Referenzellipsoid

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Ein Referenzellipsoid ist ein an den Polen abgeplattetes Ellipsoid , meist ein Rotationsellipsoid , das als Bezugssystem zur Berechnung von Vermessungsnetzen oder der direkten Angabe geografischer Koordinaten dient. Es soll als mathematische Erdfigur die Flache konstanter Hohe (siehe Geoid ) annahern, wobei die historische Entwicklung von regionaler Gradmessung zu globaler Ausgleichung des Schwerefeldes ging.

Als wissenschaftlich anerkanntes Erdmodell galt bereits seit der griechischen Naturphilosophie die Erdkugel . Erste Zweifel an der genauen Kugelgestalt tauchten im 17. Jahrhundert auf; um 1680 konnte Isaac Newton in einem Disput mit Giovanni Domenico Cassini und der Pariser Akademie theoretisch beweisen, dass die Erdrotation eine Abplattung an den Polen und nicht am Aquator verursachen musse (siehe verlangertes Ellipsoid ). Die Landesvermessung Frankreichs durch Philippe de La Hire und Jacques Cassini (1683?1718) ließ zunachst noch das Gegenteil vermuten. Der empirische Nachweis gelang erst Mitte des 18. Jahrhunderts durch Pierre Bouguer und Alexis-Claude Clairaut , als die Messungen der Expeditionen nach Peru (heutiges Ecuador ) und Lappland (1735?1741) zweifelsfrei ausgewertet waren. Diese erste prazise Gradmessung fuhrte auch zur Definition des Meters als 10-millionster Teil des Erdquadranten , das allerdings infolge unvermeidlicher kleiner Messfehler um 0,022 % ?zu kurz“ wurde.

Im 19. Jahrhundert begannen sich zahlreiche Mathematiker und Geodaten mit der Bestimmung der Ellipsoiddimensionen zu befassen. Die ermittelten Werte des Aquatorradius variierten noch zwischen 6376,9 km ( Jean-Baptiste Joseph Delambre 1810) und 6378,3 km ( Clarke 1880 ), wahrend das weithin akzeptierte Bessel-Ellipsoid 6377,397 km ergab (der moderne Bezugswert betragt 6378,137 km). Dass die Differenzen die damalige Messgenauigkeit um das Funffache ubertrafen, liegt an der Lage der einzelnen Vermessungsnetze auf verschieden gekrummten Regionen der Erdoberflache (siehe Lotabweichung ).

Die Werte der Erdabplattung variierten hingegen weniger ? zwischen 1:294 und 1:308, was ±0,5 km in der Polachse bedeutet. Hier lag Bessels Wert (1:299,15) bei weitem am besten. Durch immer großere Vermessungsnetze ?pendelte“ sich das Ergebnis im 20. Jahrhundert auf etwa 1:298,3 ein ( Friedrich Robert Helmert 1906, Feodossi Krassowski 1940), was 21,4 km Differenz zwischen Aquator- und Polachse entspricht, wahrend das Hayford-Ellipsoid mit 1:297,0 durch die Art der geophysikalischen Reduktion deutlich aus der Reihe fiel. Durch den großen US-Einfluss nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es dennoch als Basis des ED50 -Referenzsystems gewahlt, wahrend der ? Ostblock “ die Krassowski-Werte zur Norm nahm. Letztere wurden in den 1970ern durch das Satelliten- Weltnetz und globale Multi lateration (Laufzeitmessungen an Signalen von Quasaren und geodatischen Satelliten) als die besseren bestatigt.

Referenzellipsoide in der Praxis

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Referenzellipsoide werden von Geodaten fur Berechnungen auf der Erdoberflache benutzt und sind auch fur andere Geowissenschaften das haufigste Bezugssystem . Jede regionale Verwaltung und Landesvermessung eines Staates benotigt ein solches Referenzellipsoid, um

Referenzellipsoide in der Theorie

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Da die physikalische Erdfigur, das Geoid , durch die Unregelmaßigkeiten von Erdoberflache und Schwerefeld leichte Wellen aufweist, sind Berechnungen auf einer geometrisch definierten Erdfigur viel einfacher. Die zu vermessenden Objekte werden senkrecht auf das Ellipsoid projiziert und konnen dann kleinraumig sogar wie in einer Ebene betrachtet werden. Dafur wird z. B. ein Gauß-Kruger-Koordinatensystem verwendet.

Mit der Hohe wird der Abstand zum Ellipsoiden angegeben, senkrecht zu dessen Oberflache. Diese Senkrechte unterscheidet sich allerdings um die sog. Lotabweichung von der wirklichen Lotrichtung, wie sie ein Schnurlot darstellen wurde. Bei Vermessungen, die genauer sein sollen als einige Dezimeter pro Kilometer, muss dieser Effekt berechnet und die Messungen um ihn reduziert werden. Die Lotabweichung kann in Mitteleuropa je nach Gelande und Geologie 10?50″ betragen und bewirkt einen Unterschied zwischen astronomischer und ellipsoidischer Lange und Breite ( bzw. ).

Siehe auch: Geodatische Hauptaufgabe

Umrechnung in geozentrische kartesische Koordinaten

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In einem geozentrischen rechtwinkligen Bezugssystem, dessen Ursprung im Mittelpunkt des Rotationsellipsoids liegt und in Richtung der Rotationsachse ( ) sowie des Nullmeridians ( ) ausgerichtet ist, gilt dann

mit

  • ? große Halbachse (Parameter des Referenzellipsoids)
  • ? kleine Halbachse (Parameter des Referenzellipsoids)
  • ? numerische Exzentrizitat
  • ? Krummungsradius des Ersten Vertikals , d. h. der Abstand des Lotfußpunktes vom Schnittpunkt des verlangerten Lots mit der Z-Achse.

Berechnung von φ , λ und h aus kartesischen Koordinaten

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Die ellipsoidische Lange kann exakt bestimmt werden als

Bei gegebenem ergibt sich die Hohe als

Obwohl diese Beziehung exakt ist, bietet sich die Formel

eher fur praktische Berechnungen an, da der Fehler

nur quadratisch vom Fehler in abhangt. [1] Das Ergebnis ist somit um einige Großenordnungen genauer.

Fur die Berechnung von muss auf Naherungsverfahren zuruckgegriffen werden. Aufgrund der Rotationssymmetrie wird das Problem in die X-Z-Ebene verlegt ( ). Fur den allgemeinen Fall wird dann durch ersetzt.

Ellipse mit Krummungskreis. Die Lange der grunen Strecke betragt .

Das Lot des gesuchten Punktes auf die Ellipse hat den Anstieg . Das verlangerte Lot geht durch den Mittelpunkt M des Krummungskreises , der die Ellipse im Lotfußpunkt beruhrt. Die Koordinaten des Mittelpunktes lauten

mit

  • ? parametrische Breite , d. h., Punkte auf der Ellipse sind durch beschrieben

Damit gilt

Dies ist eine Iterationslosung , da und uber in Beziehung stehen. Ein naheliegender Anfangswert ware

.

Mit dieser Wahl erreicht man nach einem Iterationsschritt eine Genauigkeit von

. [2]

Das heißt, auf der Erdoberflache ergibt sich fur ein maximaler Fehler von 0,00000003″ und das globale Maximum des Fehlers (bei ) betragt 0,0018″.

Bei gunstiger Wahl von kann auch der maximale Fehler fur Punkte im Weltraum noch weiter reduziert werden. Mit

ist durch einmaliges Einsetzen in die Iterationsformel der Winkel (fur die Parameter der Erde) auf 0,0000001″ genau bestimmt (unabhangig vom Wert von ).

Wichtige Referenzellipsoide

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Die Form und Große der in verschiedenen Regionen verwendeten Ellipsoide werden im Allgemeinen durch ihre große Halbachse und die Abplattung (engl. flattening ) festgelegt. Ferner ist noch jener zentral gelegene ? Fundamentalpunkt “ zu definieren, auf dem das Referenzellipsoid das Geoid beruhrt und ihm damit eine unzweideutige Hohenlage gibt. Beide Festlegungen zusammen werden ? geodatisches Datum “ genannt.

Auch wenn zwei Lander dasselbe Ellipsoid verwenden (z. B. Deutschland und Osterreich das Bessel-Ellipsoid ), unterscheiden sie sich doch in diesem Zentralpunkt bzw. Fundamentalpunkt . Daher konnen sich die Koordinaten der gemeinsamen Grenzpunkte um bis zu einem Kilometer unterscheiden.

Die Achsen der Ellipsoide sind je nach der Region, aus deren Messungen sie bestimmt wurden, um bis zu 0,01 % verschieden. Die Genauigkeitssteigerung bei der Bestimmung der Abplattung (Differenz der Ellipsoid -Achsen rund 21 km) hangt mit dem Start der ersten kunstlichen Satelliten zusammen. Diese zeigten sehr deutliche Bahnstorungen bzgl. der Bahnen, die man vorausberechnet hatte. Anhand der Fehler konnte man zuruckrechnen und die Abplattung genauer bestimmen.

Regionale Ellipsoide 1810?1906 und global bestimmte Erdellipsoide 1924?1984
und Entwicklung der Kenntnis vom mittleren Aquatorradius und Erdabplattung
Ellipsoid Jahr Große Halbachse a
[Meter]
Kleine Halbachse b
[Meter]
Numerus = 1/ Abplattung
( n = 1/ f = a /( a ? b ))
Anmerkungen EPSG -Code
Delambre , Frankreich 1810 6 376 985 308,6465 Pionierarbeit
Schmidt 1828 6 376 804,37 302,02 Pionierarbeit
G.B. Airy 1830 6 377 563,4 6 356 256,91 299,3249646
Airy 1830 modifiziert 1830 6 377 340,189 6 356 034,447 299,3249514 EPSG::7002
Everest (Indien) 1830 6 377 276,345 300,8017 EPSG::7015
Bessel 1841 [3] 1841 6 377 397,155 6 356 078,963 [4] 299,1528128 [5] ideal angepasst in Eurasien; oft benutzt in Mitteleuropa EPSG::7004 [6]
Clarke 1866 6 378 206,400 294,9786982 ideal angepasst in Asien EPSG::7008
Clarke 1880 / IGN 1880 6 378 249,17 6 356 514,99 293,4663 EPSG::7011
Friedrich Robert Helmert 1906 6 378 200,000 298,3 EPSG::7020
Australian Nat. 6 378 160,000 298,25 EPSG::7003
Modif. Fischer 1960 6 378 155,000 298,3
Internat. 1924 Hayford 1924 6 378 388,000 6 356 911,946 297,0 ideal angepasst in Amerika
bereits 1909 publiziert
EPSG::7022
Krassowski 1940 6 378 245,000 6 356 863,019 298,3 EPSG::7024
Internat. 1967 Luzern 1967 6 378 165,000 298,25
SAD69 (South America) 1969 6 378 160,000 298,25
WGS72 (World Geodetic System 1972) 1972 6 378 135,000 ? 6 356 750,52 298,26 EPSG::7043
GRS 80 ( Geodatisches Referenzsystem 1980 ) 1980 6 378 137,000 ? 6 356 752,3141 298,257222101 EPSG::7019
WGS84 ( World Geodetic System 1984 ) 1984 6 378 137,000 ? 6 356 752,3142 298,257223563 fur GPS - Vermessungen EPSG::7030

Das Bessel-Ellipsoid ist fur Eurasien ideal angepasst, sodass sein ?800-m-Fehler“ fur die Geodasie Europas gunstig ist ? ahnlich wie die gegenteiligen 200 m des Hayford-Ellipsoids (nach John Fillmore Hayford ) fur Amerika.

Fur viele Staaten Mitteleuropas ist das Bessel-Ellipsoid wichtig, ferner die Ellipsoide von Hayford und Krassowski (Schreibweise uneinheitlich), und fur GPS - Vermessungen das WGS84 .

Die Resultate von Delambre und von Schmidt sind Pionierarbeiten und beruhen auf nur begrenzten Messungen. Hingegen entsteht der große Unterschied zwischen Everest (Asien) und Hayford (Amerika) durch die geologisch bedingte Geoid-Krummung verschiedener Kontinente. Einen Teil dieses Effekts konnte Hayford durch mathematische Reduktion der Isostasie eliminieren, sodass man dessen Werte damals fur besser hielt als die europaischen Vergleichswerte.

Einzelnachweise

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  1. Bowring: The accuracy of geodetic latitude and height equations. Survey Review, Vol. 28.
  2. Bowring: Transformation from Spatial to Geographical coordinates. Survey Review, Vol. 23.
  3. crs.bkg.bund.de , Constants for Reference Ellipsoids used for Datum Transformations. ( Memento vom 6. Oktober 2013 im Internet Archive ).
    Projecting from Bessel 1841 to WGS 1984 ( Memento des Originals vom 7. April 2018 im Internet Archive )   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/gis.stackexchange.com und geben den auf 1 mm gerundeten Wert fur b an, ausgehend von den in EPSG:7004 definierten Parametern a und f.
  4. .
  5. Falschlicherweise auch .
  6. georepository.com, epsg.io . EPSG:7004 nutzt .
    Dieser Wert stammt aus dem US Army Map Service Technical Manual ; 1943. “ Remarks: Original Bessel definition is a=3272077.14 and b=3261139.33 toise. This used a weighted mean of values from several authors but did not account for differences in the length of the various toise: the ?Bessel toise“ is therefore of uncertain length.