Palliativmedizin
(abgeleitet von ?palliativ“, aus lateinisch
cura palliativa
, erstmals belegt um 1363 bei
Guy de Chauliac
, von
palliare
?mit einem Mantel umhullen“, ?bemanteln“, ?verbergen“, ?schutzen“, von
pallium
: ?Mantel“)
[1]
ist nach den Definitionen der
Weltgesundheitsorganisation
und der
Deutschen Gesellschaft fur Palliativmedizin
?die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer
progredienten
(voranschreitenden), weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine
kurative
Behandlung anspricht oder keine kurative Behandlung mehr durchgefuhrt werden kann und die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen hochste Prioritat besitzt“.
[2]
Sie geht als Bestandteil von
Palliative Care
[3]
uber eine rein
palliative Therapie
beziehungsweise
Palliation
hinaus. Es stehen die Lebensqualitat des Patienten ? sein subjektives Wohlbefinden, seine Wunsche und Ziele ? im Vordergrund der Behandlung.
[4]
Als wesentliche Komponenten der Palliativmedizin gelten Symptomkontrolle, psychosoziale Kompetenz, Teamarbeit
[5]
und Begleitung des Patienten und seiner Angehorigen.
[6]
Die Linderung des Leidens und die Unterstutzung des Patienten stand auch fruher schon im Zentrum der Aufgaben des Arztes, wie ein franzosisches Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert zusammenfasst:
Guerir quelquefois, soulager souvent, consoler toujours
(?Heilen manchmal, lindern oft, trosten immer“). Bereits aus den hippokratischen Schriften lasst sich die Forderung, der Arzt solle auch unheilbare Krankheiten behandeln,
[7]
ableiten.
[8]
Seit dem Spatmittelalter wurde es als zum Aufgabenbereich von
Arzten
gehorig angesehen, auch ihren schwerkranken und sterbenden Patienten, welche keine Aussicht auf Heilung mehr hatten, eine Behandlung und Betreuung zukommen zu lassen.
[9]
Wie der Krankenbesuch, gehort auch die Heilkunde zu den
Werken der Barmherzigkeit
und dementsprechend wurde (etwa in einer
Wurzburger
, vom Furstbischof 1502 erlassenen Medizinalordnung) es als selbstverstandlich erachtet, dass kein Arzt die Behandlung eines Patienten ablehnen durfe, selbst wenn keine Aussicht auf Heilung bestand.
[10]
In den mittelalterlichen und fruhneuzeitlichen Hospizen und Hospitalern fanden neben Alten, Gelahmten und Invaliden auch chronisch Kranke und Pflegebedurftige eine Zuflucht. Eine arztliche Versorgung und Betreuung oder gar eine (palliativ)medizinische Versorgung wurde ihnen jedoch dort in der Regel nicht geboten.
Ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert befassten sich die Arzte zunehmend mit Fragen der palliativen Krankheitsbehandlung, lateinisch
Cura palliativa
genannt. Die erste großere Abhandlung zur Palliativmedizin verfasste 1692 Elias Kuchler mit seiner in Erfurt erschienenen Doktorarbeit
De cura palliativa
, woraufhin im 18. Jahrhundert weitere Arbeiten zum Thema veroffentlicht wurden.
[11]
Im 19. Jahrhundert erschienen Dutzende von Arbeiten speziell zur arztlichen Sterbebegleitung, der sogenannten ?Euthanasia medica“.
[12]
Eine stationare Aufnahme von Patienten mit unheilbaren Krankheiten wie ?Krebs“, die zumindest gelindert werden sollten, erfolgte unter
Johann Bartholomaus von Siebold
um 1814
[13]
auch im Wurzburger Juliusspital.
[14]
In einer Veroffentlichung aus dem Jahr 1819 findet sich erstmals der franzosische Begriff
Medicine palliative
; 1880 war bereits der englische Ausdruck
Palliative medicine
in Gebrauch.
[15]
Nicht gleichzusetzen sind jedoch die zur Symptomlinderung schwerer, aber nicht unbedingt todlicher Krankheiten schon fruhneuzeitlich eingesetzte
cura palliativa
und eine sich explizit auf die Leiden Sterbenskranker beziehende
cura mortis palliativa
als Sonderform palliativer Behandlung.
[16]
So kommt auch die moderne Palliativmedizin, als deren Vorreiter auch
William Munk
[17]
gilt,
[18]
nicht nur Sterbenskranken zugute, sondern auch Schwerstkranken, denen ? beispielsweise nach erfolgter medikamentoser Einstellung ? ein Leben und sogar Arbeiten außerhalb stationarer Palliativeinrichtungen wieder moglich gemacht werden kann.
Um 1817 wurden in Nurnberg von den Armenwundarzten wie dem Chirurgen Schmidt ?Palliativ-Mittel“ zur Linderung verabreicht und in deutscher Sprache angeordnet.
[19]
Im ausgehenden 19. und fruhen 20. Jahrhundert traten diese Bemuhungen jedoch mit dem Aufstieg der modernen Medizin in den Hintergrund. Die Betreuung von Patienten mit weit fortgeschrittenen todlichen Erkrankungen konzentrierte sich einseitig auf Heilungsbemuhungen bis zum Schluss, auch wenn so gut wie keine Erfolgsaussichten mehr bestanden. Gleichzeitig wurden die Patienten oft mit ihren Symptomen und ihrer
Angst
vor Sterben und Tod alleine gelassen. (Die mangelnde menschliche Zuwendung im Krankenhaus wurde von
August Stohr
bereits 1882
[20]
als ?wichtigster Grund“
[21]
fur die Furcht von Patienten vor einem Tod im Krankenhaus
[22]
angesehen.)
Eine Studie zur Historie der Palliativmedizin im
British Medical Journal
(BMJ) analysierte die ersten Verwendungen des englischen Begriffs
palliative care
im 19. Jahrhundert in Großbritannien. Um einige Beispiele fur fruhere Verwendungen des Begriffs zu untersuchen, unternahmen
Mark Taubert
und seine Kollegen eine Literaturrecherche in den fruhesten verfugbaren
BMJ
-Archivabschnitten, zwischen den Jahren 1840 und 1842. Dies gab einen Einblick in die Verwendung des Wortes in der medizinischen Literatur in der
viktorianischen
Zeit, Mitte des 19. Jahrhunderts. Einige viktorianische Arzte assoziierten das Wort ?palliativ“ damit, dass es keine Aussicht auf Heilung gab, sondern nur auf die Linderung der schlimmsten Symptome zum Beispiel der Tuberkuloseerkrankung ankam. Es gab jedoch schon fruh Uberlegungen, ob palliative Behandlungen in einigen Fallen sogar die Lebenserwartung der Patienten verlangern konnen.
[23]
Vor diesem Hintergrund wurde 1967 von
Cicely Saunders
nach dem Vorbild alterer Sterbehospize wie St. Luke’s in London das
St Christopher’s Hospice
gegrundet, das die Keimzelle der modernen
Hospizbewegung
darstellt.
Im Jahr 1990 formulierte die Weltgesundheitsorganisation ihre richtungsweisende Definition der Palliativmedizin, welche 2002 angepasst wurde.
Die Erfahrungen aus dem Londoner St. Christopher Hospiz wirkten sich auch auf die Entwicklung der Palliativmedizin in der Bundesrepublik Deutschland aus. Die erste palliativmedizinische Einrichtung in Deutschland war eine Funf-Betten-Modellstation, die (finanziert von der von
Mildred Scheel
gegrundeten
Deutschen Krebshilfe
) am 7. April 1983 in der Klinik fur Chirurgie der Uniklinik Koln eroffnet wurde. Sie gilt als Vorbild fur
Palliativstationen
und ahnliche Einrichtungen der Palliative Care. Erganzt wurde das Projekt mit dem ersten
Mildred-Scheel-Haus
sowie einer weiteren derartigen Einrichtung in
Dresden
.
[24]
Mittlerweile existieren mehr als 300 Palliativstationen und stationare Hospize in Deutschland. Allerdings ist der Bedarf damit bei weitem noch nicht gedeckt, die
Deutsche Krebshilfe
als Betroffenenvertretung fordert die Palliativmedizin weiterhin schwerpunktmaßig. Bundesweit stehen bereits einige stationare
padiatrische Hospize
(Kinderhospize) zur Verfugung, deren aktuelle Standorte durch den
Bundesverband Kinderhospiz
in laufend aktualisierter Form offentlich einsehbar sind.
[25]
Die im Juli 1994 gegrundete
Deutsche Gesellschaft fur Palliativmedizin
(DGP) ist die erste medizinische Fachgesellschaft, die neben Arzten auch Angehorige anderer Berufsgruppen als Mitglieder zulasst. Sie formuliert als Ziel, Aufbau und Fortschritt der Palliativmedizin zu fordern und die bestmogliche Versorgung der Patienten anzustreben. Alle zwei Jahre fuhrt sie einen Kongress durch, auf dem die aktuellen Entwicklungen in der Palliativmedizin vorgestellt und diskutiert werden.
Im Jahr 1997 erschien erstmals das deutschsprachige
Lehrbuch der Palliativmedizin
; der erste Lehrstuhl fur Palliativmedizin wurde 1999 in Bonn eingerichtet. In der Folge entstanden weitere Professuren in Aachen, Gottingen, Koln, Munchen und Erlangen. Der erste Lehrstuhl fur ?Kinderschmerztherapie und Padiatrische Palliativmedizin“ wurde 2008 an der Universitat Witten/Herdecke eingerichtet. Die medizinische Fakultat der Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen war 2004 die erste, die Palliativmedizin als Pflichtfach in das Medizinstudium aufnahm; funf Jahre vor dem Bundestagsbeschluss, mit dem Palliativmedizin als 13. Querschnittsbereich (QB 13) in die Approbationsordnung fur Arzte eingefuhrt wurde.
[26]
Bis 2021 absolvierten 14.620 Mediziner die Zusatzausbildung Palliativmedizin.
[27]
Inzwischen bieten verschiedene Universitaten Studiengange an, die mit dem
akademischen Grad
Master
of Science (MSc) in
Palliative Care
abgeschlossen werden konnen. Die Studiengange stehen Hochschulabsolventen offen, die schon einen Abschluss in einer fur Palliative Care relevanten Humanwissenschaft nachweisen (neben
Humanmedizin
beispielsweise
Pflegewissenschaft
,
Psychologie
,
Sozialwissenschaften
und
Theologie
).
Der Deutsche Arztetag hat im Mai 2003
Palliativmedizin
als Zusatzweiterbildung in die (Muster-)Weiterbildungsordnung eingefuhrt. Diese Weiterbildung fur
Facharzte
wurde im Lauf der folgenden drei Jahre von allen Landesarztekammern in deren Weiterbildungsordnungen fur Arzte ubernommen.
Die Zusatzweiterbildung Palliativmedizin umfasst einen 40-Stunden-Basiskurs sowie eine einjahrige Ausbildung an einer palliativmedizinischen Einrichtung (in der Regel in einer Palliativmedizinischen Abteilung eines Krankenhauses) und wird durch eine Prufung abgeschlossen. Die einjahrige praktische Ausbildung kann anteilig durch spezielle Fallseminare ersetzt werden. Der Basiskurs Palliativmedizin wird durch Ausbilder verschiedener Berufsgruppen der
Palliative Care
ausgerichtet. Neben Grundlagenkenntnissen und -fertigkeiten der Symptomkontrolle werden besonders Aspekte der Gesprachsfuhrung und der interprofessionellen Teamarbeit (Pflege, Physiotherapie/Ergotherapie,
Musiktherapie
, Sozialarbeiter, Psychologe, Seelsorger, Arzte) thematisiert. Es wird die Wahrnehmung fur psychosoziale und spirituelle Bedurfnisse todkranker Patienten geschult; weitere Schwerpunkte sind die eigene Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer sowie der Umgang mit Therapiebegrenzung und Patientenverfugungen, Sterbebegleitung sowie das Erkennen und Begegnen von Uberlastungssyndromen im Behandlerteam.
[28]
Palliativmedizin ist keine ?Sterbemedizin“: Die palliativmedizinischen Methoden und Einstellungen dazu sind auch in fruheren Stadien der Erkrankung gefordert, zum Teil schon, sobald die Diagnose bekannt ist. Ziel ist es, dem Patienten trotz seiner schweren Erkrankung ein beschwerdearmes, ertragliches Leben zu ermoglichen. Das Behandlungsziel ist eine moglichst umfassende Symptomkontrolle (z. B. von Schmerzen, Luftnot, Angst/Unruhe/psychischem Leid, Ubelkeit/Erbrechen, offenen Wunden u.v.m.). Palliativmedizin bejaht, den Grundsatzen Saunders folgend, das Leben und ist gegen eine Verkurzung, allerdings auch gegen medizinisch nicht sinnvolle Therapieversuche, die den Patienten belasten und verhindern, dass der Patient die verbleibende Lebenszeit optimal nutzen kann.
Daher steht Palliativmedizin auch nicht ausschließlich Patienten mit
Krebserkrankungen
, sondern ausdrucklich allen Patienten mit einer schweren, fortgeschrittenen/fortschreitenden Erkrankung und einer starken Symptomlast zu. Hierzu zahlen schwere Herz- und Lungenerkrankungen (z. B.
Herzinsuffizienz
,
COPD)
, schwere Nervenerkrankungen (z. B.
Mb. Parkinson
,
ALS
, schwere
Schlaganfalle
), schwere Leber- und Nierenerkrankungen oder infektionsbedingte chronisch progrediente Erkrankungen wie
AIDS
.
[29]
Dabei arbeitet der Palliativmediziner eng zusammen mit anderen therapeutischen Professionen und Facharzten, wobei der Kontext palliativmedizinischer Teamarbeit daruber hinaus etwa auch Freunde des Patienten, die Krankenkassen und Seelsorger umfassen kann.
[30]
Inhalte der Palliativmedizin werden unter anderem von Akademien fur Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit vermittelt.
[31]
Ein Schwerpunkt liegt auf
interdisziplinarer
Teamarbeit. Um den komplexen Anforderungen zu begegnen, die sich aus den sich rasch andernden Bedurfnissen der Patienten und ihrer Angehorigen ergeben, ist eine enge Zusammenarbeit mehrerer Professionen notig, die an einem gemeinsamen Ziel arbeiten, ungeachtet der Berufszugehorigkeit oder einer Rangordnung.
[32]
Hierbei ist Kommunikation ein bedeutender Aspekt. Angehorige, insbesondere die Familie, werden nach Moglichkeit in die palliativmedizinischen Maßnahmen einbezogen (familiare Notsituationen konnen auch familientherapeutische Interventionen erforderlich machen).
[33]
Ebenso bedeutsam ist die Kommunikation mit Patienten in der palliativmedizinischen Behandlung bei bestimmten Gesprachen, die von vielen Arzten als der schwierigste und am meisten belastende Teil ihrer Tatigkeit empfunden werden: das Vermitteln schwerwiegender diagnostischer Fakten uber Krankheit und
Prognose
im Sinne der
Aufklarung
; die Informationsweitergabe, um ein Einverstandnis fur weitere Behandlungsmaßnahmen zu erzielen, die Diskussion um Behandlungsalternativen und das Ansprechen psychosozialer Probleme,
[34]
wie unter anderem das Besprechen bzw. Ansprechen der Situation von Angehorigen, wie Kinder oder Eltern des Patienten, und deren Umgang mit der Erkrankung, was Informationen uber deren Wissen um die Situation des Patienten und sich daraus ergebende Probleme fur die palliative Betreuung erforderlich macht. Zur psychosozialen Begleitung gehoren dabei auch sozialrechtliche Information und Beratung. Auch Kinder von Sterbenden und Palliativpatienten sollten von Anfang an mit einbezogen werden und nicht ferngehalten werden, was ihnen die Chance der Vorbereitung gibt und fur den Patienten eine weitere Unterstutzung bedeutet. Als Voraussetzung einer effektiven Kommunikation und somit eines guten Informationsaustauschs mit Betroffenen gilt fur den gesprachsfuhrenden Pfleger, Therapeuten oder Arzt grundsatzlich ?Mehr fragen und zuhoren als erzahlen“, wobei unterschieden werden sollte zwischen dem, was der Therapeut fragen bzw. sagen und nicht sagen sollte.
[35]
[36]
Palliativmedizin achtet als Teilgebiet der Medizin das
Selbstbestimmungsrecht
[37]
des Kranken.
[38]
Er hat das Recht, Behandlungen abzulehnen, auch wenn ein Behandlungsverzicht moglicherweise zu einem zeitigeren Versterben fuhren kann.
[39]
[40]
Zur Kommunikation im Rahmen der Palliativmedizin gehort auch das Ansprechen von oft tabuisierten Themen wie dem bevorstehenden Tod und dem Umgang mit Sexualitat.
[41]
Siehe auch:
Palliative Therapie
Nicht nur Tumorpatienten leiden in fortgeschrittenen Krankheitsstadien moglicherweise unter
Atemnot
,
Schmerzen
,
Mudigkeit
, Schwache,
Verdauungsstorungen
und anderen Symptomen. Diese Beschwerden konnen so belastend sein, dass das Leben ohne ausreichende Linderung solcher Symptome unertraglich wird. Symptomkontrolle dient dazu, unangenehme Begleiterscheinungen der Erkrankung bzw. die Therapienebenwirkungen aufzuheben oder zumindest zu lindern. Dies geschieht durch das Wahrnehmen, das dokumentarische Erfassen, Zuordnen und Behandeln der Krankheitszeichen und Begleiterscheinungen. Die palliativmedizinische Versorgung kann dabei sowohl unter stationaren Bedingungen im Krankenhaus oder einer stationaren Pflegeeinrichtung (Hospiz oder Pflegeheim) als auch unter ambulanten Bedingungen in der Hauslichkeit erfolgen.
Die Symptome unterscheiden sich in verschiedenen Krankheitsphasen (Rehabilitationsphase,
Praterminalphase
,
Terminalphase
,
Finalphase
) hinsichtlich ihrer Anzahl, Haufigkeit und Starke.
[42]
Voraussetzung fur eine effiziente Symptomkontrolle ist erfahrenes Fachpersonal, das regelmaßig miteinander unter Einbeziehung des Patienten (und gegebenenfalls seiner Angehorigen) kommuniziert. Grundlage ist die genaue Krankenbeobachtung und deren prazise Dokumentation, anhand derer sich Wirkung oder Neben- bzw. Nicht-Wirkung der gewahlten Therapie nachweisen lasst. Eine Umstellung der
palliativen Therapie
bei Nicht-Wirkung bzw. zu heftiger Nebenwirkung erfolgt zeitnah und wird wieder uberpruft, bis die fur den jeweiligen Patienten optimale Einstellung erreicht ist. Entscheidend ist aber immer, was der Patient fur sich als angemessen empfindet.
[43]
Mit Medikamenten,
Palliativoperationen
,
palliativpflegerischen
, physiotherapeutischen, ergotherapeutischen und physikalischen Maßnahmen
[44]
sowie der Anwendung von Rehabilitationsmethoden
[45]
konnen diese Beschwerden oft so weit gelindert werden, dass das Erleben nicht nur auf das Leiden eingeschrankt ist, wieder andere Gedanken und Tatigkeiten moglich sind und die restliche Lebenszeit wieder als lebenswert empfunden wird.
Auch supportive, therapeutische Gesprache zur Krankheitsbewaltigung und zur emotionalen Stabilisierung sind wesentlicher, manchmal auch einziger, Bestandteil der palliativmedizinischen Behandlung.
[46]
Schmerz ist das zweithaufigste und gefurchtetste Symptom bei unheilbaren Krebspatienten
[47]
und somit als Gegenstand der Symptomkontrolle eine der wichtigsten Herausforderungen in der Palliativmedizin. Die
Schmerztherapie
jedes Palliativpatienten erfordert eine grundliche Erfassung der zugrundeliegenden Schmerztypen, um differenzierte Therapieplane erstellen zu konnen. Die wichtigsten Schmerztypen sind dabei der somatische
Nozizeptorschmerz
, der viszerale Nozizeptorschmerz, der
neuropathische
(
neuralgiforme
) Schmerz und der neuropathische Schmerz mit Brennschmerz.
[48]
Fur die Schmerzbehandlung haben sich die
Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation
bewahrt, nach denen die (moglichst langwirkenden,
retardierten
) Schmerzmittel
durch den Mund
(orale Applikation oder andere nicht invasive Verabreichungsform),
nach der Uhr
(als Dauertherapie in festgelegten zeitlichen Abstanden, im Gegensatz zur ? bei so genannten Durchbruchschmerzen
[49]
? zusatzlich eingesetzten
Bedarfsmedikation
) und
auf der Leiter
(nach der Stufenleiter der
WHO
) eingesetzt werden. Die analgetische Stufenleiter empfiehlt bei leichten Schmerzen Medikamente der Stufe 1 (Nichtopioide wie z. B. Metamizol), bei mittelstarken bis starken Schmerzen Medikamente der Stufe 2 (schwache
Opioide
wie z. B. Tramadol in Kombination mit Nichtopioiden) und in der Stufe 3 die starken Opioide in Kombination mit Nichtopioiden. Ahnliche Stufenplane liegen auch fur andere Symptome wie z. B. Luftnot oder Ubelkeit vor.
Zu beachten ist, insbesondere bei palliativmedizinisch behandelten Patienten, der haufig verringerte Schmerzmittelbedarf in Terminalphase und Finalphase
[50]
und eine damit erforderliche Dosisreduzierung bzw. Absetzung der Analgetika.
[42]
Eines der wichtigsten Symptome in der Palliativmedizin stellt die Luftnot (
Dyspnoe
) dar, ein Zustand subjektiv erlebter Atemnot unterschiedlichster Ursachen. Zur Symptomkontrolle kommen unter anderem Opioide zum Einsatz. Diese konnen eine Okonomisierung der oft uberschnellen Atmung bewirken, wirken angstmindernd und beruhigend. Weitere zur Verfugung stehende Medikamente sind Benzodiazepine, Corticosteroide, Bronchodilatatoren und bei entsprechender Indikation auch Antibiotika. Ob eine Therapie mit Sauerstoff sinnvoll ist, muss im Einzelfall diskutiert werden.
[51]
Weitere respiratorische Schwierigkeiten konnen sich aus
Odemen
(auch
Aszites
) ergeben. Auch
Husten
kann unertraglich sein. In der Finalphase des Lebens kommt haufig eine laute
Rasselatmung
hinzu, welche durch Lungenodem oder vermehrte Bildung von Bronchialsekret, das der Sterbende nicht abhusten kann, verursacht wird.
[52]
Bei Patienten mit einer unheilbaren Krebserkrankung ist eine allgemeine Schwache noch vor dem Schmerz das haufigste korperliche Symptom.
[47]
Unter
Fatigue
versteht man fur den Bereich der Palliativmedizin gemaß dem
National Comprehensive Cancer Network
?ein belastendes, anhaltendes, subjektives Gefuhl von physischer, emotionaler und/oder kognitiver Mudigkeit oder Erschopfung im Zusammenhang mit Krebs oder einer Krebsbehandlung, welche disproportional im Zusammenhang mit erfolgter, korperlicher Aktivitat auftritt und mit der ublichen Funktionsfahigkeit interferiert“. Therapeutisch kommen mehrere Ansatze in Betracht: so beispielsweise die Behandlung von Begleiterkrankungen, Anderung der aktuellen Medikation, eventuell Psychostimulanzien, eine Korrektur des Hamoglobinspiegels und korperliche Aktivitat.
[53]
Beim Menschen in der Finalphase (Stunden vor dem Tod) ist, obwohl er aufgrund seiner Schwache oftmals keine Antwort geben oder reagieren kann und somit bewusstlos wirkt, dennoch davon auszugehen, dass er horen und verstehen sowie Beruhrungen wahrnehmen kann.
[54]
Ein weiteres Symptom, das bei 70 bis 80 % der Palliativpatienten auftritt, ist die
Mundtrockenheit
(Xerostomie), die nicht nur altersbedingt oder durch Flussigkeitsverluste (
Exsikkose
), sondern auch im Zusammenhang mit einem bosartigen Tumor (auch als Nebenwirkung einer
Chemo-
oder
Strahlentherapie
) oder medikamentenbedingt (
Opioide
[55]
bzw.
Opiate
,
Antidepressiva
,
Antiemetika
,
Neuroleptika
und andere) auftreten kann. Eine starke Austrocknung der Mundschleimhaut wird von den Betroffenen haufig als erhebliche Belastung (bei Nahrungsaufnahme, im
Geschmackserleben
und bei der Kommunikation) empfunden und mindert somit deren Lebensqualitat. Zur Behandlung der Mundtrockenheit stehen verschiedene Moglichkeiten von der
Mundpflege
bis zur medikamentosen Therapie zur Verfugung: Mundhygiene und Zahnpflege, Mundbefeuchtung (Mundspulungen mit Wasser oder Tee, wobei kein Kamillentee benutzt werden sollte, da er selbst austrocknend wirkt, Verwendung von kunstlichem Speichel oder Spruhen von Flussigkeit wie kalten Getranken mit einem Zerstauber, Feuchthalten der Lippen, Raumluftbefeuchtung), ausreichende Flussigkeitszufuhr, Anregung der Speichelproduktion (sauerliche Tees, Kauen von Zitronenstuckchen oder getrocknetem Obst, Lutschen von sauren Bonbons, Lutschern oder Eisstuckchen aus Lieblingsgetranken, Kaugummikauen, Anwendung atherischer Ole, Einsatz von Cholinergika wie
Pilocarpin
), ggf. Behandlung einer
Mukositis
[56]
(wie sie auch bei einer palliativen Strahlentherapie im HNO-Bereich auftreten kann
[57]
) oder
Stomatitis
.
[58]
[59]
Dermatologische
Probleme konnen Palliativpatienten sowohl durch maligne Hauttumoren (Basalzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom, Melanom) und paraneoplastische Hauterkrankungen (Akrokeratose, Acanthosis nigricans maligna, Erythema gyratum repens, Torre-Syndrom, Dermatomyositis)
[60]
als auch durch Hautinfektionen und -irritationen durch Katheter (Portkatheter, implantierte Infusionspumpen, Venenkatheter, Blasenkatheter, ruckenmarksnahe und andere Schmerzkatheter)
[61]
oder nach Stoma-Anlagen
[62]
entstehen. Zu den Hautproblemen gehoren unter anderem auch
Juckreiz
,
Gelbsucht
,
Schwitzen
, sichtbare Haut- und Schleimhautveranderungen sowie starke Geruchsbildung.
[63]
Die
Tumorkachexie
ist ein mit Appetitverlust (Anorexie) und Gewichtsabnahme (Kachexie) verbundenes Syndrom. Bis zu 80 Prozent der Menschen mit einem fortschreitenden Krebs leiden an Tumorkachexie und deren Auswirkungen (Mudigkeit, Leistungseinschrankung, psychosoziale Belastung von Patient und Angehorigen). Bei der Diagnostik werden verschiedene Formen und Stadien der Tumorkachexie unterschieden. Zu den Maßnahmen im Rahmen einer palliativen Therapie gehoren (wie auch bei anderen Formen von Ernahrungsschwierigkeiten) Ernahrungsberatung, Nahrungserganzung, medikamentose symptomorientierte Therapie (etwa Corticosteroide, Progestine und Prokinetika), Behandlung sekundarer Ursachen, psychosoziale Begleitung und ggf.
kunstliche Ernahrung
(beispielsweise mittels
PEG
oder
Jejunalsonde
[64]
) oder in der Terminalphase alternativ eine subkutan verabreichte Flussigkeitszufuhr.
[65]
Als Folge von Krankheit oder von Therapie sind
Ubelkeit
und
Erbrechen
haufige Symptome in der Palliativmedizin. Zur Behandlung und Symptomkontrolle stehen verschiedene Maßnahmen und
Antiemetika
zur Verfugung. Bei psychogener Ursache (nicht bei Erbrechen durch Chemotherapie) kommt auch die Gabe von
Neuroleptika
vom
Phenothiazintyp
wie
Levopromazin
und
Haloperidol
in Betracht.
[66]
Zur Behandlung bzw. Bewaltigung von Angst, die nicht bagatellisiert, sondern (einfuhlsam) angesprochen werden muss, bietet die Palliativmedizin in erster Linie den Dialog mit dem Patienten an, wobei individuelle und familiare Verhaltnisse berucksichtigt werden sollten. Die Aufklarung uber medizinische Maßnahmen, Therapieziele und organisatorische Ablaufe kann Angst lindern und Vertrauen schaffen. Von Bedeutung hierbei ist eine moglichst kontinuierliche Betreuung durch vertraute Arzte und Pflegende. Hilfe bieten zudem psychotherapeutische Verfahren,
Entspannungstechniken
und pharmakologische Unterstutzungsmaßnahmen (etwa Gabe von
Neuroleptika
).
[67]
Haufige, den Verdauungstrakt betreffende Symptome Schwerkranker und Sterbenskranker, die mit palliativmedizinischer Behandlung gelindert oder behoben werden konnen, sind neben Ubelkeit und Erbrechen auch
Durst
,
Fieber
,
Verstopfung (Obstipation)
,
Durchfall
,
Mundgeruch
, Mukositis,
Dysphagie
(Schluckbeschwerden),
Schluckauf
,
Bluterbrechen
und
Aszites
.
[68]
[69]
Dazu gehoren auch die Symptomkontrolle urologischer, urogenitaler und neurologischer Symptome (zum Beispiel
Schwindel
) und psychiatrischer Symptome (motorische Unruhe,
Schlafstorungen
(Schlaflosigkeit), Depression und andere) sowie das Vorgehen bei
Tumorblutungen
(etwa Operation oder
hochdosierte Bestrahlung
) und
pathologischen Knochenbruchen
.
[63]
zum Aufgabengebiet der Palliativmedizin.
[70]
Palliativmedizinische Behandlung erfolgt zurzeit aus unterschiedlichen Quellen. Die Palliativstationen werden entweder wie andere Krankenhausabteilungen nach
Fallpauschalen
(
DRG
) ? seit 2007 erganzt um ein nach Behandlungsdauer und Behandlungskonzept differenziertes
Zusatzentgelt
? finanziert oder als
besondere Einrichtungen
nach Tagessatzen, die vom jeweiligen Krankenhaus mit den Kostentragern frei verhandelt werden. Derzeit kann nur ein Teil der Palliativstationen kostendeckend arbeiten.
Niedergelassene
Facharzte
, die als Palliativmediziner in Form von
Hausbesuchen
Patienten in stationaren
Hospizen
behandeln, rechnen uber die
Kassenarztliche Vereinigung
mit der jeweiligen Krankenkasse des Versicherten ab. An vielen Stellen sind Kostenvereinbarungen zur integrierten Versorgung getroffen worden, mit sehr unterschiedlichen Finanzierungs- und Versorgungsmodellen. Die Kassenarztliche Vereinigung Nordrhein hat mittlerweile an mehreren Stellen Finanzierungsvereinbarungen im Rahmen des
Hausarztvertrages
abgeschlossen, mit denen niedergelassene Arzte eine kontinuierliche Betreuung der Palliativpatienten vornehmen konnen.
Mit Inkrafttreten des
GKV-Wettbewerbsstarkungsgesetz (GKV-WSG)
[71]
wurde die
Spezialisierte ambulante Palliativversorgung
(
§ 37b
SGB V) ab April 2007 zur Pflichtleistung im Rahmen des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung.
Am 1. Dezember 2015 wurde das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) erlassen (
BGBl. I S. 2114
).
[72]
Die neuen Regelungen sollen vor allem dabei helfen, dem Wunsch vieler Menschen nachzukommen, ihr Lebensende zu Hause zu verbringen. Vor allem der Ausbau der ambulanten Palliativversorgung mit zusatzlich verguteten Leistungen im vertragsarztlichen Bereich soll dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Pflegeheime werden gesetzlich verpflichtet, Kooperationsvertrage mit Facharzten zur Sicherstellung der geforderten palliativen Versorgung abzuschließen. Die daran beteiligten Arzte erhalten eine zusatzliche Vergutung.
[73]
Die
Deutsche Krebshilfe
hat durch eine bundesweite Aufklarung uber die steigende Bedeutung der Palliativmedizin eine beispielhafte Solidaritat unter Burgern ausgelost. So konnte die gemeinnutzige Organisation bis 2015 mit uber 70 Millionen Euro Spendengeldern den Aufbau palliativmedizinischer Versorgungsstrukturen in Deutschland maßgeblich unterstutzen.
[74]
Dazu gehorten Stiftungsprofessuren, Forschungsprojekte mit palliativmedizinischen Inhalten sowie Forderung von Akademien fur die palliativmedizinische Aus- und Weiterbildung.
In der Bundesrepublik Deutschland hat die Rontgenarztin
Mildred Scheel
mit der Grundung der Hilfsorganisation ?Deutsche Krebshilfe“ bereits 1974 die Palliativmedizin durch Fachausbildung fur Betreuer unterstutzt. Dies entsprach der Uberzeugung: ?Der ganzheitliche Betreuungsansatz erfordert von den in der Palliativmedizin tatigen Berufsgruppen besondere Aus- und Weiterbildung“. Diese leistet seither der von der Krebshilfe geforderte Verbund der Akademien fur Palliativmedizin und Hospizarbeit wie die Mildred-Scheel Akademie der Deutschen Krebshilfe (Koln) sowie Akademien in Bonn, Dresden, Gottingen und Munchen.
[75]
Weitere Palliativakademien sind beispielsweise in Magdeburg,
[76]
Regensburg
[77]
und (seit Mai 2001) am
Juliusspital
[78]
in
Wurzburg
[79]
eingerichtet.
Lehrbucher und Monografien
- A. S. Lubbe, Isabell-Annett Beckmann:
Palliativmedizin. Antworten ? Hilfen ? Perspektiven
(=
Die blauen Ratgeber.
Band 57). Stiftung Deutsche Krebshilfe, Bonn 2018.
- Martin W. Schnell, Christian Schulz (Hrsg.):
Basiswissen Palliativmedizin.
2. Auflage. Springer Medizin, Berlin/Heidelberg 2014,
ISBN 978-3-642-38689-3
.
- Eberhard Aulbert, Friedemann Nauck,
Lukas Radbruch
(Hrsg.):
Lehrbuch der Palliativmedizin.
3., aktualisierte Auflage. Schattauer Verlag, Stuttgart 2012,
ISBN 978-3-7945-2666-6
.
- Claudia Bausewein
, Susanne Roller, Raymond Voltz (Hrsg.):
Leitfaden Palliative Care: Palliativmedizin und Hospizbetreuung.
4. Auflage. Urban & Fischer, Munchen 2010,
ISBN 978-3-437-23312-8
.
- Stein Husebø
,
Eberhard Klaschik
:
Palliativmedizin ? Grundlagen und Praxis.
5. Auflage. Springer, Heidelberg 2009,
ISBN 978-3-642-01548-9
.
- Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz e. V. (Hrsg.):
Helfen am Ende des Lebens. Hospizarbeit und Palliative Care in Europa.
Der Hospiz Verlag, Wuppertal 2004,
ISBN 3-9810020-0-8
.
- Franco Rest
, Hartmut Reiners, Eberhard Klaschik:
Leben bis zuletzt ? Finalversorgung von Tumorkranken.
Walter de Gruyter Verlag, Berlin/ New York 2001,
ISBN 3-11-017183-X
.
- Michael Stolberg:
Die Geschichte der Palliativmedizin. Medizinische Sterbebegleitung von 1500 bis heute.
Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2011,
ISBN 978-3-940529-79-4
.
- World Health Organization:
Cancer pain relief and palliative care ? report of a WHO expert commitee.
World Health Organization, Genf 1990.
Artikel
- BAK GROUND: Palliativmedizin ? mehr als nur Schmerztherapie
.
(PDF; 112 kB)
Bundesarztekammer
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www.krebshilfe.de
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