Pocahontas
[
?p?k??h?nt?s
] (?die Verspielte“, ?die, die alles durcheinanderbringt“; * um
1595
in
Virginia
; †
Marz
1617
in
Gravesend
, sudostlich von
London
; eigentlich
Matoaka
, spater verheiratet
Rebecca Rolfe
) wurde als Lieblingstochter eines Algonkinhauptlings zur Vermittlerin zwischen den Stammen der
Virginia-Algonkin
und den englischen
Kolonisten
. Sie bildet den historischen Kern eines
Geschichtsmythos
uber die angeblich friedliche
Besiedlung Nordamerikas
durch die
Europaer
.
Pocahontas war die Tochter des Hauptlings Wahunsonacock bzw. Wahnsenacaw, besser bekannt als
Powhatan
, dem Powhatan-
Sachem
, und wurde Amonute und auch Matoaka genannt. Ihr
Kosename
war Pocahontas, was in den
Algonkin-Sprachen
wahrscheinlich
der Wildfang
bedeutete.
[1]
[2]
Sie wird als eine der Lieblingstochter ihres Vaters beschrieben.
[3]
Powhatan heiratete entsprechend der Tradition zahlreiche Frauen, die weggeschickt wurden, nachdem sie ein Kind geboren und abgestillt hatten. Sie wurden von ihm unterstutzt, bis sie einen zweiten Ehemann fanden. Uber Pocahontas’ Mutter ist daher nichts bekannt. Manchen Uberlieferungen zufolge war Pocahontas das letzte Kind ihres Vaters.
[4]
[2]
Nach einem Bericht des Kapitans
John Smith
an die danisch-britische
Konigsgemahlin Anna von Danemark
soll sich Pocahontas schutzend vor ihn geworfen und ihren Kopf auf seinen gelegt haben, als ihm der Kopf auf Geheiß von Pocahontas’ Vater eingeschlagen werden sollte. Experten fur die
Geschichte der First Nations
vermuten jedoch, dass Smith in ein Ritual zur Aufnahme in den Powhatan eingebunden wurde, dies aber fehlinterpretierte. Pocahontas, zu der Zeit laut Smiths Schriften etwa 10 bis 13 Jahre alt, hatte als eine der Lieblingstochter des Hauptlings einen gewissen Einfluss auf ihren Vater. Wahrend er und die soziale Gruppe der Krieger die Anwesenheit der Weißen zunachst nicht dulden wollten, war Pocahontas der Meinung, dass eine friedliche Koexistenz und ein Austausch der Kulturen moglich sein musse. Außerdem half sie den europaischen Siedlern in Amerika, indem sie ihnen mit der Erlaubnis ihres Vaters in der Kolonialisten-Siedlung
Jamestown
beibrachte, welche Pflanzen essbar waren. Smith zufolge bewahrte Pocahontas dadurch zahlreiche Manner vor dem Hungertod. Auch brachte sie Smith die Sprache ihres Stammes bei. Eine Liebesbeziehung oder eine Affare der beiden ist nicht belegt. Als Smith mit einer Delegation seiner Manner in Werowocomoco, dem Hauptquartier des Powhatan, in einen todlichen Hinterhalt zu geraten drohte, warnte sie die Kolonialisten rechtzeitig und bewies so mindestens gewisse Sympathien fur die Englander. Die Verwerfungen, die zu dem versuchten Attentat auf Smith und seine Manner fuhrten, waren entstanden, nachdem diese Pocahontas’ Vater gegen seinen Willen in einer Zeremonie gekront hatten, mit der Absicht, ihn zum Vasall von
Konig Jakob von England
zu machen. Auch der Umstand, dass Smith von seinen Mannern zum Prasidenten der Siedlung Jamestown ernannt wurde, trug zu den Verwerfungen bei. Smith wurde bei einer Schießpulverexplosion im Jahr 1609 schwer verletzt und reiste bald darauf nach England zuruck, wo er auch blieb.
[1]
[2]
William Strachey berichtete 1616, Pocahontas sei vor ihrer Ehe mit dem
Virginia-Pflanzer
John Rolfe
zwei Jahre lang mit einem Krieger namens Kocoum, dem Bruder des Patawomeck weroance Japazaws verheiratet gewesen sei und mit diesem ein Kind namens Ka-Okee gehabt habe, das die Patawomecks aufgezogen hatten. Weitere Hinweise gibt es nicht; und es gab eine Kontroverse daruber, ob Strachey von Rolfe gesprochen hatte.
[5]
1613, als sich Konfrontationen zwischen Powhatan und Kolonisatoren zu einem offenen Krieg entwickelt hatten, lockten die Englander Pocahontas bei
Stafford
[6]
auf ein Schiff. Dort wurde sie zunachst als
Geisel
gefangen gehalten, um die Freilassung von Gefangenen und die Ruckgabe von gestohlenen Waffen zu erpressen. Pocahontas Vater ließ sich aber nicht auf alle Forderungen ein, weshalb sie in Gefangenschaft blieb.
[2]
Wahrend ihrer Gefangenschaft wurde sie von Alexander Whitaker im christlichen Glauben unterwiesen. Sie konvertierte zum Christentum, wurde getauft und ?Rebecca“ genannt. Historiker sind sich uneinig, ob die Taufe freiwillig oder erzwungen war. Der Name Rebecca weist auf die biblische
Rebekka
, ?Mutter zweier Nationen“ durch ihre Sohne Jacob und Esau, hin. So wurde auch Pocahontas teilweise von Zeitgenossen gesehen. Im April 1614 heiratete sie John Rolfe. Sowohl Pocahontas als auch Rolfe betonten, nicht aus Fleischeslust geheiratet zu haben. Vielmehr war in der sozialen Schicht von Pocahontas (ahnlich wie im europaischen Adel) das Heiraten aus politischen Gesichtspunkten ublich. Pocahontas hoffte nach eigenen Worten, mit ihrer Heirat zur Sicherung des Friedens und zum freundschaftlichen Miteinander der Kulturen beizutragen sowie die Stellung ihrer Familie zu festigen. Rolfe sagte, er habe nicht aus Fleischeslust, sondern zum Wohl der Siedlung, zur Ehre seines Landes und zum Ruhme Gottes geheiratet.
[2]
[7]
Nach Angaben der Indigenen wurde Pocahontas vergewaltigt und gezwungen, eine Ehe mit Rolfe einzugehen.
Rolfe hoffte also, durch die Heirat seine Interessen bezuglich der Siedlung zu wahren. Auch glaubte er, Pocahontas Seele durch die Heirat zu retten. Zudem hoffte er, durch die Hochzeit zur Freilassung englischer Gefangener beizutragen. Die Hochzeit fuhrte zu einem acht Jahre langen Frieden zwischen den Jamestown-Kolonisten und den Virginia-Algonkin und einem Aufbluhen der Handelsbeziehungen. 1615 schrieb Ralph Hamor:
“Since the wedding we have had friendly commerce and trade not only with Powhatan but also with his subjects round about us.”
?Seit der Hochzeit haben wir freundlichen Handel nicht nur mit Powhatan, sondern auch mit seinen Untertanen rund um uns herum.“
[8]
1615 wurde ihr Sohn
Thomas Rolfe
in Virginia geboren. 1616 ubersiedelten die Rolfes, begleitet von weiteren Indigenen, nach England. Als Botschafterin ihres Vaters kam sie an den
englischen
Konigshof. Dort wurde Pocahontas als ?Indianerprinzessin“ und Botschafterin ihres ?koniglichen“ Vaters Powhatan bei Hofe empfangen. Aufgrund ihrer Anmut und ihres aufgeweckten Geistes war sie unter den Adeligen sehr beliebt; dennoch missbilligte der Hof Rolfes Heirat mit Pocahontas, weil Rolfe nicht von koniglichem Geblut war. Die Rolfes hielten sich ein halbes Jahr in London und Umgebung auf. In dieser Zeit erfuhr John Smith von Pocahontas Anwesenheit und es kam zu einem Treffen, nachdem sich Smith in einem Brief an
Konigsgemahlin Anna
fur Pocahontas eingesetzt hatte. Smith hielt nach dem Treffen schriftlich in der
Generall Historie of Virginia
fest, dass Pocahontas beim Treffen uberrumpelt gewesen ist und sie ihm mitteilte, dass man ihr noch in ihrer Heimat berichtet hatte, dass Smith gestorben sei. Smith wiederum dokumentierte, er sei bei dem Treffen irritiert davon gewesen, dass sie darauf bestanden habe, ihn ?Vater“ zu nennen, obwohl sie als Prinzessin laut Smith hohergestellt war. Es war das letzte Treffen der beiden.
[2]
[9]
Pocahontas’ bzw. Rebecca Rolfes Gesundheitszustand verschlechterte sich in London dramatisch.
[2]
Kurz nach dem Antritt der Ruckreise nach Virginia, auf der ersten Etappe, starb sie im Alter von 21 Jahren in
Gravesend
(im Nordwesten der Grafschaft
Kent
).
[2]
Nach den Aussagen von Rolfe starb sie mit den Worten, dass alle sterblich seien und es ihr genug sei zu wissen, dass ihr Kind lebe.
[9]
Als Ursache fur ihren fruhen Tod werden je nach Quelle
Lungenentzundung
,
Tuberkulose
,
Typhus
oder die
Pocken
genannt. Das Begrabnis fand am 21. Marz 1617 in der
St George’s Church in Gravesend
statt. Sie wurde vermutlich im Gewolbe unter dem Chor beerdigt.
[10]
Die Kirche brannte 1727 ab; darum ist der genaue Ort ihres Grabes unbekannt. Aus ihrer Zeit am Hof ist ein
Kupferstich
erhalten, der sie in der damaligen Hoftracht zeigt.
Der Kuppelraum des
Kapitols in Washington
ist mit einem Wandgemalde der Taufe der amerikanischen Ureinwohnerin geschmuckt.
Uber ihren Sohn Thomas hatte Pocahontas zahlreiche Nachfahren, die großtenteils Mitglieder der weißen Oberschicht waren. Viele der ?ersten Familien Virginias“ (FFV), wie sich die reichen und prominenten Familien dort nennen, fuhren sich noch heute auf Pocahontas und Rolfe zuruck.
Zu den Menschen, die von ihr abstammen, zahlen
Edith Bolling Galt Wilson
, Frau von
Woodrow Wilson
, Anwalt und Brigadegeneral
George Wythe Randolph
, Admiral
Richard Byrd
, Virginias Gouverneur
Harry F. Byrd
, Mode-Designerin
Pauline de Rothschild
; die fruhere First Lady
Nancy Reagan
, Schauspieler
Glenn Strange
,
George W. Bush
,
[11]
Edward Norton
[12]
und Astronom
Percival Lowell
.
[13]
Pocahontas steht im Mittelpunkt eines US-amerikanischen
Geschichtsmythos
. Sie wird als weibliche
Edle Wilde
vorgestellt, als
assimilationswillige
Eingeborene, die die Tugenden der Weißen quasi von Natur aus besaß. Dieser Mythos diente dazu, die gewaltsame Eroberung Amerikas zu
legitimieren
.
[14]
Smiths Rettung erscheint in diesem
Narrativ
als Beleg fur die Bereitschaft der Algonkin, die Werte der europaischen Kultur anzunehmen, die eine Basis fur eine harmonische Beziehung der beiden Gruppen hergestellt hatte, was durch andere, bosartige Eingeborene aber zunichtegemacht worden sei.
[15]
Pocahontas war Namensgeberin fur eines der ergiebigsten Steinkohlevorkommen in West Virginia. Von 1930 bis 1960 wurde einer der Luxus-Zuge von Norfolk and Western Railway’s Pocahontas genannt. Vier Schiffe der
United States Navy
hießen USS Pocahontas, und eines USS Princess Matoika.
Der
Asteroid
(4487) Pocahontas
wurde 1987 entdeckt und 1991 nach Pocahontas benannt.
[16]
Ex-US-Prasident
Donald Trump
bezeichnet Kandidatin
Elizabeth Warren
spottisch als Pocahontas, nachdem diese angab, indianische Vorfahren zu haben.
Zahlreiche Orte in den USA sind nach Pocahontas benannt, unter anderem:
Außerdem:
Arno Schmidt
bezieht sich in seiner Erzahlung
Seelandschaft mit Pocahontas
(1955) auf die Indianerprinzessin; der Protagonist benutzt ihren Namen als Kosewort fur seine Urlaubsgeliebte.
In seinem
postmodernen Roman
Der Tabakhandler
(1960) sexualisiert der amerikanische Schriftsteller
John Barth
den Pocahontas-Mythos in satirischer Absicht: Er erfindet einen indianischen Brauch, wonach der Brautigam die Braut vor Eheschließung zu
entjungfern
habe. Wegen Pocahontas’ besonderer Anatomie seien daran bereits viele gescheitert. Captain Smith gelingt die Aufgabe nur mithilfe einer Pflanze.
[18]
Der Kulturwissenschaftler
Klaus Theweleit
macht Pocahontas zur Namensgeberin seiner These, dass Eroberer ihre
Landnahme
und
Kolonisation
vielfach durch Berichte uber Konigstochter rechtfertigten. In diesen
Mythen
und Erzahlungen bewundere die Frau den Fremden, verrate ihre Kultur und die traditionellen Besitzanspruche und ubergebe mit ihrem Korper auch das Land.
[19]
Als Beispiele dienen ihm außer Pocahontas
Medea
,
Dido
,
Kleopatra
und
Malinche
.
Ein populares musikalisches Denkmal wurde Pocahontas und Captain Smith in einer Zeile des Songs
Fever
von
Otis Blackwell
(Pseudonym: John Davenport) und Eddie Cooley gesetzt. Der Titel wurde durch Interpreten wie
Peggy Lee
(1958) und
Elvis Presley
(1960) beruhmt gemacht und wird bis heute immer wieder von namhaften Kunstlern gecovert.
1979 veroffentlichte
Neil Young
auf dem Album
Rust Never Sleeps
seinen Song
Pocahontas
,
der u. a. von
Johnny Cash
gecovert wurde.
Im Jahr 2016 veroffentlichte die deutsche Rockband
AnnenMayKantereit
ein Lied mit dem Titel Pocahontas, das in die deutschen Singlecharts einstieg und auch auf dem Nummer-1-Album
Alles nix Konkretes
der Band aus dem gleichen Jahr enthalten ist. Es handelt von einer zerrutteten Beziehung.
In einem
Zeichentrickfilm der Walt-Disney-Studios
und in dem US-Spielfilm
The New World
wird ihr eine Liebesgeschichte mit John Smith angedichtet. Tatsachlich hat es diese Romanze nie gegeben.
- Paula Gunn Allen
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Pocahontas. Medicine woman, spy, entrepreneur, diplomat.
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2:
Buch der Konigstochter. Von Gottermannern und Menschenfrauen. Mythenbildung, vorhomerisch, amerikanisch.
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ISBN 978-3-87877-752-6
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4:
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Stroemfeld, Frankfurt am Main / Basel 1999,
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[23]
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Pocahontas ? Die Legende
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Pocahontas: The Legend
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auch als
Horspielfassung
bei Disky NL
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Alle 4 Bande der
Tetralogie
tragen den Titel Pocahontas (1?4), da sie Theweleit als exemplarisch gilt.