Dieser Artikel behandelt Screening im Sinne eines Testverfahrens. Fur das Screening von Filmen siehe
Screening (Film)
.
Unter
Screening
versteht man ein systematisches Testverfahren, das eingesetzt wird, um innerhalb eines definierten Prufbereichs Elemente herauszufiltern, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Das Verfahren kann aus einem
Test
oder einer Abfolge von aufeinander abgestimmten Tests bestehen, den oder die die getesteten Personen oder Proben durchlaufen. Die Herausforderung von Screeningtests besteht darin, ?die Nadel im Heuhaufen zu finden“.
Herkunft des Begriffs
ist das engl. ?to screen“, das sich umschreiben lasst als: ?etwas auf den Bildschirm bringen“, mit der ubertragenen Bedeutung ?etwas der Aufmerksamkeit zufuhren“. Eine medizinische Screeninguntersuchung bezeichnet man im Deutschen auch als Filteruntersuchung, eine polizeiliche als
Rasterfahndung
.
[1]
Der Begriff wird in folgenden Bereichen angewendet:
In der Vorsorgemedizin wird Screening teilweise in Form von
Reihenuntersuchungen
durchgefuhrt, teilweise fortlaufend in der arztlichen und der Pflege-Praxis. Bei moglichst vielen Menschen soll eine moglichst fruhe Angabe zur Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten
Krankheiten
oder
Risikofaktoren
ermoglicht werden. Dies wird meist als
Vorsorgeuntersuchung
bezeichnet. Beim Vorliegen auffalliger Werte muss durch nachfolgende
diagnostische Untersuchungen
das Vorliegen der Krankheit bestatigt werden.
Sucht eine Person wegen bereits vorhandener Beschwerden einen Arzt auf, spricht man nicht mehr von Screening. Wenn auf Grund oft unspezifischer Symptome eine Krankheit nachgewiesen oder ausgeschlossen werden soll, ist in jedem Fall eine umfassende medizinische Untersuchung notwendig. Manchmal wird hier der alltagssprachliche Sinn von Screening gleichwohl verwendet.
Das Ziel eines Screeningprogramms in der Vorsorgemedizin ist es, die
Lebenserwartung
der Bevolkerungsgruppe mit erhohtem Krankheitsrisiko zu verlangern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss eine moglichst große Anzahl an Probandinnen und Probanden untersucht werden, um moglichst viele Erkrankte zu entdecken und einer Behandlung zufuhren zu konnen. Im Rahmen des
Neugeborenenscreenings
wird sogar versucht, alle Trager einer bestimmten Krankheit zu erfassen, um ihnen ein normales Leben zu ermoglichen.
Im Rahmen exakter Fragestellungen sollen moglichst viele symptomlos erkrankte Menschen mit bestehenden Problemen, die vor der Screeninguntersuchung nichts von diesen Problemen wussten, erkannt werden und einer Behandlung zugefuhrt oder zu einer Anderung des Lebensstils angehalten werden.
Ein schematisches Beispiel soll die Herausforderungen darstellen, die auftreten, wenn in einer großen Gruppe von Gesunden einzelne symptomlose Krankheitstrager mit einem Test erkannt werden sollen:
- 100 von 100100 Personen (der Grundanteil entspricht in diesem Fall einem von 1001) sind symptomlose Trager einer Krankheit. Die Krankheit wird mit einem Test zu 98 % (
Sensitivitat
) richtig erkannt, die Gesunden werden zu 99 % (
Spezifitat
) als gesund erkannt. Der Test ist also sehr zuverlassig. Er ist bei Ihnen positiv ausgefallen. Besteht Grund, sich ernsthafte Sorgen zu machen (siehe auch
positiver pradiktiver Wert
)? Die Darstellung erfolgt mit einem
Entscheidungsbaum
.
Das Testergebnis
:
Das Testergebnis ist positiv
: 98 Personen werden zu Recht als krank erkannt ? 1000 Gesunde aber zu Unrecht (
falsch positiv
). Durch den Test werden also in diesem Beispiel 1098 Personen gefunden, wovon 98 geholfen werden kann, man weiß aber nicht, welchen 98 der 1098 Personen; dafur sind weitere klarende Untersuchungen notwendig (siehe auch:
bedingte Wahrscheinlichkeit
).
- 99000 werden also zu Recht als gesund erkannt ? 2 Kranke aber zu Unrecht (
falsch negativ
). In diesem Beispiel kann der Großteil davon ausgehen, nicht krank zu sein, wenn der Test negativ ist. Zwei werden dennoch spater erkranken.
Bei einem realen Screening konnen sich sowohl die Haufigkeit der Krankheit in der Bevolkerung (
Pravalenz
) als auch die Sensitivitat und Spezifitat von diesem Beispiel unterscheiden. Anschaulich kann der Nutzen eines Screenings beschrieben werden durch die
Anzahl der notwendigen Tests
, die notwendig sind, um ein Leben zu retten. Bei jedem Screening ist es von entscheidender Bedeutung, die Haufigkeit der Krankheit zu kennen, um die Testergebnisse interpretieren zu konnen. Ist diese unbekannt, so lasst sich die Frage nach falsch positiven und falsch negativen Testergebnissen nicht beantworten.
Das medizinische Screening richtet sich an die ganze Bevolkerung, d. h. an alle Manner und/oder Frauen eines bestimmten Alters, die meisten von ihnen mit einer intakten Gesundheit. Deshalb hat das Prinzip des ?Nichtschadens“ der
Medizinethik
eine hohe Wichtigkeit und Screeningprogramme mussen hohe Anforderungen erfullen:
- die Krankheit muss fur die
Gesundheit der Bevolkerung
von Bedeutung sein
- sie muss behandelbar sein und die Prognose muss bei im Krankheitsverlauf fruher beginnender Behandlung deutlich besser sein.
- das Testverfahren soll eine hohe Sensitivitat und
Spezifitat
aufweisen, d. h. der Test soll die gesuchte Erkrankung (die bestehenden Risikofaktoren) mit moglichst großer Sicherheit nachweisen oder ausschließen konnen.
- die Untersuchung soll zeit- und kostengunstig sein.
- die Untersuchung soll den zu Untersuchenden moglichst wenig belasten.
Jeder einzelne dieser Punkte muss erfullt sein, damit ein Screeningprogramm sinnvoll durchgefuhrt werden kann. Der letzte Punkt ist von besonderer Bedeutung: Screeningprogramme in der Vorsorgemedizin mussen von den Patienten angenommen werden, um erfolgreich zu sein. Der
Qualitatssicherung
von Screeningprogrammen kommt hier eine besondere Bedeutung zu.
- Eine Erkrankung wird in einem gut behandelbaren Fruhstadium entdeckt: Eine
Heilung
ist haufiger oder mit weniger Aufwand moglich
- Die Behandlung eines Fruhstadiums beeintrachtigt die
Lebensqualitat
in geringerem Ausmaß (Im Fruhstadium haufig Vermeidung einer radikalen Operation oder von
Chemotherapie
moglich).
- Die Behandlung des Fruhstadiums verursacht geringere Kosten.
- Folgeschaden werden oftmals verhindert.
- Der Untersuchte ist bei einem unauffalligen Ergebnis beruhigt.
- Die mogliche Belastung durch die Untersuchung selbst oder unvermeidbare statistische Unsicherheiten, sogenannte
falsch negative
Ergebnisse. Hier werden Untersuchte wie Untersucher zu Unrecht beruhigt, mogliche Anzeichen der Erkrankung werden eventuell fehlgedeutet bzw. der Zweck der Fruherkennung einer Krankheit wird ganz einfach verfehlt.
- Bei
falsch positiven
Ergebnissen werden Patienten zu Unrecht beunruhigt, und teure, den Patienten wie das Gesundheitswesen belastende Folgeuntersuchungen sind die Folge.
- Moglicherweise werden Fruhstadien einer Erkrankung diagnostiziert, deren Fruherkennung die Lebenszeit nicht verlangert, deren unnotige Behandlung aber die Lebensqualitat vermindert (siehe
duktales Carcinoma in situ
bei
Mammographie
und Todesfalle durch die Therapie beim
Neuroblastom
-Screening)
Die Zielsetzung eines Screenings erscheint zunachst einleuchtend: eine Krankheit oder Storung kann
fruher
erkannt werden, und so bestehen bessere Heilungschancen. Die Risiken mussen sorgfaltig dagegen abgewogen werden, die in den Folgen falschnegativer und falschpositiver Befunde liegen. Bevor ein Screening-Programm begonnen wird, muss also abgeklart werden, ob das Programm mehr Nutzen als Kosten erzeugt. Dies erfolgt mittels wissenschaftlicher Studien, die rigorose Kriterien erfullen mussen, zum Beispiel
randomisiert
sein mussen. Der Nutzen muss sich in Form einer
absoluten Risikoreduktion
nachweisen lassen.
Die Ergebnisse einer Screening-Studie konnen durch verschiedene Faktoren verfalscht werden und entweder zu falschlich besseren oder zu unwahren, schlechteren Resultaten fuhren, die sich bei der Umsetzung in die tagliche Praxis nicht verwirklichen lassen.
Einige Autoren weisen darauf hin, dass der mogliche Nutzen von Screening-Methoden allgemein uberschatzt, und der Schaden unterschatzt wird.
[3]
Die
Vorlaufzeit-Verfalschung
, kann zur Uberschatzung der positiven Wirkung von Screening fuhren. Durch Screening wird bezweckt, eine Krankheit moglichst fruh zu erkennen. Werden dabei aber Krankheitsfalle erfasst und behandelt, deren Trager ohne Behandlung genauso lang oder langer gelebt hatten, spricht man von Uberdiagnose. Dies schadet der Person in mehrfacher Hinsicht: diagnostische und therapeutische Eingriffe vermindern ihre Lebensqualitat; sie muss fortan mit der Diagnose einer todlichen Krankheit leben; die Kosten der medizinischen Versorgung werden unnotig in die Hohe getrieben.
[4]
Die Vorlaufzeit-Verfalschung ist im Einzelfall nicht nachweisbar, da ja im Nachhinein nicht bewiesen werden kann, wie der Verlauf ohne Behandlung ausgegangen ware. Nur in kontrollierten Studien und wenn der naturliche Verlauf einer
Krankheit
bekannt ist, lasst sich dieser Effekt abschatzen.
Viele Screenings beinhalten die Fruherkennung bestimmter Krebserkrankungen. Es wird angenommen, dass langsam wachsende Tumoren eine bessere Uberlebenschance fur den Patienten bedeuten als rasch wachsende Tumoren. Jedoch bedeutet das, dass Screenings viel eher einen
langsam
wachsenden Tumor entdecken als solche, die fur das Leben des Patienten eine drastischere Bedeutung tragen ? denn rasch wachsende Tumoren konnen den Patienten das Leben kosten, bevor er die Gelegenheit hat, an einem Screening teilzunehmen.
Dieser Umstand fuhrt dazu, dass Screenings dazu tendieren, Krebserkrankungen zu erkennen, welche fur den Patienten seltener lebensbedrohlich werden. Eine nicht lebensbedrohliche Tumorerkrankung bedeutet oft, dass der Patient an etwas anderem stirbt als am Tumor selber ? also hat das Screening in einem solchen Fall nichts zur Lebenszeitverlangerung beigetragen (siehe hierzu auch
indolenter Tumor
und
Tumor Dormancy
).
Nicht alle Manner und Frauen nehmen an einem Screening teil ? deshalb mussen die Studienteilnehmer sorgfaltig ausgewahlt werden, um die statistische Bedeutung der Resultate zu gewahrleisten. Menschen, die etwa wegen Krebstodesfallen in ihrer Familie um ihr hoheres Risiko wissen, nehmen haufiger an einer Screening-Studie teil als andere. Dies fuhrt dazu, dass Screeningstudien die Gesundheitslage der Bevolkerung schlechter darstellen als sie es tatsachlich ist.
Das gleiche Problem kann auch in der umgekehrten Richtung wirken: Wenn ein Test eher fur reichere oder jungere Leute verfugbar ist, dann nehmen diese Leute eher daran teil ? zum Beispiel, wenn eine langere Reise zum Screening-Zentrum gebrechliche und armere Leute abschreckt. In diesem Fall werden prozentual weniger Krankheiten diagnostiziert als in Wirklichkeit auftreten, weil Reiche sich sowieso eine bessere Gesundheitspflege leisten konnen und weil jungere Menschen etwa seltener an Krebs oder Herz-Kreislaufproblemen leiden.
Ein Screening kann Abnormalitaten erkennen, welche im Leben einer Person nie eine Rolle spielen wurden. Ein Beispiel dazu ist Prostatakrebs ? uber diese Krebserkrankung sagen Arzte ?Die meisten Manner sterben
mit
Prostatakrebs, aber nicht
an
Prostatakrebs“. Autopsien an verstorbenen Mannern haben ergeben, dass ein großer Anteil der Verstorbenen mikroskopisch nachweisbare Prostatakrebs-Zellen besaßen, aber bis zum Todeszeitpunkt ohne gefahrlicher Tumorbildung.
Abgesehen von der Gefahr, dass ein Patient eine unnotige Behandlung erhalt ? Krebstherapien beeintrachtigen die Lebensqualitat des Patienten zum Teil massiv ? konnen zu haufige, uberflussige Diagnosen dazu fuhren, dass ein Screening als wirksamer erscheint, als es, gemessen an der effektiven Lebenszeitverlangerung der
Probanden
, ist. Die Entdeckung einer harmlosen Abnormalitat bei einem Patienten ist daher weder vom okonomischen noch vom medizinischen Standpunkt gesehen sinnvoll.
Um diese Herausforderungen des Screenings losen zu konnen, mussen Screeningtests zwingend durch
kontrollierte randomisierte Studien
gepruft werden, bevor ein Screeningprogramm flachendeckend eingefuhrt wird. Die Studien mussen die Teilnehmenden strikt zufallig auswahlen und die Teilnehmerzahlen mussen sehr groß sein. Die Methodik der Untersuchung muss strikt definiert sein, so dass die Diagnosen, die von unterschiedlichen Arzten in verschiedenen Spitalern gestellt werden, qualitativ gleichwertig sind. Die genaue Beschreibung der Arbeitsweise in klinischen Studien wird oft in einem
Standard-Operating-Procedure
-Handbuch festgehalten.
- ↑
Angela Raffle, Muir J. Gray:
Screening
., dt. annotierte Ubersetzung, Ernst Huber Verlag, Bern 2009,
ISBN 978-3-456-84698-9
.
- ↑
Geschlechtskrankheit: Chlamydien - die unterschatzte Infektion.
In:
Spiegel online.
30. August 2017,
abgerufen am 30. August 2017
.
- ↑
Muhlhauser, I. (2014). Zur Uberschatzung des Nutzens von Pravention. Zeitschrift fur Evidenz, Fortbildung und Qualitat im Gesundheitswesen, 108(4), 208?218. S. 3.
- ↑
Frankfurter Rundschau
Der Preis der fruhen Diagnose, vom 30. Juli 2010, abgerufen am 24. Oktober 2013.
- Spix, C.; Blettner, M.:
Screening
. In:
Dtsch Arztebl Int
.
Nr.
109(21)
, 2012,
S.
385-90
(
Ubersichtsarbeit
).
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