Portrat (1870)
Julius Wilhelm Richard Dedekind
(*
6. Oktober
1831
in
Braunschweig
; †
12. Februar
1916
ebenda) war ein
deutscher
Mathematiker
.
Der Sohn des Braunschweiger Juristen und Hochschullehrers
Julius Dedekind
besuchte das
Martino-Katharineum Braunschweig
und studierte ab 1848
Mathematik
am dortigen
Collegium Carolinum
. Das Studium setzte er ab 1850 in
Gottingen
fort, wo er 1852 bei
Carl Friedrich Gauß
als dessen letzter Schuler uber die Theorie
Eulerscher Integrale
nach nur vier Semestern promoviert wurde. Mathematik horte er aber vor allem bei
Moritz Abraham Stern
und Georg Ulrich am gerade neu von Stern eingerichteten mathematisch-physikalischen Seminar und Physik bei
Wilhelm Weber
und
Johann Benedict Listing
. Bei Gauß horte er im Wintersemester 1850/51 uber die
Methode der kleinsten Quadrate
, die Dedekind als eine der schonsten Vorlesungen in Erinnerung behielt, die er je horte, und im folgenden Semester uber hohere Geodasie.
[1]
Seit 1850 gehorte Dedekind der
Burschenschaft Brunsviga
an
[2]
und bekleidete dort im Sommersemester 1852 das Amt des Schriftfuhrers und Kassenwartes. 1854
habilitierte
er sich ebenfalls in Gottingen, kurz nach
Bernhard Riemann
, mit dem er befreundet war.
Nach dem Tode von Gauß wurde 1855
Peter Gustav Dirichlet
dessen Nachfolger und freundete sich mit Dedekind an. Dedekind wurde 1858
Ordinarius
am
Polytechnikum Zurich
und war von 1862 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1894 Professor fur Mathematik in Braunschweig an der dortigen Technischen Hochschule. 1872 bis 1875 war er deren Direktor. Er erhielt zwar mehrere Rufe an angesehene Universitaten, zog es aber vor, in seiner Heimatstadt Braunschweig zu bleiben. Ein Hauptgrund war die enge Verbundenheit mit seiner Familie (er hatte einen Bruder und eine Schwester, war aber nie verheiratet). Auch nach seiner Emeritierung 1894 hielt er noch gelegentlich Vorlesungen. 1859 besuchte er mit Riemann Berlin, wo er auch
Leopold Kronecker
,
Ernst Eduard Kummer
und
Karl Weierstraß
traf. 1878 besuchte er Paris anlasslich der Weltausstellung.
Dedekind war seit 1862 korrespondierendes Mitglied der Gottinger Akademie der Wissenschaften, ab 1880 korrespondierendes Mitglied der
Berliner Akademie der Wissenschaften
, ab 1900 korrespondierendes Mitglied und ab 1910 auswartiges Mitglied der
Academie des sciences
in Paris. Er war Mitglied der
Leopoldina
und der
Akademie in Rom
. Er war Ehrendoktor in Oslo, Zurich und Braunschweig.
Dedekind starb am 12. Februar 1916 und wurde auf dem
Braunschweiger Hauptfriedhof
beigesetzt. Sein Nachlass wird vom
Zentralarchiv deutscher Mathematiker-Nachlasse
an der
Niedersachsischen Staats- und Universitatsbibliothek Gottingen
aufbewahrt.
Dedekind spielte sehr gut Cello und Klavier und komponierte eine Kammeroper, zu der sein Bruder das Libretto schrieb.
[3]
Richard Dedekind gab 1888 in der Schrift
Was sind und was sollen die Zahlen?
die erste exakte Einfuhrung der naturlichen Zahlen durch Axiome.
[4]
In seiner Schrift
Stetigkeit und Irrationalzahlen
von 1872 gab er die erste exakte Definition der reellen Zahlen mit Hilfe der
Dedekindschen Schnitte
. Im Anhang der
Zahlentheorie
seines Lehrers Dirichlet stellte er seinen Aufbau der
Idealtheorie
dar, die damals in Konkurrenz zu der von
Leopold Kronecker
stand. Das war das beruhmte Supplement X in der Auflage von Dirichlets Zahlentheorie von 1871, spater Supplement XI genannt.
Nach ihm benannt sind die
Dedekindringe
und ferner die
dedekindsche η-Funktion
in der Theorie der
Modulformen
, die
dedekindsche ζ-Funktion
eines
algebraischen Zahlkorpers
, der
Dedekindsche Komplementarmodul
,
Dedekind-Zahl
,
Dedekindsche Summen
sowie die Begriffe ?
Dedekind-unendlich
“ und ?Dedekind-endlich“. Mehrere mathematische Satze tragen den Namen
Satz von Dedekind
.
Grab auf dem
Braunschweiger Hauptfriedhof
Dedekind spielte eine wesentliche Rolle bei der Herausarbeitung der abstrakten Algebra. Der algebraische Begriff
Ring
wurde von Dedekind eingefuhrt, ebenso wie
Einheit
[3]
und der Korperbegriff.
[5]
Dedekind war daruber hinaus ein Pionier der
Gruppentheorie
: In seinen Vorlesungen 1855/56 gab er die erste moderne Darstellung der
Galoistheorie
(die neben Transformationsgruppen in der Geometrie und neben der Zahlentheorie als dritte Wurzel fur die Herausbildung des
Gruppenbegriffs
im 19. Jahrhundert wichtig war) mit Einfuhrung des abstrakten Gruppenbegriffs als Automorphismengruppe von Korpererweiterungen.
[6]
1897 fuhrte er unabhangig von
George Abram Miller
Kommutatoren und Kommutatorgruppen ein. Der Begriff des
Verbandes
geht ebenfalls auf Dedekind (11. Supplement von Dirichlets Zahlentheorie 1894) und
Ernst Schroder
Ende des 19. Jahrhunderts zuruck, blieb aber zunachst unbeachtet.
Er stand mit
Georg Cantor
in den 1870er Jahren in Briefwechsel, der fur die fruhe Geschichte der Cantorschen
Mengenlehre
von Bedeutung ist.
[7]
Beispielsweise entwickelte Cantor im Rahmen dieses Briefwechsels seinen Beweis der Uberabzahlbarkeit der reellen Zahlen (Brief vom 7. Dezember 1873). Beide hatten sich zufallig 1872 in der Schweiz kennengelernt. Ihre Freundschaft endete aber, nachdem sich Dedekind geweigert hatte, zu Cantor an die Universitat Halle zu wechseln. Dedekind hatte schon in den 1860er Jahren in seinen algebraischen Arbeiten mit Mengen
gerechnet
, ohne dies explizit zu erwahnen, und verwendete Mengenlehre bei der Entwicklung seines Konzepts des Dedekind-Schnitts (herausgearbeitet schon 1858 in Vorlesungen uber Analysis in Zurich).
[3]
Er ist auf einer DDR-Briefmarke von 1981 abgebildet, die in der Darstellung an seinen Satz von der eindeutigen Zerlegbarkeit der
Ideale
in
Primideale
im Ring der
ganzen Zahlen
eines algebraischen Zahlkorpers erinnert.
Er gab sowohl die nachgelassenen Schriften seines Lehrers Dirichlet als auch die seines Freundes Bernhard Riemann heraus, fur dessen
Gesammelte Werke
er auch eine Biographie schrieb. Auch an der Herausgabe der Werke von Carl Friedrich Gauß war er beteiligt.
In seiner Schrift
Was sind und was sollen die Zahlen?
schrieb er 1888:
?Was beweisbar ist, soll in der Wissenschaft nicht ohne Beweis geglaubt werden.“
?Die Zahlen sind freie Schopfungen des menschlichen Geistes, sie dienen als Mittel, um die Verschiedenheit der Dinge leichter und scharfer aufzufassen. Durch den rein logischen Aufbau der Zahlenwissenschaft und durch das in ihr gewonnene stetige Zahlenreich sind wir erst in den Stand gesetzt, unsere Vorstellungen von Raum und Zeit genau zu untersuchen, indem wir dieselben auf dieses in unserem Geiste geschaffene Zahlenreich beziehen.“
- Stetigkeit und irrationale Zahlen
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(
online
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- Gesammelte mathematische Werke.
(Hrsg. von
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,
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,
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, Braunschweig, Vieweg 1964 (Geleitwort
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), das 11. Supplement von Dedekind zu Dirichlets Zahlentheorie, auch in
Gesammelte Werke, Band 3
, englische Ausgabe
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, Cambridge University Press 1996 (Ubersetzer und Herausgeber
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- ↑
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- ↑
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- ↑
a
b
c
Biermann, Artikel Dedekind in:
Dictionary of Scientific Biography.
- ↑
Dedekinds Axiome sind gleichwertig zu den
Peano-Axiomen
, die von Dedekind abweichen und unabhangig von ihm entstanden sind. Dazu: Hubert Kennedy:
The origins of modern Axiomatics
, in: American Mathematical monthly, 79 (1972), 133?136.
- ↑
Hans Wußing
:
6000 Jahre Mathematik.
Springer Verlag, Band 2, S. 226. Er verweist auf Purkert
Zur Genesis des abstrakten Korperbegriffs.
NTM Schriftenreihe 1971.
- ↑
Hans Wußing:
6000 Jahre Mathematik.
Springer Verlag, Band 2, S. 207.
- ↑
Dauben:
Cantor.
Princeton University Press 1979, S. 2.