Relativitat der Gleichzeitigkeit

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Die Relativitat der Gleichzeitigkeit ist eine Aussage der speziellen Relativitatstheorie . Sie besagt, dass es auf die Frage, ob zwei Ereignisse an verschiedenen Orten gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden, keine fur alle Beobachter gleichermaßen gultige Antwort gibt.

Erlauterung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gleichzeitigkeit ist ein grundlegender Begriff in der Physik. Alle Aussagen uber Zeitablaufe beruhen auf Zeitvergleichen und somit auf dem Begriff Gleichzeitigkeit. Ein Beobachter kann jederzeit problemlos erkennen, ob in seiner unmittelbaren Umgebung zwei Ereignisse gleichzeitig stattfinden oder nicht. Bei weiter entfernten Ereignissen ist dies nicht ohne weiteres der Fall.

Im Rahmen der newtonschen Physik scheint es moglich, ein einheitliches Zeitsystem zu definieren, das fur das gesamte Universum gilt. Damit ist gemeint, dass zwei Beobachter zwar unter Umstanden verschiedene Zeitpunkte fur bestimmte Ereignisse messen, dass sich aber diese Zeitpunkte eindeutig einander zuordnen lassen, so dass klar ist, welche Ereignisse gleichzeitig stattfinden und welche nicht, unabhangig davon, wo sich diese Beobachter befinden und in welcher Weise sie sich bewegen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer ?absoluten“ Zeit. Gabe es eine absolute Zeit, so waren sich auch alle Beobachter uber die Reihenfolge von Ereignissen einig. Insbesondere hatten sie dieselbe Vorstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erst in der speziellen Relativitatstheorie wird die Existenz einer universell gultigen Zeit ? und somit eines universellen Verstandnisses von Gleichzeitigkeit ? widerlegt.

Gegeneinander bewegte Beobachter sind sich uneins, ob zwei Ereignisse gleichzeitig sind oder nicht.

Ausgangspunkt fur die spezielle Relativitatstheorie ist die durch zahlreiche Beobachtungen bestatigte Tatsache, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit in jedem Inertialsystem und unter allen Umstanden stets denselben Wert liefert. Man spricht von der ?Invarianz der Lichtgeschwindigkeit“. Unter dieser Voraussetzung machen wir folgendes Gedankenexperiment : Ein Zug fahrt mit hoher Geschwindigkeit durch einen Bahnhof. Nun wird im Zug mittig zwischen zwei mitgefuhrten Uhren A1 und A2 ein Lichtblitz ausgelost, wobei bei Ankunft der Lichtblitze an den Uhren die jeweilige Uhr zu laufen beginnt. Da die Lichtgeschwindigkeit in jedem Inertialsystem in allen Richtungen gleich groß ist (siehe oben), wird ein Fahrgast des Zuges, also ein Beobachter im Ruhesystem des Zuges, durch spateren Uhrenvergleich feststellen, dass A1 und A2 von den Lichtblitzen gleichzeitig erreicht wurden und die beiden Uhren somit synchron zu laufen begannen. Vom Standpunkt eines Beobachters im Ruhesystem des Bahnhofes sieht die Reihenfolge der Ereignisse aber anders aus. Um den Zeitpunkt der Ankunft der Lichtblitze bei A1 und A2 genau bestimmen zu konnen, hat er mit Lichtsignalen synchronisierte und mit Sensoren ausgestattete Uhren am Bahnsteig befestigt. Fur diesen Beobachter bewegt sich der Zug mit hoher Geschwindigkeit (in der Abbildung Durchfahrt von links nach rechts). Daraus folgt, dass der Blitz zu A2 einen langeren Weg zurucklegen muss als zu A1, weil A2 sich von der Stelle, von der der Blitz ausgegangen ist, fortbewegt, wohingegen A1 sich auf diese Stelle zubewegt. Die an den Gleisen befestigten Uhren werden folglich anzeigen, dass A1 zeitlich vor A2 vom Blitz getroffen wurde und fruher zu laufen begann. A1 und A2 sind aus Sicht des Ruhesystems des Bahnhofes also nicht synchron.

Die Relativitat der Gleichzeitigkeit besagt somit, dass an unterschiedlichen Orten stattfindende Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig sind, aus Sicht eines relativ dazu bewegten Inertialsystems nicht gleichzeitig sind. Die Diskrepanz ist umso großer, je hoher die Relativgeschwindigkeit und je großer der raumliche Abstand der Ereignisse ist. Wichtig dabei ist, dass die Messungen in allen Inertialsystemen unmittelbar am Ort der Ereignisse mittels synchronisierter Uhren durchgefuhrt wurden.

Kausalitat sowie Zukunft und Vergangenheit im Minkowski-Raum [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Lichtkegel in einer Raumzeit mit zwei Raumdimensionen.

Unter Kausalitat versteht man die eindeutige Beziehung von Ursache und Wirkung. Ein Ereignis kann nur dann die Ursache fur ein zweites Ereignis sein, wenn es zeitlich vor ihm eintritt. Da aber die Reihenfolge von Ereignissen vom Beobachter (bzw. von dessen Bewegungszustand) abhangt, konnte dies zu Problemen mit der Kausalitat fuhren. Denn wenn in einem Bezugssystem Ereignis A vor Ereignis B eintritt, im anderen Bezugssystem jedoch Ereignis B vor Ereignis A, dann folgt daraus, dass sowohl A Ursache von B, als auch B Ursache von A sein konnte. Damit lassen sich Paradoxien konstruieren, bei denen ein Ereignis sich selbst in der Vergangenheit ruckwirkend verhindert. Außerdem waren Zeitreisen mit Uberlichtgeschwindigkeit moglich. Man reist von A zum spateren Ereignis B. Dann wechselt man durch normale Beschleunigung in ein Bezugssystem, in dem A spater als B stattfindet. Anschließend reist man wiederum mit Uberlichtgeschwindigkeit von B zu einem Ereignis vor A. Dies ist einer der Grunde dafur, warum generell angenommen wird, dass Uberlichtgeschwindigkeit nicht moglich ist.

Die Lichtgeschwindigkeit stellt also eine Maximalgeschwindigkeit dar, und die Raumzeit zerfallt in drei Bereiche: Aus Sicht eines Beobachters gibt es eine Zukunft , die von ihm beeinflussbar ist, eine Vergangenheit , deren Auswirkungen ihn betreffen und ein ?Anderswo“, mit dem er in keiner kausalen Beziehung steht. Diese drei Bereiche werden im Minkowski-Raum durch den Doppelkegel des Lichts voneinander getrennt. Da die Lichtgeschwindigkeit invariant ist, ist die Zuordnung von Ereignissen zu einem der drei Bereiche fur alle Beobachter gleich. Das bedeutet, dass verschiedene Beobachter zwar die Gleichzeitigkeit und die Reihenfolge von manchen Ereignissen unterschiedlich bewerten konnen (namlich dann, wenn sich eines der Ereignisse im Anderswo des anderen befindet), dass sie sich aber bezuglich der Kausalitat stets einig sind. Ob ein Ereignis A die Ursache fur ein Ereignis B sein kann, hangt nicht vom Bezugssystem des Beobachters ab. Insofern ist es korrekt, von einer absoluten Zukunft und einer absoluten Vergangenheit zu sprechen, wenn es auch eine absolute Gegenwart nicht gibt, außer im ?Hier und Jetzt“.

Der Raumzeitpunkt des Beobachters (?Hier und Jetzt“) wird im Folgenden mit A bezeichnet. Ein zweites beliebiges Ereignis mit B. Folgende Aussagen uber diese beiden Ereignisse sind gultig:

  1. Falls B sich im Zukunftslichtkegel von A befindet: ?Der Beobachter kann das Ereignis erreichen, indem er sich langsamer als das Licht bewegt.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem B am selben Ort wie A stattfindet (namlich das Ruhesystem des Beobachters). Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse gleichzeitig eintreten. Alle Beobachter sind sich daruber einig, dass B spater als A eintritt. Diese Lage von Ereignissen zueinander nennt man zeitartig .
  2. Falls sich B auf der Oberflache des Zukunftslichtkegels von A befindet: ?Der Beobachter konnte das Ereignis B nur erreichen, wenn er sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen wurde.“ Auch in diesem Fall sind sich alle Beobachter uber die Reihenfolge von A und B einig. Es gibt weder ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort, noch ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden. Diese Lage der Ereignisse zueinander nennt man lichtartig .
  3. Falls sich B außerhalb der beiden Lichtkegel von A befindet: ?Nichts kann von B nach A oder von A nach B gelangen, denn dafur musste es sich mit Uberlichtgeschwindigkeit bewegen.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden, sich also nur im Ort unterscheiden. Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort stattfinden. Daher nennt man diese Lage von Ereignissen zueinander raumartig . In diesem ? und nur in diesem ? Fall ist die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse vom Bewegungszustand des Beobachters abhangig. Hinsichtlich der Kausalitat spielt das aber keine Rolle, da alle Beobachter auch darin ubereinstimmen, dass keines der Ereignisse Ursache des anderen Ereignisses sein kann.

Der beschleunigte Beobachter [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Raumzeit aus Sicht eines beschleunigten Beobachters.

Die Animation links demonstriert, wie sich die Minkowski-Raumzeit fur einen beschleunigten Beobachter darstellt. Die punktierte Linie stellt dabei die Weltlinie des Beobachters dar, der sich jeweils in der Mitte des Bildes befindet. Die dicken Punkte markieren gleiche (Eigen)zeitintervalle. Dehnung und Stauchung der Weltlinie zeigen Beschleunigung des Beobachters in Bewegungsrichtung, Krummung Beschleunigung quer dazu. Das Diagramm zeigt die Welt zu jedem Zeitpunkt im Inertialsystem , also aus Sicht des Beobachters. Bei den Beschleunigungen kann man beobachten, dass Punkte der Raumzeit nach oben , also entgegen dem ?Zeitfluss“, laufen. Jedoch uberqueren sie dabei niemals den Lichtkegel (die Diagonallinien) von unten; dieser wird durch den Zeitablauf stets nur nach unten durchquert. Somit kann ein Punkt niemals in den Vorwartslichtkegel eintreten (man kann durch Beschleunigung kein Ereignis in die absolute Zukunft versetzen) und niemals den Ruckwartslichtkegel verlassen (man kann Ereignisse durch Beschleunigung nicht aus der absoluten Vergangenheit herausholen).

Man sieht auch, dass die Weltlinie des Beobachters stets innerhalb des Lichtkegels verlauft. Ereignisse, die den Beobachter erreichen bzw. erreicht haben, liegen stets in seiner absoluten Zukunft bzw. Vergangenheit; die Reihenfolge dieser Ereignisse lasst sich durch Beschleunigung nicht verandern. Insbesondere kann der Beobachter vergangene Ereignisse nicht zu zukunftigen Ereignissen machen.

Gleichzeitigkeit im Alltag [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Fur menschliche Alltagserfahrung spielen relativistische Effekte der Gleichzeitigkeit keine Rolle: Selbst wenn man auf dem Mount Everest stunde und aufs Meer hinaussehen konnte, ware fur den gesamten sichtbaren Bereich der Erdoberflache bis zum Horizont die Relativitat der Gleichzeitigkeit auf einen Bereich von wenigen Millisekunden beschrankt. Dieses Zeitintervall liegt unterhalb der Schwelle , ab der Menschen uberhaupt in der Lage sind, die Reihenfolge von Ereignissen aufzulosen, und unterhalb der Schwelle, ab der Menschen optische Eigenschaften als nichtgleichzeitig wahrnehmen konnen. Fur die Alltagserfahrung ist das Licht stets derart schnell, dass der Eindruck einer Gleichzeitigkeit der Ereignisse entsteht.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]