Das
Patriziat in Luzern
bildeten die fur den ≪
Kleinen Rat
≫ zugelassenen
Patrizierfamilien
in der freien und souveranen eidgenossischen Stadt und Republik
Luzern
. Das Luzerner Patriziat war ein Teil des
Patriziats der Alten Eidgenossenschaft
.
Die Regierung in der freien und souveranen eidgenossischen Stadt und Republik
Luzern
bildeten 36 Klein- und 64 Grossrate (
Schultheiss
, Rat und Hundert). Die eine Halfte tagte im Sommer-, die andere im Winterhalbjahr. Den Kleinraten waren die wichtigen Amter des Schultheissen (Ratsprasident), Statthalters (Schultheissen-Stellvertreter),
Seckelmeisters
,
Venners
, Spital- und Bauherrn vorbehalten sowie die
Vogteien
Willisau, Rothenburg, Entlebuch, Ruswil, Michelsamt und Merenschwand. Die Grossrate verwalteten die Vogteien Buron/Triengen, Habsburg, Malters/Littau, Kriens/Horw, Knutwil, Ebikon, Wikon und die Seevogtei Sempach.
Die Bevolkerung war standisch eingeteilt. An erster Stelle standen die patrizischen Kleinratsgeschlechter. Sie hatten die politische Macht. An zweiter Stelle standen die Grossratsfamilien. Auch sie waren regimentsfahig, mussten sich aber mit weniger wichtigen Amtern begnugen. An dritter Stelle standen die Burger, die nur theoretisch Ratsmitglieder waren, sowie die Neuburger, die von allen Amtern und Offiziersstellen ausgeschlossen waren. Die vierte Stufe bildeten die
Hintersassen
, die nur Heimatrecht genossen.
Als in Europa die Burgen an Bedeutung verloren, hatte sich das Prinzip der befestigten Burg auf die ummauerte Stadt ubertragen. Die Verantwortung und Privilegien, die ein Burgherr hatte, vereinigten nun die stadtischen Burger auf sich. Sie konnten es sich leisten, innerhalb der Stadtmauern Grundstucke zu erwerben. Dies galt auch fur die 1178 gegrundete Stadt Luzern, deren Herrschaft sich schon im 15. Jh. uber das heutige Kantonsgebiet erstreckte.
Die fuhrenden Familien Luzerns wurden nach der
Schlacht bei Sempach
(1386) zu den Rechtsnachfolgern der
Grafen von Habsburg
, in deren Besitz sich Luzern befunden hatte. Diese hatten es einst als Fischerdorf von der Abtei
Murbach
erworben. 1415 bestatigte Konig Sigismund Luzern die alten Freiheiten, die es unter Karl dem Grossen erworben hatte. Bis
1648
gehorte Luzern rechtlich zum Deutschen Reich, was dadurch zum Ausdruck kam, dass der Wappenschild vom
Reichsadler
uberhoht war. Luzern war nicht nur eine freie und souverane
Reichsstadt
und Republik (faktisch eine
Stadtearistokratie
), sondern auch der Vorort der katholischen Eidgenossenschaft und Sitz des
papstlichen Nuntius
.
Obwohl die Regimentsfahigkeit (Wahlbarkeit in den Kleinen und Grossen Rat) seit 1568 allen Burgern zukam, hatte nicht jeder Burger Zugang zur Regierung. Diese beschrankte sich auf einen immer kleineren Kreis von regimentsfahigen Familien. Dies vollzog sich schrittweise 1571, 1588 und 1648, bis das Fundamentalgesetz von 1773
[1]
festlegte, dass erst beim Aussterben eines regimentsfahigen Geschlechts die jeweils alteste eingeburgerte Familie in ihrer vierten Generation aufrucken konnte
[2]
. Mit diesem Gesetz hatten sich etwa 30 patrizische Familien von den ubrigen regimentsfahigen Burgern abgetrennt und weiteten ihren Einfluss bald auch im Grossen Rat aus. Damit hatte Luzern das konzentrierteste Patriziat unter den Schweizer Stadtekantonen. Als Souveranitatssymbol fuhrten sie die neunzackige Krone und beanspruchten den Titel
Junker
, der in neuerer Zeit unter Berufung auf das Fundamentalgesetz durch das
Pradikat
≪von≫ abgelost wurde. Dieses war aber in Luzern mit Ausnahme der alten Ministerialgeschlechter wenig in Gebrauch. Hingegen nannte man sich gern nach dem Grundbesitz (
Pfyffer von Altishofen
,
Segesser von Brunegg
). Das Recht auf das Pradikat ≪von≫ bekraftigte Luzern in mehreren Regierungsentscheiden von 1895, 1896 und 1899.
Die hohen Staats- und Verwaltungsamter sowie die wichtigsten
Landvogteien
waren erblich. Unter sich waren die Patrizier gleichberechtigt. Trotzdem gab es eine Abstufung, denn die Bedeutung einer Familie richtete sich nach der Anzahl Sitze im Kleinen Rat und danach, wie viele Schultheissen sie stellten. Wahrend die Segesser von Brunegg, Schwytzer von Buonas und
Schnyder von Wartensee
jeweils je einen Sitz hatten, teilten Familien wie die Pfyffer von Altishofen, Balthasar, Meyer von Schauensee,
Goldlin von Tiefenau
,
Schumacher
und zur Gilgen die ubrigen Sitze unter sich auf. Dem Ansehen einer Familie dienten auch eine lange Reihe von Militar-Karrieren im Ausland oder Adelsdiplome, die aber im eigenen Land rechtlich ohne Bedeutung waren.
Die Zunfte in Luzern hatten keine politische Bedeutung. Sie standen unter Aufsicht der Regierung, indem sie Deputierte auf ihre Stuben sandte. Die Patrizier selbst ubten kein Handwerk mehr aus, sondern dienten ausschliesslich dem Staat, der Kirche und als Offiziere einem Konig oder dem Papst. Man lebte von den koniglichen Pensionen, vom Pulver-, Wein- und Salzhandel, von dem, was die Landguter abwarfen, ferner von Abgaben, Zollen und Bussgeldern, sodann von den Einnahmen der Stadt als Handels- und Umschlagsplatz fur den Gotthardweg und von den Ertragen des Staatsvermogens.
Mit dem Ausland bestanden Handels- und Militarvertrage, und das Geld floss so reichlich, dass Luzern ohne direkte Steuern auskam. Diese zahlten die Konige mit ihren Bundnisgeldern und Offizierspensionen. Entsprechend waren die Familien in eine spanische, savoyische und eine franzosische Partei aufgeteilt. Die Vertrage (≪Kapitulationen≫) brachten nicht nur politische und wirtschaftliche Vorteile, sondern brachten Luzern auch in Beruhrung mit den europaischen Kulturzentren. Viele Patrizier traten als Sponsoren und Stifter auf. Neben ihren Stadthausern bewohnten sie auch Herrensitze auf dem Land. Grossere Zusammenkunfte fanden im Gesellschaftshaus der
Herren zu Schutzen
statt. Die Erziehung der Sohne und Tochter oblag den
Jesuiten
und
Ursulinerinnen
bzw. auslandischen Adelsakademien.
Wohl wurde der Kreis des Patriziates immer enger, doch hatte man auch ein System der gegenseitigen Kontrolle eingefuhrt, um Missbrauche zu verhindern. Damals kannte man die heutige Gewaltenteilung noch nicht, die ihren Ursprung in den staatstheoretischen Schriften von
Locke
und
Montesquieu
hat.
Die Ideen der
Aufklarung
beschrankten sich nicht nur auf politische und kirchliche Auffassungen, sondern richteten sich gegen alle gesellschaftlichen und kulturellen Zwange, wie sie in jenem uberreglementierten und saturierten 18. Jahrhundert bestanden. Dies fuhrte zu einer Aufweichung des Patriziats, indem Vertreter einzelner Familien die neuen Ideen vertraten. Das ging nicht ohne Parteikampfe. Diese, bekannt unter dem Namen
Schumacher-Meyer-Handel
, waren letztlich verantwortlich fur die Schwachung des Patriziats.
Die Spaltung der regierenden Familien, die Bedrohung durch
Napoleon
und die infolge Militardienstes in der Fremde vernachlassigte Verteidigung liessen es dem Patriziat 1798 angeraten erscheinen, aus eigenem Antrieb auf die aristokratische Verfassung zu verzichten. Mit ihrem weisen Entscheid hatten die Patrizier das
Ancien Regime
in Luzern selbst beendet. Dies verhinderte aber nicht die Geldzahlungen (≪Kontributionen≫), die von Patriziat und Geistlichkeit an Frankreich zu leisten waren und auch nicht den
Vasallendienst
.
Die einstigen Parteikampfe der Patrizier setzten sich nach dem Sturz Napoleons und nach der Restauration als Kampf der Konservativen und Liberalen fort. Wahrend der
Restauration
von 1814 bis 1830 war die patrizische Regierung erweitert durch die Mitwirkung der ubrigen Burgerschaft. Die militarische Niederlage Luzerns gegen die liberalen Kantone im
Sonderbundskrieg
(1847) hatte das Selbstbewusstsein der Luzerner Patrizier empfindlich getroffen. Zu den bekanntesten Exponenten gehorten damals
Vinzenz Ruttimann
,
Franz Bernhard Meyer von Schauensee
,
Philipp Anton von Segesser
,
Kasimir Pfyffer
(von Altishofen) und
Josef Schumacher im Uttenberg
.
In der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts mussten sich die Luzerner Patrizier nach neuen Einkunften umsehen. Die einsetzende Industrialisierung als Betatigungsfeld war ungeeignet, da das Luzerner Patriziat in seinem adeligen Selbstverstandnis dafur keine Grundlage schuf. Es blieben nur akademische Berufe, die Landwirtschaft, die Politik und eine Militarkarriere. Die Militarvertrage mit dem
Konigreich Neapel
, die bis 1860 bestanden, bildeten dazu eine Gelegenheit, und die zuruckkehrenden Offiziere wurden als begehrte Instruktoren fur die
Schweizer Armee
eingesetzt. Bekannt ist Alfons Pfyffer von Altishofen, Generalstabschef der Schweizer Armee sowie Schopfer der Gotthardbefestigung. Ein weiteres Betatigungsfeld war der aufkommende Fremdenverkehr, der sich damals auf die gehobene Gesellschaft beschrankte. Fur sie bauten Familien wie die Segesser und Pfyffer die grossen
Belle-Epoque
-Hotels
Schweizerhof
und
National
sowie das Hotel
Rigi-Kaltbad
.
In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts verbanden sich Patrizierfamilien mit Mitgliedern des gehobenen Burgertums zu einer neuen Oberschicht, die im 20. Jahrhundert zwei
Weltkriege
uberdauerte und sich erst in den 1960er Jahren aufzulosen begann, als sich die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne immer schwieriger gestaltete. Wahrend der Jahrzehnte um die Jahrhundertwende lebte man im Zeichen des
Historismus
, dessen Nachblute sich in Luzern bis in die 1950er Jahre hinzog. Besonders das aufstrebende Burgertum lehnte sich mangels geschichtlicher Legitimitat gerne an das politisch und gesellschaftlich erfahrenere Patriziat an. Doch vertrugen sich das
merkantile
Wesen und die immer komplizierter werdende Industriegesellschaft schlecht mit den adeligen Werten und Grundsatzen einer immer kleiner werdenden Minderheit. Heute ist das patrizische Selbstverstandnis keine kollektive Erscheinung mehr, sondern Privatsache. Noch immer verfugen manche von ihnen uber ausgedehnten Grundbesitz in der Stadt und deren Umgebung.
Die Jahreszahlen bedeuten der Reihe nach: erste Erwahnung, Regierungseintritt, ausgestorben (†)
Noch bluhende Familien:
Balthasar (von) 1531, 1598;
zur Gilgen 1428, 1475;
Goldlin von Tiefenau
1387, 1655;
Hartmann (von) 1424, 1671;
Mayr von Baldegg 1452, 1517;
Meyer von Schauensee 1468, 1581;
Pfyffer von Altishofen
1322, 1509;
am Rhyn 1518, 1564;
Schnyder von Wartensee
1350, 1715;
Schumacher, (von)
1431, 1568;
Schwytzer von Buonas 1527, 1633;
Segesser von Brunegg 1241, 1564;
Sonnenberg, von 1357, 1480.
Ausgestorbene Familien:
an der Allmend 1495, 1606, † 1829;
Bircher 1500, 1525, † 1791;
Cysat 1538, 1659, † 1802;
Dulliker 1522, 1564, † 1820;
Durler 1570, 1633, † 1847;
Entlin 1522, 1640, † 1822;
Feer 1372, 1433, † 1794;
Fleckenstein, von 1462, 1516, † 1833;
Haas 1373, 1423, † 1796;
Hertenstein, von 1213, 1413, † 1853;
Keller (von Kellern) 1584, 1677, † 1865;
Krus 1483, 1565, † 1805;
Mohr 1436, 1521, † 1913;
Peyer im Hof 1300, 1730, † 1842;
Ruttimann, (von) 1565, 1774, † 1873.
[3]
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- ↑
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Historisches Lexikon der Schweiz
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- ↑
Kasimir Pfyffer von Altishofen:
Kurzer Abriss einer Staatsverfassung des Kantons Luzern.
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- ↑
Kuno Muller:
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