Reinhard Gehlen

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Reinhard Gehlen, 1943

Reinhard Gehlen (* 3. April 1902 in Erfurt ; † 8. Juni 1979 in Berg am Starnberger See ) war ein Generalmajor der Wehrmacht . Er war Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO), ab 1947 Leiter der nach ihm benannten Organisation Gehlen sowie von 1956 bis 1968 erster Prasident des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Herkunft [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gehlen wurde als Sohn einer burgerlichen Familie in Erfurt geboren. Sein Vater Walther (1871?1943) war Major a. D. der Artillerie und ab 1908 Buchhandler in Breslau , wo Reinhard aufwuchs. Walther Gehlen war zuletzt Direktor fur den Ferdinand-Hirt-Verlag in Breslau, dessen Leitung er von seinem Bruder Max Gehlen ubernommen hatte. [1] Seine Mutter Katharina von Vaernewyck (1878?1922) stammte aus Flandern . Reinhard Gehlen war ein Cousin des Soziologen Arnold Gehlen .

Militarischer Werdegang [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Reichswehr [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Beforderungen

Nach dem Abitur am humanistischen Konig-Wilhelm-Gymnasium in Breslau trat Gehlen am 20. April 1920 als Offizieranwarter in das 6. leichte Artillerieregiment der Reichswehr in Schweidnitz ein. Im Oktober des gleichen Jahres wurde er in das Artillerie-Regiment 3 versetzt. Von September 1926 bis Oktober 1928 wurde er aufgrund seiner Fahigkeiten als Bereiter an die Kavallerieschule Hannover versetzt und schloss diese mit dem Dienstgrad eines Oberleutnants ab. Von November 1928 bis Marz 1929 wurde er in den Stab V. (reit.)/Artillerieregiment 3 versetzt. Von April 1929 bis September 1933 war er Bataillonsadjutant der 1./Artillerieregiment 3; im Oktober wurde er in die 14./Artillerieregiment 3 versetzt.

Wehrmacht [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Allgemein [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Von Oktober 1933 bis Juli 1935 war er zur Verwendung beim Chef der Heeresleitung, General der Infanterie Kurt von Hammerstein-Equord , und kommandiert zu den geheimen Generalstabs -Lehrgangen. Im Mai 1935 wurde er zur Kriegsakademie kommandiert. Von Juli 1935 bis Juli 1936 war er Adjutant beim Oberquartiermeister I im Generalstab des Heeres im Reichskriegsministerium in Berlin. Im Juli 1936 erfolgte die Versetzung in die I. Abteilung und im Juli 1937 in die 10. Abteilung des Generalstabs des Heeres. Er unterstand zu dieser Zeit Generalmajor Erich von Manstein .

Von November 1938 bis August 1939 war er Batteriechef ( Feldhaubitzen ) der 8./Artillerieregiment 18 in Liegnitz . Im August 1939 wurde er Erster Generalstabsoffizier (Ia) der 213. Infanterie-Division und nahm am Uberfall auf Polen teil. Von Oktober 1939 bis Mai 1940 war er als Gruppenleiter fur die Landesbefestigungen im Generalstab des Heeres zustandig. Von Mai bis Juni 1940 war er Verbindungsoffizier des Oberkommandos des Heeres zur 16. Armee sowie zu den Panzergruppen Hoth und Guderian . Im Juni 1940 wurde er 1. Adjutant von Generalstabschef Franz Halder . Von Oktober 1940 bis April 1942 war er Leiter der Gruppe Ost der Operationsabteilung des Generalstabes des Heeres, die von Oberst i. G. Adolf Heusinger (nachmaliger Generalinspekteur der Bundeswehr ) geleitet wurde.

Gehlen war an den Vorbereitungen fur das Unternehmen Barbarossa , den Uberfall auf die Sowjetunion im Juni 1941, beteiligt; er war insbesondere fur die Planungen Transport und Reserve-Nachfuhrung zustandig.

Nach den Ruckschlagen an der Ostfront im Winter 1941/42 ( Schlacht um Moskau ) suchte der Generalstab nach einer neuen Fuhrung fur seinen Feindlagedienst im Oberkommando der Wehrmacht. Obwohl Gehlen sich nie mit nachrichtendienstlicher Arbeit beschaftigt hatte, keine Fremdsprache sprach und keine Kenntnisse uber die Sowjetunion vorweisen konnte, wurde er im Mai 1942 zum Chef der ? Abteilung Fremde Heere Ost “ ernannt und war somit auch Chef der Aufklarung Ost und vor allem deren Auswertung. Anfangs war er auch noch fur Skandinavien, Sudeuropa sowie die Luftrustung der USA zustandig.

Abteilung Fremde Heere Ost [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Beforderungen

Zugig baute er seine Dienststelle um, die ursprunglich Informationen des Leiters der Abwehr Admiral Wilhelm Canaris bewertete. Sie konnte, ohne andere Dienststellen einbeziehen zu mussen, Nachrichten integriert auswerten. Gehlen bekam Informationen auch durch drastische Massenbefragungen von Kriegsgefangenen nach der Devise des Oberkommandos des Heeres : ?Jede Nachsicht und Menschlichkeit gegenuber den Kriegsgefangenen ist streng zu tadeln.“ Gehlen setzte Heinz Herre fur die Auswertung, Gerhard Wessel fur die Aufklarung der Roten Armee und Hermann Baun fur das Agentennetz im Feindgebiet vor der Front ein. Diese drei wurden nach dem Krieg in die Organisation Gehlen ubernommen.

Nach der Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/1943 arbeitete Gehlen mit dem Auslandsnachrichtendienst der SS unter der Leitung von Walter Schellenberg zusammen. Beide wollten mit sowjetischen Kriegsgefangenen, Uberlaufern und Antikommunisten 1943 in der Sowjetunion eine Truppe unter General Wlassow als Komitee zur Befreiung der Volker Russlands neben den Kampfverbanden auch zur Aufklarung aufbauen. Eingebunden in diesen Wechsel der strategisch-operativen Aufklarung von der Abwehr hin zur SS war ? nach Ubernahme der Jagdverbande von der Division Brandenburg ? deren neuer Kommandeur Otto Skorzeny .

Bei der Aufklarung der sowjetischen Krafte im Bereich der Heeresgruppe Mitte blieben seit Beginn 1944 die 6. Garde-Armee und die 5. Garde-Panzer-Armee bis zum Beginn der sowjetischen Operation Bagration unerkannt, fur deren Auswertung und Lagefeststellung sowie Lagebeurteilung die Abteilung Fremde Heere Ost unter Gehlen zustandig war.

Gehlen schlug noch die ?Aktion Werwolf“, einen Widerstand aus Erddepots, vor. Bis heute liegen nur einige wissenschaftlich fundierte Analysen uber die Arbeit von Fremde Heere Ost vor. [2]

Fehleinschatzungen als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gehlens Tatigkeit als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost war durch eine Reihe von Fehleinschatzungen gepragt, beginnend mit der nicht prognostizierten Offensive der Roten Armee bei Stalingrad uber das Nichterkennen des Ausmaßes der Uberlegenheit an sowjetischen Panzern bei der Kursker Schlacht 1943 bis hin zur Einschatzung der gegnerischen Sommeroffensive 1944 , die zur Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte fuhrte. All diese Ereignisse konnte Gehlen nicht annahernd richtig einschatzen. Sein Biograf Rolf-Dieter Muller , langjahriger wissenschaftlicher Direktor am Militargeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr und einer der Vorsitzenden der Unabhangigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes , betont: ?Problematisch blieben auch die taktisch-operativen Prognosen, die Gehlens personliche Spezialitat gewesen sind.“ [3]

So vertrat Gehlen schon vor der sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad die Auffassung, dass sich die Krafte der Roten Armee bald erschopfen wurden. [4] Gleichwohl verstand er es schon fruh, durch die Art und Weise seiner Darstellungen sich den ?Nimbus uberlegenen Wissens“ zuzulegen. [5]

Politisch-ideologisches Selbstverstandnis [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Zu Gehlens politisch-ideologischen Einstellungen, die seiner Arbeit als Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost zugrunde lagen, zeichnet sein Biograf Rolf-Dieter Muller das Bild eines stramm nationalkonservativen, antibolschewistischen Generalstabsoffiziers, der sich vom engen Korsett der antidemokratischen Normen und Werte der deutschen Militarelite nicht eingeengt fuhlte, sondern sich damit identifizierte. Er sei Anhanger eines autoritaren Machtstaates, aber kein direkter Nazi gewesen und auch nicht durch eigene antisemitische Propaganda aufgefallen, wohl aber uber die Verbrechen an den Juden, sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten nicht nur gut informiert, sondern in sie verstrickt gewesen. [6]

So wurde etwa Winniza , die Schaltzentrale des Oberkommando des Heeres fur die Sommeroffensive 1942 vorher ?judenfrei gemordet“. Gehlen wusste Bescheid, ignorierte aber diese Verbrechen. [7]

Kriegsende und -gefangenschaft [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ab Oktober 1944 plante Gehlen fur die Zeit nach dem Krieg. Dafur entwickelte er eine Hypothese, die sich spater als richtig erwies: ?Die Westmachte werden sich gegen den Verbundeten Russland wenden. Dabei werden sie mich, meine Mitarbeiter und meine kopierten Dokumente im Kampf gegen eine kommunistische Expansion benotigen, weil sie selbst keine Agenten dort besitzen.“

Reinhard Gehlen, 1945 (vom United States Army Signal Corps angefertigte Fotos aus Gehlens Kriegsgefangenenakte)

Anfang Marz 1945, rechtzeitig vor Kriegsende, ließ Gehlen die gesamten nachrichtendienstlichen Materialien von wenigen handverlesenen Mitarbeitern auf Mikrofilm vervielfaltigen und, in wasserdichten Fassern verpackt, verteilt auf mehrere Bergwiesen, in den osterreichischen Alpen vergraben. [8]

Vorher hatte Gehlen seine Familie von Liegnitz uber Naumburg in den Bayerischen Wald geschickt, damit sie nicht der Roten Armee in die Hande fiel. Mit seinen Mitarbeitern Wessel und Baun schloss er den ?Pakt von Bad Elster “. Sie verabredeten eine geordnete Ubergabe an die Amerikaner.

Am 9. April 1945 hatte Hitler Gehlen entlassen; Gerhard Wessel wurde, wie spater 1968 beim BND , sein Nachfolger. Schließlich verließ Gehlen am 28. April das Hauptquartier der Wehrmacht in Bad Reichenhall , versteckte sich auf der Elendsalm bei Miesbach und stellte sich zusammen mit sechs Offizieren in Fischhausen am Schliersee am 22. Mai 1945 Soldaten der 7. US-Armee .

Gehlen musste erreichen, dass er fur seine Handlungen an der Ostfront nicht, wie zwischen den Alliierten verabredet, an die Sowjetunion ausgeliefert wurde. Deshalb versuchte Gehlen, den ihn vernehmenden Amerikanern die Bedeutung seiner Person fur die Nachkriegszeit zu verdeutlichen. Doch er stieß bei ihnen zunachst nur auf wenig Interesse. Uber Worgl und Salzburg gelangte er zur Vernehmung in die Villa Pagenstecher in Wiesbaden . Dort wurde er von General Edwin L. Sibert (1897?1977) vernommen. Im Gesprach stellte sich heraus, dass beide sehr ahnliche Visionen uber die Rolle der Amerikaner in der Zukunft hatten. Die von Gehlen versteckten Dokumentenkisten wurden ausgegraben und ins document center nach Hochst gebracht. Captain Boker sammelte wichtige Mitstreiter Gehlens ein und entzog sie einer Inhaftierung. [8]

Gehlen, der in Kriegsgefangenschaft der US Army Air Forces war, wurde schließlich 1945 mit sechs ehemaligen Mitarbeitern und den Dokumenten durch das Kriegsministerium der Vereinigten Staaten in die USA nach Fort Hunt , Virginia bei Washington, D.C. geflogen. Die Alliierten nahmen wie im Fall Gehlen zunachst auch andere Experten in Gewahrsam, unter anderem den Raketenforscher Wernher von Braun und die Atomphysiker um Otto Hahn .

Aufbau eines Nachrichtendienstes [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Organisation Gehlen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Uber den Ablauf und das Ergebnis der Vernehmung in den USA ist nichts Genaues bekannt. Etwa 3000 Dokumente des National Archives uber Gehlen fur die Zeit 1945 bis 1955 wurden 2000?2002 zuganglich. Eine historisch fundierte Auswertung fehlt bislang jedoch. Gehlen wurde im Juni 1946 von Fort Hunt nach Camp King bei Oberursel zuruckgebracht. Im Juli 1946 wurde vom US-amerikanischen Heeresnachrichtendienst G-2 Section [9] dann die zunachst von den USA finanzierte spatere Organisation Gehlen gegrundet, deren Chef er im Februar 1947 wurde. Arbeitsgrundlage war folgende mundliche Ubereinkunft: [10]

  1. Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potenzials geschaffen, die nach Osten aufklart bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinn fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.
  2. Die deutsche Organisation arbeitet nicht fur oder unter den Amerikanern, sondern mit den Amerikanern zusammen.
  3. Die Organisation arbeitet unter ausschließlicher deutscher Fuhrung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine deutsche Regierung besteht.
  4. Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert … Dafur liefert sie alle Aufklarungsergebnisse an die Amerikaner.
  5. Sobald wieder eine souverane deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung daruber, ob die Arbeit fortgesetzt werden soll oder nicht …
  6. Sollte die Organisation einmal vor der Lage stehen, in der das amerikanische und deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.

Dieser Text erinnert in seiner Tendenz an die Himmeroder Denkschrift . An ihrer Erstellung 1950 waren auch Adolf Heusinger , Hans Speidel und Hermann Foertsch beteiligt. [11]

Ab dem 6. Dezember 1947 (Codename Nikolaus) wurde die Organisation in der ehemaligen ? Reichssiedlung Rudolf Heß “ in der Heilmannstraße in Pullach untergebracht, weil das Camp zu klein wurde und der Geheimhaltungszwang dort in dem von 1936 bis 1938 fur die NS-Elite gebauten Dorf mit anfangs 20 Hausern hinter hohen Mauern besser zu gewahrleisten war. Ab dem 1. Juli 1949 ubernahm die antikommunistische CIA die Organisation Gehlen. Die Organisation Gehlen nahm eine Doppelfunktion fur die CIA und die noch junge Bundesrepublik Deutschland wahr. Sie war ahnlich aufgebaut wie ihr Vorlaufer Fremde Heere Ost : Leitung durch Gehlen, Gerhard Wessel fur die Auswertung und Hermann Baun fur ein Agentennetz verantwortlich. Sie setzten auch ihre bewahrten Methoden ein: Kriegsgefangene, ehemalige Zwangsarbeiter und Fluchtlinge wurden in Auffanglagern systematisch ausgefragt.

Gehlen selbst verstand seine Organisation von Anfang an als eine Vorform eines irgendwann eigenstandigen deutschen Nachrichtendienstes. Konrad Adenauer wurde von den Alliierten keine große Wahl bei der Berufung des eigenen Sicherheitsapparats gelassen. Daher war ihm klar, dass ein vollig unabhangiger westdeutscher Auslandsnachrichtendienst genauso undenkbar war wie eine unabhangige westdeutsche Armee. So akzeptierte er die Umwandlung der Organisation Gehlen, in der eine Reihe ehemaliger Offiziere der Wehrmacht , RSHA - und SS -Mitglieder als Personalreserve ?geparkt“ waren. Gehlen verheimlichte ihre Identitat, um sie vor dem Zugriff der Alliierten zu schutzen und eine Entnazifizierung zu erschweren.

Auf ?Empfehlung“ der Briten berief Adenauer den ehemaligen General der Panzertruppe Gerhard Graf von Schwerin zu seinem ?Berater in Sicherheitsfragen“. Dieser grundete eine Art Nachrichtendienst mit dem Tarnnamen ? Zentrale fur Heimatdienst “ auch Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst , die mit Joachim Oster und Friedrich Wilhelm Heinz als Prominente aus der ehemaligen Abwehr besetzt war. Im Gegensatz zu Gehlen unterhielt Heinz gute Kontakte zur franzosischen Besatzungsmacht . Gehlen konnte schließlich uber Adenauers Staatssekretar Hans Globke erreichen, dass Heinz am 1. Oktober 1953 beurlaubt und kurz darauf entlassen wurde.

Nach Beginn des Koreakrieges am 20. Juni 1950 nahm Gehlen verstarkt Kontakt zur Adenauer-Regierung und zur SPD-Opposition auf. Er schaltete sich uber seine Mitarbeiter Heusinger , Speidel und Foertsch in die Planungen zur Wiederbewaffnung ein. [12] Gehlen verstand es, in den ersten zehn Jahren nach Ende des Zweiten Krieges durch die Anwerbung auch vieler Nachrichtendienstler mit zweifelhafter NS-Vergangenheit, wie Heinz Felfe , schnell einen professionellen Nachrichtendienst aufzubauen. Dieser war aber auch eben wegen dieser Belastung von potentiellen Verratern durchsetzt. Hunderte von Agenten, Funkcodes und Kommunikationswegen wurden verraten. Doch angesichts der zahlreichen ? Maulwurfe “ im britischen Nachrichtendienst war dies keine Gehlen-spezifische Erscheinung. So verstand Gehlen es ebenso, seine Rivalen um Gerhard Graf von Schwerin in Bonn als Auslandsnachrichtendienst auszumanovrieren, wie ihm die Beschrankung des Militarischen Abschirmdienstes (MAD) auf die Spionageabwehr innerhalb der Bundeswehr und die Sicherheitsuberprufung ihres Personals gelang. Auch mit Otto John , dem ersten Chef des Bundesamtes fur Verfassungsschutz , kam es zu Auseinandersetzungen. Johns Ubertritt nach Ost-Berlin 1954, dessen Umstande bis heute nicht vollstandig geklart sind, kommentierte Gehlen, der eine ?Abneigung gegen Anti-Hitler-Emigranten“ (Der Spiegel) hegte, mit ?Einmal Verrater, immer Verrater!“, indem er einen Zusammenhang mit Johns Beteiligung am Widerstand gegen den Nationalsozialismus herstellte. [13]

Gehlen war nicht ungeschickt darin, sich aus allen politischen Lagern Zustimmung fur seinen Nachrichtendienst zu beschaffen. Dabei spielte seine Neigung, sich mit der Aura des Undurchschaubaren, Ratselhaften und Geheimnisvollen zu umgeben, ebenso eine Rolle wie sein Zusammenspiel mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel , zu dem er enge Kontakte unterhielt. Auch dies war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass dort in den fruhen 1950er Jahren ehemalige Offiziere der Wehrmacht arbeiteten.

Grundung des Bundesnachrichtendienstes [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

CIA-Bericht von 1952 uber die Grundungsgesprache des BND

Bereits 1951 begann die Diskussion uber die Einrichtung eines oder mehrerer Nachrichtendienste auf Bundesebene. [14] Laut einem Bericht der Central Intelligence Agency wurde der Name Bundesnachrichtendienst (BND) erstmals im August und September 1952 bei Gesprachen im Bundeskanzleramt verwendet. An den geheimen Grundungsgesprachen, die im Buro des damaligen Ministerialrates Karl Gumbel stattfanden, nahmen neben Hans Globke und Gehlen auch die Mitarbeiter Gehlens Hans-Ludwig von Lossow , Horst Wendland und Werner Repenning teil. [15] Ein Ergebnis der Verhandlungen war, dass die Organisation ab dem 1. April 1953 ganz aus Bundesmitteln finanziert werden sollte. [16]

Am 1. April 1956 ging aus der mehrere tausend Mitarbeiter [17] zahlenden ?Organisation Gehlen“ der BND hervor. Gehlen wurde am 20. Dezember 1956, unter Berufung in ein Beamtenverhaltnis auf Lebenszeit, zum Prasidenten des Bundesnachrichtendienstes ernannt. [18] Am Vortag hatte das Bundeskabinett der Personalie zugestimmt. [19] Gehlens Deckname war ?Dr. Schneider“. [15] Dienstintern wurde er auch mit der Nummer 106 bezeichnet. [20] Mit dem technischen Wandel der Nachrichtendienstarbeit und unter dem Vorbild der Besatzungsmacht USA verlagerte sich die Informationsbeschaffung zusehends von menschlichen Zutragern zu leistungsstarken technischen Mitteln. Mit der Grundung der Bundeswehr wechselten nicht wenige ehemalige Offiziere der Wehrmacht aus der ?Personalreserve“ in die neue regulare Armee. Damit schrumpfte die Bedeutung der alten Seilschaften aus den Tagen der ?Fremde Heere Ost“, und zivile, besser ausgebildete Leute stießen zum BND. Schließlich wurde Gehlen selbst zu einem Relikt aus einer vergangenen Epoche. Mit seinem Buch Verschlußsache kanzelte er seinen Nachfolger Gerhard Wessel ab und vergiftete fur langere Zeit die Nachrichtendienstdebatte. Tatsachlich war Gehlens Arbeit als BND-Chef desastros. Seine Praktiken, mit den finanziellen Mitteln nach eigenem Gutdunken sehr freizugig umzugehen und Fuhrungspersonal nicht primar nach fachlicher Eignung, sondern personlichen Vorlieben und Beziehungen zu bewerten, wurden den Anforderungen eines modernen Nachrichtendienstes in einem demokratischen Staat nicht gerecht. Nach Rolf-Dieter Muller war Gehlen mit seinen Aufgaben als BND-Chef ?bald hoffnungslos uberfordert“. [21] [22]

Gehlen verhalf dem engsten Mitarbeiter von Adolf Eichmann , dem in Israel und Osterreich steckbrieflich gesuchten Alois Brunner , zur Flucht nach Syrien und galt laut Informationen aus Otto Kohlers Buch Unheimliche Publizisten als enger Freund von Gerhard Frey , dem Grunder und Vorsitzenden der Deutschen Volksunion und Herausgeber der National-Zeitung . [23] [24]

Flankiert von einer achtteiligen Serie in der auflagenstarken Zeitschrift Quick publizierte Gehlen 1971 unter dem Titel Der Dienst seine Erinnerungen. In der Tageszeitung Die Welt erschien in Auszugen ein 16-teiliger Vorabdruck. Das Buch selbst erreichte Platz eins der Spiegel- Bestsellerliste. Kritiker bemangelten eine technokratische Darstellung, die nichts wirklich Neues enthalte und in erster Linie Gehlen selbst in strahlendem Licht erscheinen lassen solle. Der amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA hielt den Text fur materialschwach, wenig aufregend und in den angloamerikanischen Landern nur maßig zu vermarkten. Um Gehlens Memoiren in der englischsprachigen Fassung dramatischer erscheinen zu lassen, wurde David Irving engagiert, der den Text zusammen mit seiner damaligen Mitarbeiterin Elke Frohlich entsprechend bearbeitete. [25]

Reserveoffizier [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Am 30. Marz 1962 wurde Gehlen zum Generalleutnant der Reserve befordert. Er ist der einzige Reservist der Bundeswehr , dem dieser Dienstgrad verliehen wurde. [26]

Familie [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Grabstatte der Familie Gehlen auf dem Friedhof von Aufkirchen am Starnberger See

Gehlen war evangelischer Konfession. Er war ab 1931 mit der schlesischen Offizierstochter Herta von Seydlitz -Kurzbach (1904?1993) verheiratet und Vater von vier Kindern. Sein Bruder Johannes Gehlen (1901?1986), der spater auch fur die Organisation Gehlen aktiv war, wuchs in Rom bei Pflegeeltern auf; Gehlen erfuhr erst spat von seiner Existenz. Ein weiterer Bruder starb 1944 bei einem Bombenangriff; die Schwester heiratete in eine Diplomatenfamilie ein. Gehlen war u. a. Ritter des katholischen Malteserordens . Reinhard Gehlen ist bestattet im Familiengrab auf dem Friedhof von Aufkirchen am Starnberger See.

Auszeichnungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Veroffentlichungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Widmung Gehlens in einem Exemplar von ?Der Dienst“
  • Der Dienst: Erinnerungen 1942?1971 . v. Hase und Koehler, Mainz / Wiesbaden 1971, ISBN 3-920324-01-3 . (Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch vom 25. Oktober bis zum 7. November 1971)
  • Zeichen der Zeit: Gedanken u. Analysen zur weltpolit. Entwicklung . v. Hase & Koehler, Mainz 1983, ISBN 3-7758-1041-2 . (Erstausgabe 1973)
  • Verschlusssache . v. Hase und Koehler, Mainz 1980, ISBN 3-7758-0997-X .

Filme und Dokumentationen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Gegen Freund und Feind ? Eine Geschichte des Bundesnachrichtendienstes . Dokumentarfilm von Michael Muller und Peter F. Muller , WDR, Deutschland 2002.
  • Nazis im BND ? Neuer Dienst und alte Kameraden. Dokumentarfilm von Christine Rutten , ARTE/HR, Deutschland 2013.
  • Doku zur Serie: Alte Freunde, neue Feinde ? Deutschland 2023, WDR ( Online bei DasErste.de, Video verfugbar bis 17. Januar 2024)
  • Bonn ? Alte Freunde, neue Feinde ? Deutschland 2023, Odeon Fiction in Zusammenarbeit mit Wilma Film, Historische Miniserie im Auftrag von ARD. Mit Martin Wuttke als Gehlen ( Online bei DasErste.de, Video verfugbar bis 24. Juli 2023) [27]
  • Morder bevorzugt ? Wie der BND NS-Verbrecher rekrutierte. Dokumentarfilm von Christine Rutten, HR, Deutschland 2022 ( Online ), bei Das Erste, Video verfugbar bis 10. Oktober 2023 oder auf Youtube.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Reinhard Gehlen  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche who’s who. XV. Ausgabe von Degeners wer ist’s? , Berlin 1967, S. 528.
  2. Als Beispiel aus jetziger Zeit sei genannt: Magnus Pahl: Fremde Heere Ost. Hitlers militarische Feindaufklarung. Ch. Links Verlag , Berlin 2012, ISBN 978-3-86153-694-9 (zugleich Dissertation an der Helmut-Schmidt-Universitat/Universitat der Bundeswehr Hamburg 2011)
  3. Rolf-Dieter Muller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie. 2 Bande. Teil 1: 1902?1950. Ch. Links, Berlin 2017, S. 412.
  4. Dieter Muller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie , S. 250.
  5. Dieter Muller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie . Teil 1, S. 239.
  6. Dieter Muller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie . Teil 1, S. 412f.
  7. Dieter Muller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie . Teil 1, S. 251f.; siehe auch das Resumee Mullers in Teil 2 seiner Gehlen-Biografie, S. 1318?1324.
  8. a b Christopher Simpson: Blowback. America's recruitment of nazis and its effect on Cold War. Collier Books, New York NY 1989, ISBN 0-02-044995-X , S. 41.
  9. Central Intelligence Agency|CIA­-Akte Gehlen, freigegeben ab 2001 (PDF; 1,7 MB). Auf Seite 2 oben: He operated under G-2 sponsorship from 1946 until 1949
  10. Gehlen: Der Dienst. S. 149 ff. Critchfield kennt allerdings nur eine erheblich kurzere und fur die Deutschen weit weniger positive Version dieses agreements, verg. Critchfield: Partners at the Creation , S. 39, vergl. auch Wegener: Die Organisation Gehlen und die USA S. 72
  11. Erich Schmidt-Eenboom : Ein Sonderling an der Wiege der Wiederbewaffnung ? Gehlens Paranoia und die Geburtswehen des BND. Forschungsinstitut fur Friedenspolitik e. V.
  12. vgl. Himmeroder Denkschrift und Amt Blank
  13. Hermann Zolling und Heinz Hohne : Pullach intern. Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes . In: Der Spiegel 13/1971, 22. Marz 1971
  14. "Future Federal Military Security and Intelligence Agencies". Central Intelligence Agency , 12. November 1951, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 13. Juli 2012 ; abgerufen am 18. April 2010 .
  15. a b Bundesnachrichtendienst. Central Intelligence Agency , 12. September 1952, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 13. Juli 2012 ; abgerufen am 18. April 2010 .
  16. "The Federal Chancellery". Central Intelligence Agency , 14. November 1952, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 13. Juli 2012 ; abgerufen am 18. April 2010 .
  17. Jerry Richardson: "James H. Critchfield played key roles both in hot and cold war". NDSUmagazine , 2003, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 26. September 2011 ; abgerufen am 29. Oktober 2011 .
  18. Magnus Pahl , Gorch Pieken , Matthias Rogg (Hrsg.): Achtung Spione! Gemeindienste in Deutschland von 1945 bis 1956 ? Katalog (=  Militarhistorisches Museum der Bundeswehr [Hrsg.]: Schriftenreihe des Militarhistorischen Museums . Band   11 ). 1. Auflage. Sandstein, Dresden 2016, ISBN 978-3-95498-209-7 , S.   361 (Abbildung Ernennungsurkunde).
  19. 164. Kabinettssitzung am 19. Dezember 1956 ? 1. Personalien. In: Bundesarchiv . 19. Dezember 1956, abgerufen am 1. Februar 2020 .
  20. Konkret-Extra ? Operation Eva. In: konkret-magazin.de. 4. August 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 24. Juni 2018 ; abgerufen am 26. Januar 2019 .
  21. Rolf-Dieter Muller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie Teil 2: 1950-1979. Band   2 . Ch. Links Verlag, 2017, ISBN 978-3-86153-966-7 , S.   1317 .
  22. Klaus Wiegrefe: Der BND hat alle großeren Krisen verschlafen. In: Der Spiegel . 12. Dezember 2017, abgerufen am 22. April 2024 (Interview mit Rolf-Dieter Muller).
  23. Otto Kohler: Unheimliche Publizisten . Die verdrangte Vergangenheit der Medienmacher (=  Knaur Politik und Zeitgeschichte . Nr.   80071 ). Droemer Knaur , Munchen 1995, ISBN 3-426-80071-3 (Vom Autor fur diese Ausgabe vollstandig uberarbeitet, erganzt und aktualisiert).
  24. Lutz Hachmeister: Weiße Flecken in der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung . 13. Mai 2008.
  25. Rolf-Dieter Muller : Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik . Die Biografie. Teil 2: 1950?1979. Ch. Links, Berlin 2017, ISBN 978-3-86153-966-7 , S. 1227?1239; die englischsprachige Ausgabe erschien 1972 unter dem Titel The Service. The Memoirs of General Reinhard Gehlen bei World Publishing, New York, mit David Irving als ?Translator“.
  26. Magnus Pahl , Gorch Pieken , Matthias Rogg (Hrsg.): Achtung Spione! Gemeindienste in Deutschland von 1945 bis 1956 ? Katalog (=  Militarhistorisches Museum der Bundeswehr [Hrsg.]: Schriftenreihe des Militarhistorischen Museums . Band   11 ). 1. Auflage. Sandstein, Dresden 2016, ISBN 978-3-95498-209-7 , S.   382   f . (Abbildung Beforderungsverfugung, dort 30. Marz 1962; im Text falschlicherweise 20. Marz genannt).
  27. Bonn - Alte Freunde, neue Feinde bei crew united , abgerufen am 19. Januar 2023.
  28. Matthias Uhl : R.-D. Muller: Reinhard Gehlen . Rezensiert fur H-Soz-Kult , 11. Dezember 2018.