Sebastien Erard
(*
5. April
1752
in
Straßburg
; †
5. August
1831
in La Muette bei
Passy
, heute
16. Arrondissement
) war ein
franzosischer
Instrumentenbauer deutschsprachig-elsassischer Herkunft mit dem Taufnamen Sebastian Ehrhardt.
Das von Sebastien Erard in Paris gegrundete Unternehmen wurde, vom Zeitpunkt seines Todes an unter der Leitung seines Neffen Pierre Erard, uber mehrere Jahrzehnte der Mitte des 19. Jahrhunderts zum weltweit fuhrenden
Klavierbauunternehmen
.
Sebastien Erard war ein Zeitgenosse des Komponisten
Francois-Adrien Boieldieu
und hatte seine Werkstatt in
Paris
, zunachst im Untergeschoss der Villa einer reichen Aristokratin, die ihn forderte. Sie verhalf auch Erard, der keine klassische
Harfenbauer
-Ausbildung vorweisen konnte, zu einer Spezialerlaubnis des franzosischen Konigshauses, abseits der Einwande der Harfenbauer-Zunft den Harfenbau fortzusetzen, die ihm seine erfolgreiche Geschaftstatigkeit untersagen lassen wollte.
1811 brachte er die Harfe mit
Doppelpedalmechanik
auf den Markt, durch die die Harfe wieder jene Stellung erlangte, die sie wahrend voriger Jahrhunderte in der Gunst des Publikums hatte. Die neuen Moglichkeiten der Harfe von Erard wurden bald von vielen Komponisten, u. a. von
Hector Berlioz
, genutzt.
Das Unternehmen Erard wuchs; sein alterer Bruder Jean-Baptiste Erard (1750?1826) unterstutzte Sebastien Erard in der Firmenleitung. Zu Zeiten der franzosischen Revolution ging Sebastien nach London und eroffnete dort eine weitere Fabrik fur Harfen und Klaviere, die unter der Leitung seines talentierten Neffen weiter bestehen blieb, nachdem die Wirren der Revolution in Frankreich abklangen und Sebastien wieder nach Paris zuruckging. Spater fand sich nur bei Steinway mit der Auswanderung nach New York und der Ruckkehr nach Deutschland und der Hamburger Fabrik Vergleichbares.
Sebastien Erard wurde sehr wohlhabend und konnte sich am Bois de Boulogne bei Paris ein Schloss kaufen. Dort starb er 1831. Die Leitung seines Unternehmens fiel an seinen Neffen Pierre Erard, Sohn seines alteren Bruders.
Von Erard stammt auch die Entwicklung des
Double Echappements
am
Hammerklavier
1821
[1]
, was eine wesentliche Leistungssteigerung dieses Instrumentes bedeutete. Die Erfindung wurde nur noch in Details von
Henri Herz
verbessert. Ihre Ausfuhrung bildet bis heute die Basis der gegenuber dem Hochklavier wesentlich besseren, viel schneller moglichen Anschlagswiederholung eines Flugels. Diese sogenannte ?doppelte Repetition“ oder ?doppelte Auslosung“ nach Patent Erard mit dem wesentlichen Element des Repetierschenkels, der den ruckprallenden Hammer fangt und noch vor komplettem Ruckhub der Taste ein erneutes Anschlagen gestattet, gehort zu den wichtigsten Erfindungen der Klavierbaugeschichte.
Erard schenkte
Beethoven
1803 einen Flugel seiner Produktion. Dieser uberließ das Instrument 1824/1825 seinem Bruder Nikolaus Johann, durch den es 1845 in den Besitz des
Oberosterreichischen Landesmuseums
in Linz gelangte. Ein baugleiches Instrument befindet sich in der
Eric Feller Early Keyboard Instruments Collection
.
[2]
Beethovens Flugel besitzt die Seriennummer 133. Das Instrument aus der Sammlung des Pianisten Eric Feller besitzt die Seriennummer 107 und stammt aus dem Besitz von Anne Angelique de Mackau, Comtesse de Saint-Alphonse, einer Hofdame von Kaiser
Napoleon
.
[3]
Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, zu den Zeiten des jungen
Franz Liszt
als tourender Virtuose am Flugel, stieg Erard zum weltweit fuhrenden Klavierbauer auf und uberholte den bis dahin fuhrenden englischen Klavierbauer
John Broadwood & Sons
. Die schnelle Repetition kam den neuen hoch virtuosen Pianisten der Kategorie Thalberg und Liszt entgegen.
Neben dem oben erwahnten Flugel in Linz befinden sich als Dauerleihgabe ein weiterer
Flugel
und eine
Doppelpedalharfe
aus der Erardschen Produktion im Hamburger
Museum fur Kunst und Gewerbe
.
Auch nach dem Aufstieg des US-Unternehmens
Steinway & Sons
, in Europa nach der Pariser Weltausstellung 1867, behielt Erard das schon in den 1830er Jahren gefundene Bauprinzip der Konzertflugel mit Anhangplatte, stahlernen Stutzstreben und gerader Besaitung sowie komplex belegter Hammer mit bis zu neun Lagen Leder, Filz und Stoff bei.
Europaische Virtuosen brachten bis in die 1860er und 1870er Jahre auf US-Tourneen ihre eigenen Instrumente per Schiff mit, im Verdacht, dass es in den USA keine guten Konzertflugel gebe. Dies solange, bis die von
William Steinway
organisierte Tournee von
Anton Rubinstein
fur Steinway im Jahre 1872 diesen Verdacht beendete. Zuvor waren Konzertflugel von Erard die ?klassischen Mitbringsel“ der Pianisten auf dem Schiff in die USA, sie wurden dann oftmals wahrend oder zum Ende der Tournee in den USA hoch profitabel verkauft.
Louis Moreau Gottschalk
, amerikanischer Pianist, tourte erst zu seiner Ausbildung nach Europa und dann ? mit mehreren Erard-Konzertflugeln im Gepack ? als Virtuose durch die USA.
Flugel dieser Art gaben dem US-Klaviertechniker und Technik-Historiker Bill Shull in Loma Linda bei
Los Angeles
klare Indizien, dass das Erard-System der Streben und des Flugelinneren den Mannern von Steinway eine wichtige Vorlage geliefert hatte fur deren Flugelbau ab 1856. Vater
Henry Steinway
hatte sich am weltweit fuhrenden Flugel, eben dem von Erard, orientiert, und zudem erkannt, dass das Erard-System sich leicht auf andere Großen anpassen und skalieren ließ. Das System Erard, im Konzertflugel funf Saitenfelder zwischen den Streben zu haben und die Dampfer von oben zu setzen, ist identisch mit Steinway. Pleyel hatte zunachst sechs Saitenfelder und Mopstick-Dampfer unter den Saiten.
[4]
Steinway, insbesondere der hochbegabte Sohn Henry Jr., entwickelte jedoch die Steinway-Flugel aus diesem Anbeginn heraus schnell noch entscheidend weiter, schon 1858/1859 entstand der weltweit erste bassuberkreuzte Flugel mit einteiliger Gussplatte der Bauart Steinway ? der Lehrling Steinway hatte seinen Lehrmeister Erard uberholt.
[5]
Auch das Auftauchen der ab den 1880er Jahren sehr erfolgreichen deutschen Klavierbauer, die auch Frankreich mit ihren Produkten geradezu uberschwemmten, anderte nichts an der Meinung der Verantwortlichen bei Erard, ihre Klaviere seien die besten uberhaupt und benotigten keine Anpassung an die moderneren Zeiten. Eisen im Klavier war ihnen abseits der Saiten suspekt und wurde auf das minimal Notwendige beschrankt. Eine exklusive großburgerliche Klientel in Frankreich hielt den Erards die Treue. Erst in den 1920er Jahren wurden die letzten gerade besaiteten Erard-Flugel gebaut. Ab ca. 1875 hatte sich bereits der kleinere Konkurrent Pleyel, ehedem Lieferant von Chopin, im Flugelbau dem ?amerikanischen“ System mit Bassuberkreuzung und einteiliger Gussplatte zugewandt.
[6]
Das Unternehmen Erard wurde so zum ?letzten Mohikaner“ des Baus gerade besaiteter Flugel. Erst in allerjungster Zeit (2013) wird, von
Stephen Paulello
in Burgund, wieder an modernen Flugeln mit gerader Besaitung (d. h. ohne Bassuberkreuzung, nun jedoch mit einteiliger Platte) in franzosischer Manufaktur teils nach Prinzipien von Erard gebaut.
Erard war in den 1960er Jahren mit Boisselot, Gaveau und Pleyel fusioniert, in den 1980er Jahren an
Schimmel
nach Braunschweig verkauft worden, in den 90er Jahren wieder von wohlhabenden Franzosen herausgekauft worden, hatte eine neue Fertigung am Nordrand der Pyrenaen eroffnet, war einige Jahre spater wieder in kleine Teile der alten Klavierbau-Hallen im Pariser Norden zuruckgekehrt. Zum Jahresende 2013 wurden jedoch alle Fertigungsaktivitaten beendet, um einem erneuten Konkurs vorzubeugen. Es werden noch die bereits gefertigten Flugel abverkauft, aber nun endet eine mehr als 200-jahrige Klavierbautradition.
- ↑
David Crombie:
Piano. Evolution, Design and Performance
. London 1995,
ISBN 1-871547-99-7
, S. 34.
- ↑
Eric Feller Early Keyboard Instruments Collection
- ↑
Erard Freres 1802 aus dem Besitz von Anne Angelique de Mackau, Comtesse de Saint-Alphonse.
In:
Eric Feller Early Keyboard Instruments Collection.
Abgerufen am 25. Dezember 2022
.
- ↑
Beide Bauarten stehen z. B. nebeneinander im Germanischen Nationalmuseum Nurnberg.
- ↑
http://www.shullpiano.com/html/the_collection.html
Website des Period Piano Centers, Ltg. Bill Shull, abgerufen am 8. Januar 2013.
- ↑
Archivierte Kopie
(
Memento
des
Originals
vom 20. Dezember 2016 im
Internet Archive
)
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@1
@2
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Website zur Geschichte bedeutender frz. Klavierbauer, abgerufen am 7. Januar 2014.