Schwedische Alkoholpolitik

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Die schwedische Alkoholpolitik geht zuruck auf die Abstinenzbewegung des 19. Jahrhunderts in Schweden , die als Reaktion auf die umfassenden sozialen Probleme im Zusammenhang mit dem starken Alkoholkonsum dieser Zeit (nach Schatzungen etwa das Vier- bis Funffache des heutigen Konsums) entstand.

Die Abstinenzbewegung

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Unter dem Einfluss amerikanischer und englischer Organisationen entstand in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts eine schwedische Abstinenzbewegung , die auf ihrem Hohepunkt 1910 fast eine halbe Million Mitglieder zahlte und im Verein mit der freikirchlichen Erweckungsbewegung und der Arbeiterbewegung in Schweden einen wichtigen politischen Machtfaktor darstellte.

1909 wurde durch die Abstinenzbewegungen eine Unterschriftensammlung zur Unterstutzung eines Totalverbotes von alkoholischen Getranken durchgefuhrt, die von 56 % der erwachsenen Bevolkerung unterstutzt wurde. Dem standen starke wirtschaftliche Interessen von Privatpersonen und Firmen entgegen. Aber auch die Interessen des schwedischen Staates und seiner Gemeinden waren davon betroffen, da ein wichtiger Anteil des Steueraufkommens aus dem Verkauf von alkoholischen Getranken stammte.

Das Bratt-System

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In dieser Situation legte der Stockholmer Arzt Ivan Bratt einen Kompromissvorschlag vor, der die Verstaatlichung der Alkoholproduktion und des Alkoholvertriebes vorsah, um damit private Gewinninteressen auszuschalten. Gleichzeitig sollte der Alkoholkonsum durch eine Rationierung begrenzt werden. 1914 wurde die Rationierung von alkoholischen Getranken versuchsweise in Goteborg , Jonkoping und Stockholm eingefuhrt und aufgrund der positiven Erfahrungen im ganzen Reich ab 1917. Anfangs konnten nur Manner uber 25 Jahre und unverheiratete Frauen nach individueller Prufung ein motbok (Rationierungsbuch) bekommen, sofern sie nicht durch Trunkenheit aufgefallen waren. Die maximale Ration (fur Manner) schwankte wahrend der Rationierungsperiode und lag gegen Ende der Periode (1955) bei 3 Litern Schnaps pro Monat.

In den 20er Jahren wurden auch der Import und Export ( Vin & Spritcentralen ) und der Vertrieb ( Systembolaget ) von alkoholischen Getranken in staatlichen Handen monopolisiert, spater auch die Produktion.

Die Abstinenzbewegung begnugte sich aber nicht mit der Einfuhrung des Bratt-Systems und forderte weiterhin ein Totalverbot. 1922 setzte sie im Reichstag die Durchfuhrung einer Volksabstimmung durch. Das Verbot wurde nur mit einem knappen Ergebnis (51 % gegen und 49 % fur das Verbot) abgewehrt, wobei die Frauen mehrheitlich fur das Verbot (59 %) stimmten. Das Resultat der Volksabstimmung sicherte dem Bratt-System den Weiterbestand bis in das Jahr 1955.

Systembolaget

1955 wurde das System der Rationierung abgeschafft. Stattdessen sollten positive Maßnahmen, wie verstarkte Aufklarung und Pflegeeinsatze, die Alkoholpolitik pragen. Aber sehr schnell zeigte sich, dass der Alkoholkonsum drastisch stieg, und 1957 wurden kraftige Preiserhohungen (durch die Einfuhrung hoher Alkoholsteuern) durchgefuhrt. Das Preisinstrument war in der Folge das wichtigste Mittel, um den Konsum zuruckzuhalten. 1986 war der Alkoholkonsum in Schweden etwa 25 % hoher als 1954, zahlte aber im internationalen Vergleich dennoch zu den geringsten in Europa (ungefahr die Halfte des deutschen Konsums).

Auch wenn die Rationierung aufgehoben worden war, wurde der Kauf alkoholischer Getranke durch restriktive Vertriebsformen erschwert. Alkoholische Getranke konnten nur in den wenigen staatlichen Alkoholladen ( Systembolaget ) gekauft werden. Die Offnungszeiten waren restriktiv und die ? in anderen Laden langst ubliche ? Selbstbedienung war nicht vorgesehen, was zu langen Warteschlangen und Wartezeiten von mehr als einer Stunde fuhren konnte.

Die hohen Preise fuhrten zu einem umfangreichen Schwarzmarkt. Man nimmt an, dass etwa ein Viertel des konsumierten Alkohols aus Schwarzbrennereien stammte oder Schmuggelware war.

Seit 1991 wurde in manchen Systembolagets die Selbstbedienung eingefuhrt.

Mit dem Beitritt zur Europaischen Union 1995 veranderten sich die Voraussetzungen fur die schwedische Alkoholpolitik radikal. Zwar konnte der schwedische Staat ein Detailhandel smonopol fur den Vertrieb beibehalten, aber Produktion, Import und Export mussten privatisiert werden. [1]

Die in diesem Zusammenhang beschlossene Erleichterung des Privatimports von Alkohol gestattete nach schwedischer Rechtsauffassung lediglich das Mitbringen entsprechender Waren von Reisen. [2] Wer im Ausland alkoholische Waren bestellen wollte, musste dies nach wie vor uber die staatlichen Monopolladen des Systembolaget tun, die fur ihren Service 17 Prozent des Preises und weitere Gebuhren verlangten. Etwa vier Prozent der schwedischen Bevolkerung, d. h. knapp 300.000 Personen, hielten sich nach Angaben des Zentrums fur sozialwissenschaftliche Alkohol- und Drogenforschung (SORAD) der Universitat Stockholm nicht an die gesetzlichen Bestimmungen und fuhrten ? bislang illegal ? uber den Versandweg und andere Kanale Alkohol aus dem Ausland ein. [3]

Am 5. Juni 2007 entschied der Europaische Gerichtshof in Luxemburg jedoch, dass die schwedische Alkoholpolitik in Teilen gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs verstoßt. Nach diesem Urteil sind die schwedischen Burger kunftig nicht mehr gezwungen, Spirituosen aus dem Ausland uber Systembolaget zu ordern. Ihnen steht es nun frei, Alkohol direkt per Versandhandel (inkl. Internet ) in anderen EU-Staaten zu kaufen. [4] Sie mussen den eingefuhrten Alkohol allerdings verzollen. Kommentatoren erinnerten zudem daran, dass die Ware nach wie vor in Schweden auch versteuert werden musse, der Alkohol dadurch nicht wesentlich billiger werde und die tatsachlichen Auswirkungen des Urteils moglicherweise nicht dramatisch seien. [5] Von schwedischer Seite war ins Feld gefuhrt worden, dass das Verbot der unkontrollierten Einfuhr dem Jugendschutz und der Volksgesundheit diene. Dieser Argumentation schlossen sich die Richter nicht an.

Zwischen 1996 und 2005 stieg der schwedische Alkoholkonsum nach Angaben des statistischen Zentralamtes um 21 Prozent. [6] Seither ist jedoch ein leichter Ruckgang der Zahlen zu registrieren, was Mats Ramstedt von SORAD damit erklart, dass der erste Enthusiasmus uber das gelockerte Einfuhrverbot nun nachzulassen beginne. Nach Auslandsreisen fuhren Schweden inzwischen weniger Alkohol ein. Im Jahr 2005 entfielen 38 Prozent des Alkoholkonsums auf Wein, 30 Prozent auf Bier, 25 Prozent auf Spirituosen und 7 Prozent auf sogenanntes Folkol , d. h. alkoholarmeres Bier bis maximal 3,5 Volumenprozent . [7]

Studie zur Abschaffung

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2006 gab das Statens folkhalsoinstitut eine offizielle und unabhangige Studie [8] in Auftrag, die die Auswirkungen nach Abschaffung des Alkoholmonopols untersuchen sollte. Die internationale Forschergruppe [A 1] untersuchte dabei zwei Szenarien:

Geschafte mit Lizenz

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Hierbei wurden die Laden des Systembolaget durch private Geschafte ersetzt, die Alkohol durch eine erworbene Lizenz verkaufen durfen, sogenannte ?spezialisierte Alkoholgeschafte“. Nach einem solchen Szenario erwarten die Forscher eine Steigerung der Zahl entsprechender Geschafte von 400 (2006) auf 1.200. Das gesamte Alkohol sortiment wurde an Angeboten zunehmen, jedoch wurde das Sortiment in einzelnen Geschaften kleiner sein als das Sortiment eines staatlichen Ladens. Das Preisniveau, so die Forschergruppe, wurde durchschnittlich auf dem jetzigen Stand bleiben. Allerdings wurde der Alkohol in schwach bevolkerten Gebieten teurer werden, wahrend in den Stadten mit Lockrabatten und damit verbundenen Preissenkungen gerechnet wird. Die Offnungszeiten wurden etwa zehn Stunden pro Woche langer. Bei den Alterskontrollen wurde dieselbe Effektivitat erreicht, allerdings nur wenn das Personal gleich ausgebildet und die Kontrollen genauso strikt ausgefuhrt wurden. Der Alkoholkonsum wurde, u. a. durch Radio- und Fernsehwerbung, um etwa funf Prozent steigen.

Lebensmittelgeschafte

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Das zweite Szenario sieht den Verkauf alkoholischer Getranke in Lebensmittelgeschaften vor, ein Szenario also, das mit der Situation in Deutschland, Osterreich und der Schweiz durchaus vergleichbar ist. Hier sehen die Forscher eine Steigerung der Verkaufsstellen auf bis zu 8.000 Geschafte. Das Sortiment in einem durchschnittlichen Laden ware deutlich kleiner als in einer durchschnittlichen Verkaufsstelle des Systembolaget, wahrend sich die Offnungszeiten, also die Moglichkeit des Erwerbs alkoholischer Getranke, durch die liberalen Gesetze auf 84 Stunden pro Woche (inkl. Sonntag) ausweiten wurden. Die erwartete Einfuhrung von ladeneigenen Alkoholmarken wie beispielsweise ICA -Wein wurde eine geringfugige Preissenkung bis 5 % mit sich ziehen. Der Alkoholkonsum wurde, u. a. durch Radio- und Fernsehwerbung und private Geschaftspolitik, um etwa 8 % steigen. Bei den Alterskontrollen wurde eine geringere Effektivitat erwartet.

Absolute Zahlen

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Eine Privatisierung hatte laut Studie folgende Veranderung zur Folge (Privat mit Lizenz/Lebensmittelgeschafte):

  • Mehr Todesfalle, etwa im Straßenverkehr (+700/+1.580)
  • Mehr Falle von Misshandlung (+6.700/+14.200)
  • Mehr Krankschreibungen (+7,3 Mio. Tage/+16 Mio.)

Einfuhrbedingungen

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Die Einfuhr von Alkohol fur den privaten Gebrauch ist, wie in den anderen EU-Landern auch, so geregelt, dass die Steuern in dem Land erhoben werden, in dem der Alkohol erworben wurde. Im Gegensatz dazu wird bei kommerzieller Einfuhr die Steuer in dem Land erhoben, in dem der Alkohol konsumiert wird. Eine Privatperson, die Alkohol fur sich in einem fremden Land kauft, zahlt dort die Steuern. Steuerfrei darf Alkohol nach Schweden eingefuhrt werden, wenn

  • er fur den eigenen Gebrauch oder die eigene Familie gedacht ist (nicht jedoch fur Freunde und Bekannte)
  • und wenn die Waren personlich, z. B. im Gepack, transportiert werden.

Alkohol darf nur von Personen eingefuhrt werden, die mindestens 20 Jahre alt sind. Ob die Einfuhr fur den eigenen Gebrauch ist oder ob es sich um eine kommerzielle Einfuhr handelt, bestimmt das schwedische Zollamt, Tullverket , anhand von Obergrenzen, die EU-weit als Richtlinien anerkannt sind, und der Art des Alkoholtransports. Als Obergrenzen fur die Einfuhr aus EU-Landern werden zehn Liter Spirituosen, 20 Liter Starkwein oder andere Zwischenprodukte, 90 Liter Wein (davon hochstens 60 Liter Schaumwein) und 110 Liter Bier angesehen [9] . Wenn man glaubhaft machen kann, dass die alkoholischen Getranke fur Privatgebrauch (z. B. ein großeres Fest) bestimmt sind, konnen die Angestellten der Zollbehorde auch großere Mengen zulassen. Fur Reisen aus Nicht-EU-Landern gelten andere Regelungen.

  1. Bestehend aus: Harold Holder, Prevention Research Center, Pacific Institute for Research and Evaluation, Berkeley, CA, USA; Emilie Agardh, Karolinska Institute, Stockholm; Pi Hogberg, Department of Alcohol and Narcotics, Swedish National Institute of Public Health, Ostersund; Ted Miller, Public Services Research Institute, Pacific Institute for Research & Evaluation, Calverton, MD, USA; Thor Norstrom, Swedish Institute for Social Research, Universitat Stockholm; Esa Osterberg, Alcohol and Drug Research, Social Research Unit for Alcohol Studies, National Research Centre for Welfare and Health (Stakes), Helsinki, Finnland; Mats Ramstedt, Center for Social Research on Alcohol and Drugs, Universitat Stockholm; Ingeborg Rossow, Norwegian Institute for Alcohol and Drug Research Oslo, Norwegen; Tim Stockwell, Centre for Addictions Research of BC Department of Psychology, University of Victoria, BC, Canada

Einzelnachweise

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  1. Ingrid Meissl Arebo: Schwedens Parlament will den Hofverkauf von Wein zulassen Neue Zurcher Zeitung , 15. Juli 2018
  2. www.svd.se ? ?"Folkhalsomotiv haller inte"“ ( Memento vom 29. September 2007 im Internet Archive ).
  3. www.dn.se ? ?Manga koper smuggelsprit“
  4. www.tagesschau.de ? ?Schwedisches Alkoholmonopol brockelt“ .
  5. www.aftonbladet.se ? ?Sa billig ar natspriten“
  6. www.scb.se ? ?Alkohol- und Tabakkonsum“ (schwedisch, Zusammenfassung in Englisch)
  7. www.forskning.se ? ?Uppgangen i svenskarnas alkoholkonsumtion brots under 2005“
  8. Vilka skulle konsekvenserna bli om detaljhandeln med alkoholdrycker privatiserades i Sverige? ( Memento des Originals vom 22. Februar 2016 im Internet Archive )   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/www.systembolagetkampanj.se (PDF; 138 kB)
  9. Tullverket: Alkohol fran ett annat EU-land