Dieser Artikel behandelt die physikalische Kraft bei Rollvorgangen; die Rollwiderstands-Effizienzklassen von Autoreifen, die auf dem Reifenlabel vorkommen, werden im Artikel
Reifenlabel
erklart.
Der
Rollwiderstand
(auch:
Rollreibung
oder
rollende Reibung
) ist die Kraft, die beim Ab
rollen
eines
Rades
oder
Walzkorpers
entsteht und der
Bewegung
entgegengerichtet ist. Da der Rollwiderstand ungefahr proportional zur
Normalkraft
ist, wird als
Kennwert
der
Rollwiderstandskoeffizient
(auch:
Rollwiderstandsbeiwert.
Rollreibungsbeiwert
usw.) wie folgt gebildet:
- Der
Rollwiderstand entspricht dem Rollwiderstandskoeffizient multipliziert mit der
Normalkraft
Bei vergleichbaren Rahmenbedingungen ist die Rollreibung erheblich kleiner als die
Gleitreibung
. Bei vielen Anwendungen verursachen daher
Walzlager
wie
Kugellager
geringere Verluste als
Gleitlager
. Bei hoheren Geschwindigkeiten und Belastungen sind Gleitlager in der Regel nur konkurrenzfahig, wenn durch konstante Zufuhr eines Schmiermittels ein direkter Kontakt von Feststoffen durch einen dazwischen befindlichen Flussigkeitsfilm verhindert werden kann.
Der Rollwiderstandskoeffizient
hangt neben der Materialpaarung auch von der Geometrie des Rollkorpers ab, insbesondere von seinem Radius.
Die Bremswirkung entsteht durch die unelastische Verformung des Reifens in der
Reifenaufstandsflache
und ist umso kleiner, je kleiner die Dampfung des Materials und je kleiner die Einsenkung bzw. Verformung des Reifens ist.
[1]
Neben dem Rollwiderstand konnen Schwallwiderstand, der durch das Verdrangen von z. B. Wasser entsteht, Lagerreibung sowie der Vorspurwiderstand berucksichtigt werden. Letzterer entsteht, wenn das Rad nicht parallel zur Bewegungsrichtung lauft.
[1]
Die Kraft, die uberwunden werden muss, um einen runden Korper aus dem Stillstand in rotierende Bewegung zu versetzen, wird als
Anfahrwiderstand
bezeichnet.
Bei Fahrzeugen ist der Rollwiderstand gemeinsam mit dem
Losbrechwiderstand
ein Teil des
Fahrwiderstands
.
Abbildung 1:
Asymmetrische Kontaktkraft
Abbildung 2:
Krafte wahrend des Rollens
Beim Abrollen werden sowohl der rollende Korper (
Walzkorper
) als auch die Unterlage (die
Fahrbahn
bzw. Walzkorperbahn)
verformt
und zwar nahe dem Beruhrungspunkt bzw. der Beruhrungslinie. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um eine elastische Verformung, es kommen jedoch Vorgange hinzu, die einen Energieverlust verursachen. Insbesondere handelt es sich dabei um
Walkarbeit
im Reifengummi.
Insbesondere, wenn in das rollende Objekt Antriebs-, Verzogerungs- oder Fuhrungskrafte eingeleitet werden, konnen auch Gleitreibungsanteile beim Abrollen auftreten. Bei Reifen also verstarkt bei Kurvenfahrt, beim Beschleunigen und Bremsen.
Auf nachgiebigem Untergrund spielt die Verdrangungsarbeit eine herausragende Rolle, die auf plastischer Verformung und innerer Reibung des Bodenmaterials beruht. So etwa beim Fahren auf feuchtem Erdboden, Schnee, Sand oder Splitt. Ahnliche Vorgange konnen auch im Schotter des
Gleisbettes
auftreten.
- Stahlrad
lauft auf
Schiene
bei der Eisenbahn.
In nebenstehendem Bild wird durch das Rad die Schienenoberflache elastisch verformt, bei Bewegung wird das Schienenmaterial in Fahrtrichtung gestaucht. Dabei turmt sich vor dem Rad ein Berg auf. Da sich das Schienenmaterial nur geringformig bewegt, wird fortlaufend der Berg durch das Rad gewalzt und ebnet sich hinter dem Rad wieder ein. Beim Durchrutschen wird infolge des großen
Flachendrucks
das Material stark gepresst. Je haufiger eine Schiene befahren wird, desto eher konnen infolge der Pressung und Entspannung Teile der Oberflache ausbrechen, was durch matte oder raue Oberflachen erkennbar wird. Ein Nebeneffekt ist die in einem nachgiebigen Schotterbett liegende Schienen-Schwellen Kombination, die dampfend wirkt. Da sich das Rad wahrend der Fahrt in dem ?Tal“ der Eindruckstelle befindet, muss dieses auch bei horizontaler Strecke standig neu gebildet werden. Es wandert wahrend der Fahrt mit, was einen entsprechenden Energieverlust bedeutet. Der Effekt ist jedoch kleiner als der oben genannte. Hinzu kommt Reibung bei Kurvenfahrt aufgrund der starren Achsen.
- Reifen
auf nachgiebigem Untergrund
Wenn ein gummibereiftes Fahrzeug auf
weichem
Untergrund, wie lockerem Sand, fahrt, wird das Fahren umso beschwerlicher, je schmaler die Reifen sind. Schmale Reifen sinken in weichem Untergrund ein. Der Reifen muss das Material verdrangen und zusatzlich die Reibung an den Reifenflanken uberwinden. Gelandegangige Fahrzeuge wie
Mountainbikes
besitzen daher breite Reifen. Reifen mit kleinem Durchmesser schieben eher einen Keil des Materials vor sich her, wahrend Reifen mit großerem Durchmesser das aufgeworfene Material seitlich verdrangen bzw. zerteilen.
- Gummireifen auf festem
Fahrbahnbelag
Auf hartem Belag ist die Verformung des Gummireifens deutlich großer als die des Untergrunds. Eine feste Gummimischung sowie ein hoher Luftdruck des Reifens mindern
Walkarbeit
, Rollwiderstand und Beruhrungsflache. Fahrrader fur ausschließlich befestigte Untergrunde werden mit schmalen Reifen und hohem Reifeninnendruck gefahren. Der hohe Druck sowie die geringe Wandstarke und Profilierung von schmalen
Rennrad
-Reifen haben jedoch einen großeren Einfluss auf den Rollwiderstand als die Reifenbreite und -große an sich. Reifenbreite und -große beeinflussen zwar indirekt uber Gewicht, Luftwiderstand und Abrollverhalten bei Unebenheiten den
Fahrwiderstand
, den Rollwiderstand selber hingegen nur in geringem Maße.
- Medizinballe
Das Rollen eines schweren und nachgiebigen
Medizinballs
erfordert eine großere Anstrengung, da die weiche Fullung des Balles sich beim Rollen bestandig
plastisch
verformt.
Durch die Verformung beim Abrollen verschiebt sich die Kontaktkraft zwischen Korper und Unterlage wie in Abbildung 1 dargestellt nach vorn. In Abbildung 2 wurden die flachig wirkenden Kontaktkrafte durch die statisch aquivalente Normalkraft
ersetzt, die um die Strecke
gegenuber dem Aufstandspunkt verschoben ist, sowie durch die Reibungskraft
, die entgegen der Bewegungsrichtung wirkt.
Aus den Gleichgewichtsbedingungen ergibt sich fur Rader bzw. Rollen mit Radius
bei konstanter Geschwindigkeit
![{\displaystyle F_{\mathrm {R} }={\frac {d}{R}}\cdot F_{\mathrm {N} }}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/bbe5b00c33e6b07ab862e363060d151342bb4abc)
Der Quotient
ist der
Rollwiderstandskoeffizient
(veraltet auch:
Rollwiderstandsbeiwert
oder
Rollreibungsbeiwert
):
![{\displaystyle c_{\mathrm {R} }={\frac {d}{R}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/66971c3a826eb28dd907882b67e7ffc3dcb34c2e)
Damit bekommt der Ausdruck fur die Rollreibung
die Form
![{\displaystyle F_{\mathrm {R} }=c_{\mathrm {R} }\cdot F_{\mathrm {N} }}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/109e9b0819e1e54c3471d7f8ebf8d1b8f847d7ea)
mit
als
Radius
des Rades und
als
Normalkraft
.
[2]
[1]
Wenn man den Rollwiderstand als Drehmoment versteht, ist
der ?Hebelarm“, an dem die Normalkraft angreift.
Der Rollwiderstandskoeffizient ist eine
dimensionslose
(einheitenfreie) Zahl, die von
Materialeigenschaften
und Geometrie des abrollenden Korpers abhangt (bei Reifen insbesondere auch vom Luftdruck). Typische Zahlenwerte des Rollwiderstandskoeffizienten liegen um ein bis uber zwei
Großenordnungen
unter denen der niedrigsten
Gleitreibungskoeffizienten
.
c
R
|
Walzkorper/Walzkorperbahn
|
0,0005?0,001
|
Kugellager
, Kugel und Lager aus
gehartetem Stahl
4
|
0,001?0,002
|
Eisenbahnrad
auf Schiene
1
|
0,0018?0,0032
|
Fahrradreifen
(25 mm breit, 7 bar,
Rennrad
) auf glattem
Asphalt
5
|
0,0026?0,0046
|
Fahrradreifen (25 mm breit, 7 bar, Rennrad) auf rauem Asphalt
5
|
0,0031?0,0058
|
Fahrradreifen (40 mm breit, 4 bar,
Gravelbike
) auf (rauem?) Asphalt
6
|
0,0048?0,0080
|
Fahrradreifen (40 mm breit, 2 bar, Gravelbike) auf Schotter
6
|
0,015?0,02
|
Motorradreifen
auf Asphalt
|
0,006?0,010
|
Autoreifen
auf Asphalt, Lkw
|
0,011?0,015
|
Autoreifen auf Asphalt, Pkw
|
0,01?0,02
|
Autoreifen auf
Beton
2
|
0,02
|
Autoreifen auf
Schotter
|
0,015?0,03
|
Autoreifen auf
Kopfsteinpflaster
2
|
0,03?0,06
|
Autoreifen auf
Schlaglochstrecke
2
|
0,045
|
Gleiskette
(
Kettenlaufwerk
, Panzer
Leopard 2
) auf fester Fahrbahn
|
0,050
|
Autoreifen auf Erd
weg
|
0,04?0,08
|
Autoreifen auf festgefahrenem
Sand
2
|
0,035?0,08
|
Gurtband
(Raupenfahrwerk, Caterpillar Challenger und John Deere 8000T) auf Asphalt
|
0,2?0,4
|
Autoreifen auf losem Sand
2
,
3
|
1
Gustav Niemann
gibt fur Eisenbahnrader folgende
(aus Versuchen ermittelte) Formel
an:
![{\displaystyle d=0{,}013\cdot {\sqrt {D}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/90c4a86144e99ca042e0dbef67ee83ef88f9e7a9)
;
d
und
D
in mm. Bei 800 mm Raddurchmesser ergibt sich ca. 0,4 mm, was einem Koeffizienten von 0,001 entspricht.
2
Quelle: Schmidt, Schlender 2003
3
Wer schon einmal versucht hat, am Strand Fahrrad zu fahren, kann diese hohen Zahlenwerte aus eigener Anschauung bestatigen
5
Quelle:
12 Rennradreifen im Test 2019
,
Tour
.
Bei 35 km/ h und 85 kg Systemgewicht lagen die Werte auf glattem Asphalt zwischen 14,4 und 25,7 W und auf rauem Asphalt zwischen 20,8 und 37,2 W, was zu den genannten Beiwerten fuhrt.
6
Quelle:
12 Tubelessreifen im Test 2022
, Tour.
Bei 30 km/ h und 90 kg Systemgewicht lagen die Werte auf Asphalt zwischen 22,8 und 42,7 W und auf Schotter zwischen 35,0 und 59,0 W, was zu den genannten Beiwerten fuhrt.
Die oben beschriebene Beziehung
![{\displaystyle F_{\mathrm {R} }={\frac {d}{R}}\cdot F_{\mathrm {N} }=c_{\mathrm {R} }\cdot F_{\mathrm {N} }}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/8b59b1632054f9087ea302018cd796b5f9064fb0)
ist ein vereinfachtes Modell, welches fur die meisten Berechnungen in der Technik ausreichend ist. Die Abhangigkeit der Rollreibung von weiteren Großen wie Kontaktkraft, Geschwindigkeit etc. wird hierbei nicht berucksichtigt (siehe auch
Losbrechwiderstand
).
Messungen bei Fahrradreifen zeigen etwa eine Verdoppelung von
von quasistatischen Geschwindigkeiten bis zu 80 km/h.
[3]
Ferner betrachtet das beschriebene Modell nicht den moglichen Einfluss eines dritten Stoffes, der an der Grenzschicht zwischen Walzkorper und Walzkorperbahn vorhanden sein kann (Flussigkeit oder Schmierstoff). Beispiele sind Schmierfett auf der Schiene oder Wasser auf der Straße. In einem solchen Fall wird von Mischreibung gesprochen.
Extreme Werte fur Geschwindigkeiten und Temperaturen sowie eventuell chemische Einflusse an den Kontaktstellen konnen mit diesem Modell nicht erfasst werden.
- Valentin L. Popov:
Kontaktmechanik und Reibung. Ein Lehr- und Anwendungsbuch von der Nanotribologie bis zur numerischen Simulation.
Springer-Verlag, 2009,
ISBN 978-3-540-88836-9
.
- ↑
a
b
c
Manfred Mitschke, Henning Wallentowitz:
Dynamik der Kraftfahrzeuge
. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2014,
ISBN 978-3-658-05067-2
,
S.
11
ff. Abschnitt 2.1.1
,
doi
:
10.1007/978-3-658-05068-9
(
springer.com
[abgerufen am 3. Februar 2024]).
- ↑
Christian Gerthsen
,
Hans Otto Kneser
,
Helmut Vogel
:
Physik
. 16. Auflage. Springer, 1989,
ISBN 3-540-51196-2
,
S.
40
f. Abschnitt 1.6.4
.
- ↑
Measured data plots of CR as a function of speed. Data by Leonardi Datza and Charles Henry. Chapter 6 - Rolling Resistance.
http://hupi.org/HPeJ/0030/0030.html