Mehrheit
(auch
Majoritat
oder
Mehrzahl
) bezeichnet die uberwiegende
Anzahl
aus einer Gesamtanzahl von
Personen
,
Meinungen
oder
Sachen
. Gegensatz ist die
Minderheit
.
Mit
Mehrheit
wird der großere oder uberwiegende Teil
[1]
an einer Sache oder bei einer Entscheidungsfindung bezeichnet. Sie ist von grundlegender Bedeutung bei
demokratischen
Entscheidungen
in Form von Wahlen und Abstimmungen, ebenso im
Gesellschaftsrecht
(u. a.
Aktienrecht
,
Vereinsrecht
). Es gibt auch im
Sachenrecht
(unter anderem bei
Wohneigentum
,
Erbrecht
) Auskunft uber die
Eigentumsverteilung
(etwa
Bruchteilseigentum
). Vorwiegend wird das Wort
Mehrheit
benutzt, um
Regeln
fur
Wahlen
und
Abstimmungen
aufzustellen, wobei insbesondere beschrieben wird, welche Art von Mehrheit notwendig ist, damit eine Entscheidung Gultigkeit erlangt.
Das Vorliegen einer Mehrheit bei einer Abstimmung oder Wahl gilt als ausreichende Zustimmung fur das Zustandekommen einer Entscheidung. Die etwaige
Definition
basiert in der Regel auf mundlichen Vereinbarungen oder ist in
Satzungen
, Verordnungen, Gesetzen oder auch
Verfassungen
geregelt. Dieser Artikel beschreibt die zugrunde liegende
Klassifikation
, die auch in anderen Bereichen Anwendung findet.
Diese Klassifikation kann in mehreren Ebenen erfolgen, wobei sich die verschiedenen Arten miteinander kombinieren lassen.
Man unterscheidet dabei
- nach erforderlicher ?Hohe“ des Mehrs in Bezug auf den Grundwert;
- nach Grundmenge, das heißt auf Grundlage welcher
Gesamtheit
sich das Mehr berechnet.
Durch historische kulturelle und regionale Pragung kann sich die Auffassung zu einzelnen der nachfolgenden Begriffe unterscheiden.
Das Wort Mehrheit tauchte ersichtlich wohl erstmals bei der
Papstwahl
im Jahre 1179 auf, als keine einheitliche Meinung bestand.
[2]
Papst Alexander III.
gab im Marz 1179 wahrend des
Dritten Laterankonzils
ein neues Gesetz uber die Papstwahl heraus.
[3]
Zuvor tauchte das Wort um 1000 im
Althochdeutschen
als ?m?rheit“ im Sinne von ?Mehrsein, Vorrang“ auf. Der
Lexikograf
Matthias Kramer
brachte 1719 den Begriff Mehrheit (
niederlandisch
Meerderheit
) in seinem Worterbuch im Zusammenhang mit Personenmehrheiten.
[4]
Um 1800 wurde das Wort im heutigen Sinne, etwa von
Friedrich Schiller
, gebraucht.
[5]
Der Begriff der Mehrheit hatte historisch seinen Ausgangspunkt bei Personen, bis er sich spater auf zahlbare Gegenstande ausdehnte.
- Eine
relative Mehrheit
hat, wer mehr Stimmen oder Anteile auf sich vereint als jeder andere fur sich.
- Eine
einfache Mehrheit
hat, wer mehr Stimmen oder Anteile auf sich vereint als alle anderen in ihrer Gesamtheit.
- Eine
absolute Mehrheit
hat, wer mehr Stimmen oder Anteile auf sich vereint als alle anderen in ihrer Gesamtheit inklusive
Stimmenthaltungen
und neutrale Anteile.
- Eine
qualifizierte Mehrheit
hat, wer einen festgelegten Anteil der Stimmen oder Anteile auf sich vereint.
Folgerung: Jede absolute Mehrheit ist auch eine einfache, jede einfache Mehrheit ist auch eine relative.
Im
Recht
werden sowohl auf die o. g. Mehrheiten ausdrucklich Bezug genommen (z. B.
Anlage 17 (zu § 32 Abs. 4 Nr. 3)
der
Europawahlordnung
) als auch auf Grund der teilweisen Unscharfe der Begrifflichkeiten weitgehend verzichtet. Stattdessen werden Formulierungen wie diese verwendet:
- die meisten Stimmen
fur eine
relative Mehrheit
(z. B.
Art. 63
Abs. 4
Grundgesetz
);
- die Mehrheit der abgegebenen Stimmen
fur eine
einfache Mehrheit
(z. B.
Art. 42
Abs. 2 GG);
- die Mehrheit der Mitglieder
fur eine
absolute Mehrheit
(z. B.
Art. 63
Abs. 2 GG ? erganzt durch
Art. 121
GG)
- zwei Drittel der Mitglieder
fur eine
qualifizierte Mehrheit
(z. B.
Art. 79
Abs. 2 GG).
Bei einer Abstimmung hat derjenige Vorschlag mit relativer Mehrheit gewonnen, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Beispielhaft ist das Auftreten dieses Prinzips bei den Wahlkreisbewerbern fur die
Bundestagswahl
in Deutschland. Der Kandidat mit den meisten Stimmen zieht direkt in den
Deutschen Bundestag
ein. Kommt es zur Stimmengleichheit zwischen mehreren Vorschlagen, ist die relative Mehrheit formal von keinem ebendieser erreicht. Im Bundeswahlrecht entscheidet sodann das Los.
Mathematisch gesprochen handelt es sich also um diejenige Teilmenge, wobei diese immer die Zustimmung zu einem Vorschlag beziehungsweise die Gesamtheit der Nein-Stimmen bezeichnen sollen, der Grundmenge (aller gultigen Stimmen ohne Berucksichtigung von Enthaltungen), die die meisten Elemente enthalt.
Die relative Mehrheit stellt die geringste Anforderung fur die Annahme eines Vorschlages dar.
Stimmenthaltungen
bleiben ohne Wirkung, mit ?Nein“ zu stimmen kann zugelassen werden ? etwa bei der Besetzung von Vorstandspositionen in
Vereinen
oder
Parteien
, wenn oft nur eine Person zur Wahl steht, nicht jedoch bei der Bundestagswahl. Bei relativen
Mehrheitswahlen
wird oftmals ein Vorschlag gewahlt, der nicht von der Mehrheit der Abstimmenden oder der Stimmberechtigten getragen wird. Damit werden
Stichwahl
-Verfahren haufig begrundet.
Bei der
relativen
Mehrheit sind alle nicht fur den gewahlten Kandidaten abgegebenen Stimmen ?verloren“. Ein bekanntes Beispiel sind die Wahlen zu Elternvertretungen in Schulen, wo derjenige, der die meisten Stimmen erhalten hat, auch wenn es nicht mehr als die Halfte der abgegebenen Stimmen sind, die Wahl gewonnen hat (z. B. § 64 Abs. 2 Schulgesetz NRW: ?Gewahlt ist, wer die meisten Stimmen erhalten hat.“). Dieser Problematik soll etwa das
Instant-Runoff-Voting
Rechnung tragen.
Bei einer Abstimmung hat derjenige Vorschlag mit einfacher Mehrheit gewonnen, der mehr Stimmen auf sich vereint, als alle anderen Vorschlage zusammen.
Mathematisch gesprochen handelt es sich also um diejenige Teilmenge, wobei diese immer die Zustimmung zu einem Vorschlag beziehungsweise die Gesamtheit der Nein-Stimmen bezeichnen sollen, der Grundmenge aller (gultigen
[6]
Stimmen ohne Berucksichtigung von Enthaltungen), die mehr als die Halfte der Elemente der Grundmenge enthalt.
Stimmenthaltungen finden somit auch bei der Frage nach einer einfachen Mehrheit keine Berucksichtigung. Die Problematik, dass Vorschlage gewinnen, die nicht von der Mehrheit der Abstimmenden oder der Stimmberechtigten getragen werden, bleibt ebenso bestehen.
Die Bezeichnung
einfache Mehrheit
wird mitunter auch fur relative Mehrheiten benutzt, wodurch es zu Irrtumern kommen kann. Tatsachlich sind beide nur im Falle zweier Abstimmungsalternativen identisch.
Bei einer Abstimmung hat derjenige Vorschlag mit einer qualifizierten Mehrheit gewonnen, der mehr als einen zuvor festgelegten Anteil (
Quorum
) der Grundmenge auf sich vereint. Das Quorum liegt in der Regel bei 50 % und mehr, kann aber auch darunter liegen, wenn etwa alle Bewerber um ein Mandat, die das Quorum als Schwelle uberschreiten, in das zu wahlende Gremium einziehen. Die Grundmenge kann dabei entweder alle (gultigen)
[6]
abgegebenen Stimmen (sogenannte
einfach qualifizierte Mehrheit
) oder alle Stimmrechte (sogenannte
absolut qualifizierte Mehrheit
) umfassen.
Beispiel: Zwei-Drittel-Mehrheit (Quorum=2/3) der abgegebenen Stimmen
mogliche Stimmen:
abgegebene Stimmen
JA:
NEIN:
Ungultig/Enthaltungen:
|
620
598
399
189
10
|
Anmerkung:
Wenn Stimmenthaltungen z. B. entsprechend der hochstrichterlichen Auslegung des
§ 32
BGB
keine Berucksichtigung finden, sind sie auch nicht bei den abgegebenen Stimmen zu berucksichtigen. Sie werden wie nicht anwesende Mitglieder behandelt.
[7]
[8]
Im Beispiel sind es dann eben nicht 598 abgegebene Stimmen, sondern ?nur“ 588 abgegebene Stimmen. Es sind dann mindestens 392 Stimmen erforderlich.
Beispiel: Zwei-Drittel-Mehrheit (Quorum=2/3) der Stimmberechtigten
mogliche Stimmen:
abgegebene Stimmen
JA:
NEIN:
Ungultig/Enthaltungen:
|
620
598
414
174
10
|
Anmerkung:
Auch hier sind es nur 588 abgegebene Stimmen (
s. o.
)
In beiden Beispielen ist die jeweils geringste Anzahl an Zustimmenden fur eine Annahme des Vorschlages angegeben.
Prinzipiell ist es auch moglich beim Einsatz von Beteiligungsquoren, die sich also ihrer Grundmenge nach auf die Stimmrechte und nicht auf die Zustimmung, sondern auf die Abgabe der Stimmen beziehen, von einer qualifizierten Mehrheit zu sprechen.
Bei der absoluten Mehrheit handelt es sich um eine besondere qualifizierte Mehrheit
(s. o.)
mit Quorum > 50 %.
Zum einen konnen die verschiedenen Arten sequenziell, das heißt in Abfolge, genutzt werden. Dann wird, wie bei der deutschen
Bundeskanzler
- und
Bundesprasidentenwahl
, zum Beispiel in den ersten beiden Wahlgangen eine absolute Mehrheit verlangt und im dritten nur die relative. Nur bei Stimmengleichheit beziehungsweise bei Uberwiegen der Neinstimmen konnen weitere Wahlgange notig werden.
Andererseits ist es aber auch moglich, verschiedene Mehrheiten auf verschiedene Grundmengen gestutzt gleichzeitig zu verlangen. Bei zwei parallel angewandten Mehrheitsentscheidungen spricht man von einer
doppelten Mehrheit
. Das gilt zum Beispiel fur die
Beschlussfassung mit doppelter Mehrheit
bzw. qualifizierter Mehrheit bei der EU. Dabei wird neben der Zustimmung eines bestimmten Anteils der Mitgliedsstaaten (55 % oder 72 %) verlangt, dass die Zustimmenden einen bestimmten Anteil der EU-Bevolkerung reprasentieren (65 %).
Bei bestimmten
Volksabstimmungen
in der
Schweiz
entscheidet neben dem relativen
Volksmehr
das
Standemehr
(der Kantone), ob eine Vorlage angenommen wird.
In der
juristischen Fachsprache
spricht man, wenn eine Gruppe von etwas betroffen ist oder etwas tut, von
Personenmehrheiten
, deren
Mitglieder
als
Gesellschaften
zusammengefasst sind. Im
deutschen Strafrecht
ist beispielsweise eine
Beleidigung
von Personenmehrheiten im Allgemeinen nicht moglich. Mehrheiten spielen vor allem bei
Kapitalbeteiligungen
oder in
Hauptversammlungen
bei
Unternehmen
eine wichtige Rolle. Die Mehrheitsmeinung heißt
herrschende Meinung
.
- Hermann Meier:
Zur Geschaftsordnung: Technik und Taktik bei Versammlungen, Sitzungen und Diskussionen.
3., neu bearbeitete Auflage, VS Verlag, Wiesbaden 2011,
ISBN 978-3-531-17835-6
, S. 91 ff.
- ↑
Duden
.
- ↑
Gerhard Kobler
:
Etymologisches Rechtsworterbuch
, 1995, S. 265.
- ↑
Friedrich Schleiermacher:
Geschichte der christlichen Kirche
, Band 11, 1840, S. 491.
- ↑
Matthias Kramer:
Das Konigliche Nider-Hoch-Teutsch, und Hoch-Nider-Teutsch Dictionarium
, Band I, 1719, S. 193.
- ↑
?Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. Bekummert sich ums Ganze, wer nichts hat? Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl? Er muß dem Machtigen, der ihn bezahlt, um Brot und Stiefel seine Stimm' verkaufen. Man soll die Stimmen wagen und nicht zahlen. Der Staat muß untergehn, fruh oder spat, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“ (Furst Leo Sapieha in
Demetrius
, 1804/1805).
- ↑
a
b
Ob ungultige Stimmen als weitere Teilmenge, die damit auch in der Grundmenge enthalten ist, eingefuhrt werden, ist von der jeweiligen Ausgestaltung des Abstimmungssystems abhangig. Bei
Abgeordnetenhauswahlen in Berlin
wird das beispielsweise in Bezug auf die
5-Prozent-Hurde
so gehandhabt.
- ↑
Bernd Lohof:
Enthaltungen sind keine ?Nein-Stimmen“?
(
Memento
vom 29. August 2018 im
Internet Archive
) (mit Aktenzeichen und Fundstelle der
BGH
-Entscheidung).
- ↑
Otto Palandt
, Jurgen Ellenberger:
BGB-Kommentar
, 73. Auflage, 2014, § 32 Rn. 7.