannhochs ? der Obermann steht auf den Schultern oder auf dem Kopf des Untermanns aufrecht oder im Handstand ? werden Pyramiden gebaut, wobei jeweils zwei Untermanner durch eine Schulterstange verbunden sind, auf der ein Obermann steht. Auf diese Weise gelang der Wallenda-Truppe 1947 die beruhmte Sieben-Mann-Pyramide (vier Untermanner, zwei Personen in der Mitte und eine oben). Die Camilio-Mayer- und die Camilla-Mayer-Truppe zeigten die Sieben-Mann-Pyramide allerdings bereits vor 1943.
1950 wurde von der Bob-Gerry-Truppe erstmals die Sechs-Mann-Pyramide gezeigt (drei Untermanner, zwei Personen in der Mitte und eine oben). Diese Pyramide blieb bis zur Auflosung der Truppe im November 1963 Hohepunkt und fester Bestandteil dieser Hochseilnummer. Bob Gerry (burgerlicher Name: Alois Geryk) und seine Frau Ruth waren ehemalige Mitglieder der Camilla-Mayer-Truppe.
Besonders waghalsige Kunststucke sind Bewegungen ohne Balancierstange auf dem Hochseil, wie beispielsweise das Uberspringen sitzender Partner, Seilspringen, Degenfechten, Fahren auf dem sattellosen Einrad (?
Ultimate Wheel
“) und
Ruckwartssalto
.
- Karl Knie
(1813?1860) aus der Circus-Dynastie Knie
- Rabadan Hassanowitsch Abakarov (* 7. November 1917)
- Carmo Bauer (Artistenfamilie Bauer)
- Charles Blondin
(Jean Francois Gravelet-Blondin) (* 28. Februar 1824; † 22. Februar 1897), uberquerte als Erster die
Niagarafalle
auf einem Seil (30. Juni 1859).
- Carlos Camadi
- Pedro Carrillo (* 2. November 1946)
- Familie Coppini, trat 1809 in Munchen und Augsburg auf, tourte quer durch Europa. Spezialitat: Pantomimen und Ballette auf gespanntem Seil
- David Dimitri
- Masha Dimitri
- Bob-Gerry-Truppe (1944?1963)
- Geschwister Weisheit
- Great Alzana (Harold Davis) (* 1918 ?; † 16. Februar 2001)
- Benno und Lothar Kastein (* 13. Dezember 1956 und 15. Juli 1954)
- Freddy Nock
(* 10. Dezember 1964; † 7. Februar 2024)
- Camilio Mayer
(* 25. April 1890; † 21. Mai 1972)
- Camilla Mayer
als Kunstlername mehrerer Hochseilartistinnen
- Gene Mendez (* 1934; † 23. August 1993)
- Los Quiros
- Philippe Petit
(* 13. August 1949)
- Madame Saqui
(* 26. Februar 1786; † 21. Januar 1866)
- Joe Seitz (* 1929)
- Maria Spelterini (* 9. November 1850 ? ?) uberquerte 1876 anlasslich der 100-Jahr-Feier der USA als erste Frau die
Niagarafalle
auf einem Seil.
- Rudolfo-Stey-Truppe (Artistenfamilie Stey seit 1437)
- Konrad Thurano
(* 4. April 1909; † 20. November 2007)
- Falko Traber
aus der Artistenfamilie
Traber
- Vladimir Volshanski (* 30. Mai 1917; † 3. Oktober 1983)
- Karl Wallenda
(* 21. Januar 1905; † 22. Marz 1978)
- Der
US-Amerikaner
Nik Wallenda uberquerte im Juni 2013 ungesichert als erster Mensch auf einem 426 Meter langen Drahtseil den
Grand Canyon
in knapp 23 Minuten. Seine Vorfahren sind bereits seit sieben Generationen Drahtseilartisten
[3]
.
- Louis Weitzmann (* 21. Februar 1881; † 15. Marz 1968)
- Mario Wittmann
- Die Original Munchener Olympiaturm-Artisten (Oskani Hochseilshow), Artistenfamilie seit 1612
- Gisela und Dietmar Winkler (Hrsg.):
Menschen zwischen Himmel und Erde. Aus dem Leben beruhmter Hochseilartisten
. Henschelverlag, Berlin 1988,
ISBN 3-362-00260-9
.
- ↑
Die Dorboz ? Volkskunstler aus Usbekistan.
Ilona Grundmann Filmproduction, 2012.
- ↑
Olaf Gunter:
Die dorboz im Ferghanatal. Erkundungen im Alltag und der Geschichte einer Gauklerkultur
(
Europaische Hochschulschriften,
Reihe 27.
Asiatische und afrikanische Studien.
Band 101) Peter Lang, Berlin 2007, S. 179.
- ↑
Wallenda uberquert als Erster auf Drahtseil den Grand Canyon
, bei orf.at