Das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung
ist im
Recht Deutschlands
das Recht des Einzelnen, grundsatzlich selbst uber die Preisgabe und Verwendung seiner
personenbezogenen Daten
zu bestimmen. Es ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts
ein
Datenschutz
-
Grundrecht
, das im
Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland
nicht ausdrucklich erwahnt wird. Der Vorschlag, ein Datenschutz-Grundrecht in das Grundgesetz einzufugen, fand bisher nicht die
erforderliche Mehrheit
. Personenbezogene Daten sind jedoch nach
Datenschutz-Grundverordnung
und nach Art. 8 der
EU-Grundrechtecharta
geschutzt, konkret sind
naturliche Personen
vor den Folgen der Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen bzw. personenbeziehbaren Daten geschutzt
[1]
.
Der Begriff des informationellen Selbstbestimmungsrechts geht zuruck auf ein
Gutachten
von
Wilhelm Steinmuller
,
Bernd Lutterbeck
u. a. aus dem Jahr 1971.
[2]
Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist eine Auspragung des allgemeinen
Personlichkeitsrechts
und wurde vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten
Volkszahlungsurteil
[3]
1983 als Grundrecht anerkannt. Ausgangspunkt fur das Bundesverfassungsgericht ist das sogenannte
allgemeine Personlichkeitsrecht
(APR), also
Art. 2
Abs. 1
GG
in Verbindung mit
Art. 1
Abs. 1 GG.
[4]
Die
Selbstbestimmung
bei der
freien Entfaltung der Personlichkeit
werde gefahrdet durch die Bedingungen der modernen
Datenverarbeitung
. Wer nicht wisse oder beeinflussen konne, welche
Informationen
bezuglich seines
Verhaltens
gespeichert und vorratig gehalten werden, werde aus Vorsicht sein Verhalten anpassen (
siehe auch:
Panoptismus
). Dies beeintrachtige nicht nur die individuelle
Handlungsfreiheit
, sondern auch das
Gemeinwohl
, da ein
freiheitlich demokratisches
Gemeinwesen
der selbstbestimmten
Mitwirkung
seiner
Burger
bedurfe. ?Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung waren eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermoglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Burger nicht mehr wissen konnen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit uber sie weiß.“
[5]
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich nach Ansicht des
Europaischen Parlamentes
auch aus
Art. 8
Abs. 1 der
Europaischen Menschenrechtskonvention
ab:
?
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
“
Aufbauend auf dieser Begrundung hatte das EU-Parlament gegen die
EU-Kommission
Klage erhoben, weil die verbindliche Speicherung der
Verkehrsdaten
der EU-Burger gegen diese Regelung verstoße.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist weit gefasst. Es wird nicht unterschieden, ob mehr oder weniger sensible Daten des Einzelnen betroffen sind. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass unter den Verarbeitungs- und Verknupfungsmoglichkeiten der Informationstechnologie auch ein fur sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen konne und es insoweit keine belanglosen Daten gebe.
Einschrankungen
des Grundrechts sind zwar moglich, bedurfen aber einer
gesetzlichen
Grundlage, die dem Gebot der
Normenklarheit
entspricht. Dabei hat der Gesetzgeber abzuwagen zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen und dem offentlichen Informationsinteresse der verarbeitenden Stelle, d. h. das
Allgemeininteresse
muss uberwiegen.
Es wird differenziert zwischen Maßnahmen, die ohne oder gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen werden, und solchen, die freiwillig erfolgen. Fur erstere muss die gesetzliche Ermachtigung auch ?bereichsspezifisch, prazise und
amtshilfefest
“ sein (
Volkszahlungsurteil
,
BVerfGE 65, 1
[46]).
Zudem kann man unterscheiden zwischen
anonymisierten
Daten, die keinen Ruckschluss auf den Betroffenen zulassen (z. B. fur
statistische
Erhebungen), und Daten, die personalisierbar sind. Bei anonymisierten Daten ist die Zweckbindung gelockert, fur Daten, die personalisierbar sind, gilt eine strenge Zweckbindung. Der
Gesetzgeber
muss Vorkehrungen treffen, um Datenmissbrauch zu verhindern (Verfahrensvorschriften,
Datenschutzbeauftragte
, …).
Das informationelle Selbstbestimmungsrecht wurde die Grundlage fur die bestehenden Datenschutzgesetze wie das
Bundesdatenschutzgesetz
oder die
Landesdatenschutzgesetze
und beeinflusste auch die Entwicklung der
Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie)
.
Auch in jungerer Zeit hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine große Rolle gespielt. So wurde die
Rasterfahndung
in
Nordrhein-Westfalen
fur
verfassungswidrig
erklart, sofern sie nur auf Grundlage einer ?allgemeinen Bedrohungslage“ geschieht;
[6]
die
§ 100c
und
§ 100d
StPO
(der sogenannte
Große Lauschangriff
) mussten um einen Straftatenkatalog und um explizite Loschungsvorschriften erganzt werden (
BVerfGE 109, 279
).
Das
Recht auf Nichtwissen
gilt als ?negative Variante des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“.
[7]
Das Ausspahen
privater
Daten aus einem
staatlichen
Interesse heraus ist strengen Beschrankungen unterworfen. Es bedarf nach dem
Legalitatsprinzip
generell der gesetzlichen Regelung und nach den Grundsatzen der
Gewaltenteilung
der richterlichen Anordnung. Nach bestimmter Frist muss dem Ausgespahten zudem Kenntnis uber den Vorgang gegeben werden. Eine beabsichtigte Ausspahung auf Vorrat wird damit kaum in Gesetzesrang kommen.
Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Regelungen des Landes Nordrhein-Westfalen als verfassungswidrig gekippt.
[8]
Klarstellungen des
Bundesministeriums des Innern
werden fur die entsprechenden bundesgesetzlichen Regelungen erwartet.
Unter der Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung (s. o.) bedarf jede Verknupfung
personenbezogener Daten
fur Zwecke Dritter der Zustimmung, wenn der Rechtsanspruch der Beteiligten nicht eingeschrankt sein soll. Dazu sind Vereinbarungen moglich, die zwischen den Beteiligten getroffen werden und damit die ausdruckliche Zustimmung der Beteiligten dokumentieren. Es kann nicht durch Vereinbarung zweier Parteien eine Gultigkeit fur Dritte erreicht werden. Im Umkehrschluss kann ebenso eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien nicht durch eine Vereinbarung mit Dritten aufgehoben oder unwirksam werden.
Insoweit ist im Zusammenhang mit neuen Techniken und Verfahrensweisen (Technologien) davon auszugehen, dass eine Verletzung der Rechte der informationellen Selbstbestimmung beispielsweise durch Einrichtungen zur Ortsbestimmung technisch moglich ist.
[9]
Diese technische Moglichkeit aber generell als gesetzeswidrig auszuschließen, ist keine haltbare Position. Dies wird allein durch die bekannten Einrichtungen der
Mobilfunktechnik
bestatigt.
[10]
Nutzt ein Unternehmen fur den Betroffenen erkennbar personliche Daten, hat der Betroffene generell einen Rechtsanspruch auf Auskunft uber die Speicherung dieser Daten und den Verwendungszweck dieser Daten. Geht die Speicherung uber einfache Adressdaten hinaus, hat der Betroffene generell einen Rechtsanspruch auf Loschung der Speicherung dieser Daten, wenn er mit dem Unternehmen keine Vertragsbeziehungen hat (
siehe auch:
Bundesdatenschutzgesetz: Kapitel 2: Rechte der betroffenen Person (§§ 32 - 37)
).
Wird ein Unternehmen beispielsweise durch Werbeaktionen lastig, kann der Betroffene in jedem Einzelfall durch Formschreiben unter Angabe der Adresse Auskunft einholen. Erfolgt keine Auskunft durch das Unternehmen, kann der Betroffene rechtliche Mittel nutzen, um per Abmahnung durch einen Rechtsanwalt oder per Klage bei Gericht Auskunft und Loschung durchzusetzen. Die Kosten tragt zunachst der Betroffene.
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- ↑
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Abgerufen am 4. Mai 2023
.
- ↑
Steinmuller, Lutterbeck, Mallmann, Harbort, Kolb und Schneider:
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In:
Anlage zu BT-Drucks. VI/3826.
Abgerufen am 16. April 2019
.
- ↑
BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83 u. a. ? Volkszahlung ?,
BVerfGE 65, 1
.
- ↑
Siehe unter C II 1. des Volkszahlungsurteils, Rn 152.
- ↑
BVerfG: Urteil des Ersten Senats vom 15. Dezember 1983 (1 BvR 209/83, Rn. 146).
Bundesverfassungsgericht, 14. Dezember 1983,
abgerufen am 13. Mai 2019
.
- ↑
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 4. April 2006, 1 BvR 518/02 ? Rasterfahndung ?
,
BVerfGE 115, 320
.
- ↑
OLG Celle, Urteil vom 29. Oktober 2003, Az. 15 UF 84/03, NJW 2004, S. 449?451.
- ↑
BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 27. Februar 2008, 1 BvR 370/07 u. a. ? Online-Durchsuchung/Computer-Grundrecht ?
,
BVerfGE 120, 274
.
- ↑
Die technische Basis fur das Internet der Dinge
- ↑
Ortsbestimmung, Personen und Gerate per GPS, Mobilfunk oder WLAN lokalisieren
(
Memento
vom 15. Juli 2009 im
Internet Archive
)