Peter Schottler

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Peter Schottler (* 15. Januar 1950 in Iserlohn ) ist ein deutscher Historiker .

Schottler wuchs in Brussel auf und legte 1968 am Helmholtz-Gymnasium Essen das Abitur ab. Er studierte Geschichte, Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaften an der Ruhr-Universitat Bochum sowie an der 6. Sektion der Ecole Pratique des Hautes Etudes in Paris . Seine wichtigsten akademischen Lehrer waren die Historiker Hans Mommsen und Rudolf Vierhaus in Bochum sowie Georges Haupt und Michelle Perrot in Paris. In der Philosophie war Schottler ein Schuler von Louis Althusser , dessen Schriften er auch teilweise ins Deutsche ubersetzte und herausgab. Ein Beispiel hierfur ist etwa der Essay Ideologie und ideologische Staatsapparate . 1978 wurde er mit einer Arbeit uber den revolutionaren Syndikalismus in der franzosischen Gesellschaft der Dritten Republik bei Heinz-Gerhard Haupt an der Universitat Bremen promoviert .

Von 1978 bis 1987 war Schottler wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitat Bremen . In diesen Jahren arbeitete er uber die Geschichte des Bremer Kleinburgertums und uber die Geschichte der deutschen Fabrik- und Gewerbegerichte im 19. Jahrhundert. Mit einem Projekt zur deutsch-franzosischen Historiographiegeschichte ging Schottler 1988 als Stipendiat der Volkswagen-Stiftung an die Maison des Sciences de l’Homme in Paris. Ein Jahr spater wurde er als Forscher in das franzosische Centre national de la recherche scientifique (CNRS) aufgenommen, eine Forschungsinstitution, der in Deutschland etwa die Max-Planck-Gesellschaft entspricht. Dort arbeitete er bis zu seiner Pensionierung im Januar 2015, zuletzt als Directeur de Recherche (Forschungsprofessor). 2001 erhielt er außerdem eine Honorarprofessur fur Neuere Geschichte an der FU Berlin .

Von 2004 bis 2010 war Schottler Mitglied der Geschichtskommission der Fondation pour la memoire de la Shoah in Paris.

Seit 2008 ist Peter Schottler Visiting Scholar am Max-Planck-Institut fur Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

Im Juni 2024 teilte Schottler stark israelkritische Beitrage in den Social Media und unterstutzte die von verschiedenen Seiten zum Rucktritt aufgeforderte TU-Prasidentin Geraldine Rauch . [1] Gegen die daraufhin gegen ihn personlich gerichteten Angriffe von Bild-Zeitung und Die Welt protestierten 30 prominente franzosische Wissenschaftler und Intellektuelle (darunter Etienne Balibar , Etienne Francois , Elisabeth Roudinesco , Henry Rousso , Nicolas Werth oder auch der israelische Historiker Gadi Algazi ) in einem offenen Brief.

Schottler gehort zu jenen Historikern, die sich neben empirischen, archivgestutzten Untersuchungen auch theoretischen Studien widmen. So hat er sich einerseits ausgiebig mit der Geschichte der franzosischen Arbeiterbewegung oder der deutschen Gewerbegerichte befasst und andererseits zur interdisziplinaren Methodendiskussion um Alltagsgeschichte , Mentalitatsgeschichte , Diskursanalyse oder Mikrogeschichte beigetragen. Er veroffentlichte auch zum Verhaltnis von Geschichte und Psychoanalyse oder uber Geschichte im Spielfilm.

Als Anhanger Louis Althussers vertrat Schottler in den 1970er Jahren zunachst einen strukturalistischen Marxismus . In seiner Geschichtsschreibung fuhrte dies zu einer Annaherung an die Annales-Schule , deren Grunder, Marc Bloch und Lucien Febvre , eine quasi-strukturalistische Sozial- , Wirtschafts- und Mentalitatsgeschichte vertraten. Besonders folgenreich war fur Schottler die Begegnung mit der History-Workshop -Bewegung in den spaten 1970er Jahren. Mit dem Initiator dieser englischen Geschichtswerkstatten , Raphael Samuel , sowie dem in Cambridge lehrenden Historiker Gareth Stedman Jones verbanden ihn gemeinsame theoretische und politische Zielsetzungen. Auch die amerikanische Geschichts- und Theoriediskussion hat ihn gepragt. 1990/91 war er Fellow am Institute for Advanced Study in Princeton und 1996/97 am History-Department der Princeton University .

Im Mittelpunkt von Schottlers Forschungen standen zunachst sozialgeschichtliche Themen, nach seiner Ubersiedlung nach Frankreich befasste er sich vor allem mit Fragen der deutsch-franzosischen Wissenschafts- und Historiographie-Geschichte. Dabei konzentrierte er sich besonders auf die franzosische Annales-Schule und deren Grunder Lucien Febvre und Marc Bloch. In diesem Zusammenhang ?wiederentdeckte’ er die osterreichische Historikerin Lucie Varga , die 1933 zusammen mit ihrem damaligen Mann Franz Borkenau nach Frankreich emigrierte und dort zum Umkreis der Annales gehorte.

Ein zweiter Schwerpunkt von Schottlers Arbeiten betraf die Rolle der Historiker im Nationalsozialismus . 1994 organisierte er auf dem Historikertag in Leipzig eine Sektion uber ?Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft“. Die dadurch angestoßene Debatte fand auf dem Frankfurter Historikertag von 1998 ihre Fortsetzung. Hier beantragte er, dass der deutsche Historikerverband kunftig einen Hedwig-Hintze -Preis nach der in der Emigration verstorbenen Berliner Historikerin vergeben sollte. Schottler vertrat die These, die ?Westforschung“ der NS-Zeit habe sich fortgesetzt in der ?Westbindung“ der Adenauer-Zeit. [2]

Schottler schreibt regelmaßig in der deutschen und in der franzosischen Presse. Er ist Mitbegrunder der Fachzeitschriften Geneses. Sciences sociales et histoire und Werkstatt Geschichte sowie Mitglied des Beirats der Osterreichischen Zeitschrift fur Geschichtswissenschaften , des italienischen Jahrbuchs Storiografia und der Berichte zur Wissenschaftsgeschichte .

  • mit Robert Farle : Chinas Weg, Marxismus oder Maoismus? Marxistische Blatter , Frankfurt am Main 1969, 2. uberarb. Aufl. 1971.
  • Friedrich Engels und Karl Kautsky als Kritiker des ?Juristen-Sozialismus“ . In: Demokratie und Recht 1980, S. 3?25 (eine langere Fassung erschien zuvor 1977 in der niederlandischen Zeitschrift Recht en Kritiek ).
  • Die Entstehung der Bourses du Travail. Sozialpolitik und franzosischer Syndikalismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Campus, Frankfurt am Main 1982 (franzosische Ubersetzung 1985).
  • Die ?Annales“-Historiker und die deutsche Geschichtswissenschaft . Mohr-Siebeck, Tubingen 2015, ISBN 978-3-16-153338-9 .
  • Du Rhin a la Manche. Frontieres et relations franco-allemandes au XXe siecle. Vorwort Henry Rousso . Presses universitaires Francois Rabelais, Tours 2017, ISBN 978-2-86906-431-7 .
  • Das Max-Planck-Institut fur Geschichte im historischen Kontext. Die Ara Heimpel ( PDF ). Berlin 2017.
  • Nach der Angst. Geschichtswissenschaft vor und nach dem ?linguistic turn“. Westfalisches Dampfboot, Munster 2018, ISBN 978-3-89691-293-0 .
  • Das Max-Planck-Institut fur Geschichte im historischen Kontext 1972?2006. Zwischen Sozialgeschichte, Historischer Anthropologie und Historischer Kulturwissenschaft ( PDF ). Berlin 2020.

Als (Mit-)Herausgeber:

  1. Nach TU-Prasidentin: Professor der FU Berlin teilt fragwurdige Beitrage - WELT. 7. Juni 2024, abgerufen am 8. Juni 2024 .
  2. Peter Schottler: Die historische ?Westforschung“ zwischen ?Abwehrkampf“ und territorialer Offensive. In: Peter Schottler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918?1945. Frankfurt am Main 1997, S. 204?261.