Die
Reichsacht
(auch
Reichsbann
, kurz
Acht
oder
Bann (Recht)
[1]
) war eine besondere Form der Acht, die im
Mittelalter
vom Konig beziehungsweise vom Kaiser, in der
Fruhen Neuzeit
vom Konig oder vom Kaiser unter Mitwirkung der Reichsgerichte und der
Kurfursten
verhangt werden konnte. Die
Achtung
(Fried- und Rechtloserklarung) ? vor allem bei Ladungs- oder Urteilsungehorsamkeit ? erstreckte sich auf das ganze Gebiet des
Heiligen Romischen Reiches
.
[2]
Vor der Volkerwanderung bis zum Mittelalter (500?1500)
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Vor und wahrend des
Mittelalters
waren die Rechtspflege und die staatliche hoheitliche Verwaltung noch nicht hinreichend aufgebaut, so dass Gerichtsurteile oftmals nicht vollstreckt werden konnten, und die Tater die Moglichkeit hatten, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Die Achtung rief die Rechtshilfe der ganzen Rechtsgemeinschaft an: Der Tater wurde rechtlos gestellt, und jeder aus der Rechtsgesellschaft, der dies vermochte, konnte ihn dem Gericht zufuhren oder ihn toten.
Schon in den ersten
Stammesgesellschaften
der
Germanen
vor der
Volkerwanderung
wurden Verbrecher ? nach deren Flucht ? bei Delikten gegen Religion, Kult und im Heer, z. B. Verrat und
Desertion
,
geachtet
und somit außerhalb der Gesellschaft gestellt. In der Regel drohte ansonsten das Todesurteil.
Auf Beschluss des
Things
, in spaterer Zeit nach Gerichtsspruchs des Konigs bzw. des Hofgerichts, verfielen sie der
Acht
und waren
vogelfrei
. Sie verloren ihre Rechtsfahigkeit, und jedermann konnte ? und sollte ? sie ohne Strafe toten. Der Leichnam des Geachteten blieb unbegraben. Ihr Vermogen verfiel, jedermann konnte es an sich bringen. Die spater im Mittelalter vergebenen
Lehnsguter
aber fielen an den Konig, der die Acht ausgesprochen hatte, oder an den Lehnsherrn.
Aus der Acht konnte sich nur losen, wer sich dem Gericht und der Strafe stellte. Tat er das nicht, verfiel er im Mittelalter nach einer gewissen Zeit (
Jahr und Tag
) der
Aberacht
(auch
damnatio, proscriptio superior, Uberacht, Oberacht
). Sie fuhrte zur vollen Rechtlosigkeit des Angeklagten und war anfangs nicht ablosbar (spater wurde auch sie ablosbar).
Vor der Losung aus der Acht mussten die Glaubiger befriedigt und eine Losungsgebuhr (der ?Achtschatz“) bezahlt werden. Durch die Losung aus der Acht erhielt der einstmals Geachtete seine volle burgerliche Stellung und auch sein Vermogen wie vor der Acht wieder. Dritte, die wahrend der Achtzeit das Vermogen des Geachteten innehatten, mussten es ihm wieder herausgeben, sie durften aber den Gewinn behalten, den sie wahrend der Zeit der Acht daraus gezogen hatten.
Seit 1220 konnte die Reichsacht nicht nur vom
romisch-deutschen Konig
bzw. vom
Kaiser
ausgesprochen werden, sie folgte fortan aufgrund des Artikels 7 der
Confoederatio cum principibus ecclesiasticis
dem
Kirchenbann
nach nur sechs Wochen quasi automatisch, ohne gesonderte Anklage, ohne Prozess und ohne reichsrechtliche Verurteilung. Spater verhangten sie Reichsgerichte, etwa
Femgerichte
oder das
Reichskammergericht
unter Mitwirkung des Konigs bzw. Kaisers. Die Reichsacht erstreckte sich seit dem
Mainzer Landfrieden
von 1235 (Artikel 25 und 26) automatisch auch auf Personen und Stadte, die Geachteten Schutz und Hilfe boten.
Kaiser Friedrich II.
sah im Mainzer Landfrieden erstmals die Anlage eines
Achtbuchs
fur den koniglichen Hof vor.
Da seit 1220 Reichsacht und Kirchenbann Hand in Hand gingen, stammt daher die Formel
In Acht und Bann
.
[3]
Kaiser
Karl V.
musste 1519 zu seiner Wahl Zugestandnisse machen (
Wahlkapitulation
). Seitdem konnte er als Kaiser die Acht nicht mehr ohne die vorherige Durchfuhrung eines Achtungsverfahrens verhangen. Die
Constitutio Criminalis Carolina
regelte 1532 die Reichsacht; sie konnte vom deutschen Konig (seit dem 16. Jahrhundert gleichzeitig
Kaiser
), vom
Reichskammergericht
, vom
Hofgericht Rottweil
(in dessen Wirkungsbereich) und von den Landfriedensgerichten ausgesprochen werden.
[4]
In der weiteren Neuzeit ging die Unterscheidung zwischen Acht und Aberacht verloren. ?Acht“ war dann meist eine nur wenig abgeschwachte Form der mittelalterlichen Aberacht.
Die Acht wurde in der
Fruhen Neuzeit
vor allem verhangt bei
- Nichterbringen bestimmter wichtiger Reichssteuern
- folgend einer
Bannbulle
durch den
Papst
(Kirchenbann)
- Majestatsverbrechen (
crimen laesae maiestatis
)
- Landfriedensbruch
- Ungehorsam einer Partei in einem gerichtlichen Prozess (zum Beispiel wegen Nichterscheinens, obwohl man durch das Gericht geladen wurde, oder wegen Nichthandelns, obwohl man durch das Gericht zu einer bestimmten Handlung aufgefordert wurde ? sogenannte
Contumaxacht
)
Zu den bekanntesten Personlichkeiten, die mit der Reichsacht belegt wurden, zahlen:
- 1180
Heinrich der Lowe
wegen seiner mehrmaligen Weigerung, auf den Reichstagen von Kaiser
Friedrich I. Barbarossa
zu erscheinen, wo uber ihn Gericht gehalten werden sollte
- 1208
Otto VIII. von Wittelsbach
wegen der Ermordung Konig
Philipps von Schwaben
- 1225 Graf
Friedrich von Isenberg
wegen des Totschlags seines Onkels
Engelbert II. von Berg
, Erzbischof von Koln
- 1235 Konig
Heinrich (VII.)
auf Grund der Emporung gegen seinen Vater Kaiser
Friedrich II.
- 1310 Graf
Eberhard der Erlauchte
von Wurttemberg wegen seiner aggressiven Territorialpolitik
- 1491
Albrecht IV.
, Herzog von Bayern: Er hatte versucht, die Freie Reichsstadt Regensburg seinem Staatsverbund einzuverleiben.
- 1499
Friedrich von Pfuel
wegen Landfriedensbruchs und Nichterscheinens bei Gericht im Zuge einer
Fehde
gegen die
Mecklenburger Herzoge
- 1504
Ruprecht von der Pfalz
wegen Ungehorsams gegen konigliche Gebote und Landfriedensbruchs zusammen mit seiner Ehefrau, wegen Beihilfe Graf
Wilhelm von Henneberg
- 1511
Johann Hilchen (III.) von Lorch
wegen Landfriedensbruch im Zuge einer Fehde gegen den
Wild- und Rheingrafen
Philipp von Dhaun.
[5]
- 1512 und 1518
Gotz von Berlichingen
erst wegen
Rauberei
, dann wegen
erpresserischen Menschenraubs
- 1516 Herzog
Ulrich von Wurttemberg
wegen seiner Weigerung, die Regierung fur sechs Jahre seinen Raten zu uberlassen, erneut 1521
- 1521
Martin Luther
und seine Anhanger (nach
papstlichen Decret
) im
Wormser Edikt
wegen
Haresie
und Ansinnen, die
herrschende Kirche
zu reformieren
- 1541 Christoph von
Breitenlandenberg
wegen Landfriedensbruchs im Zuge der
Landenbergischen Fehde
[6]
- 1546
Johann Friedrich I.
von Sachsen und
Philipp I.
von Hessen im Zuge der Auseinandersetzung um den
Schmalkaldischen Bund
- 1566
Wilhelm von Grumbach
wegen Landfriedensbruchs
- 1614
Vinzenz Fettmilch
im Zuge des von ihm angefuhrten
antisemitischen Zunftaufstands in Frankfurt
- 1621
Friedrich V. von der Pfalz
sowie
- 1637
Wilhelm V. von Hessen-Kassel
durch Kaiser
Ferdinand II.
(1636) und seinen Sohn Kaiser
Ferdinand III.
(publiziert 1637)
- 1647
Johann von Werth
(Jan von Werth) durch Kurfurst
Maximilian I.
- 1706
Max II. Emanuel, Kurfurst von Bayern
, und sein Bruder, der Kolner Kurfurst
Joseph Clemens
- 1793
Georg Forster
aufgrund eines
Dekrets
Kaiser
Franz’ II.
wegen seiner Zusammenarbeit mit der
franzosischen Revolutionsregierung
Die Reichsacht konnte auch gegen Stadte verhangt werden:
- 1163
Mainz
? Nach der Ermordung des Erzbischofs
Arnold von Selenhofen
durch die Stadtburger im Jahre 1160 wurde auf dem Mainzer Reichstag 1163 die Reichsacht uber die Stadt verhangt.
[8]
- 1431
Rostock
? Nachdem die Rostocker Burger aufgrund fehlender sozialer Verbesserungen einen neuen Rat wahlten und die geflohenen ehemaligen Burgermeister bei Kaiser
Sigismund
um Beistand baten.
[9]
- 1491?1495
Regensburg
? Aufgrund einer desolaten finanziellen Lage, einer stark anti-kaiserlich, pro-bayerischen Stromung im Stadtrat und des daraufhin beschlossenen Anschlusses der Stadt an das Herzogtum Bayern unter Herzog
Albrecht IV. (Bayern)
verhangte der romisch-deutsche Konig und spatere Kaiser
Maximilian I.
die Reichsacht. Nach dem Ruckzug von Herzog Albrecht wurde ein kaiserlicher Reichshauptmann eingesetzt, der die Verhaltnisse in der Stadt im Sinne des Kaisers regeln sollte.
[10]
- 1504?1512
Gottingen
? Nachdem die Gottinger ihm die Huldigung verweigerten, erwirkte
Herzog Erich I.
bei Kaiser Maximilian I. die Reichsacht.
- 1540?1541
Goslar
? Der Herzog von Braunschweig-Wolfenbuttel lag mit der Stadt Goslar, die Mitglied des
Schmalkaldischen Bundes
war, im Streit um die
Bergrechte
am
Rammelsberg
. Nach den
Unruhen von 1527
erhob der Herzog Klage wegen
Landfriedensbruchs
. Nach 13-jahrigem Prozess verhangte das Reichskammergericht die Reichsacht uber die Stadt, die aber schon im Folgejahr aufgehoben wurde. (Siehe dazu auch
Schmalkaldischer Bundestaler ? Munzgeschichte
)
- 1547?1562
Magdeburg
? Uber Magdeburg wurde von Kaiser
Karl V.
die Reichsacht verhangt, da es sich dem Kaiser nicht unterwerfen wollte. Dadurch verlor es das
Stapelrecht
an
Brandenburg
. Magdeburg galt als Hort des
Protestantismus
. Kaiser
Ferdinand I.
sprach 1562 Magdeburg von der Reichsacht los.
- 1607?1609
Donauworth
? Nachdem die Burger der Stadt Donauworth den
Religionsfrieden
gebrochen hatten, wurde von
Kaiser Rudolf II.
die Reichsacht gegen die Stadt verhangt, welche bis 1609 bestehen blieb. Dies war einer der Ausloser des
Dreißigjahrigen Krieges
.
- 1652?1653
Bremen
? Nachdem sich die Stadt weigerte, den 1623 erwirkten
Elsflether Weserzoll
zu bezahlen, belegte
Kaiser Ferdinand III.
Bremen mit der Reichsacht, welche durch den Schluss des Regensburger Vergleichs 1653 wieder aufgehoben wurde.
- 1663?1664
Erfurt
? Nachdem die Burger der Stadt gegen den Landesherren, den
Kurfursten von Mainz
, rebellierten und die lutherischen Geistlichen der Stadt sich weigerten fur den katholischen Landesherren zu beten, wurde 1663 die Reichsacht uber Erfurt verhangt. Mit der Vollstreckung der Reichsacht wurde
Johann Philipp von Schonborn
beauftragt. Die Stadt Erfurt wurde 1664 schließlich von frankischen, kurmainzischen und franzosischen Truppen besetzt. Am 15. Oktober 1664 schließlich ergab sich die Stadt in Gehorsam ihrem Landesherren.
- Acht.
In:
Albrecht Cordes
(Hrsg.):
Handworterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte
. Band 1:
Aachen ? Geistliche Bank
. 2. vollig uberarbeitete und erweiterte Auflage. Schmidt, Berlin 2008,
ISBN 978-3-503-07912-4
.
- Friedrich Battenberg
:
Reichsacht und Anleite im Spatmittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der hochsten koniglichen Gerichtsbarkeit im Alten Reich, besonders im 14. und 15. Jahrhundert
(=
Quellen und Forschungen zur hochsten Gerichtsbarkeit im alten Reich.
Band 18). Bohlau, Koln u. a. 1986,
ISBN 3-412-00686-6
.
- Erich Klingelhofer
:
Die Reichsgesetze von 1220, 1231/32 und 1235. Ihr Werden und ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs II.
(=
Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit.
Band 8, 2). Bohlau, Weimar 1955.
- Joseph Potsch:
Die Reichsacht im Mittelalter und besonders in der neueren Zeit
(=
Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte.
Band 105). Marcus, Breslau 1911, (Zugleich: Munster, Universitat, Habilitations-Schrift), (Auch Nachdruck: Scientia-Verlag, Aalen 1971,
ISBN 3-511-04105-8
).
- ↑
Gemeinnutziges lexikon fur leser aller klassen, besonders fur unstudierte.
Johann Ferdinand Roth
, 1807,
S. 8
,
abgerufen am 29. September 2017
.
- ↑
Eberhard Isenmann, Bernhard Stettler:
Reichsacht.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
8. November 2011
, abgerufen am
12. Oktober 2020
.
- ↑
Genauer hierzu: Eduard Eichmann:
Acht und Bann im Reichsrecht des Mittelalters.
Paderborn 1909.
- ↑
Acht
, in: Reinhard Heydenreuter, Wolfgang Pledl, Konrad Ackermann:
Vom Abbrandler zum Zentgraf. Worterbuch zur Landesgeschichte und Heimatforschung in Bayern.
Munchen 2009. S. 10.
- ↑
?Johann Hilchen / Die Fehde mit dem Rheingrafen 1510“
, in F.Otto:
Annalen des Vereins fur Nassauische Altertumskunde u. Geschichtsforschung
erschienen 1892, Band: 24, Seite 3 u. 4
- ↑
Heinrich Ruckgaber:
Geschichte der Frei- und Reichsstadt Rottweil
. Dr. Rapp & C.B. Englerth, 1838 (
eingeschrankte Vorschau
in der Google-Buchsuche [abgerufen am 5. August 2017]).
- ↑
Siehe die
Achterklarung uber Friedrich von der Pfalz
bei
Wikisource
.
- ↑
Kathrin Nessel:
Das Benediktinerkloster auf dem Jakobsberg
, festung-mainz.de, 27. Marz 2005
- ↑
Karl-Friedrich Olechnowitz
:
Die Geschichte der Universitat Rostock von ihrer Grundung 1419 bis zur franzosischen Revolution 1789.
In:
Geschichte der Universitat Rostock 1419?1969, Festschrift zur Funfhundertfunfzig-Jahr-Feier.
Rostock 1969, S. 14.
- ↑
Tobias Beck:
Kaiser und Reichsstadt am Beginn der Fruhen Neuzeit, Die Reichshauptmannschaft in den Regensburger Regimentsordnungen 1492?1555.
Stadtarchiv Regensburg 2011, S. 28?32.