Robert Delaunay:
Simultaneous Contrasts: Sun and Moon
, 1912?1913, Ol auf Leinwand,
Museum of Modern Art
, New York
Der Begriff
Orphismus
bzw.
Orphischer Kubismus
(abgeleitet vom mythischen Sanger und Lyra/Leier-Spieler
Orpheus
,
franzosisch
orphique
?geheimnisvoll‘) bezeichnet eine aus dem
Kubismus
entstandene Kunstrichtung, bei der vor allem Kreisgebilde in bunten Farben auf der Grundlage der Farbtheorie des Chemikers
Michel Eugene Chevreul
, beschrieben in dessen 1839 erschienenen Buch
Gesetz der Simultankontraste bei den Farben
, geschaffen wurden. Den Begriff pragte
Guillaume Apollinaire
1912 nach farbintensiven Werken von
Robert Delaunay
. In den kubistischen Bildern von
Pablo Picasso
und
Georges Braque
herrschte zu dieser Zeit eine mehr
monochrome
Farbgebung vor.
Die Bezeichnung Orphismus wurde im Jahre 1912 fur die Bilder
Robert Delaunays
von dem Schriftsteller
Guillaume Apollinaire
gepragt, der im selben Jahr eine Einfuhrung zur Delaunay-Ausstellung in der Galerie Der Sturm von
Herwarth Walden
gab. Apollinaire sah im Orphismus eine Uberwindung des Kubismus gegeben und pries die Malerei von Delaunay,
Franti?ek Kupka
und anderen jungen Malern des spaten deutschen
Expressionismus
als ?poetische und musikalische“ Sprache.
[1]
Ziel des Orphismus war es, der reinen Musik eine reine Malerei entgegenzusetzen, die aufgelost vom Gegenstandlichen in eine rhythmische Farbharmonie darstellen sollte. Gestaltungsmittel sind die dynamischen Krafte der Farbe, somit ist Farbe und ihre raumliche Wirkung wesentliches Kompositionselement. Licht ruft nicht nur Farbe hervor, sondern ist selbst Farbe.
Der
Simultankontrast
, die gleichzeitige Prasentation warmer und kalter,
komplementarer
und im
Spektrum
benachbarter
Farben
sind ein wesentliches Stilmittel des Orphismus. Sie sollen im Auge des Betrachters durch ihre optischen Effekte den Eindruck von Bewegung erzeugen.
[2]
Robert Delaunay, der seinen 1912 entwickelten Stil
Cubisme ecartele
(zerteilter Kubismus) nannte
[3]
, war der wichtigste Vertreter dieser Kunstbewegung. Delaunay sah und erlauterte dies in umfangreichen kunsthistorischen Schriften, in der Farbe sein eigentliches Bildmaterial, aus der die reine Malerei entstehen sollte, die
?auf die Gegenstande verzichten“
und
?vollkommen abstrakt sein konnte.“
[4]
Wahrend Chevreul seine Theorie als eine Anleitung fur Kunstler verstand, so entwickelte Delaunay, der das Buch wahrend seines Militardienstes als Regimentsbibliothekar in
Laon
las, aus Chevreuls Theorie sein kunstlerisches Konzept, das fur ihn Ausdruck einer Weltanschauung war und von ihm als verbindlich angenommenen wurde. Die Idee der reinen Farbmalerei war fur ihn die notwendige Vorstellung von einem Universum, und der damit verbundenen Vorstellung von Wirklichkeit,
?die nur durch die optische Wahrnehmung angemessen erkannt werden kann und sich als simultane Bewegung der Farben im Licht zeigt.“
[4]
Robert Delaunay:
Fensterbild (Les Fenetres simultanees sur la ville)
, 1912
Die Malerei sollte auf diese Weise als Mittel der Erkenntnis neu begrundet und der Rang des Malers neu bewertet werden, denn nur der Maler sei in der Lage, diese Wirklichkeit nicht nur zu sehen, sondern auch zu vermitteln. Delaunay bemerkte zu seinen Fenster-Bildern, dass hinter jedem dieser Fenster eine neue Wirklichkeit liege, die das ABC der Ausdrucksmoglichkeiten ist, die sich der physikalischen Elemente der Farbe bediene und aus denen die neuen Formen gestaltet werden konnen.
[4]
?In dieser Malerei trifft man noch auf Andeutungen, die an die Natur erinnern, aber in einem allgemeinen Sinn, nicht in einem analytischen und beschreibenden wie in der vorhergehenden kubistischen Epoche.“
[5]
Vor allem
Sonia Delaunay-Terk
und der US-Amerikaner
Patrick Henry Bruce
, ein Schuler von
Henri Matisse
, ließen sich in ihren Arbeiten vom Orphismus beeinflussen. Zudem sollen Arbeiten von
Marc Chagall
,
Raymond Duchamp-Villon
und von Mitgliedern des
Blauen Reiters
sowie der
Section d’Or
vom Orphismus inspiriert sein.
[3]
- Claudia List-Freytag (Hrsg.):
Keysers Grosses Stil-Lexion Europa. 760 bis 1980
. Keysersche Verlagsbuchhandlung, Munchen 1982,
ISBN 3-87405-150-1
- ↑
Karin Thomas:
DuMont’s kleines Sachworterbuch zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Von Anti-Kunst bis Zero
. DuMont Buchverlag, Koln 1977, S. 179
- ↑
Robert Delaunay ? Sonia Delaunay: Das Centre Pompidou zu Gast in Hamburg
. Katalog zur Ausstellung in der
Hamburger Kunsthalle
, Hamburger Kunsthalle 1999,
ISBN 3-7701-5216-6
, S. 92
- ↑
a
b
Orphismus
- ↑
a
b
c
Claudia List-Freytag (Hrsg.):
Keysers Grosses Stil-Lexion Europa. 760 bis 1980
. Keysersche Verlagsbuchhandlung, Munchen 1982, S. 459
- ↑
Robert Delaunay, zitiert nach: Claudia List-Freytag (Hrsg.), Munchen 1982, S. 459