Die
Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin
(
russ.
:
Всесою?зная пионе?рская организа?ция и?мени В. И. Ле?нина
Aussprache
ⓘ
/
?
;
Transliteration
nach DIN 1460: Vsesojuznaja pionerskaja organisacija imeni Vladimira Il'i?a Lenina) war eine zum
Komsomol
gehorende Jugendorganisation in der
Sowjetunion
, die von 1922 bis 1990 bestand und sich an 10- bis 15-jahrige Kinder und Jugendliche richtete. Mitglieder der Organisation wurden als
Leninpioniere
oder kurz
Pioniere
bezeichnet.
Die Organisation entstand als Derivat bzw. Abspaltung der russischen
Pfadfinderbewegung
.
Im Jahr 1908 veroffentlichte
Robert Baden-Powell
in
England
sein Buch
Scouting for Boys
, welches als Grundungsdokument der Pfadfinderbewegung angesehen werden kann. Das Buch wurde noch im Erscheinungsjahr ins Russische ubersetzt.
1909 bis 1911 entstanden in
Russland
erste Pfadfindergruppen, zunachst in
Zarskoje Selo
, spater in
Sankt Petersburg
und
Moskau
. 1914 kam es zur Grundung der
Allrussischen Vereinigung Russkij Skaut
. Bis 1917 entstanden in mehr als 143 russischen Stadten
Skaut
-Verbande. Im Revolutionsjahr 1917 zahlte man in Russland mehr als 50.000 Pfadfinder, vornehmlich Kinder aus wohlhabenden Familien.
Die Bewegung setzte ihr Wirken auch nach der
Oktoberrevolution
in der
Sowjetunion
fort. Viele Pfadfinder flohen gemeinsam mit ihren Familien ins Ausland, insbesondere nach Frankreich und in die USA. Im Jahr 1922 berieten auf der
Allrussischen Versammlung der Pfadfinderfuhrer
die Aktiven der Pfadfinderbewegung uber das weitere Vorgehen: Zahlreiche Pfadfinderverbande beteiligten sich an der Grundung der kommunistischen Pionierorganisation. Zum Zeitpunkt des endgultigen Verbotes der Pfadfinderbewegung in der Sowjetunion im Jahr 1923, ein Jahr nach Grundung der Pionierorganisation, gab es noch etwa 8.000 russische Pfadfinder.
Einer der Hauptakteure sowohl der russischen Pfadfinderbewegung als auch der entstehenden sowjetischen Pionierorganisation war
Innokenti Nikolajewitsch Schukow
(1875?1948). Seit 1914 Sekretar der
Allrussischen Vereinigung Russki Skaut
, wurde er spater zum
Obersten Pionier der RSFSR
. Als Vertreter einer eher humanistisch ausgerichteten Stromung der Pfadfinder versuchte er seit 1917 einen eigenstandigen Roten Pfadfinderverband
Krasny Skaut
, zu grunden. Dies gelang nicht. Seit 1921 arbeitete er gemeinsam mit
Lenins
Frau
Nadeschda Krupskaja
und dem
Volkskommissariat fur Bildungswesen
(Narkompros) an einer Moglichkeit, die Methoden der Pfadfinderbewegung an die Erfordernisse einer sowjetischen Kinderorganisation anzupassen.
Auf Schukow und die Moskauer Gruppe ?Bruder des Feuers“ rund um Nikolai Fatjanow gehen die Bezeichnung
Pionier
sowie die Ubernahme des
Pfadfindergrußes
Будь готов! ? Всегда готов!
?
Sei bereit! ? Immer bereit!
zuruck.
Die Moskauer Pfadfinder verabschiedeten am 13. Mai 1922 ? zu einem taktisch gunstigen Zeitpunkt wenige Tage vor der Allrussischen Konferenz des Kommunistischen Jugendverbandes ? eine ?Deklaration der Scoutmaster der Stadt Moskau zur Frage der Schaffung einer Kinderbewegung in der RSFSR“. Darin schlugen sie vor, als Fundament der neuen kommunistischen Kinderbewegung das
System
Scouting zu benutzen und die neue Organisation als ?Junge Pioniere“ zu bezeichnen. Es gelang ihnen dadurch ein entscheidender Perspektivenwechsel im offentlichen Diskurs uber die russische Pfadfinderbewegung. Sie wurde fortan nicht mehr als dem Komsomol entgegengesetzte Scout-
Organisation
betrachtet, sondern als
System
Scouting einer neuen Kinderbewegung zugrunde gelegt.
[1]
Der Perspektivenwechsel der Moskauer Pfadfinder wurde wenige Tage spater vom Kommunistischen Jugendverband ubernommen, der am 19. Mai 1922 den Beschluss fasste, ?die Frage der Kinderbewegung zu bearbeiten und dabei das reorganisierte System des Scoutings zu verwenden“. In den folgenden Jahren grundeten die ehemaligen Scoutmaster neue Pioniergruppen und bildeten die Gruppenleiter aus.
Der Beschluss der Zweiten Allrussischen Komsolkonferenz vom 19. Mai 1922 wird spater als Grundungsdatum der Pionierorganisation (Pioniergeburtstag) festgelegt.
Schon kurz nach der Grundung begann ein starkes Wachstum der Organisation. Zahlte sie 1923 nur 75.000 Mitglieder, waren es 1926 schon zwei Millionen. Den Hohepunkt erreichte die Mitgliederentwicklung in den
1970er
Jahren mit mehr als 25 Millionen Mitgliedern. Obwohl die Mitgliedschaft formal freiwillig war, gehorten nahezu alle Kinder und Jugendliche der Organisation an.
Am 23. Mai 1924, wenige Monate nach Lenins Tod, wurde der Name der Pionierorganisation um den Zusatz ?Wladimir Iljitsch Lenin“ erweitert.
Nachdem sich der Komsomol und die mit ihm verbundene Pionierorganisation im Rahmen von
Glasnost
und
Perestroika
neue Strukturen gegeben hatten, brachen beide Organisationen schnell zusammen. Die Pionierorganisation wurde gemeinsam mit dem Komsomol nach dem gescheiterten
Augustputsch 1991
verboten.
Heute existieren in Russland zahlreiche lokale Nachfolgeorganisationen, die sich teilweise noch als Pionierorganisation bezeichnen. Andere Gruppen haben sich der wiederbelebten russischen Pfadfinderbewegung angeschlossen.
Bis
1942
war die
Pionierabteilung
die Hauptebene der Arbeit. In ihr wurden alle Schuler einer Schule zwischen 10 und 15 Jahren zusammengefasst. Ab 1942 wurde dieser Begriff nur noch fur die Leninpioniere aus einer Schulklasse verwendet, die Bezeichnung auf Schulebene war jetzt
Pioniergruppe
.
Die Pionierorganisation war in drei Altersstufen eingeteilt, mit 15 Jahren konnten die Mitglieder mit Empfehlung der Pionierorganisation in den Komsomol wechseln. Vor die Pionierorganisation waren die Gruppen der
Oktoberkinder
geschaltet, in denen 7- bis 9-jahrige Kinder zusammengeschlossen waren.
Geleitet wurde die Organisation durch das
Zentralkomitee
der Pionierorganisation, das wiederum vom Zentralkomitee des Komsomol kontrolliert wurde.
Die Organisation unterhielt zahlreiche Pionierlager als
Ferienlager
; fur die 1970er Jahre wird ihre Zahl auf mehr als 40.000 geschatzt, in denen 9,3 Millionen Kinder und Jugendliche ihre Ferien verbrachten. Die bekanntesten Pionierlager waren das
Allunions-Pionierlager
Artek
auf der
Krim
,
Orlyonok
in der
Russischen SFSR
,
Molodaja Gwardija
in der
Ukrainischen SSR
und
Subrjonok
in der
Weißrussischen SSR
.
Mit der heute noch bestehenden
Pionerskaja Prawda
wurde eine eigene Zeitung herausgegeben.
Die Grußformel der Pionierorganisation verdeutlicht in kurzer Form das Erziehungsziel der Organisation:
- ?Zum Kampf fur die Sache der Kommunistischen Partei der Sowjetunion - Seid bereit! - Immer bereit!“
Sie war also auf die Herausbildung eines kommunistisch erzogenen Sowjetburgers ausgerichtet. Daneben wurden aber auch zahlreiche, in Jugendverbanden ubliche Aktivitaten gepflegt, wie Spiele oder Sport.
Formuliert wurden die Ziele in den Statuten der Pionierorganisation, in den Pionierregeln, dem Pionierversprechen und dem Pioniermotto.
Zur
Pionierorganisation Ernst Thalmann
in der
DDR
bestand eine Partnerschaft.
- Зорин, Владимир: Юные пионеры имени Спартака (Die Jungen Spartakus-Pioniere) Moskau, Leningrad 1922.
(Bericht uber die Arbeit der weltweit ersten Pioniergruppe in Moskau. Ihr Grunder Zorin war Pfadfinder und arbeitete dann gemeinsam mit Schukow und Krupskaja im Zentralen Buro der Jungen Pioniere am Aufbau der Pionierorganisation.)
- Бирбраер, М.: Первые шаги. Сборник статей по истории детского движениа в Москве. (Erste Schritte: Aufsatzsammlung zur Geschichte der Kinderbewegung in Moskau) Moskau, Leningrad 1928.
(Eine Sammlung qualitativ sehr verschiedener Erfahrungsberichte uber die Arbeit der ersten Kindergruppen und den Ubergang von Pfadfindern zu Pionieren. Dort ist auch das spater nicht mehr veroffentlichte Dokument
Deklaration der Skautmaster der Stadt Moskau zur Schaffung einer Kinderbewegung in der RSFSR
vom 13. Mai 1922 abgedruckt.)
- Дитрих, Георгий: Конец и начало. Из истории детского движения в Ленинграде (Ende und Anfang: Aus der Geschichte der Kinderbewegung in Leningrad) Moskau, Leningrad 1928.
(Ditrikh nahm teil am Aufbau der Petersburger ?roten“ Skautorganisation ROJuR und beschreibt auf Grundlage zahlreicher Dokumente die atemberaubende Grundungsgeschichte der ?Roten Skauts“ von 1919 bis 1921 auf einer Reise bzw. Flucht von etwa 800 russischen Kindern um die Welt uber den Ural nach Wladiwostok, San Francisco, New York, Frankreich und Finnland zuruck nach Petrograd.)
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Sebastian Waack:
Lenins Kinder: Zur Genealogie der Pfadfinder und Pioniere in Russland 1908-1924
. wvb Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 2008.
ISBN 978-3-86573-356-6