Sanskrit-Dichtung

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Die Sanskrit-Dichtung umfasst neben den in Sanskrit verfassten religiosen Werken Indiens wie den Veden und Upanishaden eine Fulle an Kunst- und Versdichtung. Im Folgenden wird die schriftlich uberlieferte Tradition der hinduistisch gepragten Sanskrit-Dichtung (Beginn: ca. 500 v. Chr. ) in Indien, welche selbst uber die muslimische Mogulherrschaft und die Kolonialisierung durch England (18./19. Jh.) hinaus Bestand hatte. Der Artikel ist chronologisch gegliedert. Jeder Abschnitt reißt zunachst den historischen Kontext an, nennt dann wichtige Autoren und Werke und beschreibt schließlich Besonderheiten und Stilmittel.

Anfange: Die epische Phase [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mit dem Ende der vedischen Literatur beginnt im 1. Jahrtausend v. Chr. die Epoche der epischen Dichtung. Der oft thematisierte Krieg lasst darauf schließen, dass die Werke im gesellschaftlichen Umfeld der Kriegerkaste ( Kshatriyas ) entstanden sind. Indien befindet sich in einer Zeit des Umbruchs, neue philosophische Stromungen entfalten sich und der fruhe Hinduismus lost die alte vedische Religion (siehe Rigveda ) ab.

Die großen Epen dieser Zeit sind das Ramayana und das Mahabharata . Beide Werke zeigen Ansatze dichterischer Kunst, sind also Vorlaufer der spateren Kavya -Tradition. Im Aufbau und der Wahl der Stilmittel ist das Ramayana ein wenig kunstvoller gestaltet als das Mahabharata. Die im Gegensatz zur spateren Kunstdichtung noch relativ einfache Sprache spiegelt eindeutig die anfanglich mundliche Uberlieferungstradition der Texte wider. Hinweise darauf geben auch das haufig gebrauchte Prasens, der Gebrauch des Shloka (ein leichtes, einpragsames Versmaß) sowie die standigen Wiederholungen manchmal ganzer Strophen. Auch Stilmittel wie Metaphern und Vergleiche nutzt man schon, allerdings nicht mit solcher Perfektion wie in spateren Zeiten. Komposita sind noch recht kurz, weniger verschachtelt und dadurch auch leichter verstandlich. Typisch fur das epische Sanskrit ist die haufige Verwendung finiter Verbformen, wahrend spatere Dichter eher komplexe Partizipkonstruktionen bevorzugen. Durch all diese Mittel sind die epischen Verse einpragsam und erleichtern die mundliche Weitergabe.

Die folgenden Verse aus dem dritten Buch des Mahabharata schildern das Zusammentreffen von Arjuna , einem der Haupthelden des Epos, mit dem Gott Shiva , der sich als Bergbewohner vom Volk der Kiratas getarnt hat. Arjuna will von Shiva Waffen fur den bevorstehenden großen Krieg erhalten, muss dafur aber zuerst seine Krafte mit ihm messen (MBh 3.40.26-28):

"Da ließ Arjuna einen Pfeilregen auf den Kirata niederprasseln .
Mit ruhigem Gemut fing Shiva den ab.
Als er ihn in kurzester Zeit abgewehrt hatte,
stand er da mit unverletztem Korper wie ein unbeweglicher Berg.
Als Arjuna merkte, dass sein Regen von Pfeilen keine Wirkung zeigte,
wunderte er sich gewaltig und sagte sich 'Nun gut!'".

Die Passage zeigt einige der wichtigsten Stilmittel epischer Dichtung:

  • Stereotype Vergleiche (Pfeilregen, Berg) aus den Bereichen Natur und Krieg.
  • Einfacher Satzbau mit vielen flektierten Verben.
  • Im Original wird das typisch epische Metrum des Shlokas benutzt.

Der Hohepunkt der Kunstdichtung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

In der Periode des Gupta-Reiches liegt die Blutezeit (ca. 350 bis 550) der klassischen Sanskrit-Dichtung. Ein wichtiges Stichwort ist die ' Panegyrik ', eine Dichtform, die Konige preist. Sie verbreitet sich uber Indien, indem die Dichter von Hof zu Hof ziehen, um ihre Dichtung vorzutragen. Das heute sogenannte 'klassische' Sanskrit entwickelt sich in dieser Zeit zur Literatursprache .

Gleichzeitig verfeinern sich die Mittel der Kunstdichtung ( kavya ) immer weiter. Die kunstvolle Ausgestaltung der Form ruckt in den Vordergrund, wahrend fur den Inhalt oft auf bekannte Themen, v. a. aus den Epen zuruckgegriffen wird. Die Bedeutung der Form wird eindrucksvoll durch die Alamkarashastras (alamkara ? 'Schmuck', 'Schmuckmittel'), die Lehrbucher der Dichtkunst, vermittelt. Die Dichtkunst ist nun eine eigene Wissenschaft. Stilmittel der semantischen Ebene sind Metaphern , Wortspiele und kunstvolle Beschreibungen. Als Wortfiguren werden Alliterationen , spater auch Reime und die Verwendung selten gebrauchter Ausdrucke eingesetzt. Infinite Verbformen beginnen, die finiten Verben zu verdrangen, und Komposita werden langer und inhaltlich komplizierter. Einer der wichtigsten Theoretiker der Dichtkunst ist Dandin . Er schreibt gegen Ende des 7. Jahrhunderts den ' Kavyadarsha ', der bis heute als Regelwerk der Poetik gilt.

Ein bedeutender Lyriker zur Zeit des Gupta-Reiches ist Kalidasa . Neben Epen und Dramen verfasst er auch das beruhmte Werk ' Meghaduta ', eine langere Dichtung mit kunstvoll gestalteten Einzelstrophen. Ungefahr zeitgleich zu Kalidasa lebt Amaru . Er ist einer der bekanntesten Vertreter der sogenannten ' muktakas ' (Miniatur-Stanzen). Sie spiegeln den typisch weltzugewandten Charakter der damaligen Zeit wider. Seine beruhmteste Verssammlung nennt sich ' Amarusataka ' und ist ein Werk der Liebeslyrik . Andere bekannte Dichter erscheinen erst spater in der Epoche des Kaisers Harsha (606 ? 647). Zu ihnen gehort der Spruchdichter Bhartrihari , dessen Werke die Liebe, die Politik bzw. Lebensweisheiten und die Entsagung thematisieren.

Wahrscheinlich etwas fruher als Kalidasa lebte Bharavi , dessen Kunstepos Kiratarjuniya bis heute zu den eindrucksvollsten Werken der indischen Dichtung gezahlt wird. Das Werk ist eine kunstvolle Nacherzahlung des Kampfs zwischen Arjuna und Shiva (s. o.). Der folgende Ausschnitt aus dem dritten Kapitel entstammt der Klage einer Frau, der Arjuna nicht zu Hilfe geeilt ist, als sie in aller Offentlichkeit von dem Bosewicht Duhshasana an den Haaren gezogen wurde (eingeklammert sind Erganzungen, die den Text verstandlich machen sollen):

"Unertraglich hast du dich verandert durch den Verlust an Selbstachtung wie ein Elefant durch den Verlust seiner Zahne,
dein strahlender Glanz, unterworfen der Qual durch die Feinde, wirkt wie ein Tagesanbruch, der von Wolken verhangen ist.

(...)

Du, dessen gewaltige Kraft durch meine Haare, die beim Ziehen durch Duhshasana mit Staub uberdeckt wurden, die schutzlos nur noch das Gluck als Helfer hatten,
zunichte gemacht wurde - bist du derselbe Arjuna (den ich fruher als mutigen Krieger kannte)?
Derjenige ist ein Krieger, der die Guten schutzen kann - (wie eine Waffe nur dann) ein Bogen (ist), wenn sie ihren Zweck erfullen kann.
Wenn man die beiden (Titel) fuhrt, ohne sie mit Inhalt zu fullen, beraubt man sie ihrer grammatikalischen Korrektheit."

Selbst in der Ubersetzung ist bemerkbar, dass die Sprache im Vergleich zur epischen Stufe sehr viel komplexer ist, obwohl der Dichter sich in der Gestaltung seines Stoffs recht eng an die Vorlage aus dem schlichteren Mahabharata halt. Bharavi wird als erster Dichter angesehen, der in seinen Werken konsequent die Regeln des alamkarashastras anwendet. Die Neigung zu sprachlicher Genauigkeit und die Beschaftigung mit grammatikalischen Phanomenen des Sanskrits machen sich z. B. in der letzten Zeile bemerkbar, die fur den westlichen Leser weit hergeholt erscheint, sich aber gut aus dem wissenschaftlichen Geist der klassischen indischen Dichtung herleiten lasst.

Die Bhakti-Dichtung des zwolften Jahrhunderts [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im 12. Jahrhundert entwickelte sich der Wirkungsbereich der Bhakti -Bewegung zu einem Nahrboden und einer Inspirationsquelle fur alle Kunste. Bhakti, die liebevolle Hingabe an Gott, war der Weg zur Erlosung. Die strengen Prinzipien des Veda und des Yoga wurden zwar weiterhin akzeptiert, jedoch nicht als der einzige Weg angesehen. Stattdessen war die hingabevolle Verehrung der Herzensgottheit der direkte Weg zur Einheit mit Gott. Diesem wurden die Eigenschaften 'wahr' (satyam), 'gutig' (shivam) und 'schon' (sundaram) zugeschrieben. Die Asthetisierung des Gottesbegriffes und die Zuschreibung von leicht erfassbaren Eigenschaften machten die Religion starker zum Teil des volkstumlichen Alltagslebens, Gottesverehrung setzte nun auch Menschen in ihrer eigenen Personlichkeit in einen direkten Bezug zu Gott. Zum einen also wurde Gott alltaglicher, zum anderen wurde das Alltagsleben gottesnaher, der Verehrer Gottes sah sich Bestandteil eines mythischen Theaters.

Die Einbeziehung einer asthetischen Dimension machte religiose Themen auch zum Gegenstand der Kunste, somit auch der Dichtung. Als typischer Vertreter der neuen Bhaktidichtung sei hier Jayadeva genannt, der im 12. Jahrhundert als Hofdichter in Bengalen tatig war. Er verfasste das Gitagovinda , in dem von den amurosen Abenteuern Krishnas (Govinda) und der Beziehung zu seiner Geliebten Radha erzahlt wird. Das Gitagovinda setzt sich rein formal aus zwolf Gesangen zusammen, ist jedoch daruber hinaus eine Ansammlung bereits popularer Inhalte und Formen: erotische und religios mystische Elemente (bekannt aus den Tantras ), Einflusse volkstumlicher Traditionen, faszinierende Sprachrhythmik, zahlreiche Reime und Lautmalerei. Nicht zuletzt auch durch den in der Regel musikalischen Vortrag ubte das Werk einen starken Einfluss auch auf diejenigen aus, die des Sanskrit nicht machtig waren. Dies ist bis heute der Fall. Der Handlungskern des Gitagovinda, das Auf-und-Ab der Beziehung zwischen Radha und Krishna, ist immer noch ein beliebtes Motiv in moderner Dichtung, Theater, Musik und Filmschaffen. Ebenso fand das Gitagovinda alsbald einige Nachahmer. Doch auch uber die Grenzen Indiens hinaus wirkte das Gitagovinda nachhaltig. So zeigten sich in Europa u. a. William Jones und Goethe von dem Werk beeindruckt.

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]