Reinhard Gehlen
(*
3. April
1902
in
Erfurt
; †
8. Juni
1979
in
Berg
am
Starnberger See
) war ein
Generalmajor
der
Wehrmacht
. Er war Leiter der
Abteilung Fremde Heere Ost
(FHO), ab 1947 Leiter der nach ihm benannten
Organisation Gehlen
sowie von 1956 bis 1968 erster Prasident des
Bundesnachrichtendienstes
(BND).
Gehlen wurde als Sohn einer burgerlichen Familie in Erfurt geboren. Sein Vater Walther (1871?1943) war
Major
a. D. der
Artillerie
und ab 1908 Buchhandler in
Breslau
, wo Reinhard aufwuchs. Walther Gehlen war zuletzt Direktor fur den
Ferdinand-Hirt-Verlag
in Breslau, dessen Leitung er von seinem Bruder Max Gehlen ubernommen hatte.
[1]
Seine Mutter Katharina von Vaernewyck (1878?1922) stammte aus
Flandern
. Reinhard Gehlen war ein Cousin des Soziologen
Arnold Gehlen
.
Nach dem
Abitur
am humanistischen Konig-Wilhelm-Gymnasium in Breslau trat Gehlen am 20. April 1920 als
Offizieranwarter
in das 6. leichte Artillerieregiment der
Reichswehr
in
Schweidnitz
ein. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er in das Artillerie-Regiment 3 versetzt. Von September 1926 bis Oktober 1928 wurde er aufgrund seiner Fahigkeiten als
Bereiter
an die
Kavallerieschule Hannover
versetzt und schloss diese mit dem Dienstgrad eines
Oberleutnants
ab. Von November 1928 bis Marz 1929 wurde er in den Stab V. (reit.)/Artillerieregiment 3 versetzt. Von April 1929 bis September 1933 war er Bataillonsadjutant der 1./Artillerieregiment 3; im Oktober wurde er in die 14./Artillerieregiment 3 versetzt.
Von Oktober 1933 bis Juli 1935 war er zur Verwendung beim Chef der Heeresleitung, General der Infanterie
Kurt von Hammerstein-Equord
, und kommandiert zu den geheimen
Generalstabs
-Lehrgangen. Im Mai 1935 wurde er zur
Kriegsakademie
kommandiert. Von Juli 1935 bis Juli 1936 war er
Adjutant
beim
Oberquartiermeister
I im
Generalstab des Heeres
im
Reichskriegsministerium
in Berlin. Im Juli 1936 erfolgte die Versetzung in die I. Abteilung und im Juli 1937 in die 10. Abteilung des Generalstabs des Heeres. Er unterstand zu dieser Zeit Generalmajor
Erich von Manstein
.
Von November 1938 bis August 1939 war er
Batteriechef
(
Feldhaubitzen
) der 8./Artillerieregiment 18 in
Liegnitz
. Im August 1939 wurde er
Erster Generalstabsoffizier
(Ia) der
213. Infanterie-Division
und nahm am
Uberfall auf Polen
teil. Von Oktober 1939 bis Mai 1940 war er als Gruppenleiter fur die Landesbefestigungen im Generalstab des Heeres zustandig. Von Mai bis Juni 1940 war er Verbindungsoffizier des Oberkommandos des Heeres zur
16. Armee
sowie zu den Panzergruppen
Hoth
und
Guderian
. Im Juni 1940 wurde er 1. Adjutant von Generalstabschef
Franz Halder
. Von Oktober 1940 bis April 1942 war er Leiter der Gruppe Ost der Operationsabteilung des Generalstabes des Heeres, die von Oberst i. G.
Adolf Heusinger
(nachmaliger
Generalinspekteur der Bundeswehr
) geleitet wurde.
Gehlen war an den Vorbereitungen fur das
Unternehmen Barbarossa
, den Uberfall auf die
Sowjetunion
im Juni 1941, beteiligt; er war insbesondere fur die Planungen Transport und Reserve-Nachfuhrung zustandig.
Nach den Ruckschlagen an der
Ostfront
im Winter 1941/42 (
Schlacht um Moskau
) suchte der
Generalstab
nach einer neuen Fuhrung fur seinen Feindlagedienst im Oberkommando der Wehrmacht. Obwohl Gehlen sich nie mit nachrichtendienstlicher Arbeit beschaftigt hatte, keine Fremdsprache sprach und keine Kenntnisse uber die Sowjetunion vorweisen konnte, wurde er im Mai 1942 zum Chef der ?
Abteilung Fremde Heere Ost
“ ernannt und war somit auch Chef der Aufklarung Ost und vor allem deren Auswertung. Anfangs war er auch noch fur Skandinavien, Sudeuropa sowie die Luftrustung der
USA
zustandig.
Zugig baute er seine Dienststelle um, die ursprunglich Informationen des Leiters der
Abwehr
Admiral
Wilhelm Canaris
bewertete. Sie konnte, ohne andere Dienststellen einbeziehen zu mussen, Nachrichten integriert auswerten. Gehlen bekam Informationen auch durch
drastische Massenbefragungen
von
Kriegsgefangenen
nach der Devise des
Oberkommandos des Heeres
: ?Jede Nachsicht und Menschlichkeit gegenuber den Kriegsgefangenen ist streng zu tadeln.“ Gehlen setzte
Heinz Herre
fur die Auswertung,
Gerhard Wessel
fur die Aufklarung der
Roten Armee
und
Hermann Baun
fur das Agentennetz im Feindgebiet vor der Front ein. Diese drei wurden nach dem Krieg in die
Organisation Gehlen
ubernommen.
Nach der Niederlage von
Stalingrad
im Winter 1942/1943 arbeitete Gehlen mit dem
Auslandsnachrichtendienst
der
SS
unter der Leitung von
Walter Schellenberg
zusammen. Beide wollten mit sowjetischen Kriegsgefangenen, Uberlaufern und Antikommunisten 1943 in der Sowjetunion eine Truppe unter General
Wlassow
als
Komitee zur Befreiung der Volker Russlands
neben den Kampfverbanden auch zur Aufklarung aufbauen. Eingebunden in diesen Wechsel der strategisch-operativen Aufklarung von der
Abwehr
hin zur SS war ? nach Ubernahme der Jagdverbande von der
Division Brandenburg
? deren neuer Kommandeur
Otto Skorzeny
.
Bei der Aufklarung der sowjetischen Krafte im Bereich der
Heeresgruppe Mitte
blieben seit Beginn 1944 die
6. Garde-Armee
und die
5. Garde-Panzer-Armee
bis zum Beginn der sowjetischen
Operation Bagration
unerkannt, fur deren Auswertung und Lagefeststellung sowie Lagebeurteilung die Abteilung Fremde Heere Ost unter Gehlen zustandig war.
Gehlen schlug noch die ?Aktion Werwolf“, einen Widerstand aus Erddepots, vor. Bis heute liegen nur einige wissenschaftlich fundierte Analysen uber die Arbeit von
Fremde Heere Ost
vor.
[2]
Fehleinschatzungen als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost
[
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Gehlens Tatigkeit als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost war durch eine Reihe von Fehleinschatzungen gepragt, beginnend mit der nicht prognostizierten Offensive der Roten Armee bei Stalingrad uber das Nichterkennen des Ausmaßes der Uberlegenheit an sowjetischen Panzern bei der
Kursker Schlacht 1943
bis hin zur Einschatzung der gegnerischen
Sommeroffensive 1944
, die zur Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte fuhrte. All diese Ereignisse konnte Gehlen nicht annahernd richtig einschatzen. Sein Biograf
Rolf-Dieter Muller
, langjahriger wissenschaftlicher Direktor am
Militargeschichtlichen Forschungsamt
der Bundeswehr und einer der Vorsitzenden der
Unabhangigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes
, betont: ?Problematisch blieben auch die taktisch-operativen Prognosen, die Gehlens personliche Spezialitat gewesen sind.“
[3]
So vertrat Gehlen schon vor der sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad die Auffassung, dass sich die Krafte der Roten Armee bald erschopfen wurden.
[4]
Gleichwohl verstand er es schon fruh, durch die Art und Weise seiner Darstellungen sich den ?Nimbus uberlegenen Wissens“ zuzulegen.
[5]
Zu Gehlens politisch-ideologischen Einstellungen, die seiner Arbeit als Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost zugrunde lagen, zeichnet sein Biograf Rolf-Dieter Muller das Bild eines stramm nationalkonservativen, antibolschewistischen Generalstabsoffiziers, der sich vom engen Korsett der antidemokratischen Normen und Werte der deutschen Militarelite nicht eingeengt fuhlte, sondern sich damit identifizierte. Er sei Anhanger eines autoritaren Machtstaates, aber kein direkter Nazi gewesen und auch nicht durch eigene antisemitische Propaganda aufgefallen, wohl aber uber die Verbrechen an den Juden, sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten nicht nur gut informiert, sondern in sie verstrickt gewesen.
[6]
So wurde etwa
Winniza
, die Schaltzentrale des Oberkommando des Heeres fur die Sommeroffensive 1942 vorher ?judenfrei gemordet“. Gehlen wusste Bescheid, ignorierte aber diese Verbrechen.
[7]
Ab Oktober 1944 plante Gehlen fur die Zeit nach dem Krieg. Dafur entwickelte er eine Hypothese, die sich spater als richtig erwies: ?Die
Westmachte
werden sich gegen den Verbundeten Russland wenden. Dabei werden sie mich, meine Mitarbeiter und meine kopierten Dokumente im Kampf gegen eine kommunistische Expansion benotigen, weil sie selbst keine Agenten dort besitzen.“
Anfang Marz 1945, rechtzeitig vor Kriegsende, ließ Gehlen die gesamten nachrichtendienstlichen Materialien von wenigen handverlesenen Mitarbeitern auf Mikrofilm vervielfaltigen und, in wasserdichten Fassern verpackt, verteilt auf mehrere Bergwiesen, in den osterreichischen Alpen vergraben.
[8]
Vorher hatte Gehlen seine Familie von
Liegnitz
uber
Naumburg
in den
Bayerischen Wald
geschickt, damit sie nicht der Roten Armee in die Hande fiel. Mit seinen Mitarbeitern Wessel und Baun schloss er den ?Pakt von
Bad Elster
“. Sie verabredeten eine geordnete Ubergabe an die Amerikaner.
Am 9. April 1945 hatte
Hitler
Gehlen entlassen;
Gerhard Wessel
wurde, wie spater 1968 beim
BND
, sein Nachfolger. Schließlich verließ Gehlen am 28. April das
Hauptquartier
der Wehrmacht in
Bad Reichenhall
, versteckte sich auf der Elendsalm bei
Miesbach
und stellte sich zusammen mit sechs Offizieren in
Fischhausen
am
Schliersee
am 22. Mai 1945 Soldaten der
7. US-Armee
.
Gehlen musste erreichen, dass er fur seine Handlungen an der Ostfront nicht, wie zwischen den Alliierten verabredet, an die Sowjetunion ausgeliefert wurde. Deshalb versuchte Gehlen, den ihn vernehmenden Amerikanern die Bedeutung seiner Person fur die Nachkriegszeit zu verdeutlichen. Doch er stieß bei ihnen zunachst nur auf wenig Interesse. Uber
Worgl
und
Salzburg
gelangte er zur Vernehmung in die Villa Pagenstecher in
Wiesbaden
. Dort wurde er von General
Edwin L. Sibert
(1897?1977) vernommen. Im Gesprach stellte sich heraus, dass beide sehr ahnliche Visionen uber die Rolle der Amerikaner in der Zukunft hatten. Die von Gehlen versteckten Dokumentenkisten wurden ausgegraben und ins
document center
nach
Hochst
gebracht. Captain
Boker
sammelte wichtige Mitstreiter Gehlens ein und entzog sie einer Inhaftierung.
[8]
Gehlen, der in
Kriegsgefangenschaft
der
US Army Air Forces
war, wurde schließlich 1945 mit sechs ehemaligen Mitarbeitern und den Dokumenten durch das
Kriegsministerium der Vereinigten Staaten
in die USA nach
Fort Hunt
,
Virginia
bei
Washington, D.C.
geflogen. Die Alliierten nahmen wie im Fall Gehlen zunachst auch andere Experten in Gewahrsam, unter anderem den Raketenforscher
Wernher von Braun
und die Atomphysiker um
Otto Hahn
.
Uber den Ablauf und das Ergebnis der
Vernehmung
in den USA ist nichts Genaues bekannt. Etwa 3000 Dokumente des
National Archives
uber Gehlen fur die Zeit 1945 bis 1955 wurden 2000?2002 zuganglich. Eine historisch fundierte Auswertung fehlt bislang jedoch. Gehlen wurde im Juni 1946 von Fort Hunt nach
Camp King
bei
Oberursel
zuruckgebracht. Im Juli 1946 wurde vom US-amerikanischen Heeresnachrichtendienst
G-2 Section
[9]
dann die zunachst von den USA finanzierte spatere
Organisation Gehlen
gegrundet, deren Chef er im Februar 1947 wurde. Arbeitsgrundlage war folgende mundliche Ubereinkunft:
[10]
- Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potenzials geschaffen, die nach Osten aufklart bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinn fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.
- Die deutsche Organisation arbeitet nicht fur oder unter den Amerikanern, sondern mit den Amerikanern zusammen.
- Die Organisation arbeitet unter ausschließlicher deutscher Fuhrung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine deutsche Regierung besteht.
- Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert … Dafur liefert sie alle Aufklarungsergebnisse an die Amerikaner.
- Sobald wieder eine souverane deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung daruber, ob die Arbeit fortgesetzt werden soll oder nicht …
- Sollte die Organisation einmal vor der Lage stehen, in der das amerikanische und deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.
Dieser Text erinnert in seiner Tendenz an die
Himmeroder Denkschrift
. An ihrer Erstellung 1950 waren auch
Adolf Heusinger
,
Hans Speidel
und
Hermann Foertsch
beteiligt.
[11]
Ab dem 6. Dezember 1947 (Codename Nikolaus) wurde die Organisation in der ehemaligen ?
Reichssiedlung Rudolf Heß
“ in der
Heilmannstraße
in
Pullach
untergebracht, weil das Camp zu klein wurde und der Geheimhaltungszwang dort in dem von 1936 bis 1938 fur die NS-Elite gebauten Dorf mit anfangs 20 Hausern hinter hohen Mauern besser zu gewahrleisten war. Ab dem 1. Juli 1949 ubernahm die antikommunistische
CIA
die Organisation Gehlen. Die Organisation Gehlen nahm eine Doppelfunktion fur die CIA und die noch junge
Bundesrepublik Deutschland
wahr. Sie war ahnlich aufgebaut wie ihr Vorlaufer
Fremde Heere Ost
: Leitung durch Gehlen, Gerhard Wessel fur die Auswertung und Hermann Baun fur ein Agentennetz verantwortlich. Sie setzten auch ihre bewahrten Methoden ein: Kriegsgefangene, ehemalige Zwangsarbeiter und Fluchtlinge wurden in Auffanglagern systematisch ausgefragt.
Gehlen selbst verstand seine Organisation von Anfang an als eine Vorform eines irgendwann eigenstandigen deutschen Nachrichtendienstes.
Konrad Adenauer
wurde von den Alliierten keine große Wahl bei der Berufung des eigenen Sicherheitsapparats gelassen. Daher war ihm klar, dass ein vollig unabhangiger westdeutscher Auslandsnachrichtendienst genauso undenkbar war wie eine unabhangige westdeutsche Armee. So akzeptierte er die Umwandlung der Organisation Gehlen, in der eine Reihe ehemaliger Offiziere der
Wehrmacht
,
RSHA
- und
SS
-Mitglieder als Personalreserve ?geparkt“ waren. Gehlen verheimlichte ihre Identitat, um sie vor dem Zugriff der Alliierten zu schutzen und eine
Entnazifizierung
zu erschweren.
Auf ?Empfehlung“ der Briten berief Adenauer den ehemaligen
General der Panzertruppe
Gerhard Graf von Schwerin
zu seinem ?Berater in Sicherheitsfragen“. Dieser grundete eine Art Nachrichtendienst mit dem Tarnnamen ?
Zentrale fur Heimatdienst
“ auch
Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst
, die mit
Joachim Oster
und
Friedrich Wilhelm Heinz
als Prominente aus der ehemaligen
Abwehr
besetzt war. Im Gegensatz zu Gehlen unterhielt Heinz gute Kontakte zur
franzosischen Besatzungsmacht
. Gehlen konnte schließlich uber Adenauers Staatssekretar
Hans Globke
erreichen, dass Heinz am 1. Oktober 1953 beurlaubt und kurz darauf entlassen wurde.
Nach Beginn des
Koreakrieges
am 20. Juni 1950 nahm Gehlen verstarkt Kontakt zur Adenauer-Regierung und zur SPD-Opposition auf. Er schaltete sich uber seine Mitarbeiter
Heusinger
,
Speidel
und
Foertsch
in die Planungen zur
Wiederbewaffnung
ein.
[12]
Gehlen verstand es, in den ersten zehn Jahren nach Ende des Zweiten Krieges durch die Anwerbung auch vieler Nachrichtendienstler mit zweifelhafter NS-Vergangenheit, wie
Heinz Felfe
, schnell einen professionellen Nachrichtendienst aufzubauen. Dieser war aber auch eben wegen dieser Belastung von potentiellen Verratern durchsetzt. Hunderte von Agenten, Funkcodes und Kommunikationswegen wurden verraten. Doch angesichts der zahlreichen ?
Maulwurfe
“ im britischen Nachrichtendienst war dies keine Gehlen-spezifische Erscheinung. So verstand Gehlen es ebenso, seine Rivalen um
Gerhard Graf von Schwerin
in
Bonn
als Auslandsnachrichtendienst auszumanovrieren, wie ihm die Beschrankung des
Militarischen Abschirmdienstes
(MAD) auf die
Spionageabwehr
innerhalb der
Bundeswehr
und die
Sicherheitsuberprufung
ihres Personals gelang. Auch mit
Otto John
, dem ersten Chef des
Bundesamtes fur Verfassungsschutz
, kam es zu Auseinandersetzungen. Johns Ubertritt nach Ost-Berlin 1954, dessen Umstande bis heute nicht vollstandig geklart sind, kommentierte Gehlen, der eine ?Abneigung gegen Anti-Hitler-Emigranten“ (Der Spiegel) hegte, mit ?Einmal Verrater, immer Verrater!“, indem er einen Zusammenhang mit Johns Beteiligung am Widerstand gegen den Nationalsozialismus herstellte.
[13]
Gehlen war nicht ungeschickt darin, sich aus allen politischen Lagern Zustimmung fur seinen Nachrichtendienst zu beschaffen. Dabei spielte seine Neigung, sich mit der Aura des Undurchschaubaren, Ratselhaften und Geheimnisvollen zu umgeben, ebenso eine Rolle wie sein Zusammenspiel mit dem Nachrichtenmagazin
Der Spiegel
, zu dem er enge Kontakte unterhielt. Auch dies war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass dort in den fruhen 1950er Jahren ehemalige Offiziere der Wehrmacht arbeiteten.
Bereits 1951 begann die Diskussion uber die Einrichtung eines oder mehrerer Nachrichtendienste auf Bundesebene.
[14]
Laut einem Bericht der
Central Intelligence Agency
wurde der Name
Bundesnachrichtendienst
(BND) erstmals im August und September 1952 bei Gesprachen im
Bundeskanzleramt
verwendet. An den geheimen Grundungsgesprachen, die im Buro des damaligen Ministerialrates
Karl Gumbel
stattfanden, nahmen neben
Hans Globke
und Gehlen auch die Mitarbeiter Gehlens
Hans-Ludwig von Lossow
,
Horst Wendland
und
Werner Repenning
teil.
[15]
Ein Ergebnis der Verhandlungen war, dass die Organisation ab dem 1. April 1953 ganz aus Bundesmitteln finanziert werden sollte.
[16]
Am 1. April 1956 ging aus der mehrere tausend Mitarbeiter
[17]
zahlenden ?Organisation Gehlen“ der BND hervor. Gehlen wurde am 20. Dezember 1956, unter Berufung in ein Beamtenverhaltnis auf Lebenszeit, zum Prasidenten des Bundesnachrichtendienstes ernannt.
[18]
Am Vortag hatte das
Bundeskabinett
der Personalie zugestimmt.
[19]
Gehlens Deckname war ?Dr. Schneider“.
[15]
Dienstintern wurde er auch mit der Nummer 106 bezeichnet.
[20]
Mit dem technischen Wandel der Nachrichtendienstarbeit und unter dem Vorbild der
Besatzungsmacht
USA verlagerte sich die Informationsbeschaffung zusehends von menschlichen Zutragern zu leistungsstarken technischen Mitteln. Mit der Grundung der Bundeswehr wechselten nicht wenige ehemalige Offiziere der Wehrmacht aus der ?Personalreserve“ in die neue regulare Armee. Damit schrumpfte die Bedeutung der alten Seilschaften aus den Tagen der ?Fremde Heere Ost“, und zivile, besser ausgebildete Leute stießen zum BND. Schließlich wurde Gehlen selbst zu einem Relikt aus einer vergangenen Epoche. Mit seinem Buch
Verschlußsache
kanzelte er seinen Nachfolger Gerhard Wessel ab und vergiftete fur langere Zeit die Nachrichtendienstdebatte. Tatsachlich war Gehlens Arbeit als BND-Chef desastros. Seine Praktiken, mit den finanziellen Mitteln nach eigenem Gutdunken sehr freizugig umzugehen und Fuhrungspersonal nicht primar nach fachlicher Eignung, sondern personlichen Vorlieben und Beziehungen zu bewerten, wurden den Anforderungen eines modernen Nachrichtendienstes in einem demokratischen Staat nicht gerecht. Nach Rolf-Dieter Muller war Gehlen mit seinen Aufgaben als BND-Chef ?bald hoffnungslos uberfordert“.
[21]
[22]
Gehlen verhalf dem engsten Mitarbeiter von
Adolf Eichmann
, dem in Israel und Osterreich steckbrieflich gesuchten
Alois Brunner
, zur Flucht nach
Syrien
und galt laut Informationen aus
Otto Kohlers
Buch
Unheimliche Publizisten
als enger Freund von
Gerhard Frey
, dem Grunder und Vorsitzenden der
Deutschen Volksunion
und Herausgeber der
National-Zeitung
.
[23]
[24]
Flankiert von einer achtteiligen Serie in der auflagenstarken Zeitschrift
Quick
publizierte Gehlen 1971 unter dem Titel
Der Dienst
seine Erinnerungen. In der Tageszeitung
Die Welt
erschien in Auszugen ein 16-teiliger Vorabdruck. Das Buch selbst erreichte Platz eins der
Spiegel-
Bestsellerliste. Kritiker bemangelten eine technokratische Darstellung, die nichts wirklich Neues enthalte und in erster Linie Gehlen selbst in strahlendem Licht erscheinen lassen solle. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst
CIA
hielt den Text fur materialschwach, wenig aufregend und in den angloamerikanischen Landern nur maßig zu vermarkten. Um Gehlens Memoiren in der englischsprachigen Fassung dramatischer erscheinen zu lassen, wurde
David Irving
engagiert, der den Text zusammen mit seiner damaligen Mitarbeiterin
Elke Frohlich
entsprechend bearbeitete.
[25]
Am 30. Marz 1962 wurde Gehlen zum
Generalleutnant
der
Reserve
befordert. Er ist der einzige
Reservist
der
Bundeswehr
, dem dieser
Dienstgrad
verliehen wurde.
[26]
Gehlen war
evangelischer
Konfession. Er war ab 1931 mit der schlesischen Offizierstochter Herta von
Seydlitz
-Kurzbach (1904?1993) verheiratet und Vater von vier Kindern. Sein Bruder
Johannes Gehlen
(1901?1986), der spater auch fur die Organisation Gehlen aktiv war, wuchs in
Rom
bei Pflegeeltern auf; Gehlen erfuhr erst spat von seiner Existenz. Ein weiterer Bruder starb 1944 bei einem Bombenangriff; die Schwester heiratete in eine Diplomatenfamilie ein. Gehlen war u. a. Ritter des katholischen
Malteserordens
. Reinhard Gehlen ist bestattet im Familiengrab auf dem Friedhof von
Aufkirchen
am Starnberger See.
- Der Dienst: Erinnerungen 1942?1971
. v. Hase und Koehler, Mainz / Wiesbaden 1971,
ISBN 3-920324-01-3
.
(Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch vom 25. Oktober bis zum 7. November 1971)
- Zeichen der Zeit: Gedanken u. Analysen zur weltpolit. Entwicklung
. v. Hase & Koehler, Mainz 1983,
ISBN 3-7758-1041-2
.
(Erstausgabe 1973)
- Verschlusssache
. v. Hase und Koehler, Mainz 1980,
ISBN 3-7758-0997-X
.
- Gegen Freund und Feind ? Eine Geschichte des Bundesnachrichtendienstes
. Dokumentarfilm von
Michael Muller
und
Peter F. Muller
, WDR, Deutschland 2002.
- Nazis im BND ? Neuer Dienst und alte Kameraden.
Dokumentarfilm von
Christine Rutten
, ARTE/HR, Deutschland 2013.
- Doku zur Serie: Alte Freunde, neue Feinde
? Deutschland 2023, WDR (
Online
bei DasErste.de, Video verfugbar bis 17. Januar 2024)
- Bonn ? Alte Freunde, neue Feinde
? Deutschland 2023, Odeon Fiction in Zusammenarbeit mit Wilma Film, Historische Miniserie im Auftrag von ARD. Mit
Martin Wuttke
als Gehlen (
Online
bei DasErste.de, Video verfugbar bis 24. Juli 2023)
[27]
- Morder bevorzugt ? Wie der BND NS-Verbrecher rekrutierte.
Dokumentarfilm von Christine Rutten, HR, Deutschland 2022 (
Online
), bei Das Erste, Video verfugbar bis 10. Oktober 2023 oder auf Youtube.
- Dermot Bradley
, Karl Friedrich Hildebrand, Markus Brockmann:
Die Generale des Heeres 1921?1945. Die militarischen Werdegange der Generale, sowie der Arzte, Veterinare, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang
(=
Deutschlands Generale und Admirale.
Teil IV). Band 4:
Fleck ? Gyldenfeldt.
Biblio, Bissendorf 1996,
ISBN 3-7648-2488-3
, S. 202?203.
- Dermot Bradley, Heinz-Peter Wurzenthal,
Hansgeorg Model
:
Die Generale und Admirale der Bundeswehr, 1955?1999. Die militarischen Werdegange
(=
Deutschlands Generale und Admirale.
Teil 6b). Band 2, 1:
Gaedcke ? Hoff.
Biblio, Osnabruck 2000,
ISBN 3-7648-2562-6
, S. 30?31.
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Gehlen, Reinhard (1902?1979).
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Germany at war. 400 years of military history.
Mit einem Vorwort von
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, S. 472.
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Veroffentlichungen der Unabhangigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945?1968.
Band 9). Ch. Links, Berlin 2018,
ISBN 978-3-96289-022-3
(
Vorschau
bei
Google Bucher
).
- Hermann Zolling
,
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Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes.
Hoffmann und Campe, Hamburg 1971,
ISBN 3-455-08760-4
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- Reinhard Gehlen
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Internationales Biographisches Archiv
35/2014 vom 26. August 2014, im
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(Artikelanfang frei abrufbar)
- ↑
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Degeners
wer ist’s?
, Berlin 1967, S. 528.
- ↑
Als Beispiel aus jetziger Zeit sei genannt: Magnus Pahl:
Fremde Heere Ost. Hitlers militarische Feindaufklarung.
Ch. Links Verlag
, Berlin 2012,
ISBN 978-3-86153-694-9
(zugleich
Dissertation
an der
Helmut-Schmidt-Universitat/Universitat der Bundeswehr Hamburg
2011)
- ↑
Rolf-Dieter Muller:
Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie.
2 Bande. Teil 1: 1902?1950. Ch. Links, Berlin 2017, S. 412.
- ↑
Dieter Muller:
Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie
, S. 250.
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Dieter Muller:
Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie
. Teil 1, S. 239.
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Dieter Muller:
Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie
. Teil 1, S. 412f.
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Dieter Muller:
Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie
. Teil 1, S. 251f.; siehe auch das Resumee Mullers in Teil 2 seiner Gehlen-Biografie, S. 1318?1324.
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Blowback. America's recruitment of nazis and its effect on Cold War.
Collier Books, New York NY 1989,
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, S. 41.
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Central Intelligence Agency|CIA-Akte Gehlen, freigegeben ab 2001
(PDF; 1,7 MB). Auf Seite 2 oben:
He operated under G-2 sponsorship from 1946 until 1949
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Gehlen:
Der Dienst.
S. 149 ff. Critchfield kennt allerdings nur eine erheblich kurzere und fur die Deutschen weit weniger positive Version dieses agreements, verg. Critchfield:
Partners at the Creation
, S. 39, vergl. auch Wegener:
Die Organisation Gehlen und die USA
S. 72
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Erich Schmidt-Eenboom
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Ein Sonderling an der Wiege der Wiederbewaffnung ? Gehlens Paranoia und die Geburtswehen des BND.
Forschungsinstitut fur Friedenspolitik e. V.
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Amt Blank
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, 14. November 1952, archiviert vom
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[Hrsg.]:
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). 1. Auflage. Sandstein, Dresden 2016,
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. Ch. Links Verlag, 2017,
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. Die verdrangte Vergangenheit der Medienmacher (=
Knaur Politik und Zeitgeschichte
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Nr.
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Droemer Knaur
, Munchen 1995,
ISBN 3-426-80071-3
(Vom Autor fur diese Ausgabe vollstandig uberarbeitet, erganzt und aktualisiert).
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Lutz Hachmeister:
Weiße Flecken in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes
. In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
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Rolf-Dieter Muller
:
Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik
. Die Biografie. Teil 2: 1950?1979. Ch. Links, Berlin 2017,
ISBN 978-3-86153-966-7
, S. 1227?1239; die englischsprachige Ausgabe erschien 1972 unter dem Titel
The Service. The Memoirs of General Reinhard Gehlen
bei World Publishing, New York, mit David Irving als ?Translator“.
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Magnus Pahl
,
Gorch Pieken
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Matthias Rogg
(Hrsg.):
Achtung Spione! Gemeindienste in Deutschland von 1945 bis 1956 ? Katalog
(=
Militarhistorisches Museum der Bundeswehr
[Hrsg.]:
Schriftenreihe des Militarhistorischen Museums
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11
). 1. Auflage. Sandstein, Dresden 2016,
ISBN 978-3-95498-209-7
,
S.
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f
. (Abbildung Beforderungsverfugung, dort 30. Marz 1962; im Text falschlicherweise 20. Marz genannt).
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Bonn - Alte Freunde, neue Feinde
bei
crew united
, abgerufen am 19. Januar 2023.
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Matthias Uhl
:
R.-D. Muller: Reinhard Gehlen
. Rezensiert fur
H-Soz-Kult
, 11. Dezember 2018.