Proleptisch
(von
altgriechisch
προληπτικ??
prol?ptikos
, deutsch
‚vorausnehmend, vorgreifend‘
)
[1]
bedeutet in der
Zeitrechnung
(Chronologie), dass eine Angabe uber einen Zeitpunkt, eine Person, oder eine Sache ein Ereignis vorweg nimmt, das zu dem Zeitpunkt noch nicht geschehen ist. Fur kalendarische Angaben bedeutet das, dass das Ereignis vorweggenommen wird, das den Beginn einer Zeitrechnung bestimmt. Fur Personen kann beispielsweise ein fur die Person charakteristischer Titel genannt werden, den diese Person zu einem beschriebenen Ereignis jedoch noch nicht trug. So nimmt man beispielsweise an, dass der Titel eines M. Conradus Abbenborg Decr. Doctor, der Urkunden zufolge 1436 im Gefolge des Bremer Erzbischofs
Baldwin II.
in Nurnberg eingeritten sein soll, wohl proleptisch zu fassen sei.
[2]
Ein
Kalendersystem
hat ein bestimmtes Referenzdatum, an dem die Jahreszahlung beginnt. Alle Daten vor diesem Tag, in diesem Kalendersystem angegeben, gelten ublicherweise dann als
proleptisch datiert
. Tatsachlich sind sie jedoch bereits dann proleptisch, wenn sie die Einfuhrung des Kalendersystems selbst vorwegnehmen.
In Rom gab es bis zum sogenannten
verworrenen Jahr
708
a. u. c.
, in dem der romische auf den julianischen Kalender umgestellt wurde, eine Jahreszahlung basierend auf einer zeitlich nicht gesicherten Grundung Roms. Sie konnte fur die Zeitangabe der Stadtgrundung als proleptisch angesehen werden, da eine entsprechende Jahreszahlung fur diese Zeit nicht nachgewiesen werden kann. Sie wurde jedoch ohnehin ublicherweise nicht verwendet. Stattdessen wurden Jahre nicht mit Zahlen, sondern mit den Namen der jeweils ein Jahr lang regierenden
Konsuln
bezeichnet.
In der Geschichtsschreibung werden Jahresangaben seit etwa 525 in Relation zur Geburt Christi gesetzt, wie sie von
Dionysius Exiguus
datiert wurde. Dies gilt heute insbesondere auch fur die Angabe von Zeiten vor der Geburt Christi. Da jedoch die
Null
in Europa erst einige Jahrhunderte nach Beginn der christlichen Geschichtsschreibung Verwendung gefunden hat, ist zu beachten, dass ein Jahr 0 hier nicht existiert. Jahresangaben werden entsprechend mit
v. Chr.
(vor Christi Geburt),
ante christum natum
(AC, ?vor der Geburt Christi“, auch BC, engl.
before Christ
), oder
v. d. Z.
(vor der Zeitrechnung) bezeichnet. Solche Jahresangaben sind im eigentlichen Sinne generell bereits als proleptisch anzusehen, wenn sie eine Zeit vor Beginn der christlichen Zeitrechnung im sechsten Jahrhundert bezeichnen.
Im Gegensatz zur Geschichtsschreibung findet in der Astronomie fur Zeiten vor der Einfuhrung des
Gregorianischen Kalenders
ein proleptischer
Julianischer Kalender
Verwendung, der in negativer Richtung uber den Beginn des Jahres 1 linear mit den Jahren 0, ?1, ?2 etc. unbegrenzt fortgefuhrt wird. Dies lasst dann auch die Tatsache vollig außer Acht, dass der Julianische Kalender erst im Jahre 45 v. Chr. (also dem Jahre ?44) eingefuhrt wurde.
Der Gregorianische Kalender wird nur selten proleptisch verwendet, mit der Folge, dass es bis heute einen ?gestuckelten“ Kalender gibt. Datumsangaben sind julianisch bis zur Nacht vom 4. Oktober (im julianischen Kalender) auf den 15. Oktober (im gregorianischen Kalender) 1582. Die Kalenderumstellung fand zumindest in
Rom
,
Italien
,
Spanien
und
Portugal
zeitgerecht statt. In anderen Landern geschah dies verzogert. Von dem internationalen Standard fur Datums- und Zeitangaben
ISO 8601
ist die Verwendung des gregorianischen Kalenders fur Datumsangaben ab 1583 vorgesehen und fur eine proleptische Verwendung bedarf es der Einigung zwischen Sendern und Empfangern.
Weiterhin
nicht
proleptisch verwendet werden alle Kalendersysteme, die auf einem System von
Zeitaltern
(
Ara
) aufgebaut sind, insbesondere auch alle
dynastischen Kalendersysteme
. Die Jahreszahlung beginnt hier bei jeder Epoche (Beginn einer Ara) neu, aber fruhere Daten werden im Bezug der jeweils damals gultigen Epoche angegeben. Beispiele:
agyptischer Kalender
,
chinesischer Kalender
,
japanischer Kalender
mit
Neng?
,
Maya-Kalender
.
Desgleichen ist der Islamische Kalender (sowohl der lunare wie der iranisch/solare), der mit dem Jahr der Hijra des Propheten Mohammed nach Medina im Jahr 622 AD beginnt, nicht proleptisch.
Der
Franzosische Revolutionskalender
war ebenfalls
nicht
proleptisch. Er trat am 4. Frimaire II (24. November 1793) in Kraft ? ruckwirkend zum 1. Vendemiaire I (22. September 1792, Datum der
Tagundnachtgleiche
nach der Ausrufung der
Ersten Franzosischen Republik
am Vortag). Fur die Zeit vor diesem Ursprungsdatum wurde weiterhin die Datierung des gregorianischen Kalenders verwendet.
Die Umrechnung eines Datums historischer Zeit- oder Kalendersysteme in ein julianisches wird durch einen je nach System mehr oder minder komplizierten Formelsatz ermoglicht, der anhand historischer Eckdaten ermittelt wird: Historische
Datierungen
(Angaben uber Datum und Tageszeit) sind, weil es bis in das spate 20. Jahrhundert keine weltweit verbindliche Referenz uber Gleichzeitigkeit gegeben hat, nur uberlieferte Zuordnungen, die anhand der Quellenlage mit anderen zeitgleichen Ereignissen abgeglichen werden. Typische Eckdaten sind etwa astronomische Ereignisse (wie Sonnenfinsternisse), die auf heutigen Rechenmodellen basierend hinreichend prazise datiert werden konnen (
astronomische Chronologie
) und so Basis der Umrechnung gregorianisch-proleptischer Daten in die heutige Zeitskala sind.
- Ludwig Rohner:
Kalendergeschichte und Kalender.
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, Wiesbaden 1978,
ISBN 3-7997-0692-5
.
- Heinz Zemanek
:
Kalender und Chronologie. Bekanntes & Unbekanntes aus der Kalenderwissenschaft.
6. vollstandig uberarbeitete Auflage. R. Oldenbourg, Munchen 2008,
ISBN 978-3-486-22795-6
.
- ↑
Wilhelm Pape
, Max Sengebusch (Bearb.):
Handworterbuch der griechischen Sprache
. 3. Auflage, 6. Abdruck. Vieweg & Sohn, Braunschweig 1914 (
zeno.org
[abgerufen am 3. Dezember 2018]).
- ↑
Gustav Carl Knod:
Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562) Biographischer Index zu den Acta nationis germanicae Universitatis bononienses
. Hrsg.:
Preußische Akademie der Wissenschaften
. R.v.Decker Verlag, G. Schenck, Berlin 1899,
S.
2
(
archive.org
[PDF]).