Schonbrunner Deutsch
ist jene Form der
deutschen Hochsprache
, die ab dem spaten 18. Jahrhundert am
Wiener Kaiserhof
gesprochen wurde. Das Schonbrunner Deutsch ist ein
Soziolekt
, also eine Sprachform einer bestimmten Gruppe (z. B. Altersgruppe, soziale Gruppe), die allgemein auf gesellschaftlichen Faktoren beruht. Gesprochen wurde es vom
Kaiserhaus
, vom
osterreichischen Adel
(und dem der gesamten
Donaumonarchie
) sowie teilweise auch vom
Hochadel
und Adel Suddeutschlands und manchen Vertretern des
Wiener
Großburgertums
.
Die Sprechweise des Kaiserhofes war fur das gesprochene Deutsch in
Osterreich-Ungarn
ein Sprachstandard. Benannt ist sie nach
Schloss Schonbrunn
im 13. Wiener Gemeindebezirk
Hietzing
, wo der Kaiserhof (neben der
Hofburg
) seinen Sitz hatte und der
Hofstaat
sowie die Spitzen von Regierung, Militar und Verwaltung bei ihren taglichen Amtsgeschaften sowie bei
Hofballen
auch in Begleitung ihrer Familien zusammentrafen. Die Bezeichnung bedeutet nicht, dass das Schonbrunner Deutsch in erster Linie von den Einwohnern Hietzings gesprochen wurde, auch wenn einige aus der betreffenden Schicht dort wohnten, sie steht vielmehr als Symbol fur die Monarchie und ihre Fuhrungsschicht. Die meisten Adligen lebten in ihren
Wiener Palais
sowie auf ihren Schlossern oder in Dienstwohnungen in allen Teilreichen der Donaumonarchie: dem
Kaisertum Osterreich
und den Konigreichen
Bohmen
,
Ungarn
,
Galizien und Lodomerien
sowie
Kroatien und Slawonien
. In den fremdsprachigen Provinzen sprach die Oberschicht die heimische Sprache als Muttersprache und außerdem meist fließend (Schonbrunner) Deutsch. Das Schonbrunner Deutsch ist ein heute fast ausgestorbener Soziolekt, der nur in Familien des ehemaligen osterreichischen, bohmischen, ungarischen und suddeutschen Adels noch gepflegt wird.
Es entspricht eher dem Hochdeutschen (?
Burgtheater
-Deutsch“) als einem regionalen Dialekt und bemuht sich um korrekte Grammatik, aber zwanglos genug, um auch immer wieder osterreichische Spezifika zu verwenden oder Fluchtigkeiten zu tolerieren. Es ist vom
osterreichischen Dialekt
, insbesondere vom
Wienerischen
, klanglich eingefarbt, hat aber durchaus Eigenheiten im Vergleich zum Hochdeutschen mit wienerischem Akzent. Die gedehnte
Wiener Monophthongierung
(das breite ?a“) wird nicht verwendet (wie ?I waaß“, ?im Goaten“), hingegen werden Konsonanten wie t, p, k ebenfalls zu ?d“, ?b“, ?g“: Dag (Tag) oder Grapfn (Krapfen). Erkennbar ist Schonbrunner Deutsch auch an der besonderen Betonung, teilweise auch Aussprache bestimmter Buchstaben (etwa
p?f?:xd
fur Pferd), sowie Dehnungen und Verkurzungen. Dadurch hat dieser Soziolekt auch ein bestimmtes
Sprechtempo
und einen eigenen
Rhythmus
(Worter und Halbsatze werden eher hupfend als leiernd aneinandergereiht). Dadurch und durch die Klangfarbung wirkt er zugleich um Sorgfaltigkeit und legere Eleganz bemuht, jedoch unaufdringlich. Die Eleganz tritt auch im gelegentlichen Einstreuen von
franzosische Wortern
oder Wendungen zutage (aus der Zeit als Franzosisch noch die europaische Korrespondenz-, Diplomaten- und Hofsprache war, vom 17. bis 19. Jahrhundert). Hin und wieder ? aber sehr sparsam ? wird das Schonbrunner Deutsch (insbesondere von Mannern) auch mit derben bauerlichen oder Wiener Dialektausdrucken gepfeffert. Der jeweilige regionale Dialekt wurde also meist durchaus beherrscht, aber in den Adelshausern wurden die Kinder ermahnt: ?Den Dialekt lasst’s beim Tor draußen!“
Dieser Soziolekt kommt ? mitunter in stark parodistischer Form ? in diversen Filmen, Theaterstucken und in der Literatur vor, die zur Zeit der Monarchie spielen und Angehorige des alten Adels und der Hofgesellschaft (der sogenannten
Ersten Gesellschaft
) oder auch die sie nachahmenden Neuadligen und Großburger (Mitglieder der
Zweiten Gesellschaft
) darstellen. Die in diesen Persiflagen meist betont naselnde Aussprache entspricht aber nicht dem ublichen Schonbrunner Deutsch. Gewisse Abstufungen zwischen der eher unpratentiosen Sprechweise der
Ersten Gesellschaft
und der eher bemuhten Variante der
Zweiten Gesellschaft
fanden auch in der Literatur ihren Niederschlag:
?Er sprach das nasale osterreichische Deutsch der hoheren Beamten und des kleinen Adels. Es erinnerte ein wenig an ferne Gitarren in der Nacht, auch an die letzten, zarten Schwingungen verhallender Glocken, es war eine sanfte, aber auch prazise Sprache, zartlich und boshaft zugleich.“
- ↑
Joseph Roth
:
Radetzkymarsch
, Kiepenheuer Berlin 1932, 2. Kapitel, in Bezug auf den Bezirkshauptmann Franz von Trotta.
- ↑
Kaiserin Zita uber die Kronung Karls zum ungarischen Konig in Budapest am 30. Dezember 1916, Osterreichische Mediathek.
Abgerufen am 6. November 2021
.
- ↑
Tondokument Kaiser Karl I.
auf
YouTube
- ↑
Otto von Habsburg: Quo vadis Integration? Festvortrag Eggenberg 2004
auf
YouTube
- ↑
Tondokument Kaiser Franz Joseph I.
auf
YouTube
- ↑
Erzherzog Franz Salvator dankt den Funktionaren des Roten Kreuzes, Osterreichische Mediathek.
Abgerufen am 2. Mai 2023
.
- ↑
Feldmarschall Erzherzog Friedrich: Ansprache an Seine Majestat, den Kaiser, am 18. August 1915, Osterreichische Mediathek.
Abgerufen am 2. Mai 2023
.
- ↑
Erzherzog Eugen, Proklamation an die Truppen zum Geburtstag Seiner Majestat am 18. August 1915, Osterreichische Mediathek.
Abgerufen am 2. Mai 2023
.
- ↑
Matt spricht mit Schwarzenberg
auf
YouTube
. Interview vom 12. Marz 2019.