Pierre Schaeffer

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Pierre Schaeffer (* 14. August 1910 in Nancy ; † 19. August 1995 in Aix-en-Provence ) war ein franzosischer Komponist und Schriftsteller. Verbunden mit dem Vorwurf, die abendlandische Musik verschließe sich mit der Beschrankung auf traditionelle Musikinstrumente und der daraus resultierenden Beschrankung auf festgelegte Tonhohen einer wichtigen Sphare [1] , entwickelte Schaeffer in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts eine neue musikalische Praxis, die von einem offenen Zugang zu Klangen ausging, und pragte dafur den Begriff der musique concrete . Durch die Arbeit mit Tonbandern ergab sich ein Verzicht auf eine traditionelle Notation . Somit hinterfragte Schaeffer nicht nur das traditionelle Instrumentarium, sondern loste auch das Verhaltnis zwischen Komponist und Interpret auf.

Leben und Wirken

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Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Schaeffer, der eigentlich Ingenieur war, beim franzosischen Rundfunk. Dort experimentierte er mit Alltagsgerauschen, die er zunachst auf Schallplatte , ab 1951 auch auf Tonband aufnahm, verfremdete und zu neuen Klangkompositionen montierte. Die Mittel der Verfremdung beschrankten sich auf die Wiedergabegeschwindigkeit und -richtung. Außerdem entwickelte er eine Moglichkeit, kurze Abschnitte einer Schallplatte als Schleife wiederzugeben. [2] Die dabei entstandene experimentelle Musik nannte er Musique concrete ( Konkrete Musik ). Sie hatte großen Einfluss auf die Elektronische Musik und das Horspiel .

Schaeffer starb nach langem Alzheimerleiden im August 1995. Sein letztes Werk schuf er 1979. [3]

Theoretische Position

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Pierre Schaeffer hat mit seinem theoretischen Hauptwerk, dem Traite des objets musicaux , zum ersten Mal ein sprachliches System entworfen, das es ermoglicht die neuen musikalischen Strukturen der elektroakustischen Musik zu erfassen und zu kommunizieren. Er reagierte damit vor allen Dingen auf eine Entwicklung, die er selbst angestoßen hatte: Die musique concrete erforderte, da sie sich ganz gezielt ruckstandslos von harmonischen Strukturen losgelost hatte, zum einen einen neuen theoretischen Unterbau und zum anderen einen neuen Sprachschatz.

Als begleitendes Material zum Traite veroffentlichte Schaeffer sein solfege de l´objet sonore auf drei Schallplatten. Hier konnte er durch Experimente mit Klangtransformationen auf Tonband zeigen, dass es eine uberraschende Diskrepanz zwischen der physikalischen Erscheinung und der wahrgenommenen Qualitat von Klangen gibt. Ausgehend von dieser Feststellung entwickelte er einen Eigenschaftskatalog der Klange , der sich eben nicht an der physikalischen Erscheinung, sondern direkt am Horen orientierte. Schaeffer außerte sich beispielsweise zur Diskrepanz zwischen physikalischer Zeit und der Dauer musikalischer Ereignisse in der Wahrnehmung folgendermaßen:

?Wir mussen die Entscheidung treffen: Ist die in Bandzentimetern gemessene Zeit eine Realitat als musikalischer Parameter, so hat all das einen Zweck; besteht aber zwischen dieser gemessenen Zeit und der musikalischen Klangdauer eine grundlegende Diskrepanz, dann wird es sowohl unzulassig, die auf dieser gemessenen Zeit beruhenden Analysen weiter zu verfolgen, als auch musikalische Konstruktionen als Funktionen eines falschen Parameters zu ersinnen.“ [4]

Der zur Mitte des 20. Jahrhunderts aufflammende Theorienstreit zwischen der musique concrete aus Paris und der elektronischen Musik Kolner Pragung (siehe Studio fur elektronische Musik ) wurde in der offentlichen Wahrnehmung oft auf die Personen Pierre Schaeffer und Karlheinz Stockhausen reduziert.

Das Klangobjekt, Typologie und Morphologie

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Die zentrale Voraussetzung fur Schaeffers theoretische Erwagungen war die Definition des Klangobjektes als kleinster Nenner musikalischer Erfahrung. So funktionierte die menschliche Wahrnehmung im Zusammenhang mit Musik in Schaeffers Augen grundsatzlich uber die rudimentare Einteilung in einzelne musikalische Ereignisse: die Klangobjekte. Ausgehend von dieser Annahme entwickelte Schaeffer in seinem Traite zunachst eine Typologie des Klangobjektes: Anhand der Parameter Masse und zeitliche Ausdehnung separierte Schaeffer in den existierenden Klangen zwischen ausgewogenen (dementsprechend musikalischen) und nicht ausgewogenen Klangen. In einem zweiten Schritt entwarf er einerseits als Orientierung fur die kompositorische Arbeit und andererseits als Werkzeug zur Analyse eine in sieben Kriterien (Masse, Harmonische Klangfarbe, Kornung, Allure, Dynamik, melodisches Profil, Masse-Profil) eingeteilte ? Morphologie des Klangobjektes“.

Musikalische Werke (Auswahl)

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  • La Coquille a planetes , 1943/44
  • Symphonie pour un homme seul , 1949?1950 (in Zusammenarbeit mit Pierre Henry )
  • Bidule en ut , 1950
  • Orphee 53 , 1953 (in Zusammenarbeit mit Pierre Henry)
  • Etude aux objets , 1958
  • Solfege de l'objet sonore , 1967
  • Bilude , 1979
  • Œuvres de Pierre Schaeffer Prospective du XXIe siecle und Classique du XXe siecle , Philips, 1970
  • L'oeuvre musicale , in 3 CDs, 1998/2005, INA.
  • Pierre Schaeffer . In: INA-GRM (Hrsg.): Portraits Polychromes . Band   13 . Paris 2008.
  • Hermann Danuser: Die Musik des 20. Jahrhunderts . In: Carl Dahlhaus (Hrsg.): Neues Handbuch der Musikwissenschaft . Band   7 . Laaber-Verlag, Laaber 1984, S.   315?317 .
  • Pierre Schaeffer: Traite des objets musicaux-Essai Interdisciplines . Seuil, Paris 2002.
  • Christoph von Blumroder : Die elektroakustische Musik. Eine kompositorische Revolution und ihre Folgen (= Signale aus Koln. Beitrage zur Musik der Zeit. Band 22). Wien 2017, ISBN 978-3-85450-422-1 .
Commons : Pierre Schaeffer  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Vgl. Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil Band 14, S. 1166
  2. Baumgartel, Tilman: Schleifen. Zur Geschichte und Asthetik des Loops . Kulturverlag Kadmos, Berlin 2015, ISBN 978-3-86599-271-0 , S.   53 - 88 .
  3. MusikTexte , 4/1995, S. 50
  4. Pierre Schaeffer: Anmerkung zu den ?zeitbedingten Wechselwirkungen“. In: Gravesaner Blatter . Heft 17, 1960.