Ein
Prazedenzfall
(oder auch
Prajudiz
) beschreibt einen juristischen Fall, dessen Entscheidung sich zum
Maßstab
anderer Falle entwickelt hat.
Dieses
Fallrecht
(englisch
case law
) hat eine hohe Bedeutung im anglo-amerikanischen
Common Law
(engl.
doctrine of precedent
). Die dortige Rechtsprechung basiert unter anderem auf der Bindung an fruhere Gerichtsentscheidungen (
Stare decisis
). Die gerichtliche Entscheidung wird selbst Teil des
Rechtssystems
und ist Grundlage fur weitere Urteile.
Binding precedents
binden vor allem rangniedrigere Gerichte (Bindungswirkung).
Der kontinentaleuropaische Rechtskreis folgt dagegen dem
positivistischen
Ideal des ?Legizentrismus“, d. h. dem Primat des Gesetzes gegenuber der Rechtsprechung. Die Richter sind bei der Entscheidungsfindung dem
Gesetz
unterworfen und nicht den Entscheidungen anderer Gerichte (vgl. beispielsweise
§ 25
DRiG
). Von einem Prazedenzfall kann man allenfalls dann sprechen, wenn ein Obergericht in einem Urteil Grundsatzliches zur
Auslegung
dieses Gesetzes festlegt. Entscheidend ist aber, dass auch kunftig das Gesetz angewandt wird und die Prazedenz hierzu nur eine Auslegungshilfe bietet. Andere Gerichte werden durch Prazedenzfalle selbst nicht gebunden. Deshalb spricht man in Deutschland in der Regel nicht von Prazedenzfallen, sondern von
Grundsatzentscheidungen
. Eine Ausnahme bilden bestimmte Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichtes
, wenn sie Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit aufheben und/oder vorubergehend eine ersetzende Regelung treffen. Prazedenzfalle sind auch bedeutsam fur das Handeln der staatlichen Verwaltung: Liegt ein Ermessensentscheid vor, der nicht gerichtlich angefochten wurde oder vor Gericht Bestand hatte, konnen sich andere darauf berufen und der Prazedenzfall wird zum Maßstab zukunftigen Handelns.
[1]
In der
Schweiz
wird das
Gewohnheitsrecht
und
Richterrecht
im
Zivilgesetzbuch
ausdrucklich als Rechtsquelle anerkannt.
Siehe
- ↑
Prazedenzfall.
In:
Zeitschriften ? Informationen zur politischen Bildung ? Rechtsstaat ? Glossar.
Bundeszentrale fur politische Bildung (BpB), 9. August 2022. Auf BpB.de, abgerufen am 14. September 2023.