Reichsacht

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Reichsacht Kaiser Ferdinands II. vom Januar 1621 gegen Kurfurst Friedrich V. (Pfalz) , der dadurch seine Erblande und die Kurwurde verlor.

Die Reichsacht (auch Reichsbann , kurz Acht oder Bann (Recht) [1] ) war eine besondere Form der Acht, die im Mittelalter vom Konig beziehungsweise vom Kaiser, in der Fruhen Neuzeit vom Konig oder vom Kaiser unter Mitwirkung der Reichsgerichte und der Kurfursten verhangt werden konnte. Die Achtung (Fried- und Rechtloserklarung) ? vor allem bei Ladungs- oder Urteilsungehorsamkeit ? erstreckte sich auf das ganze Gebiet des Heiligen Romischen Reiches . [2]

Vor der Volkerwanderung bis zum Mittelalter (500?1500) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Vor und wahrend des Mittelalters waren die Rechtspflege und die staatliche hoheitliche Verwaltung noch nicht hinreichend aufgebaut, so dass Gerichtsurteile oftmals nicht vollstreckt werden konnten, und die Tater die Moglichkeit hatten, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Die Achtung rief die Rechtshilfe der ganzen Rechtsgemeinschaft an: Der Tater wurde rechtlos gestellt, und jeder aus der Rechtsgesellschaft, der dies vermochte, konnte ihn dem Gericht zufuhren oder ihn toten.

Schon in den ersten Stammesgesellschaften der Germanen vor der Volkerwanderung wurden Verbrecher ? nach deren Flucht ? bei Delikten gegen Religion, Kult und im Heer, z. B. Verrat und Desertion , geachtet und somit außerhalb der Gesellschaft gestellt. In der Regel drohte ansonsten das Todesurteil.

Auf Beschluss des Things , in spaterer Zeit nach Gerichtsspruchs des Konigs bzw. des Hofgerichts, verfielen sie der Acht und waren vogelfrei . Sie verloren ihre Rechtsfahigkeit, und jedermann konnte ? und sollte ? sie ohne Strafe toten. Der Leichnam des Geachteten blieb unbegraben. Ihr Vermogen verfiel, jedermann konnte es an sich bringen. Die spater im Mittelalter vergebenen Lehnsguter aber fielen an den Konig, der die Acht ausgesprochen hatte, oder an den Lehnsherrn.

Aus der Acht konnte sich nur losen, wer sich dem Gericht und der Strafe stellte. Tat er das nicht, verfiel er im Mittelalter nach einer gewissen Zeit ( Jahr und Tag ) der Aberacht (auch damnatio, proscriptio superior, Uberacht, Oberacht ). Sie fuhrte zur vollen Rechtlosigkeit des Angeklagten und war anfangs nicht ablosbar (spater wurde auch sie ablosbar).

Vor der Losung aus der Acht mussten die Glaubiger befriedigt und eine Losungsgebuhr (der ?Achtschatz“) bezahlt werden. Durch die Losung aus der Acht erhielt der einstmals Geachtete seine volle burgerliche Stellung und auch sein Vermogen wie vor der Acht wieder. Dritte, die wahrend der Achtzeit das Vermogen des Geachteten innehatten, mussten es ihm wieder herausgeben, sie durften aber den Gewinn behalten, den sie wahrend der Zeit der Acht daraus gezogen hatten.

Seit 1220 konnte die Reichsacht nicht nur vom romisch-deutschen Konig bzw. vom Kaiser ausgesprochen werden, sie folgte fortan aufgrund des Artikels 7 der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis dem Kirchenbann nach nur sechs Wochen quasi automatisch, ohne gesonderte Anklage, ohne Prozess und ohne reichsrechtliche Verurteilung. Spater verhangten sie Reichsgerichte, etwa Femgerichte oder das Reichskammergericht unter Mitwirkung des Konigs bzw. Kaisers. Die Reichsacht erstreckte sich seit dem Mainzer Landfrieden von 1235 (Artikel 25 und 26) automatisch auch auf Personen und Stadte, die Geachteten Schutz und Hilfe boten. Kaiser Friedrich II. sah im Mainzer Landfrieden erstmals die Anlage eines Achtbuchs fur den koniglichen Hof vor.

Da seit 1220 Reichsacht und Kirchenbann Hand in Hand gingen, stammt daher die Formel In Acht und Bann . [3]

Fruhe Neuzeit [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Kaiser Karl V. musste 1519 zu seiner Wahl Zugestandnisse machen ( Wahlkapitulation ). Seitdem konnte er als Kaiser die Acht nicht mehr ohne die vorherige Durchfuhrung eines Achtungsverfahrens verhangen. Die Constitutio Criminalis Carolina regelte 1532 die Reichsacht; sie konnte vom deutschen Konig (seit dem 16. Jahrhundert gleichzeitig Kaiser ), vom Reichskammergericht , vom Hofgericht Rottweil (in dessen Wirkungsbereich) und von den Landfriedensgerichten ausgesprochen werden. [4]

In der weiteren Neuzeit ging die Unterscheidung zwischen Acht und Aberacht verloren. ?Acht“ war dann meist eine nur wenig abgeschwachte Form der mittelalterlichen Aberacht.

Die Acht wurde in der Fruhen Neuzeit vor allem verhangt bei

  • Nichterbringen bestimmter wichtiger Reichssteuern
  • folgend einer Bannbulle durch den Papst (Kirchenbann)
  • Majestatsverbrechen ( crimen laesae maiestatis )
  • Landfriedensbruch
  • Ungehorsam einer Partei in einem gerichtlichen Prozess (zum Beispiel wegen Nichterscheinens, obwohl man durch das Gericht geladen wurde, oder wegen Nichthandelns, obwohl man durch das Gericht zu einer bestimmten Handlung aufgefordert wurde ? sogenannte Contumaxacht )

Personen, die mit der Reichsacht belegt wurden [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Zu den bekanntesten Personlichkeiten, die mit der Reichsacht belegt wurden, zahlen:

Reichsacht gegen Stadte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Reichsacht konnte auch gegen Stadte verhangt werden:

  • 1163 Mainz ? Nach der Ermordung des Erzbischofs Arnold von Selenhofen durch die Stadtburger im Jahre 1160 wurde auf dem Mainzer Reichstag 1163 die Reichsacht uber die Stadt verhangt. [8]
  • 1431 Rostock ? Nachdem die Rostocker Burger aufgrund fehlender sozialer Verbesserungen einen neuen Rat wahlten und die geflohenen ehemaligen Burgermeister bei Kaiser Sigismund um Beistand baten. [9]
  • 1491?1495 Regensburg ? Aufgrund einer desolaten finanziellen Lage, einer stark anti-kaiserlich, pro-bayerischen Stromung im Stadtrat und des daraufhin beschlossenen Anschlusses der Stadt an das Herzogtum Bayern unter Herzog Albrecht IV. (Bayern) verhangte der romisch-deutsche Konig und spatere Kaiser Maximilian I. die Reichsacht. Nach dem Ruckzug von Herzog Albrecht wurde ein kaiserlicher Reichshauptmann eingesetzt, der die Verhaltnisse in der Stadt im Sinne des Kaisers regeln sollte. [10]
  • 1504?1512 Gottingen ? Nachdem die Gottinger ihm die Huldigung verweigerten, erwirkte Herzog Erich I. bei Kaiser Maximilian I. die Reichsacht.
  • 1540?1541 Goslar ? Der Herzog von Braunschweig-Wolfenbuttel lag mit der Stadt Goslar, die Mitglied des Schmalkaldischen Bundes war, im Streit um die Bergrechte am Rammelsberg . Nach den Unruhen von 1527 erhob der Herzog Klage wegen Landfriedensbruchs . Nach 13-jahrigem Prozess verhangte das Reichskammergericht die Reichsacht uber die Stadt, die aber schon im Folgejahr aufgehoben wurde. (Siehe dazu auch Schmalkaldischer Bundestaler ? Munzgeschichte )
  • 1547?1562 Magdeburg ? Uber Magdeburg wurde von Kaiser Karl V. die Reichsacht verhangt, da es sich dem Kaiser nicht unterwerfen wollte. Dadurch verlor es das Stapelrecht an Brandenburg . Magdeburg galt als Hort des Protestantismus . Kaiser Ferdinand I. sprach 1562 Magdeburg von der Reichsacht los.
  • 1607?1609 Donauworth ? Nachdem die Burger der Stadt Donauworth den Religionsfrieden gebrochen hatten, wurde von Kaiser Rudolf II. die Reichsacht gegen die Stadt verhangt, welche bis 1609 bestehen blieb. Dies war einer der Ausloser des Dreißigjahrigen Krieges .
  • 1652?1653 Bremen ? Nachdem sich die Stadt weigerte, den 1623 erwirkten Elsflether Weserzoll zu bezahlen, belegte Kaiser Ferdinand III. Bremen mit der Reichsacht, welche durch den Schluss des Regensburger Vergleichs 1653 wieder aufgehoben wurde.
  • 1663?1664 Erfurt ? Nachdem die Burger der Stadt gegen den Landesherren, den Kurfursten von Mainz , rebellierten und die lutherischen Geistlichen der Stadt sich weigerten fur den katholischen Landesherren zu beten, wurde 1663 die Reichsacht uber Erfurt verhangt. Mit der Vollstreckung der Reichsacht wurde Johann Philipp von Schonborn beauftragt. Die Stadt Erfurt wurde 1664 schließlich von frankischen, kurmainzischen und franzosischen Truppen besetzt. Am 15. Oktober 1664 schließlich ergab sich die Stadt in Gehorsam ihrem Landesherren.

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Acht. In: Albrecht Cordes (Hrsg.): Handworterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte . Band 1: Aachen ? Geistliche Bank . 2. vollig uberarbeitete und erweiterte Auflage. Schmidt, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4 .
  • Friedrich Battenberg : Reichsacht und Anleite im Spatmittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der hochsten koniglichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich, besonders im 14. und 15. Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur hochsten Gerichtsbarkeit im alten Reich. Band 18). Bohlau, Koln u. a. 1986, ISBN 3-412-00686-6 .
  • Erich Klingelhofer : Die Reichsgesetze von 1220, 1231/32 und 1235. Ihr Werden und ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs II. (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit. Band 8, 2). Bohlau, Weimar 1955.
  • Joseph Potsch: Die Reichsacht im Mittelalter und besonders in der neueren Zeit (= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Band 105). Marcus, Breslau 1911, (Zugleich: Munster, Universitat, Habilitations-Schrift), (Auch Nachdruck: Scientia-Verlag, Aalen 1971, ISBN 3-511-04105-8 ).

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wiktionary: Reichsacht  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Gemeinnutziges lexikon fur leser aller klassen, besonders fur unstudierte. Johann Ferdinand Roth , 1807, S. 8 , abgerufen am 29. September 2017 .
  2. Eberhard Isenmann, Bernhard Stettler: Reichsacht. In: Historisches Lexikon der Schweiz . 8. November 2011 , abgerufen am 12. Oktober 2020 .
  3. Genauer hierzu: Eduard Eichmann: Acht und Bann im Reichsrecht des Mittelalters. Paderborn 1909.
  4. Acht , in: Reinhard Heydenreuter, Wolfgang Pledl, Konrad Ackermann: Vom Abbrandler zum Zentgraf. Worterbuch zur Landesgeschichte und Heimatforschung in Bayern. Munchen 2009. S. 10.
  5. ?Johann Hilchen / Die Fehde mit dem Rheingrafen 1510“ , in F.Otto: Annalen des Vereins fur Nassauische Altertumskunde u. Geschichtsforschung erschienen 1892, Band: 24, Seite 3 u. 4
  6. Heinrich Ruckgaber: Geschichte der Frei- und Reichsstadt Rottweil . Dr. Rapp & C.B. Englerth, 1838 ( eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 5. August 2017]).
  7. Siehe die Achterklarung uber Friedrich von der Pfalz bei Wikisource .
  8. Kathrin Nessel: Das Benediktinerkloster auf dem Jakobsberg , festung-mainz.de, 27. Marz 2005
  9. Karl-Friedrich Olechnowitz : Die Geschichte der Universitat Rostock von ihrer Grundung 1419 bis zur franzosischen Revolution 1789. In: Geschichte der Universitat Rostock 1419?1969, Festschrift zur Funfhundertfunfzig-Jahr-Feier. Rostock 1969, S. 14.
  10. Tobias Beck: Kaiser und Reichsstadt am Beginn der Fruhen Neuzeit, Die Reichshauptmannschaft in den Regensburger Regimentsordnungen 1492?1555. Stadtarchiv Regensburg 2011, S. 28?32.