Schopferische Zerstorung

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Die Schopferische Zerstorung (auch kreative Zerstorung , engl. creative destruction ) ist ein Begriff aus der Makrookonomie , dessen Kernaussage lautet: Jede okonomische Entwicklung (im Sinne von nicht bloß quantitativer Entwicklung) baut auf dem Prozess der schopferischen bzw. kreativen Zerstorung auf. Durch eine Neukombination von Produktionsfaktoren , die sich erfolgreich durchsetzt, werden alte Strukturen verdrangt und schließlich zerstort. Die Zerstorung ist also notwendig ? und nicht etwa ein Systemfehler ?, damit Neuordnung stattfinden kann.

Der erste Okonom, der diese Zusammenhange in seinem Werk nachvollzog, ist Joseph Schumpeter , der nicht nur den Begriff der schopferischen Zerstorung gepragt hat, sondern auch den der Innovation . In die damals mathematisch dominierten VWL-Modelle fuhrte er erstmals den Unternehmer ein, der mitunter ein kreatives, fast schon chaotisches Potenzial mit sich bringen konnte. Erst Unternehmer, die gegen Vorbehalte und Widerstande unbeirrt von ihnen angestrebte Innovationen vorantreiben, ermoglichten wirtschaftlichen Wandel. Nach der Auffassung Schumpeters beinhaltet der Kapitalismus eine Unordnung, deren Ergebnis die kreative Zerstorung ist. [1]

Innerhalb der Sozialwissenschaften wurde der Begriff im Laufe der Zeit in unterschiedliche Richtungen weiter entwickelt.

Im Hinduismus wird der Gedanke, dass die Zerstorung des Alten zur Erschaffung von Neuem fuhrt, durch die Gottheit Shiva vertreten.

Begriffsgeschichte

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Sinngemaß taucht der Begriff schon im Kommunistischen Manifest (1848) und in Das Kapital von Karl Marx auf. Bezeichnet wird damit, dass eine neue okonomische Ordnung eine alte verdrangt, so wie der Kapitalismus sich gegenuber der feudalistischen Produktionsweise durchgesetzt hat. Werner Sombart hat den Begriff in diesem Sinne aufgenommen, bekannter wurde er jedoch durch die Schriften Joseph Schumpeters . Dort erfuhr er eine Veranderung insofern, als er nun fur die positiven wirtschaftlichen Eigenschaften der kapitalistischen Produktion steht, namlich die Fahigkeiten zu Innovation und technisch-wirtschaftlichem Fortschritt. In neuerer Zeit hat Clayton M. Christensen von der Harvard Business School den Begriff der disruptiven Technologie bzw. Innovation eingefuhrt, als deren Folge grundlegende (disruptive) Marktveranderungen auftreten. [2]

Aber auch Charles Darwin umschreibt in seinem Grundlagenwerk zur Evolution , Uber die Entstehung der Arten (1859), das gleiche Konzept, als er dort schreibt, das Aussterben alter Spezies sei die beinahe unvermeidliche Reaktion auf das Auftauchen neuer Lebensformen. [3]

Wirtschaftliche Bedeutung nach Schumpeter

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Das Konzept der schopferischen Zerstorung ist ein Grundmotiv von Schumpeters Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie , erstmals auf Englisch erschienen 1942. Eingefuhrt wird es in dessen 7. Kapitel. Dort schreibt er [4] :

?Die Eroffnung neuer, fremder oder einheimischer Markte und die organisatorische Entwicklung vom Handwerksbetrieb und der Fabrik zu solchen Konzernen wie dem U.S.-Steel illustrieren den gleichen Prozess einer industriellen Mutation ? wenn ich diesen biologischen Ausdruck verwenden darf ?, der unaufhorlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert², unaufhorlich die alte Struktur zerstort und unaufhorlich eine neue schafft.

Dieser Prozess der ?schopferischen Zerstorung‘ ist das fur den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muß auch jedes kapitalistische Gebilde leben.“

?Anm.² Diese Revolutionen sind nicht eigentlich ununterbrochen; sie treten in unsteten Stoßen auf, die voneinander durch Spannen verhaltnismaßiger Ruhe getrennt sind. Der Prozeß als ganzer verlauft jedoch ununterbrochen ? in dem Sinne, daß immer entweder Revolution oder Absorption der Ergebnisse der Revolution im Gange ist; beides zusammen bildet das, was als Konjunkturzyklus bekannt ist.“

Die Idee der kreativen Zerstorung spielt der Sache nach schon in Schumpeters Werk Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung [5] eine Rolle. Ausloser fur die schopferische Zerstorung sind Innovationen , die von den Unternehmern mit dem Ziel vorangetrieben werden, sich auf dem Markt durchzusetzen.

Das mit Creative destruction uberschriebene 7. Kapitel in seinem rund 600 Seiten umfassenden Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie hat nur sechseinhalb Seiten [6] und der Begriff ?schopferische Zerstorung“ kommt in diesem Kapitel nur zweimal vor und sonst nirgends in Schumpeters Schriften. Sie stehen hier zusammenfassend fur den standigen ?Prozeß einer industriellen Mutation […], der unaufhorlich die alte Struktur zerstort und unaufhorlich eine neue schafft.“ [7] Genau in diesem Sinne ist im 8. Kapitel mehrfach vom ?Prozeß der schopferischen Zerstorung“ [8] die Rede. Die interpretierende Literatur hat Schumpeters Begriff der Innovation als creative destruction umgedeutet. Schumpeters Interesse gilt aber der Variation und Kombination von Produktivvermogen, der dialektischen Umwertung von Arbeit und der Entstehung von Neuem. Er legt den Schwerpunkt auf ?schopferisch“ und nicht auf ?zerstorerisch“. Schumpeter unterscheidet zwischen normalen und abnormalen wirtschaftlichen Anpassungen. Er betont immer wieder diesen Unterschied. [9] Bei letzteren weist er darauf hin, dass diese im Entwicklungsprozess ?funktionslos“ seien ? zerstorerisch ? und durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen, Paniken und soziale, nationale wie internationale Auseinandersetzungen verursacht sind, nicht durch immanente okonomische Ursachen.

Vertreter der Keynes-Gesellschaft bezeichneten Schumpeter als den bedeutendsten Okonomen des 20. Jahrhunderts, neben ihrem Namensgeber John Maynard Keynes . [1]

Weiterentwicklung

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Insbesondere innerhalb der Sozialwissenschaften , Soziologie , Wirtschaftsethik und Wirtschaftsphilosophie haben zahlreiche Autoren das Konzept der schopferischen Zerstorung (bzw. creative destruction) weiter entwickelt.

Einige Vertreter, die sich in ihren Schriften mit schopferischer Zerstorung befasst haben:

Schopferische Zerstorung im Hinduismus

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Der Gott Shiva zahlt zu den wichtigsten Gottheiten im Hinduismus und wird als Stellvertreter fur den Kreislauf aus Schopfung, Erhaltung und Zerstorung betrachtet. [15] Zu den vielen Formen, die dieser Gott annimmt, zahlen die des Yogi und die des Tanzers, sodass sein Bekanntheitsgrad außerhalb Asiens auch durch die Verbreitung von Yoga zunahm. Dabei vereint Shiva als Gottheit zahlreiche Eigenschaften, die als Widerspruche wahrgenommen werden, z. B. Zerstorung und Schopfung, mannlich und weiblich, Enthaltsamkeit und Fruchtbarkeit. [16]

Einzelnachweise

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  1. a b Vordenker-Serie: Joseph Schumpeter Der kreative Zerstorer Manager Magazin , aufgerufen am 15. Februar 2022.
  2. Clayton M. Christensen: The innovator’s dilemma: when new technologies cause great firms to fail . Harvard Business School Press, Boston, Massachusetts (USA) 1997, ISBN 978-0-87584-585-2 .
  3. Origin of Species, 1. Auflage, Zitat: "Extinction of old forms is the almost inevitable consequence of the production of new forms." im Project Gutenberg
  4. Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie . UTB, Stuttgart 2005, ISBN 3-8252-0172-4 .
  5. Joseph Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung . Berlin 1912, S.   157 .
  6. Joseph Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 10., vervollstandigten deutschsprachige Auflage mit einer Einfuhrung von Heinz D. Kurz . Tubingen 2020, S. 103?109
  7. Joseph Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie . 10. , Tubingen 2020, S. 106.
  8. Joseph Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 10. Auflage, Tubingen 2020, z. B. S. 115, 130, 136
  9. Joseph A. Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung . Leipzig 1911, S. 452 ff; 4. (geanderte) Auflage Berlin 1934, S. 366 ff; The Theory of Economic Development . Cambridge/Mass. 1934, S. 252 ff; Bussiness Cycles . Vol. I, New York 1939, S. 150.
  10. Ludwig M. Lachmann Mises Institute, aufgerufen am 15. Februar 2022.
  11. David Harvey: Limits to Capital . Verso, Landon 1999, ISBN 978-1-85984-209-6 , S.   90 .
  12. All That Is Solid Melts Into Air. The Experience of Modernity by Marshall Berman Verso Books, aufgerufen am 15. Februar 2022.
  13. Castells (1996): The Rise of the Network Society Springer Link, aufgerufen am 15. Februar 2022.
  14. Authors: Daniele Archibugi Princeton University Press , aufgerufen am 15. Februar 2022.
  15. Hinduismus. Warum der Gott Shiva so wichtig ist vom 6. Marz 2016 Deutschlandfunk , aufgerufen am 15. Februar 2022.
  16. Shiva. Hindu deity. Alternate titles: ?iva, ?iwa Encyclopædia Britannica , aufgerufen am 15. Februar 2022.