Polizeiwissenschaft

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Polizeiwissenschaft (historisch: Policeywissenschaft ) war etwa vom ersten Drittel des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Lehre von der inneren Ordnung des Gemeinwesens. Heute taucht der Begriff der Polizeiwissenschaft in vollig neuem Kontext als wissenschaftliche Disziplin fur bzw. uber das Polizeiwesen auf.

Historische Wissenschaft

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Die historische Policeywissenschaft stellte einen Sammelbegriff dar, der vor allem Stoffe des heutigen Staatsrechts , der Verwaltungswissenschaft und der fruhen Volkswirtschaftslehre umfasste, in die sie sich im Ablauf des Jahrhunderts auch zerlegte. Auch Soziologie und Politikwissenschaft sehen die Policeywissenschaft als eine ihrer Vorgangerdisziplinen. Die Polizeiwissenschaft uberlappte sich mit dem gleichzeitigen benutzten Begriff der Kameralwissenschaften und gehorte als Universitatsstoff fest in die Beamtenausbildung. Die sogenannte Reichspublizistik des 17. Jahrhunderts kann als wissenschaftliche Vorlauferin der Policeywissenschaft angesehen werden.

Die ersten Unterrichtslehrstuhle fur ?Cameralia Oeconomica“ und ?Policeywissenschaft“ wurden 1727 vom preußischen Konig Friedrich Wilhelm I. in Halle (Saale) und Frankfurt (Oder) eingerichtet.

Der Begriff ist aus dem fruher weiter als jetzt im 21. Jahrhundert gespannten Begriff fur ? Polizei “ (?Policey“) abgeleitet. Beispiele fur diese nun veraltete Terminologie sind ?Baupolizei“ (heute: Bauaufsicht ), ?Gewerbepolizei“ ( Gewerbeaufsicht ), ?Marktpolizei“ und ?Auslanderpolizei“.

Gegenwartig erlebt der Begriff eine Neubelebung als Bezeichnung einer Wissenschaft der Polizei im engeren, institutionellen Sinn. Dabei wird er sowohl als Sammelbegriff (?Polizeiwissenschaften“) fur alle Disziplinen verwendet, die im Bereich polizeilicher Aufgabenstellungen relevant werden (z. B. Rechtswissenschaft , Kriminologie , Kriminalistik , Soziologie , Psychologie , Politikwissenschaft , Forensische Entomologie ), als auch als Bezeichnung einer (noch zu entwickelnden) eigenstandigen Wissenschaft von der Polizei und ihrem Handeln.

2007 hat eine Arbeitsgruppe der CEPOL ( Europaische Polizeiakademie ) einen umfassenden Bericht zur Geschichte und zu Definitionen von Polizeiwissenschaft veroffentlicht. [1]

Die moderne Polizeiwissenschaft

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Seit den 1990er Jahren wird die Polizeiorganisation zunehmend unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen. Polizeiforschung wurde nun dafur eingesetzt, um die Effizienz, das Betriebsklima, aber auch das offentliche Image zu verbessern; eine kritische Polizeiwissenschaft trat in den Hintergrund. In Folge fanden massive inhaltliche, strukturelle und personelle Anderungen in der polizeilichen Aus- und Fortbildung statt, die erneut zu einer verstarkten Professionalisierung fuhrten.

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts gewinnt die Etablierung einer Polizeiwissenschaft und der Ausbau der Polizeiforschung zunehmend an Akzeptanz bei Polizei und Wissenschaft: Im Jahre 2006 wurde die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) gegrundet. 2007 hat eine Arbeitsgruppe der Europaischen Polizeiakademie CEPOL einen umfassenden Bericht zur Police Science herausgebracht.

Das Ziel einer modernen Polizeiwissenschaft ist die interdisziplinare Professionalisierung und wissenschaftliche Fundierung der Polizeiarbeit. Es geht hier nicht um ein bloßes Nebeneinander, sondern um ein Miteinander der verschiedenen Wissenschaftsbereiche (Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaft, Kriminologie , Betriebswirtschaftslehre u. a.).

Die Polizeiwissenschaft verwendet hierzu Methoden der empirischen und theoretischen Polizeiforschung und wertet aktuelle deutsche und internationale Fachliteratur aus. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse uber die Polizei werden zu einem integrierten (Grund-)Wissen zusammengefuhrt und nach Hintergrunden, Zusammenhangen und Strukturen untersucht.

Die Polizeiwissenschaft interessiert sich nicht nur fur die Polizei als Institution, sondern auch fur weitere Bereiche, die fur die innere Sicherheit relevant sind. Der Forschungsgegenstand der Polizeiwissenschaft umfasst daher:

  • Die Polizei als Institution mit ihren organisatorischen und personellen Eigenschaften
  • Die Polizeiarbeit als praktisches Handeln mit sozialen Folgen
  • Polizei, Einsatz von Technik und Umgang mit Medien
  • Die Polizeiarbeit als Sozialkontrolle mit Blick auf Legalitat, Effektivitat und Effizienz sowie Missbrauch der Machtausubung
  • Die Aufgaben und Beziehungen anderer Institutionen und Dienstleistungen, die zu inneren Sicherheit beitragen
  • Die transnationalen Verbindungen und internationalen Einflusse auf die innere Sicherheit

Polizeiwissenschaft in Ausbildung und Studium

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Masterstudiengang Kriminologie und Polizeiwissenschaft

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An der Ruhr-Universitat Bochum wird seit 2005 der Masterstudiengang Kriminologie und Polizeiwissenschaft vom Lehrstuhl fur Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft angeboten. Das Studium beinhaltet einerseits die Diskussion grundlegender Problemfelder, theoretischer Ansatze und Entwicklungen in Kriminologie und Polizeiwissenschaft sowie die Ubertragung der reflektierten Ergebnisse auf jeweilige Praxisbereiche. Andererseits werden auch Elemente und Aspekte einer eigenstandigen Polizeiwissenschaft erortert und entwickelt.

Masterstudiengang Offentliche Verwaltung ? Polizeimanagement

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Seit 2006 wird durch die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) der akkreditierte Masterstudiengang Offentliche Verwaltung ? Polizeimanagement angeboten. Mit Abschluss des Studiums steigen Polizeibeamte in den hoheren Dienst der Polizei auf. Nach dem Gesetz uber die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPolG) gehort zu den Aufgaben der Hochschule ?die Polizeiwissenschaft durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung zu pflegen und zu entwickeln“. Umsetzung findet diese gesetzlich ubertragene Aufgabe in den Lehr und Forschungsaktivitaten der Fachgebiete der DHPol. Eine Neuausrichtung hat die Polizeiwissenschaft an der DHPol durch deren verwaltungswissenschaftliche Rahmung erfahren, die sich unter anderem im Fachgebiet ?Verwaltungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Politik und Gesellschaft“ niederschlagt.

Ausbildung an den Polizei-Fachhochschulen

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Die Polizei-Fachhochschulen der Lander bilden fur den gehobenen Dienst der Polizei aus. Ihre Aufgabe ist es, neben der Lehre auch Forschung zu betreiben und Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Dies geschieht, indem die Forschungserkenntnisse in die Lehre der polizeilichen Kernfacher (Einsatzlehre, Verkehrslehre, Kriminalistik, Fuhrungslehre) integriert werden. Der Fokus liegt hierbei auf der Vermittlung praktischen Nutzwissens. Dementsprechend findet kaum eine kritische Reflexion des Polizeihandelns statt.

Institutionelle Verankerung

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Die Polizeiwissenschaft ist durch Netzwerke von Wissenschaftlern und durch Forschungseinrichtungen der Lander und des Bundes institutionell verankert.

Es gibt drei große Netzwerke von (Polizei-)Wissenschaftlern/Forschern: 1. Die Projektgruppe ?empirische Polizeiforschung“ zur Durchfuhrung sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte, 2. der Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS) zur langerfristigen Vernetzung verschiedener Forschungsinitiativen, 3. der Arbeitskreis Empirische Polizeiforschung zur Forschung in Kooperation mit Organisationsangehorigen der Polizei.

Zu den Forschungseinrichtungen der Lander und des Bundes gehoren u. a.: a) Kriminologische Forschungsinstitute (u. a. das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen und die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden), b) die Deutsche Hochschule der Polizei und c) Forschungsinstitute der Polizei-Fachhochschulen (z. B. die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit , das Institut fur Polizei und Sicherheitsforschung oder das Institut fur Polizei- und Kriminalwissenschaft ).

Literaturverzeichnis

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  • David Bayley, Clifford Shearing: The New Structure of Policing. Washington: The National Institute of Justice, U.S. Department of Justice . 2001 ( PDF )
  • Peter Blickle, Peter Kissling, Heinrich Richard Schmidt (Hg.): Gute Policey als Politik im 16. Jahrhundert. Die Entstehung des offentlichen Raumes in Oberdeutschland . Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2003 (Studien zur Policey und Policeywissenschaft), ISBN 3-465-03272-1
  • T. Feltes: Eine moderne Polizei braucht Motivation und Weiterbildung ? Anmerkungen zum ?außerdienstlichen“ Weiterbildungspotential in der deutschen Polizei und zum Interesse an Kriminologie . In: Die Polizei . Nr.   12 , 2007.
  • Thomas Feltes: Scientia Ante Portas. Fluchten oder Standhalten? Zur Perspektive einer Polizeiwissenschaft in Deutschland. In: Die Polizei. 9, 2002, S. 245?250
  • Thomas Feltes, Maurice Punch: Good People, Dirty Work? Wie die Polizei die Wissenschaft und Wissenschaftler die Polizei erleben und wie sich Polizeiwissenschaft entwickelt. In: Monatsschrift fur Kriminologie und Strafrechtsreform . 1, 2005, S. 26?45.
  • Thomas Feltes: Polizeiwissenschaft in Deutschland. Uberlegungen zum Profil einer (neuen) Wissenschaftsdisziplins. In: Polizei & Wissenschaft. Heft 4, 2007
  • Hans-Gerd Gaschke, Klaus Neidhardt: Moderne Polizeiwissenschaft als Integrationswissenschaft. Ein Beitrag zur Grundlagendiskussion. In: Polizei und Wissenschaft. Heft 4, 2004, S. 14?24.
  • T. John: Interagency Policing: Sicherheitsstrukturen im Wandel . In: Kooperative Sicherheitspolitik in der Stadt . Working Paper 8. Munster 2012.
  • Kersten, J.: Was versteht man unter ?Polizeiwissenschaft“ ? Eine programmatische Standortbestimmung . In: Neue Kriminalpolitik . Band   1 , 2012, S.   8?10 .
  • Kersten, J.: ?Polizeiwissenschaft“. Eine programmatische Standortbestimmung . In: SIAK-Journal . Nr.   1 , S.   4?18 .
  • Franz-Ludwig Knemeyer: Art. Polizei. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 4 (1978), S. 875?894.
  • Hans-Jurgen Lange (Hrsg.): Die Polizei der Gesellschaft. Zur Soziologie der Inneren Sicherheit. Opladen 2003.
  • Karl-Heinz Lindner Marktordnung und Marktpolizei (unter besonderer Berucksichtigung Preußens). Breslau, 1929.
  • Reinhard Mokros: Literaturbericht Polizeiwissenschaft. 2005 ( [1] PDF).
  • Mokros, R.: Polizeiwissenschaft und Polizeiforschung in Deutschland . Felix-Verlag GbR, Holzkirchen/Obb. 2013.
  • Jo Reichertz: Auf dem Weg zu den Polizeiwissenschaften? In: Karlhans Liebl (Hrsg.). Kriminologie im 21. Jahrhundert. Wiesbaden. VS Verlag. S. 125?144.
  • Wolfgang Wust: Die ?gute“ Policey im Reichskreis. Zur fruhmodernen Normensetzung in den Kernregionen des Alten Reiches.
    • Band 1: Der Schwabische Reichskreis, unter besonderer Berucksichtigung Bayerisch-Schwabens, Berlin 2001, ISBN 978-3-05-003415-7 .
    • Band 2: Der Frankische Reichskreis, Berlin 2003, ISBN 978-3-05-003651-9 .
    • Band 3: Der Bayerische Reichskreis und die Oberpfalz, Berlin 2004, ISBN 978-3-05-003769-1 .
    • Band 4: Die lokale Policey. Normensetzung und Ordnungspolitik auf dem Lande. Ein Quellenwerk, Berlin 2008, ISBN 978-3-05-004396-8 .
    • Band 5: Policeyordnungen in den Markgraftumern Ansbach und Kulmbach-Bayreuth, Erlangen 2011, ISBN 978-3-940804-03-7 .
    • Band 6: Policeyordnungen in den frankischen Hochstiften Bamberg, Eichstatt und Wurzburg, Erlangen 2013, ISBN 978-3-940804-04-4 .
    • Band 7: Policeyordnungen in den frankischen Reichsstadten Nurnberg, Rothenburg o.d.Tauber, Schweinfurt, Weißenburg und (Bad) Windsheim, Erlangen 2015, ISBN 978-3-940804-06-8 .
    • Band 8: Policeyordnungen zur frankischen Adelskultur, Erlangen 2018, ISBN 978-3-940804-08-2 .
  • Karolina Zobel: Polizei. Geschichte und Bedeutungswandel des Wortes und seiner Zusammensetzungen. Diss. phil. Munchen 1952.

Einzelnachweise

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  1. @1 @2 Vorlage:Toter Link/www.cepol.net Perspectives of Police Science in Europe. ( Seite nicht mehr abrufbar . Suche in Webarchiven )