Ein
Point-of-View-Shot
(
englisch
point-of-view shot
‚Einstellung mit einem bestimmten Standpunkt‘
, kurz
POV-Shot
) ist in der
Filmtheorie
eine
Einstellung
, die den Zuschauern einen Blick durch die Augen einer
Figur
der dargestellten Handlung ermoglicht.
Der entsprechende deutsche Begriff lautet
subjektive Kamera
oder
subjektive Einstellung
, kurz
Subjektive
.
Eine subjektive Einstellung ist haufig eine von zwei direkt aufeinanderfolgenden Einstellungen: Die eine Einstellung zeigt eine Figur, die irgendwo hin blickt, meist auf einen Punkt außerhalb des Bildes. Die andere Einstellung (der eigentliche POV-Shot) zeigt das, was die Figur betrachtet, von der Position der Figur aus gefilmt.
In welcher Reihenfolge diese Einstellungen geschnitten werden, ist nicht zwingend. Das heißt, es ist einerseits moglich, zuerst den POV-Shot zu zeigen und ihn erst anschließend als solchen kenntlich zu machen, wenn namlich in der folgenden Einstellung die blickende Person gezeigt wird. Oder aber man zeigt erst die blickende Person und dann den POV-Shot.
POV-Shots sind
illusionierend
, d. h., der Zuschauer fuhlt sich in die Handlung hineinversetzt. Oft sind POV-Shots technisch verfremdet: Unscharfe signalisiert etwa den Blick eines Brillentragers ohne Brille. Die Subjektivierung des POV-Shots wird oft widerspruchlich kombiniert mit einer Objektivierung durch technische Gerate, etwa dem Blick durch
Fernrohre
oder
Nachtsichtgerate
. Beides erhoht den Eindruck der
Authentizitat
.
Manchmal werden POV-Shots durch auffallig bewegte, scheinbar unprofessionelle Kamerafuhrung (Handkamera,
Steadicam
) deutlich gemacht.
Der Film
Der Florentiner Hut
von
Wolfgang Liebeneiner
aus dem Jahr 1939 enthalt einige technische Raffinessen. In einer langen Sequenz am Anfang erlebt der Zuschauer die Szene aus der Sicht der Figur Theo Farina, ohne ihn selbst zu sehen. Erst spater erkennt man
Heinz Ruhmann
in dieser Rolle. Dazu war eine bewegliche Kamera notig, die es bei der ersten Verfilmung dieses Stoffes von
Eugene Labiche
noch nicht gab.
Der Film
Die Dame im See
(orig.
The Lady in the Lake
) aus dem Jahr 1947 ist der erste Film, der den POV-Shot den ganzen Film hindurch nutzt. Der Regisseur
Robert Montgomery
prasentiert die Handlung ausschließlich aus der Sicht der Hauptfigur
Philip Marlowe
. Der Kameramann war
Paul Vogel
. Den Hauptdarsteller (ebenfalls Montgomery) erkennt man nur, wenn er vor einen Spiegel (oder ahnliche reflektierende Oberflachen) tritt. Die Produktionsfirma
MGM
warb damit, den revolutionarsten Film seit Einfuhrung des
Tonfilms
zu zeigen, Zuschauer und Hauptfigur wurden das Geheimnis des Verbrechens gemeinsam losen.
[1]
Smack My Bitch Up
ist das Video von
Jonas Akerlund
zur 13. Singleveroffentlichung der britischen
Big-Beat
-Gruppe
The Prodigy
. Das mit zwei
MTV Video Music Awards
ausgezeichnete Musikvideo zeigt in Verwendung einer subjektiven Kameraperspektive einen exzessiven Nachttrip einer zunachst unerkannt bleibenden Person. Zu Beginn befindet sich diese im Badezimmer und zieht sich danach an, wahrend sie bereits alkoholische Getranke sowie
Kokain
zu sich nimmt. Der Protagonist begibt sich in der Folge ins Londoner Nachtleben, wo er durch aggressives Verhalten gegenuber Frauen und DJs auffallig wird. Zwischenzeitlich ubergibt er sich mehrfach und nimmt Heroin zu sich. Durch den Einsatz visueller Verzerrungen wird die fortschreitende Wirkung der eingenommenen Drogen sichtbar. Hierauf begibt er sich in einen Stripclub, in welchem er sich einer der dort engagierten Tanzerinnen annahert und diese mit in ein soeben geklautes Auto nimmt. Er fahrt mit ihr in sein Appartement, in dem er Sex mit ihr hat. Zum Schluss des Videos zeigt die subjektive Kamera einen Blick in einen Spiegel, aus dem hervorgeht, dass es sich bei der von vornherein als mannlich wahrgenommenen Person um eine Frau handelt.
Enter the Void
ist ein franzosischer Spielfilm aus dem Jahr 2009, der komplett aus der Perspektive des Protagonisten Oscar erzahlt wird. Die Point-of-View-Einstellung zieht sich dabei konsequent durch den gesamten Film und wird nur durch einige sehr eindrucksvolle Drogentrips unterbrochen, die durch
Animated Visuals
dargestellt werden. Die Idee zum Film kam dem Regisseur nach eigenen Aussagen, als er sich den Film
Die Dame im See
unter Einfluss von
halluzinogenen Pilzen
ansah.
Hardcore
ist ein russisch-amerikanischer Action-Spielfilm aus dem Jahre 2015, der komplett aus der Sicht des Hauptdarstellers gefilmt wurde. Der Regisseur
Ilja Naischuller
hatte bereits 2013 in seinem Musikvideo
Bad Motherfucker
seiner Band Biting Elbows eine vergleichbare Technik angewandt.
In einigen Filmen, vor allem im
Horrorfilm
, wird ein POV-Shot als durchgehende
Erzahlperspektive
eingesetzt. Der Zuschauer erfahrt durch die Handlung, aus wessen Perspektive der Shot erfolgt (meistens aus der des Morders oder der des Monsters), aber ein Uberblick wird nicht gegeben, um ein Gefuhl der Unsicherheit und des Ausgeliefertseins zu erzeugen. Ein sehr beruhmter POV-Shot ist der des "Bosen" in "
Tanz der Teufel
".
Haufig wird der POV-Shot aus Sicht eines mannlichen Akteurs in
Pornofilmen
verwendet; teils ist die Regie ganzer Szenen und Filme von diesem
Stilmittel
bestimmt. Der Pornodarsteller
Peter North
vertreibt eine eigene Filmreihe unter dem Titel ?P.O.V.“. In der
japanischen Pornografie
heißt dieses Genre
Hamedori
(
jap.
ハメ撮り). Weitere bekannte Pornofilmreihen sind
POV Jugg Fuckers
,
POV Pervert
und POV Sluts.
Unter anderem nutzt die Fernsehserie
CSI: Den Tatern auf der Spur
das Stilmittel in verschiedenen Episoden, beispielsweise in
I've Got a Pain in My Sawdust!
(Staffel 8, Folge 1).
- ↑
Lady in the Lake
bei
IMDb
- Steven D. Katz:
Film directing shot by shot. Visualization from concept to screen.
Michigan 1991, S. 267ff.
- Edward Branigan:
Point of View in the Cinema: A Theoriy of Narration and Subjectivity in Classical Film.
Amsterdam 1984.