Reflexion
bedeutet etwas prufendes und vergleichendes
Nachdenken
. Dabei sind verschiedene Formen der Reflexion zu unterscheiden.
Es gibt zum einen die
Selbstreflexion
, also das Nachdenken uber sich selbst bzw. das eigene Verhalten. Das zugehorige Verb ist
reflektieren
und steht fur grubeln, durchdenken oder nachsinnen.
[1]
In der
Philosophie
gibt es seit dem 17. Jahrhundert daruber hinaus fachspezifische Verwendungen des Begriffs, die sich an diesem Begriff orientieren und unterschiedliche Aspekte hervorheben. Beispielsweise Reflexion uber die Gesellschaftsverhaltnisse oder uber den
Sprachgebrauch
.
Im Zentrum steht dabei die Unterscheidung von auf außere Objekte bezogenem
Wahrnehmen
und derjenigen geistigen Tatigkeit, die sich auf den Akt des
Denkens
und der
Vorstellung
selbst richtet (
Abstraktion
).
Eine ?
Erkenntnis
der Erkenntnis“ wird schon von
Platon
angesprochen (
Charmides
171c),
Aristoteles
nennt das ?Denken des Denkens“ im Zusammenhang einer Erorterung des
Glucks
, das fur ihn aus der geistigen Tatigkeit uberhaupt entsteht:
- ?wenn nun der wahrnimmt, der sieht, daß er sieht, und hort, daß er hort, und als Gehender wahrnimmt, daß er geht, und wenn es bei allem anderen ebenso eine Wahrnehmung davon gibt, daß wir tatig sind, so daß wir also wahrnehmen, daß wir wahrnehmen, und denken, daß wir denken: und daß wir wahrnehmen und denken, ist uns ein Zeichen, daß wir sind (…)“.
[2]
Schließlich wird die Ruckwendung des
Geistes
auf sich, griechisch
epistrophe
, im
Neuplatonismus
, vor allem bei
Proklos
, zu einem zentralen Begriff. Im Mittelalter wurde
epistrophe
zunachst als
reditio
, Ruckkehr, oder
conversio
, Umkehr ubersetzt. Daneben verwendete
Thomas von Aquin
aber bereits
reflexio
.
[3]
Im Anschluss an
Descartes
’ Spiegel-Metaphern entstanden zahlreiche kontroverse Reflexionstheorien. Dennoch ?durfte die Definition von
Leibniz
La reflexion n'est autre chose qu'une attention a ce qui est en nous
[4]
(dt.: ?Die Reflexion ist nichts anderes als die Aufmerksamkeit auf das, was in uns ist.“) fur die cartesianische Tradition bis
Husserl
als konsensfahig gegolten haben.“
[5]
Zu diesen Grundlagen entstanden Abgrenzungen, die ?Reflexion“ zunehmend von einer hier vorherrschenden, psychologischen Vorstellung der
Introspektion
unterschieden.
Nachdem
reflection
im Englischen und
reflexion
im Franzosischen sich im 17. Jahrhundert als umgangssprachliche Begriffe eingeburgert hatten, wurde
John Lockes
Behandlung der Reflexion in seinem
Versuch uber den menschlichen Verstand
(1690) maßgebend fur die weiteren philosophischen Auseinandersetzungen daruber. Locke unterscheidet zwischen der Wahrnehmung außerer Gegenstande und der Wahrnehmung der Vorgange in unserer eigenen Seele wie ?Wahrnehmen, Denken, Zweifeln, Glauben, Begrunden, Wissen, Wollen“, samt den damit verbundenen Gefuhlen der ?Zufriedenheit oder Unzufriedenheit“:
- ?Indem wir uns deren bewusst sind und sie in uns betrachten, so empfangt unser
Verstand
dadurch ebenso bestimmte Vorstellungen, wie von den unsere Sinne erregenden Korpern. Diese Quelle von Vorstellungen hat Jeder ganz in sich selbst, und obgleich hier von keinem Sinn gesprochen werden kann, da sie mit ausserlichen Gegenstanden nichts zu tun hat, so ist sie doch den Sinnen sehr ahnlich und konnte ganz richtig innerer Sinn genannt werden. Allein da ich jene Quelle schon Sinneswahrnehmung (
sensation
) nenne, so nenne ich diese:
Selbstwahrnehmung
(
reflection
) (…)“.
[6]
Unklar bleibt dabei, ob die Reflexion als von der außeren Wahrnehmung abhangig oder als eigenstandige Quelle der Erkenntnis gesehen werden soll, da Locke im Ruckgriff auf
Descartes
, der freilich den Begriff Reflexion noch nicht verwendet, auch Letzteres behauptet.
[7]
Fur
Immanuel Kant
und seine
Transzendentalphilosophie
war die Reflexion wesentliches Mittel der
Erkenntnis
, indem er die Rolle der damit verbundenen
Begriffe
und ihrer notwendigen Unterscheidung betonte, vgl. →
Grundrelation
,
Kritizismus
. Indem er diese Tatigkeiten auf das eigene Ich des Denkenden zuruckfuhrte, benannte er sie auch mit eigenen ?Reflexionsbegriffen?, namlich der Einerleiheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Inneren und des Außeren, der Materie und der Form (
KrV
B 316 ff.). Hierbei ist auch auf die
Amphibolie
der Reflexionsbegriffe hinzuweisen (KrV B 326).
Der Gedanke, dass die Reflexion einen Verlust der Unmittelbarkeit bedeute, findet sich erstmals bei
Francois Fenelon
und wurde vor allem von
Jean-Jacques Rousseau
propagiert: ?Der Zustand der Reflexion ist gegen die Natur.“
[8]
Eine bekannt gewordene literarische Verarbeitung dieses Themas ist
Heinrich von Kleists
Uber das Marionettentheater
, wo es heißt:
- ?Wir sehen, daß in dem Maße, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und schwacher wird, die Grazie immer strahlender und herrschender hervortritt.“
Johann Gottfried Herder
verwies darauf, dass die Reflexion auf
Sprache
angewiesen ist: nur sie erlaube es, in einem ?Ocean von Empfindungen“ einzelne Momente festzuhalten, an denen der Verstand sich reflektieren konne.
[9]
Da die Menschen dabei auf bereits fruher Erreichtes zuruckgriffen, das sie erweiterten und verbesserten, stellt sich fur Herder die Geistesgeschichte schließlich als ein ?uberindividueller Reflexionszusammenhang“ (L. Zahn) dar.
[10]
Immanuel Kant
setzt sich mit den Reflexionsbegriffen seiner Vorganger in einem Anhang zur
transzendentalen Analytik
der
Kritik der reinen Vernunft
auseinander.
[11]
Er spricht hier von der
Amphibolie
, d. h. der Zweideutigkeit dieser Reflexionsbegriffe, da sie entweder ?von allen Bedingungen der Anschauung abstrahieren (…) so bleibt uns freilich im bloßen Begriffe nichts ubrig, als das Innere uberhaupt“ (B 339, 341); oder die Verstandesbegriffe wurden ganz und gar ?sensifiziert“, so dass man nur noch ihre Verschiedenheit und ihren Widerstreit feststellen konne. Ersteres sei der Fehler von
Leibniz
, Letzteres der von
Locke
(B 327). Er fordert deshalb eine
transzendentale
Reflexion, durch die uberhaupt erst festgestellt werden musse, ob Begriffe ?als zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung gehorend miteinander verglichen werden“ (B 317) ? er nennt sie transzendental, denn sie mache ?die subjektiven Bedingungen ausfindig, unter denen wir zu Begriffen gelangen konnen“, und habe es ?nicht mit den Gegenstanden selbst zu tun“, von denen die Begriffe gewonnen werden sollen (B 316).
Johann Gottlieb Fichte
unterscheidet in seiner Wissenschaftslehre von 1794 zwischen ?Reflexion“ und ?Streben“ als den beiden grundlegenden Tatigkeiten des ?absoluten Ich“.
[12]
Sie bewirken auf einer ersten Stufe die ?Ichheit“ als eine ?in sich selbst zuruckgehende, sich selbst bestimmende Tatigkeit“.
[13]
Durch weitere ?freie Reflexion“ werde das dabei zunachst noch Verbundene getrennt und ?in eine neue Form, die Form des Wissens oder des Bewußtseins aufgenommen“
[14]
womit Reflexion zum ?fur sich Seyn des Wissens“ wird,
[15]
das sich aber seinen Grund, namlich seine Freiheit und Einheit, nie restlos vergegenwartigen konne. Das ?wesentliche Grundgesetz der Reflexion“ sei, dass das Wissen immer die Form eines ?das und das“ behalt, was dazu fuhre, dass die ?Reflexion auf Reflexion“ auch immer wieder ?die Welt in einer neuen Gestalt“ erscheinen lasst.
[16]
Der Zusammenhang der Reflexion mit der Unmittelbarkeit sei in der Liebe zuganglich, die fur Fichte bestimmt ist als die ?in Gott sich selbst rein vernichtende Reflexion“.
[16]
Fur
Schelling
ist die ?Sphare der Reflexion und Entzweiung“ charakteristisch fur den Menschen,
[17]
bedeutet jedoch zugleich ?eine Geisteskrankheit“.
[18]
Da diese jedoch vor allem durch das
Christentum
als ?Entzweiung des Unendlichen und Endlichen“ (L. Zahn) das moderne
Bewusstsein
bestimme, musse sie abgehandelt werden. Das unternimmt Schelling im
System des transcendentalen Idealismus
(1800), worin der ?freien Reflexion“ die Aufgabe zukommt, das Ich als dem bloßen Organismus gegenuberstehend zum Bewusstsein seiner selbst zu bringen. Die Reflexion ist dabei ?analytisch“, bezieht sich aber auf eine vorausliegende ?synthetische Anschauung“, in der Anschauendes und Angeschautes identisch sind.
Schelling kritisiert an Fichte, dass dieser mit seiner Setzung des Ich durch das Ich ?nie aus dem Kreis des Bewußtseins hinaus“ zu den selbstandig gegebenen Objekten der Natur gelange,
[19]
es ist aber schwer, ihm selbst diesen Vorwurf zu ersparen.
Hegel
bestimmt in einem Aufsatz von 1802 die neuere Philosophie insgesamt als ?Reflexions-Philosophie der Subjektivitat“
[20]
kritisiert aber, dass bei seinen Vorgangern stets die Trennung zwischen dem endlichen Bewusstsein und einem inhaltsleeren Absoluten bestehen bleibe. Seine eigene Auffassung der Reflexion entwickelte er in der
Wissenschaft der Logik
(1812?1816) und in der
Enzyklopadie der philosophischen Wissenschaften
(ab 1816).
Hegel unterscheidet zwischen dem ?Sein“ als reiner Unmittelbarkeit und dem ?Wesen“, dessen ?eigene Bestimmung“
[21]
die Reflexion sei. Die Reflexion ?setzt“ die Identitat des Wesens, dabei setzt sie das Sein einerseits voraus, ?setzt“ es aber gleichzeitig selbst. Zur ?setzenden Reflexion“ kommt deshalb eine ?außere“ Reflexion, die das gesetzte Sein, eben weil es von der Reflexion gesetzt ist, negiert, womit sie ?das Aufheben dieses ihres Setzens“ ist und ?im Negiren das Negiren dieses ihres Negirens“ betreibt.
[22]
Schließlich ergibt die ?bestimmende Reflexion“, dass setzende und außere Reflexion eins sind, weil Letztere nichts ist als die ?immanente Reflexion der Unmittelbarkeit selbst“.
[21]
Daraus ergeben sich als ?Reflexions-Bestimmungen“ Identitat, Unterschied und Widerspruch, wobei die Reflexion an Letzterem ?zu Grunde“ geht, im Doppelsinn des Ausdrucks. Die ?unendliche Reflexion“ fuhrt vom ?Wesen“, das den Charakter einer ?Substanz“ habe, zum rein subjektiven ?Begriff“ als der dritten Entfaltungsstufe von Hegels
Logik
. In der Sphare des Begriffs ?artikuliert“ die Reflexion, die bis dahin nur die ?Bewegung“ vom Sein zum Wesen ausgemacht hatte, sich selbst als Urteil und Schluss.
[21]
Von dieser ?Reflexion uberhaupt“ unterscheidet Hegel die ?Reflexion des Bewußtseins“, die er in der
Phanomenologie des Geistes
(1806) entfaltet habe, und die ?bestimmtere Reflexion des Verstandes“, die die Gegebenheiten der Anschauung unter verschiedenen Gesichtspunkten erortere.
[23]
Innerhalb des Gesamtprozesses seiner Philosophie, der das Zusichkommen des
Absoluten
beschreibt, identifiziert er das Sein und Bewusstsein des einzelnen Menschen auch als ?Stufe der Reflexion“.
[24]
Nach Hegel fuhrte
Jakob Friedrich Fries
die Reflexion einerseits auf ?unmittelbare Vernunfterkenntnis“ zuruck, andererseits bestimmte er sie empirisch als
Vermogen
?innerer Selbstbeobachtung“.
[25]
In der Folge verstarkten sich Tendenzen einer ?
psychologistischen
“ Herangehensweise, bei der die Reflexion selbst als empirischer Gegenstand behandelt wurde.
Franz Brentano
hob demgegenuber darauf ab, dass die ?innere Wahrnehmung … nie innere Beobachtung werden kann“, sondern die Beobachtungen lediglich begleite.
[26]
Auf diese Einsicht baute die
Phanomenologie
Edmund Husserls
auf:
Husserl sieht in der Reflexion die ?Bewußtseinsmethode fur die Erkenntnis von Bewusstsein uberhaupt“.
[27]
Da fur ihn nur die Bewusstseinsinhalte Gegenstand einer streng wissenschaftlichen Philosophie sein konnen, kommt ihr somit eine ?universelle methodologische Funktion“ zu.
[28]
Er formuliert eine Stufenordnung der Reflexionen, denn die ?Reflexionen sind abermals Erlebnisse und konnen als solche Substrate neuer Reflexionen werden, und so in infinitum“, wobei der jeweils vorher erlebte Sachverhalt in der ?Retention“ erfasst wird.
[28]
Zuletzt werde so das ?reine Ich“ vergegenwartigt.
Von den phanomenologischen und
existentialistischen
Nachfolgern Husserls wurde diese ?Reduktion auf reine
Subjektivitat
“ (L. Zahn) kritisiert.
Merleau-Ponty
verwies darauf, dass zum einen bei dieser Herangehensweise die Welt derart auf das
Ich
hin durchsichtig werde, dass nicht nachvollziehbar sei, warum Husserl uberhaupt den Umweg uber sie nehme; zum anderen stoße die Reflexion stets auf eine prareflexive ?Undurchdringlichkeit“ (opacite) der Welt. Die Reflexion musse ihre Moglichkeiten angesichts dieser Undurchdringlichkeit prufen und entwickeln:
- ?was gegeben ist, ist weder das Bewußtsein noch ein reines Sein, sondern, wie Kant selbst es tiefsinnig ausgesprochen hat, die Erfahrung, m. a. W. die Kommunikation eines endlichen Subjekts mit einem undurchdringlichen Sein, aus dem es emportaucht, worin es aber gleichwohl engagiert bleibt.“
[29]
Daraus ergibt sich: ?Nie vermag die Reflexion sich selbst uber alle Situation zu erheben (…) stets ist auch sie selbst sich selbst
erfahrungsmaßig
gegeben ? in einem Kantischen Sinne des Wortes Erfahrung: sie entspringt, ohne selbst zu wissen, woher, sie gibt sich mir als naturgegeben.“
[30]
Sartre
beschreibt in
Das Sein und das Nichts
das Scheitern der Reflexion bei ihrem ?doppelten gleichzeitigen Bemuhen um Objektivierung und Verinnerlichung“.
[31]
- ?Die Reflexion bleibt eine permanente Moglichkeit des Fur-sich als Versuch einer Ubernahme von Sein. Durch die Reflexion versucht das Fur-sich, das sich außerhalb seiner verliert, sich in seinem Sein zu verinnern (…)“
[32]
Doch ?kann die Ruckwendung des Seins zu sich nur eine
Distanz
erscheinen lassen zwischen dem, was sich zuruckwendet, und dem, zu dem die Ruckwendung geschieht“ ? eine Spaltung, die ?das Nichts, das das Bewußtsein von sich trennt, nur noch tiefer und unuberwindlicher werden“ lasst.
[33]
Sartre unterscheidet insgesamt drei ?Nichtungsprozesse“: als Erstes die Nichtung des ?Fur-sich“, das sich ?draußen“ verliert, ?beim An-sich und in den drei zeitlichen Ek-stasen“ Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft;
[32]
zweitens diejenige beim Versuch, sich daraufhin wiederzuerlangen, wie eben beschrieben; drittens schließlich die Nichtung durch das ?Fur-Andere-Sein“, das Sartre als ?unreine“ oder ?mitschuldige Reflexion“ bezeichnet, weil sie das unmogliche Ziel verfolge, ?zugleich
Anderes zu sein
und
es selbst zu bleiben
“.
[34]
Karl Jaspers
nennt unter Bezug auf
Kierkegaard
die ?existentielle Selbstreflexion“ ?ein mir nirgends sich schließendes Medium“. Einerseits ?suche ich mich“ darin ?als hervorgehend aus meinem Urteil uber mich“, ein prinzipiell unabschließbarer Prozess, andererseits lege ich zwar fortdauernd neue Moglichkeiten frei, laufe dabei aber Gefahr, ?jeden Anfang meiner Wirklichkeit“ zu zerstoren.
[35]
?Existenz kann erst in der steten Gefahr der Endlosigkeit ihrer Reflexion“, in der sie ?die grenzenlose Offenheit wagt, zu sich kommen.“
[36]
Heidegger
setzt sich mit dem Reflexionsbegriff in
Kants These uber das Sein
(1962) auseinander.
[37]
Kants transzendentale Reflexion sei ?Reflexion auf das Ortsnetz im Ort des Seins“, wobei das Denken ?einmal als Reflexion und dann als Reflexion der Reflexion“ im Spiel sei. Erstere gebe ?den Horizont“ vor, in dem ?dergleichen wie Gesetztheit, Gegenstandigkeit erblickt werden kann“, Letztere ?das Verfahren, wodurch (…) das im Horizont der Gesetztheit erblickte Sein ausgelegt wird“. Heidegger zufolge handelt es sich um eine Zweiteilung, die fur ?die ganze Geschichte des abendlandischen Denkens“ grundlegend ist.
[38]
Paul Ricœur
bezieht sich auf Fichte und dessen Rezeption in der franzosischen Philosophie, wenn er die Reflexion als ?Wiederaneignung unseres Strebens nach Existenz“
[39]
beschreibt. Von der
cartesischen
Bewusstseinsphilosophie
unterscheide die Reflexionsphilosophie, dass in ihr das Ich ?weder in einer psychologischen Evidenz, noch in einer intellektuellen Intuition“ gegeben sei:
- die Reflexion ist das Bestreben, das Ego des ?Ego cogito’ im Spiegel seiner Objekte, seiner Werke und schließlich seiner Handlungen zuruckzuerobern.
[40]
Im 20. Jahrhundert wurden die Fragen nach Reflexion und Reflexivitat neu aufgeworfen durch den pragenden Einfluss von
Wissenschaftsphilosophie
bzw.
Sprachphilosophie
,
Linguistik
und
Strukturalismus
. Besonders ausgepragt sind sie in der
postanalytischen Philosophie
(in deren Versuch der Reintegration von Empirie und Reflexionssemantik) sowie auch in den
Kommunikationstheorien
insbesondere der
Diskurs-
und
Systemtheorien
. In jenem Kommunikations-
Paradigma
schlagt sich die neue Thematisierung auch im Einflussbereich von
Martin Heidegger
(1889?1976) und
Hans-Georg Gadamer
(1900?2002) nieder.
In der Analyse von
Herbert Schnadelbach
ist
Reflexion traditionell das Denken des Denkens
, das allgemein als
Philosophie
und heute genauer genommen als
methodisch-rationale
Philosophie nutzlich und systematisierbar sei. Die methodische Systematisierung von ?Reflexion’ erlaube es, das voranalytische, mentalistische Verstandnis von Reflexion in den an
Jurgen Habermas
und
Karl-Otto Apel
anschließenden Diskurstheorien wie auch in den sprach- bzw. postanalytischen Philosophien zu transformieren und dort kritisch auszudifferenzieren. Die Idee der Spiegelung wird aufgegeben. Das Verhaltnis von Reflexion und Methode formuliert Schnadelbach zu Beginn seines Hauptwerks
Reflexion und Diskurs
(1977):
- ?Wer uber philosophische Methodenfragen redet, setzt sich dem Verdacht aus, uber die Philosophie zu reden statt zu philosophieren. Gehort aber die Diskussion uber Methodenfragen zur Philosophie, kann man offenbar nur
philosophierend
uber die Philosophie reden, und man
muß
es tun, wenn man in der Philosophie Methodenfragen fur relevant halt. […] Eine solche Selbstthematisierung von Thematisierungsweisen nennt die philosophische Tradition (in einer optischen Metapher)
Reflexion
, und sie expliziert dies vor allem in der Neuzeit ? grob gesprochen: von
Descartes
bis
Husserl
? in
mentalistischen
Termini: als Denken des Denkens, Erkennen des Erkennens, Bewußtsein des Bewußtseins usf. Sie verknupft das so Explizierte mit der Aufgabe einer philosophischen Begrundung der Philosophie, die ihrerseits
Wissenschaft
und
Moral
begrunden soll. Reflexion wird damit zum Medium der
Selbst
-begrundung der Philosophie, d. h. des Losungsverfahrens eines Problems, das selbst
reflexiv
strukturiert ist. >Reflexion< ist darum der
wichtigste Methodenbegriff der neueren Philosophie
.“
[41]
Hierbei gehe
Reflexion als Begrundung
? im Sinne von
Geltungsgrunden
der
Praktischen Philosophie
? uber
Reflexion als Selbstbeobachtung
hinaus (dies stellt eine Abgrenzung zu empiristischen und systemtheoretischen Theorien dar). Als ein Drittes ist in der Schnadelbachschen Reflexionstheorie die
Reflexion als Begriffsklarung
zu unterscheiden (analog zu seiner analytischen Trennung von normativen, deskriptiven
und
explikativen Diskursen). In Bezug auf Reflexion als Begrundung von Handlungen betont Jurgen Habermas in der Vorlesungsreihe
Der philosophische Diskurs der Moderne
(1983/84) die kommunikative Verankerung der Reflexion:
- ?Freilich ist ?Reflexion’ nicht mehr eine Sache des Erkenntnissubjekts, das sich objektivierend auf sich bezieht. An die Stelle dieser vorsprachlich-einsamen Reflexion tritt die ins kommunikative Handeln eingebaute Schichtung von Diskurs und Handeln.“
[42]
In der
Systemtheorie Niklas Luhmanns
bezeichnet Reflexion eine bestimmte Form der
Selbstreferenz
sozialer Systeme
, und zwar die, bei der das System seinen Operationen die Differenz von System und Umwelt zugrunde legt. Die Selbstreferenz dient der
autopoietischen
Reproduktion, d. h. der Reproduktion des Systems aus sich selbst heraus; die Orientierung an der Differenz von System und
Umwelt
erlaubt es dem System,
Konditionierungen
durch die Umwelt selbst zu wahlen, was relevant werden kann, wenn das System als solches in Frage gestellt wird.
[43]
Luhmann formuliert, auch in Hinblick auf psychische Systeme (mit Verweis auf
Jurgen Ruesch
/
Gregory Bateson
fur unbestrittene Standards von psychiatrischen Theorien):
- ?Jede Analyse der Selbstbeschreibung oder, in klassischer Terminologie, von ?Reflexion“ wird davon ausgehen mussen, dass das System fur sich selbst operativ unerreichbar und damit auch fur die eigenen Operationen intransparent bleibt. […] Hier mag der Grund dafur liegen, dass die klassischen Theorien der Selbstreflexion, sei es des Bewusstseins, sei es des ?Geistes“, mit dem Schema bestimmt/unbestimmt arbeiten. […] In Hegels Theorie wird dies zu einem Problem durch Dialektik disziplinierter Ubergange.“
[44]
Reflexionstheorien
arbeiten in unterschiedlichen Weisen und Losungsansatzen mit dem
Paradox
eines
blinden Flecks
in jeder
Beobachtung, des Kantischen Absehens von sich selbst, des Unterstellens bei Martin Heidegger, des bereits in-der-Sprache-seins bei Hans-Georg Gadamer oder des Dekonstruktionstheorems von
Jacques Derrida
; um nicht zuletzt auch das, was sich nicht bezeichnen lasst, zumindest als ?unbestimmt“ zu erfassen.
Theodor Adorno
war in Anschluss an Hegel ? welcher hierzu nach wie vor am ausfuhrlichsten gearbeitet hat ? zur Ausarbeitung einer
negativen Dialektik
veranlasst. Reflexion ist in dieser Theorielage der gedanklich verlaufende
Ruckbezug
auf das, was das Denken im Denken denken und nicht denken kann (bzw. auf das, was die Gesprache und sonstige Kommunikationen in der Kommunikation kommunizieren und nicht kommunizieren konnen).
chronologisch
- Rene Descartes
:
Discours de la methode
pour bien conduire sa raison et chercher la verite dans les sciences.
1637 (deutsch:
Abhandlung uber die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung
).
- John Locke
:
An Essay concerning Humane Understanding
.
1690 (deutsch:
Ein Versuch uber den menschlichen Verstand
).
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel
:
Phanomenologie des Geistes
.
1806/1807.
- Edmund Husserl
:
Ideen zu einer reinen Phanomenologie und phanomenologischen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einfuhrung in die reine Phanomenologie.
Niemeyer, Halle(Saale) 1913.
- Hans Wagner
:
Philosophie und Reflexion.
Munchen, Basel 1959. 3. Auflage. 1980,
ISBN 3-497-00937-7
.
- Herbert Schnadelbach
:
Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie.
Frankfurt am Main 1977,
ISBN 3-518-06408-8
.
- Niklas Luhmann
:
Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie.
Frankfurt am Main 1984,
ISBN 3-518-57684-4
.
- Lothar Zahn: Art.
Reflexion.
In:
Joachim Ritter
, Karlfried Grunder (Hrsg.):
Historisches Worterbuch der Philosophie
.
Band 8. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, Sp. 396?405.
- Andreas Arndt:
Dialektik und Reflexion: Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs
. Meiner, Hamburg 1994,
ISBN 3-7873-2329-5
.
- Johannes Heinrichs
:
Logik des Sozialen, Woraus Gesellschaft entsteht.
Munchen 2005,
ISBN 954-449-199-6
.
- ↑
Reflektieren.
In:
Duden
, abgerufen am 30. Juni 2017.
- ↑
Aristoteles:
Nikomachische Ethik
IX 9, 1170a28ff. (Ubers. O. Gigon); vgl. auch mit
Analytica posteriora
87b und
De Anima
429a?433a.
- ↑
Thomas von Aquin
,
De veritate
I 9.
- ↑
Leibniz
,
Nouveaux Essais, Pref. (Darmstadt 1959, XVI).
- ↑
Herbert Schnadelbach
:
Reflexion und Diskurs
. Frankfurt 1977, S. 14.
- ↑
(
Versuch uber den menschlichen Verstand
II, 1, § 4)
- ↑
(
Versuch
… IV, 9, § 3)
- ↑
Abhandlung uber den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen
- ↑
Abhandlung uber den Ursprung der Sprache
, 1. Teil. 2. Abschnitt
- ↑
Vgl.
Abhandlung uber den Ursprung der Sprache
, 2. Teil, unter
1.
und
4. Naturgesetz
- ↑
Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen
,
Kritik der reinen Vernunft
B 316?346
- ↑
Grundlegung der gesamten Wissenschaftslehre
(1794) III, § 5 ff.
- ↑
Grundlegung des Naturrechts
(1796)
- ↑
Uber den Begriff der Wissenschaftslehre
(1794) II, § 7
- ↑
Darstellung der Wissenschaftslehre
(1801)
- ↑
a
b
Anweisung zum seligen Leben
(1806)
- ↑
Philosophie und Religion
(1804)
- ↑
Ideen zu einer Philosophie der Natur
(1797)
- ↑
Uber den wahren Begriff der Naturphilosophie
(1801)
- ↑
Glauben und Wissen
- ↑
a
b
c
Enzyklopadie
§ 112
- ↑
Wissenschaft der Logik
- ↑
Vorlesungen uber die Philosophie der Religion
- ↑
Enzyklopadie
§ 413
- ↑
Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft
(1807)
- ↑
Psychologie vom empirischen Standpunkt
(1874)
- ↑
Ideen zu einer reinen Phanomenologie …
I, § 78
- ↑
a
b
Ideen zu einer reinen Phanomenologie …
I, § 77
- ↑
Phanomenologie der Wahrnehmung
(1945), Berlin: de Gruyter 1966, S. 257 (Ubers. R. Boehm)
- ↑
S. 65.
- ↑
Das Sein und das Nichts
, Reinbek: Rowohlt 1993, S. 294 (Ubers. H. Schoneberg u. T. Konig)
- ↑
a
b
S. 293.
- ↑
S. 294 f.
- ↑
S. 306.
- ↑
Philosophie II
, 1956, S. 35 ff.
- ↑
S. 43 f.
- ↑
Aufgenommen in:
Wegmarken
(1967)
- ↑
Gesamtausgabe
I, 9, 1976, S. 473, 477 f.
- ↑
Die Interpretation. Ein Versuch uber Freud
, Frankfurt: Suhrkamp 1974, S. 58 (Ubers. E. Moldenhauer)
- ↑
S. 56 f.
- ↑
Reflexion und Diskurs
, Frankfurt 1977, S. 9.
- ↑
Der philosophische Diskurs der Moderne
, 1985, S. 375.
- ↑
Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie
, Frankfurt: Suhrkamp 1987, S. 600 ff., 617 f.
- ↑
Organisation und Entscheidung.
Opladen 2000, S. 424., mit Verweis auf Jurgen Ruesch, Gregory Bateson:
Communication: The Social Matrix of Psychiatry.
2. Auflage. New York 1968, S. 99 ff.