Die sieben Organe der Europaischen Union
Das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europaischen Union
Das
politische System der Europaischen Union
ist vergleichbar mit den
politischen Systemen
vieler
demokratischer
,
foderaler
Staaten
. Als formell
supranationaler
Zusammenschluss
souveraner
Staaten stellt die
Europaische Union
jedoch ein politisches Gebilde
eigener Pragung
dar, das es in dieser Form zuvor noch niemals gegeben hat. Bereits in der
Entstehungsphase des europaischen Einigungsprojekts
nach dem
Zweiten Weltkrieg
waren die bis heute fortwirkenden konzeptionellen Unterschiede zwischen den Modellen eines
europaischen Bundesstaats
einerseits und eines losen
Staatenbunds
andererseits angelegt. In diesem Spannungsfeld von Zielvorstellungen hat sich das derzeit bestehende Institutionengefuge herausgebildet, das in Deutschland ublicherweise mit dem Begriff
Staatenverbund
bezeichnet wird.
Europaflagge
Rechtliche Grundlage der Europaischen Union sind derzeit zwei
volkerrechtliche Vertrage
, die die
EU-Mitgliedstaaten
miteinander geschlossen haben: der
Vertrag uber die Europaische Union
(EUV), der 1992 in Maastricht geschlossen wurde, und der
Vertrag uber die Arbeitsweise der Europaischen Union
(AEUV), der 1957 in Rom als
EWG-Vertrag
geschlossen, 1992 in
EG-Vertrag
umbenannt wurde und 2007 seinen heutigen Namen erhielt.
Mit diesen Vertragen vereinbarten die Mitgliedstaaten, die EU zu schaffen, ihr eine
Rechtspersonlichkeit
(
Art. 47
EUV) zu geben und ihren
Organen
bestimmte
Hoheitsrechte
und
Gesetzgebungskompetenzen
zu ubertragen. Man bezeichnet sie deshalb als ?europaisches
Primarrecht
“. Das gesamte ?
Sekundarrecht
“, das die EU selbst gemaß ihren eigenen Rechtsetzungsverfahren erlasst, ist aus diesen Vertragen und den darin genannten Kompetenzen abgeleitet. Dass die EU somit selbststandig Gesetze erlassen kann, die fur ihre Mitgliedstaaten bindend sind, unterscheidet sie von anderen internationalen Organisationen. Als
Volkerrechtssubjekt
mit eigener Rechtspersonlichkeit kann sie auch selbst Vertrage mit anderen Staaten abschließen und Mitglied einer
internationalen Organisation
sein. Sie ist also kein
Staatenbund
im klassischen Sinn.
Um den Inhalt der EU-Grundungsvertrage zu verandern, mussen die Mitgliedstaaten neue volkerrechtliche Vertrage, sogenannte Anderungsvertrage, abschließen. Dies geschah bisher 1997 durch den
Vertrag von Amsterdam
, 2001 durch den
Vertrag von Nizza
und zuletzt 2007 durch den
Vertrag von Lissabon
, der zum 1. Dezember 2009 in Kraft trat. Anders als ein
Bundesstaat
kann die Europaische Union die Zustandigkeiten in ihrem politischen System also nicht selbst verteilen: Die
Kompetenz-Kompetenz
liegt nicht bei den EU-Organen selbst, sondern bei den Mitgliedstaaten. Dies ist auch der Grund, warum die EU zwar staatliche Funktionen erfullt, bisher aber nicht als
souveraner
Staat gilt: Sie ist kein ?originares“, sondern ein
abgeleitetes
, ein sogenanntes ?derivatives Volkerrechtssubjekt“.
Andererseits besitzen auch die einzelnen Mitgliedstaaten der EU keine vollstandige Kompetenz-Kompetenz mehr, da sie die Hoheitsrechte, die der EU ubertragen wurden, nicht mehr allein auf die nationale Ebene zuruckholen konnen, sondern nur durch eine Vertragsanderung in Ubereinklang mit den anderen Mitgliedstaaten. Um diese besondere Bedeutung der EU-Grundungsvertrage zu unterstreichen, wird deshalb bisweilen auch der Begriff eines ?europaischen Verfassungsrechts“ gebraucht.
[1]
Allerdings hat jeder Mitgliedstaat nach
Art. 50
EUV die Moglichkeit, aus der Union auszutreten, und ist insofern weiterhin souveran.
Die Europaische Union hat sieben Organe, die in
Art. 13
des EU-Vertrags festgelegt sind. Im Einzelnen sind das
Die
Gesetzgebung
liegt beim Europaischen Parlament, das seit 1979 direkt gewahlt wird und daher unmittelbar die europaische Bevolkerung reprasentiert, sowie beim Rat der Europaischen Union, in dem Minister der einzelnen Mitgliedstaaten versammelt sind und die Interessen ihrer jeweiligen Regierungen vertreten. Die Kommission ist ein unabhangiges Organ, das dem Interesse der gesamten Union verpflichtet ist und im Wesentlichen Exekutivaufgaben wahrnimmt. Der Europaische Rat, in dem sich seit 1974 die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zu regelmaßigen Gipfeltreffen versammeln und der seit 1993 formell institutionalisiert ist, legt die allgemeinen Richtlinien der EU-Politik fest und spielt eine wichtige Rolle bei der Besetzung verschiedener EU-Amter. Die Rechtsprechung in der EU erfolgt durch den politisch unabhangigen Europaischen Gerichtshof.
Die Europaische Zentralbank ist die gemeinsame Wahrungsbehorde der Mitgliedstaaten der
Europaischen Wahrungsunion
. Der Europaische Rechnungshof pruft die Rechtmaßigkeit und ordnungsgemaße Verwendung von Einnahmen und Ausgaben der Institutionen der EU.
Neben den EU-Grundungsvertragen existiert noch der
Vertrag zur Grundung der Europaischen Atomgemeinschaft
(EAG- oder Euratom-Vertrag), der ebenfalls 1957 in Rom geschlossen wurde. Er bildet die rechtliche Basis fur die
Euratom
, die eine eigenstandige supranationale Organisation ist und ebenfalls eigene Volkerrechtspersonlichkeit besitzt. Sie ist jedoch mit der EU institutionell verknupft und teilt insbesondere samtliche
Organe
mit ihr. Fur die politische Praxis kommt der Euratom daher so gut wie keine eigenstandige Bedeutung zu.
Fur die Zustandigkeiten der EU gilt grundsatzlich das
Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung
(
Art. 5
EUV): Die EU kann nur in den Politikbereichen gesetzgebend tatig sein, die in den Grundungsvertragen ausdrucklich genannt sind. Außerdem geben die Vertrage fur die einzelnen Bereiche jeweils ? allerdings recht allgemein formulierte ? Ziele vor, auf die die Maßnahmen der EU ausgerichtet sein mussen. Alle Zustandigkeiten, die der EU nicht ausdrucklich in den Grundungsvertragen ubertragen wurden, verbleiben bei den Nationalstaaten.
Die Art der Kompetenzen, die die EU besitzt, kann sich je nach Politikfeld unterscheiden (
Art. 2
AEUV). Die Formen von Zustandigkeiten orientieren sich dabei grob an den verschiedenen Formen von Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Landern im
deutschen Grundgesetz
:
- In Bereichen mit
ausschließlicher Zustandigkeit
der EU ist auch nur diese dazu berechtigt, Recht zu setzen. Die Mitgliedstaaten durfen hier nur tatig werden, wenn sie von der EU dazu ermachtigt werden. Die EU hat hier gegenuber ihren Mitgliedstaaten entsprechende Kompetenzen wie in Deutschland der Bund gegenuber den Landern im Bereich der
ausschließlichen Gesetzgebung
.
In den Bereich der ausschließlichen Zustandigkeit der EU fallen die
Europaische Zollunion
, die Festlegung der
Wettbewerbsregeln
fur den
Europaischen Binnenmarkt
, die
Wahrungspolitik
der Staaten, die an der
Europaischen Wahrungsunion
teilnehmen, die Erhaltung der biologischen Meeresschatze im Rahmen der
Gemeinsamen Fischereipolitik
sowie die
Gemeinsame Handelspolitik
(
Art. 3
AEUV).
- In Bereichen mit
geteilter Zustandigkeit
konnen die Mitgliedstaaten Recht setzen, sofern und soweit die EU dies nicht getan hat. Das Verhaltnis von EU und Mitgliedstaaten entspricht hier dem von Bund und Landern im Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung
.
Die geteilte Zustandigkeit umfasst den
Europaischen Binnenmarkt
, bestimmte Bereiche der
Sozialpolitik
, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen
Zusammenhalt
, die
Landwirtschaft
und
Fischerei
mit Ausnahme des Erhalts der biologischen Meeresschatze, die
Umweltpolitik
, den
Verbraucherschutz
, die
Verkehrspolitik
, die
Transeuropaischen Netze
, die
Energiepolitik
, den
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
, bestimmte Bereiche des
Gesundheitsschutzes
, die Forschungs-, Technologie- und Raumfahrtpolitik sowie die
Entwicklungspolitik
(
Art. 4
AEUV).
- In Bereichen mit
unterstutzender Zustandigkeit
kann die EU lediglich Maßnahmen der Mitgliedstaaten erganzen und koordinieren. Anders als im Bereich der geteilten Zustandigkeit kann die EU hier keine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften beschließen, die Mitgliedstaaten behalten also ihre volle Gesetzgebungshoheit.
Unterstutzende Zustandigkeit hat die EU fur die Bereiche Gesundheitsschutz,
Industriepolitik
,
Kulturpolitik
,
Tourismus
,
Bildungs
- und Jugendpolitik,
Sport
,
Katastrophenschutz
und Verwaltungszusammenarbeit (
Art. 6
AEUV).
Neben diesen Arten von Zustandigkeiten gibt es einige Bereiche, in denen die EU besondere Formen von Kompetenzen besitzt. Dies gilt zum einen fur die
Wirtschafts
-,
Beschaftigungs
- und die
Sozialpolitik
, wo die EU koordinierend tatig werden und teilweise verbindliche Leitlinien festlegen kann (
Art. 5
AEUV). Zum anderen kann die EU im Rahmen der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
tatig werden, wobei die Mitgliedstaaten mit ihr ?im Geiste der Loyalitat und der gegenseitigen Solidaritat“ zusammenarbeiten, ohne dass die Vertrage eine klare Kompetenzabgrenzung vornehmen (
Art. 24
EUV).
Bei allen Maßnahmen der EU gelten außerdem die ?Grundsatze der Subsidiaritat und der Verhaltnismaßigkeit“ (
Art. 5
EUV). Nach dem Grundsatz der
Subsidiaritat
sollen politische Entscheidungen nach Moglichkeit auf die niedrigste mogliche Ebene verlagert werden, also auf die nationalen, regionalen bzw. lokalen politischen Beschlussorgane der EU-Mitgliedstaaten. Die Europaische Union soll deshalb nur dann tatig werden, wenn untere Entscheidungsebenen nicht in der Lage sind, Probleme selbststandig in angemessener Form zu losen. Der Grundsatz der Verhaltnismaßigkeit besagt, dass eine Maßnahme der EU nicht weiter reichen darf, als fur die in den Vertragen formulierten Ziele erforderlich ist.
Außer den verschiedenen Arten von Zustandigkeiten sehen die EU-Grundungsvertrage auch verschiedene Entscheidungs- und
Rechtsetzungsverfahren
vor, die je nach Politikbereich verschieden sein konnen. Fur einige Politikfelder gelten
intergouvernementale
Verfahren, d. h., die Regierungen der Mitgliedstaaten mussen alle Entscheidungen im
Rat der EU
(Ministerrat) einstimmig treffen. Dies betrifft etwa die
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
und einen großen Teil der
Sozialpolitik
. In den meisten Politikbereichen gilt allerdings das sogenannte
ordentliche Gesetzgebungsverfahren
, bei dem Gesetze vom
Europaischen Parlament
und dem Rat der EU zusammen getroffen werden, wobei im Rat das Mehrheitsprinzip gilt (
Art. 294
AEUV). Da diese Politikbereiche bis zum
Vertrag von Lissabon
im Rahmen der
Europaischen Gemeinschaft
geregelt waren, spricht man auch von der
Gemeinschaftsmethode
und von ?vergemeinschafteten“ Politikfeldern.
Die geteilte Rolle von
Europaischem Parlament
und
Rat der EU
als Gesetzgeber der EU entspricht einem
Zweikammersystem
, wie es auch auf nationalstaatlicher Ebene vielfach existiert. Es ist insbesondere mit foderal organisierten Systemen, etwa der Bundesrepublik Deutschland, vergleichbar. Das Europaische Parlament entspricht dabei als Volksvertretung dem
Deutschen Bundestag
. Als Reprasentationsorgan aller
Unionsburger
wird es seit 1979 in
Europawahlen
direkt gewahlt. Diese Wahlen finden europaweit gleichzeitig, aber nach Mitgliedstaaten getrennt mit jeweils nationalen Kandidatenlisten statt. Jedem Land steht dabei eine bestimmte Anzahl an Sitzen im Parlament zu, wobei nach dem Prinzip der
degressiven Proportionalitat
kleinere Staaten mehr Sitze pro Einwohner haben als großere.
Der
Rat der EU
hingegen ist das Vertretungsorgan der Regierungen aller Mitgliedstaaten, so wie der deutsche
Bundesrat
aus Regierungsvertretern der einzelnen Bundeslander besteht. Allerdings ist das Gewicht dieser beiden Kammern auf EU-Ebene in charakteristischer Weise anders verteilt als in Deutschland: Wahrend in der Bundesrepublik Deutschland der Bundestag viele Gesetze auch allein erlassen kann und nur zum Teil auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen ist, kann das Europaische Parlament in keinem Fall Gesetze ohne Beteiligung des Rates erlassen.
Anders als der deutsche Bundestag und Bundesrat besitzen weder das Europaische Parlament noch der Rat der EU das Recht der
Gesetzesinitiative
. Diese liegt auf EU-Ebene allein bei der
Europaischen Kommission
; mit wenigen Ausnahmen, in denen auch eine Gruppe von Mitgliedstaaten oder eines der Organe der Europaischen Union Gesetzgebungsinitiativen entwickeln kann, ist die Kommission also die einzige Institution, die Entwurfe fur EU-weite Rechtsakte vorlegen darf. Die Kommission kann jedoch von Parlament oder Rat aufgefordert werden, eine Gesetzesvorlage zu einer bestimmten Materie zu erarbeiten, und kommt solchen Aufforderungen in der politischen Praxis meist nach. Nachdem die Kommission ein Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt hat, hat sie keinen unmittelbaren Einfluss mehr darauf, wie Parlament und Rat den Gesetzesentwurf verandern.
Das
Justus-Lipsius-Gebaude
am Europa-Gebaude, dem Hauptsitz des Rats der Europaischen Union in
Brussel
Von erstrangiger Bedeutung fur das Zustandekommen von Rechtsakten ist stets die Entscheidungsfindung im
Rat der EU
. Außer bei einigen wenigen Gesetzgebungsmaterien vor allem in der Sozialpolitik, fur die ein einstimmiger Beschluss erforderlich ist, gilt meist das Verfahren der
qualifizierten Mehrheit
. Dieses wurde durch den
Vertrag von Lissabon
neu definiert: Eine qualifizierte Mehrheit ist dann erreicht, wenn (a) 55 % der Mitgliedstaaten zustimmen, die (b) mindestens 65 % der EU-Bevolkerung reprasentieren.
Diese Regelung trat allerdings erst ab 2017 endgultig in Kraft. Bis dahin galt ubergangsweise ein Verfahren, das auf gewichteten Stimmen basiert. Dabei haben die einzelnen Mitgliedstaaten im Rat je nach Bevolkerungszahl zwischen 3 (Malta) und 29 Stimmen (u. a. Deutschland). Diese Form der Differenzierung des Stimmengewichts ahnelt der Abstimmungsweise im deutschen Bundesrat, wo die einzelnen Bundeslander ebenfalls eine unterschiedliche Anzahl an Stimmen haben. Wahrend im Bundesrat jedoch ausschließlich die gewichteten Stimmen gezahlt werden, mussen fur das Zustandekommen einer qualifizierten Mehrheit im Rat drei verschiedene Kriterien erfullt werden:
- Es muss eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmen;
- die zustimmenden Mitgliedstaaten mussen 255 der insgesamt 345 Stimmen umfassen;
- die zustimmenden Mitgliedstaaten mussen mindestens 62 % der EU-Bevolkerung reprasentieren.
Sitz
in
Straßburg
, Generalsekretariat in
Luxemburg
Gebaude des Europaischen Parlaments in
Straßburg
Das Europaische Parlament teilt sich die Gesetzgebungsfunktion mit dem Rat, wobei es nach dem
ordentlichen Gesetzgebungsverfahren
gleichberechtigte Befugnisse hat und gegebenenfalls Entscheidungen auch verhindern kann. Lediglich in einigen bestimmten Politikfeldern (vor allem einige Bereiche der Sozialpolitik) hat das Europaische Parlament keine Mitentscheidungsrechte, sondern muss lediglich angehort werden.
Auch andere wichtige Entscheidungen, etwa die Ernennung einer neuen Kommission oder die Erweiterung der EU um neue Mitgliedstaaten, bedurfen notwendigerweise einer Zustimmung des Parlaments. Das Parlament legt außerdem zusammen mit dem Rat den
EU-Haushalt
fest, wobei der Rat auf der Einnahmen- und das Parlament auf der Ausgabenseite das letzte Wort hat (
Art. 314
AEUV).
Das Parlament entscheidet in der Regel mit einfacher Mehrheit. Nur fur wenige Entscheidungen von besonderem Gewicht wie ein Misstrauensvotum gegenuber der Kommission ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notig. Eine Besonderheit stellt allerdings die Regelung dar, nach der in der zweiten Lesung im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ? wenn also in erster Lesung keine Einigung zwischen Parlament und Rat stattgefunden hat ? das Parlament nicht mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sondern mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder entscheidet. Dies macht in der parlamentarischen Praxis meist breite fraktionsubergreifende Allianzen notwendig, da (wie in allen Parlamenten) nur selten auch wirklich alle Abgeordneten an Plenarsitzungen teilnehmen.
Das Parlament ubt zudem die
parlamentarische Kontrolle
uber die ubrigen EU-Organe aus. Es kann dafur unter anderem Anfragen stellen und
Untersuchungsausschusse
einrichten.
Die
Kommission
hat fur den uberwiegenden Teil der EU-Rechtsakte das alleinige
Initiativrecht
inne, nur sie kann also Gesetzesvorschlage machen. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil der Rat Rechtsakte, die vom Kommissionsvorschlag abweichen, nur einstimmig erlassen kann (
Art. 293
Abs. 1 AEUV). Da bei Uneinigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten eine solche Einstimmigkeit kaum zu erreichen ist, sind diese auf die Zusammenarbeit mit der Kommission angewiesen. Die Kommission kann dabei ihren Vorschlag wahrend des Verfahrens jederzeit verandern (
Art. 293
Abs. 2 AEUV) und so einen politischen Kompromiss fordern. Institutionell wird dies dadurch ermoglicht, dass die Kommission grundsatzlich zu Tagungen des Rates eingeladen ist (Art. 5 Abs. 2 der
Geschaftsordnung des Rates
).
Auch bezuglich der ausfuhrenden Gewalt erweist sich das Kompetenzgeflecht in der EU komplizierter, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Zwar gibt es mit der
Europaischen Kommission
ein eigens fur exekutive Zwecke geschaffenes und tatiges Organ, doch Stellung und Kompetenzen dieser Kommission weichen wiederum deutlich von denen nationaler Regierungen ab.
Das
Berlaymont-Gebaude
in Brussel, Sitz der Europaischen Kommission.
Ein wichtiger Unterschied gegenuber nationalen Regierungen ist die Ernennung der
Kommission
. Hierfur einigen sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten im
Europaischen Rat
auf einen
Kommissionsprasidenten
, wobei sie das Ergebnis der vorherigen
Europawahl
berucksichtigen mussen. Anschließend berufen sie ? in Absprache mit dem designierten Prasidenten ? die Kommissare, wobei jedes Land genau einen Kommissar stellt. Der Kommissionsprasident verteilt dann die einzelnen Ressorts unter den Kommissaren. Er hat das Recht, einzelne Kommissare zum Rucktritt aufzufordern; außerdem verfugt er (ahnlich wie etwa der deutsche Bundeskanzler gegenuber seinem Kabinett) uber eine
Richtlinienkompetenz
. Das Europaische Parlament dagegen hat bei der Ernennung einer neuen Kommission lediglich das Recht, den Kommissionsprasidenten oder die Kommission als Ganzes abzulehnen oder (nach deren Ernennung) durch ein
Misstrauensvotum
mit Zweidrittelmehrheit zum Rucktritt zu zwingen. Diese relativ schwache Position der gewahlten Volksvertretung bei der Ernennung der Exekutive wird haufig unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten kritisiert.
Auf funktionaler Ebene kommen der Europaischen Kommission vor allem exekutive Aufgaben zu, die sie mithilfe ihres Beamtenapparats und durch mehrere
Agenturen
wahrnimmt. Außerdem ist die Kommission als ?Huterin der Vertrage“ tatig: Sie wacht uber deren Einhaltung ebenso wie uber die Durchfuhrung der EU-Rechtsakte in den Mitgliedstaaten und kann gegebenenfalls eine Vertragsverletzungsklage beim
Europaischen Gerichtshof
erheben.
Das
Europa-Gebaude
in Brussel, Sitz des Europaischen Rats
Der
Europaische Rat
, der aus den Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten sowie ? ohne Stimmrecht ? dem Prasidenten des Europaischen Rates und dem Prasidenten der Europaischen Kommission zusammengesetzt ist (Art. 15 Abs. 2 EUV) und zweimal pro Halbjahr zusammen tritt (Art. 15 Abs. 3 EUV), bildet gegenuber der Kommission gewissermaßen eine ubergeordnete Zusatzexekutive. Dem Vertragstext nach
?gibt er der Union die fur ihre Entwicklung erforderlichen Impulse“
und er
?legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritaten hierfur fest“
. Erganzend werden in strittigen Fragen Verhandlungen, die im
Rat der Europaischen Union
(sog. Ministerrat) ergebnislos geblieben sind, fortgefuhrt und nach Moglichkeit in Kompromisse umgesetzt. Da der Europaische Rat grundsatzlich ?im Konsens“, also einstimmig entscheidet, sind die regelmaßigen Gipfeltreffen stets ein wichtiges Zeichen fur die Einigkeit und Handlungsfahigkeit der Union. Kommt es zu Blockaden im Europaischen Rat, stagniert die Union politisch. Geleitet werden die Gipfeltreffen vom
Prasidenten des Europaischen Rates
, der jeweils fur zweieinhalb Jahre ernannt wird.
Mittelbar der EU-Exekutive zuzurechnen sind ferner auch Organe in den Mitgliedstaaten, die mit der
Umsetzung von EU-Recht
befasst sind und insoweit der Kontrolle durch die Europaische Kommission unterliegen.
Die Rechtsprechung auf europaischer Ebene obliegt dem Gerichtssystem der Europaischen Union, das als Ganzes
Gerichtshof der Europaischen Union
genannt wird. In oberster
Instanz
entscheidet der
Europaische Gerichtshof
(EuGH), amtlich nur Gerichtshof genannt. Zur Entlastung des Gerichtshofs ist ihm fur Klagen naturlicher und juristischer Personen das
Gericht der Europaischen Union
(EuG) vorgeschaltet. Richter und Generalanwalte des Europaischen Gerichtshofs und des Gerichts haben vor ihrer Nominierung in den Mitgliedstaaten als Richter und Juristen in herausragender Position gewirkt und bilden mit ihrer sechsjahrigen Amtszeit (wiederholte Berufung moglich) eine unabhangige, supranationale Judikative.
Die Gerichte der Europaischen Union beschaftigen sich hauptsachlich mit der Durchsetzung des
EU-Rechts
. Dazu entscheiden sie uber Klagen der Kommission, einzelner Mitgliedstaaten oder auch einzelner EU-Burger wegen Verletzung des EU-Rechts und sie konnen die im
AEU-Vertrag
vorgesehenen Sanktionen verhangen. Es sind aber auch Klagen der Mitgliedstaaten oder einzelner EU-Burger gegen die Kommission und andere EU-Organe wegen der Uberschreitung ihrer Kompetenzen oder wegen sonstiger Verletzungen des EU-Rechts moglich. Daruber hinaus beantwortet der Europaische Gerichtshof Anfragen von nationalen Gerichten bezuglich der Auslegung von EU-Recht (
Vorabentscheidungsverfahren
). In seinen Entscheidungen interpretiert der EuGH die Unionsvertrage dabei haufig in integrationsfreundlicher Weise.
Ferner hat die EU
Fachgerichte
mit erstinstanzlichen Zustandigkeiten. In zweiter Instanz ist das Gericht der EU zustandig.
[2]
Sitz der Europaischen Zentralbank in
Frankfurt am Main
Die Europaische Zentralbank ist die gemeinsame Wahrungsbehorde der Mitgliedstaaten der Europaischen Wahrungsunion und bildet mit den nationalen Zentralbanken (NZB) der EU-Staaten das Europaische System der Zentralbanken (ESZB).
Die Arbeit und die Aufgaben der EZB wurden erstmals im Vertrag von Maastricht 1992 festgelegt; seit dem Vertrag von Lissabon 2007 besitzt sie formal den Status eines EU-Organs.
Die grundlegenden Aufgaben sind die
- Festlegung und Durchfuhrung der Geldpolitik,
- die Durchfuhrung von Devisengeschaften,
- die Verwaltung der offiziellen Wahrungsreserven der Mitgliedstaaten (Portfoliomanagement)
- sowie die Versorgung der Volkswirtschaft mit Geld, insbesondere die Forderung eines reibungslosen Zahlungsverkehrs.
Das vorrangige Ziel ist die Gewahrleistung der Preisniveaustabilitat in der Eurozone. Weiteres Ziel ist die Unterstutzung der Wirtschaftspolitik in der Europaischen Gemeinschaft, mit dem Ziel eines hohen Beschaftigungsniveaus und dauerhaften Wachstums, soweit dies ohne Gefahrdung der Preisniveaustabilitat moglich ist.
Die ausfuhrenden Organe sind schlussendlich die nationalen Zentralbanken der Teilnehmerstaaten. Diese unterliegen den Regelungen des ESZB. Wichtig dabei ist, dass sie unabhangig gegenuber Weisungen nationaler Regierungen sind und nur der EZB unterstehen. Die EZB verfugt mit dem Rat und dem Erweiterten Rat uber zwei Beschlussorgane und mit dem Direktorium uber ein ausfuhrendes Organ.
Sitz des Europaischen Rechnungshofs in Luxemburg
Der
Europaische Rechnungshof
schließlich pruft Einnahmen und Ausgaben im EU-Haushalt und wendet sich mit Stellungnahmen an das Europaische Parlament und an die Europaische Kommission. Die Haushaltskontrolle soll der effektiven Verwendung der Finanzmittel in der Union dienen, Missbrauche aufdecken und ihnen vorbeugen. Die Funktion des Europaischen Rechnungshofs entspricht damit derjenigen des
Bundesrechnungshofs
in Deutschland.
Jeder Mitgliedstaat schlagt einen Vertreter fur den EuRH vor, der fachlich geeignet und unabhangig ist. Diese werden vom
Ministerrat
nach Anhorung des
Parlaments
fur die Dauer von sechs Jahren ernannt.
[3]
An der Spitze des EuRH steht ein Prasident, der aus den Reihen der Mitglieder fur drei Jahre (eine Wiederwahl ist moglich) gewahlt wird.
Die Mitarbeiter des EuRH konnen jederzeit Prufbesuche bei anderen EU-Organen, in den Mitgliedstaaten sowie in solchen Landern durchfuhren, die EU-Hilfen erhalten. Rechtliche Schritte kann er jedoch nicht unternehmen ? Verstoße werden den anderen Organen mitgeteilt, damit entsprechende Maßnahmen ergriffen werden konnen.
Die politische Integration der Europaischen Union war und ist Gegenstand mehrerer politikwissenschaftlicher Debatten. Verschiedene Ansatze der
Internationalen Beziehungen
, einer Teildisziplin der Politikwissenschaft, beziehen sich ausdrucklich auf die europaische Integration. So versucht der
Neofunktionalismus
die Eigendynamik des Integrationsprozesses zu beschreiben und entwickelte Erklarungsansatze dafur, dass in seinem Verlauf immer neue Politikfelder darin einbezogen wurden. Als Gegenposition betont der
liberale Intergouvernementalismus
die Rolle, die die nationalstaatlichen Regierungen im Integrationsprozess spielten.
Die derzeit großte theoretische Herausforderung stellt die europaische Integration fur den
Neorealismus
dar. Dessen Grundannahme vom
Machtegleichgewicht
, demzufolge internationale Kooperation immer vor dem Hintergrund staatlicher
Sicherheitserwagungen
stattfindet und am
Souveranitatsverstandnis
der beteiligten Staaten seine Grenzen findet, scheint nur schwer mit der Entwicklung der EU in Einklang zu bringen. Vertreter des
neoliberalen Institutionalismus
sehen die EU daher als starkes Indiz dafur an, dass zwischenstaatliche Institutionen nicht allein dazu dienen konnen, sicherheitspolitische Bedenken einzelner Staaten bezuglich relativer Machtzugewinne anderer Staaten zu uberwinden, sondern dass sie auch ein von ihren Mitgliedern unabhangiges Machtgefuge entwickeln konnen.
[4]
Zur Beschreibung der Funktionsweise der Europaischen Union wird in der Politikwissenschaft heute meist auf den Begriff des
Mehrebenensystems
zuruckgegriffen, in der Rechtswissenschaft auf den des
Staaten- oder Verfassungsverbunds
.
Historisch lag der Schwerpunkt der politischen Macht in der EU vor allem bei den Regierungen der Mitgliedstaaten ? sie waren es, die die Entwicklung des Einigungsprozesses hauptsachlich gestalteten, sei es im Ministerrat oder auf Ebene der Regierungschefs. Zwar lag das
Initiativrecht
fur Gesetzesentwurfe der Europaischen Gemeinschaft bei der Kommission, ansonsten hatte diese aber fast nur exekutive Funktionen. Die endgultige Entscheidung uber gemeinsame Beschlusse fiel hingegen im Ministerrat, wo zunachst grundsatzlich das Prinzip der Einstimmigkeit galt. Der Rat bestimmte damit sowohl die europaische Gesetzgebung als auch Festlegungen uber die finanzielle Ausstattung der Gemeinschaft und uber die Beitrage der Mitgliedstaaten, uber die Verteilung der Haushaltsmittel und uber regionale Fordermaßnahmen. Auch die Zusammensetzung der Kommission und die Benennung ihres Prasidenten geschah auf Initiative der einzelnen Regierungen. Das Europaische Parlament hatte hingegen zunachst lediglich beratende Funktionen.
Im Zuge der
EU-Erweiterungen
und der Vertragsreformen seit 1986 veranderte sich das Gleichgewicht unter den europaischen Institutionen. Wahrend die EU nach und nach mehr Kompetenzen erhielt, wurde fur immer mehr Politikbereiche bei Abstimmungen im Ministerrat das Mehrheitsverfahren eingefuhrt. Gleichzeitig wurde die Konzentration politischer Macht im Rat durch eine sukzessive Aufwertung der Mitwirkungsrechte des
Europaischen Parlaments
schrittweise zuruckgedrangt, sodass inzwischen in den meisten Politikbereichen Rat und Parlament die gleichen Gesetzgebungsbefugnisse besitzen. Durch diese Starkung des Parlaments sollte die EU burgernaher und demokratischer werden.
Gleichwohl bleibt das Europaische Parlament in seinen Kompetenzen noch immer deutlich hinter denen einzelstaatlicher Volksvertretungen zuruck: Die Kommission wird weiterhin vom Rat ernannt und muss vom Parlament lediglich bestatigt werden ? anders als im nationalen Rahmen, wo die Exekutive (die Regierung) meist direkt vom Parlament gewahlt wird. Auch das alleinige
Initiativrecht
der Kommission entspricht nicht nationalen Gepflogenheiten, denen gemaß die aus Wahlen hervorgegangenen Organe (Parlament und/oder Landerkammer) meist selbst das Initiativrecht besitzen. Diese Tatsachen speisen nach wie vor kritische Stimmen, die ein
Demokratiedefizit der Europaischen Union
sehen.
Befurworter einer starken Rolle des Ministerrats weisen hingegen darauf hin, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten aus demokratischen
Wahlen
hervorgegangenen sind und somit die Gemeinschaft also mittelbar durchaus auf demokratischen Grundlagen basiert. Dass das Europaische Parlament nach wie vor weniger Rechte als ein nationales Parlament besitze, entspreche dem Umstand, dass ein europaisches Staatsvolk ? im Gegensatz zu den Staatsvolkern der Mitgliedstaaten ? als historisch, kulturell und politisch geeinter Volksverband einstweilen nicht existiere. In dem Maße, wie die 1992 geschaffene
Unionsburgerschaft
als identitatsstiftendes supranationales Band zur Wirkung gelangt, konne auch der Einfluss des Europaischen Parlaments als Vertretungsorgan der EU-Burger weiter zunehmen.
Nachdem die Kompetenzen der Europaischen Gemeinschaften sich zunachst nur auf einige spezifische Politikfelder erstreckt hatten (Kohle und Stahl im Fall der
EGKS
, der Abbau von Zollhemmnissen bei der
EWG
und die Atomenergie im Fall der
Euratom
) wurden spater zunehmend weitere Politikfelder auf europaische Ebene verlagert. So kam es seit den 1970er Jahren zu einer
außenpolitischen Koordinierung
der Mitgliedstaaten, die schließlich in der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
mundete; außerdem erhielt die EG Kompetenzen beispielsweise in der Umwelt- und Bildungspolitik, im Verbraucherschutz, in der Wahrungspolitik und im Bereich Inneres und Justiz. Diese Kompetenzerweiterungen folgten dabei (der
neofunktionalistischen
Integrationstheorie zufolge) meist wahrgenommenen Sachzwangen, die sich aus den vorangegangenen Integrationsschritten (
Spill-over
-Effekt) ergaben. Hiernach fuhrt sektorale Integration zur Verflechtung immer weiterer Sektoren, im Idealfall schließlich zum Endstadium einer allgemeinpolitischen Foderation. So fuhrte etwa der Binnenmarkt zu einem freien Kapitalfluss und zum Wegfall der Grenzkontrollen in Europa, was wiederum Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz erforderte, um ein Anwachsen der grenzuberschreitenden
organisierten Kriminalitat
zu verhindern. In ahnlicher Weise machte der gemeinsame Markt auch eine einheitlichere Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik notwendig, um einen Wettlauf um die niedrigsten Standards zu vermeiden.
Allerdings war diese schrittweise Erweiterung der EU-Kompetenzen immer wieder umstritten. So wurde wiederholt kritisiert, dass es keine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen den Nationalstaaten und der Europaischen Union gebe, da die Vertrage zu großen Interpretationsspielraum ließen. Außerdem kam es bei Vertragsreformen haufig zwischen den Mitgliedstaaten zu Uneinigkeiten, welche weiteren Zustandigkeiten auf die EU ubertragen werden sollten. Insbesondere
Großbritannien
sperrte sich seit den achtziger Jahren wiederholt gegen eine Ubertragung weiterer Kompetenzen auf die supranationale Ebene. Dies fuhrte unter dem Schlagwort des
Europas der zwei Geschwindigkeiten
zu einer Diskussion verschiedener Modelle, die manchen Mitgliedstaaten weitere Integrationsschritte erlauben sollten, auch wenn andere ihnen (noch) nicht folgen wollten.
Im aktuellen politischen System der EU ist hierfur das Instrument der
Verstarkten Zusammenarbeit
vorgesehen. Als Umsetzungsbeispiel dient hier etwa das
Schengener Durchfuhrungsubereinkommen
, das 1995 zunachst nur von einer begrenzten Anzahl von Mitgliedstaaten geschlossen, inzwischen aber von fast allen EU-Staaten ubernommen wurde; ein anderes Beispiel ist der
Euro
, der als Wahrung ebenfalls nur in einem Teil der Mitgliedstaaten gilt. Als Gefahr einer solchen ungleichen Integration wird allerdings eine neuerliche Trennung unter den gegenwartigen Mitgliedstaaten der EU befurchtet, die den Integrationsprozess hemmen und schlimmstenfalls einen Zerfall der Unionsstrukturen befordern konnte.
Die Politikfelder der EU sind (Stand 2012):
[5]
- Beschaftigung und Soziales:
Beschaftigung
und
Sozialpolitik
- Entwicklung und humanitare Hilfe:
Entwicklung und Zusammenarbeit
,
Humanitare Hilfe
,
Menschenrechte
- Erweiterung der EU und Außenpolitik:
Außen- und Sicherheitspolitik
,
EU-Erweiterung
- Gesundheit:
Gesundheitswesen
- Justiz und Burgerrechte:
Burgerschaft
,
Einwanderung
,
Justiz und Inneres
,
Verbraucherschutz
- Kultur, Bildung und Sport:
Allgemeine und berufliche Bildung
,
Jugend
,
Audiovisuelles und Medien
,
Kultur
,
Mehrsprachigkeit
,
Sport
- Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittelsicherheit:
Fischerei
,
Landwirtschaft
,
Lebensmittelsicherheit
- Organe und Einrichtungen der EU:
Institutionelle Fragen
- Regionen und lokale Entwicklung:
Regionalpolitik
- Reisen und Verkehr:
Verkehr
- Umwelt und Energie:
Energie
,
Klimaschutz
,
Umwelt
- Unternehmertum:
Binnenmarkt
,
Handel
,
Unternehmen und Industrie
,
Wettbewerb
- Wirtschaft und Finanzen:
Betrugsbekampfung
,
Haushalt
,
Wirtschaft und Finanzen
- Wissenschaft und Technologie:
Forschung und Innovation
,
Informationstechnologie
- Zoll und Steuern:
Steuern
,
Zoll
Neben der Demokratisierung der Union und der Ausweitung der EU-Kompetenzen ist die Bewahrung der Handlungsfahigkeit trotz der Erweiterungsrunden auf inzwischen 28 Mitgliedstaaten eines der Motive, mit denen die Reformbedurftigkeit des politischen Systems der EU begrundet wird.
Die Souveranitatsvorbehalte und speziellen Interessen der Mitgliedstaaten fuhrten nicht nur zu einem komplexen Geflecht von Zustandigkeiten und Verfahren im politischen Gefuge der EU, sie bedrohen mit zunehmender Zahl der Mitgliedstaaten auch die Handlungsfahigkeit der Union, da eine Entscheidungsfindung im gegebenen institutionellen Rahmen immer schwerer wird. Davon betroffen sind das Europaische Parlament, das wegen wachsender Abgeordnetenzahlen immer ineffektiver arbeiten wurde, die Europaische Kommission, die mit einem Kommissar pro Mitgliedstaat gleichfalls uberbesetzt ware, und der Rat der EU, der zur Erzielung von Mehrheiten fur notwendige Reformen noch weit mehr Zeit in Kompromissverhandlungen verbringen musste und dabei mit noch mehr vollstandigen Misserfolgen zu rechnen hatte.
Die verschiedenen EU-Vertragsreformen ? zuletzt der
Vertrag von Lissabon
, der 2009 in Kraft trat ? zielten daher darauf ab, die supranationalen Institutionen zu verkleinern und die Hurden bei der Entscheidungsfindung abzubauen. So wurde die Anzahl der Mitglieder des Europaischen Parlaments auf 751 begrenzt und das Abstimmungsverfahren im Rat erleichtert. Das Ziel, die Kommission um ein Drittel zu verkleinern, wurde jedoch im Verlauf des Ratifikationsverfahrens aufgegeben, um den Widerstand einzelner Staaten zu uberwinden.
Eine zusatzliche Komplikation in diesem Zusammenhang bildet die geplante Aufnahme weiterer Staaten, etwa der
Turkei
, mit denen bereits Beitrittsverhandlungen begonnen wurden. Schon im Kontext der Osterweiterung wurde vor einer moglichen Lahmung der EU durch Uberdehnung gewarnt und teilweise die Befurchtung geaußert, es konne nur entweder die fortgesetzte Erweiterung oder eine weitere Vertiefung der EU geben. Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, dass zusatzliche Erweiterungen nur in Verbindung mit angemessenen
Integrationsfortschritten
zu tragfahigen Ergebnissen fuhren konnten. Die kunftigen politischen Strukturen der EU sind also derzeit offen, Veranderungen des Status quo aber auch nach dem Vertrag von Lissabon langfristig wahrscheinlich.
Nachdem in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit der
Europaischen Bewegung
kurzzeitig eine Organisation mit relativ breiter gesellschaftlicher Grundlage die europaische Integration vorangetrieben und die Grundung des
Europarats
1949 erreicht hatte, gingen die Europaischen Gemeinschaften ab 1951 nicht mehr aus der Bevolkerung hervor, sondern aus Regierungsinitiativen und -vereinbarungen. Der eher wirtschaftlich-
technokratische
Beginn des Einigungsprozesses leistete einer strukturellen ?Burgerferne“ der EG Vorschub. Die europaische Einigung vollzog sich zunachst ohne intensive Aufmerksamkeit der Offentlichkeit: Man spricht daher von einem
permissive consensus
(etwa: zulassender Konsens), mit dem die Bevolkerung die von ihren Regierungen verfolgte Integration passiv-wohlwollend hinnahm.
Erst ab Anfang der achtziger Jahre bemuhten sich die Europaische Kommission und die Regierungen, auch eine hohere aktive Zustimmung der Bevolkerung zum Einigungsprozess zu erreichen. So wurden, ausgehend vom
Adonnino-Bericht
zum ?Europa der Burger“, der 1985 vom Europaischen Rat angenommen wurde, eine Vielzahl teils symbolischer, teils politischer Maßnahmen verwirklicht, um die EG im Alltag erfahrbar zu machen und eine gemeinsame
europaische Identitat
zu fordern. Diese reichten von den EU-Symbolen uber den Europaischen Fuhrerschein, das Studentenaustauschprogramm
Erasmus
, die
Unionsburgerschaft
, die Schaffung eines
Europaischen Burgerbeauftragten
und das individuelle Petitionsrecht beim Europaischen Parlament bis zum EU-weiten Kommunalwahlrecht am jeweiligen Wohnort. Eine großere Rolle spielt außerdem der
Schengen-Raum
, innerhalb dessen auf Kontrollen des grenzuberschreitenden Personenverkehrs verzichtet wird, und der
Euro
als gemeinsame Wahrung.
Inwieweit dies einem europaischen Identitatsbewusstsein aufhelfen kann, bleibt abzuwarten. Obwohl die Mehrheit der europaischen Bevolkerung der EU-Mitgliedschaft ihres Landes prinzipiell positiv gegenubersteht, zeigt sie sich skeptischer, was die Institutionen der EU anbelangt.
[6]
Diese
Europaskepsis
mag darin begrundet liegen, dass traditionell nicht die EU, sondern der Nationalstaat den politischen Orientierungsrahmen der Europaer darstellt, in dem die Burger ihre Interessen artikulieren. Vor allem aufgrund der Sprachbarrieren existiert nach wie vor keine einheitliche
europaische Offentlichkeit
mit einem gemeinsamen
Mediensystem
, die existierenden Medien ihrerseits sind noch zu haufig in einem
Provinzialismus
nationaler Pragung gefangen.
Mit dem Vorwurf der Burgerferne geht der des
Demokratiedefizits
einher. Um diesem Demokratiedefizit abzuhelfen, wurden 1979 die
ersten Direktwahlen
zum Europaischen Parlament eingefuhrt. Das Europaische Parlament wurde seit Ende der achtziger Jahre in mehreren Vertragsreformen aufgewertet, um seine Stellung im Gesetzgebungsprozess gegenuber dem Rat zu starken. Der
Vertrag von Maastricht
1992 fuhrte das
Mitentscheidungsverfahren
ein, in dem die Kompetenzen zwischen Europaischem Parlament und Rat der EU ahnlich verteilt sind wie im deutschen
Zustimmungsverfahren
zwischen Bundestag und Bundesrat: Beide Institutionen sind gleichberechtigt, ein Gesetz kommt nur bei einer Einigung zwischen ihnen zustande. Dieses Mitentscheidungsverfahren galt zunachst nur fur einige bestimmte Politikfelder; es wurde jedoch durch die Vertrage von Amsterdam, Nizza und Lissabon zum ?ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ ausgeweitet, das fur fast die gesamte EU gilt.
Unter dem Eindruck der
Eurokrise
, hat im Jahr 2012 ein ?
Manifest zur Neugrundung der EU von unten
“, das zur Schaffung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen fur ein
Freiwilliges Europaisches Jahr
aufruft, zahlreiche prominente Erstunterzeichner unter Politikern, Publizisten und Kunstlern gefunden. Das
Freiwillige Europaische Jahr
soll dazu dienen, alle Interessierten im Rahmen von Auslandsaufenthalten an der Erarbeitung von Losungen vor allem fur Umwelt- und Gesellschaftsprobleme zu beteiligen, die der einzelne Nationalstaat nicht mehr allein zu losen vermag.
[7]
- Simon Hix:
The Political System of the European Union
. Palgrave MacMillan,
ISBN 0-333-96182-X
- Frank R. Pfetsch
, Timm Beichelt:
Die Europaische Union. Eine Einfuhrung. Geschichte, Institutionen, Prozesse.
2. Auflage. Uni-Taschenbucher GmbH, Stuttgart 2005,
ISBN 3-8252-1987-9
- Nicole Schley, Sabine Busse, Sebastian J. Brokelmann:
Knaurs Handbuch Europa.
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, Munchen 2004,
ISBN 3-426-77731-2
- Ingeborg Tommel:
Das politische System der EU.
3., vollstandig uberarbeitete und aktualisierte Auflage. Oldenbourg, Munchen 2008,
ISBN 978-3-486-58547-6
.
- Werner Weidenfeld
(Hrsg.):
Die Europaische Union. Politisches System und Politikbereiche.
Bertelsmann, Gutersloh 2006,
ISBN 3-89331-711-2
- Wolfgang Wessels
:
Das politische System der Europaischen Union.
VS Verlag fur Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008,
ISBN 3-8100-4065-7
- ↑
So etwa im Namen des Berliner
Walter-Hallstein-Instituts fur europaisches Verfassungsrecht
, vgl.
Homepage des WHI
.
- ↑
Europaisches Justizportal - EU-Gerichtsbarkeit.
Abgerufen am 19. Marz 2022
.
- ↑
Das Kollegium des Europaischen Rechnungshofes
(
Memento
des
Originals
vom 6. September 2021 im
Internet Archive
)
Info:
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www.eca.europa.eu
- ↑
Collard-Wexler, Simon (2004):
Integration Under Anarchy: Neorealism and the European Union
, in:
European Journal of International Relations
, 12 (3), S. 406
- ↑
Politikfelder der Europaischen Union
, europa.eu
- ↑
Generaldirektion Kommunikation:
Eurobarometer 66
(PDF; 13,2 MB), S. 118?131, abgerufen 21. September 2008.
- ↑
Die Zeit Nr. 19 vom 3. Mai 2012, S. 45.