Oll Rinkrank
ist ein
Marchen
(
ATU
530, 1160). Es steht in den
Kinder- und Hausmarchen
der
Bruder Grimm
ab der 6. Auflage von 1850 an Stelle 196 (KHM 196) in
Niederdeutscher Sprache
und stammt aus der Fachzeitschrift
Friesisches Archiv
von 1849.
Ein Konig will dem seine Tochter geben, der uber einen Glasberg laufen konne. Die Tochter begleitet den Freier hinuber, falls er fiele. Sie rutscht aus, fallt in den Berg und wird nicht wiedergefunden, obwohl man den Berg wegbricht. Unten muss sie einem Alten mit langem grauem Bart dienen, der jeden Morgen mit einer Leiter aus dem Berg steigt und Schatze holt, bis beide alt sind und sich
Frau Mansrot
und
Oll Rinkrank
nennen. Eines Abends lasst sie ihn nicht ein, bis er durch eine Luke einsteigen will, wo sie ihn am Bart festklemmt. Er muss ihr die Leiter geben, sie geht zum Vater, der den Alten totet und seine Schatze nimmt. Sie kriegt den fruheren Brautigam, und sie leben glucklich.
Der ganze Text ist auf Niederdeutsch uberliefert. Als die Frau den Oll Rinkrank nicht einlasst, spricht er dreimal ein Gedicht, mit Variation am Schluss:
- hir sta ik arme Rinkrank
(hier steh ich armer Rinkrank)
- up min soventein Benen lank,
(auf meinen siebzehn Beinen lang)
- up min en vergullen Vot,
(auf meinem einen vergoldeten Fuß)
- Fro Mansrot, wask mi d' Schottels
(Str. 1),
mak mi 't Bedd
(Str. 2),
do mi d' Dor apen
(Str. 3). (Frau Mansrot, wasch mir die Schusseln / mach mirs Bett / mach mir die Tur auf)
Sie antwortet auf die ersten zwei Strophen, sie habe die Schusseln gewaschen, das Bett gemacht, nur nicht auf die dritte.
Auf Niederdeutsch heißt
rink
Ring, Kreis und
rank
lang und dunn,
man
bzw.
man
kann neben Mann auch Mond heißen,
rot
bedeutet Ruß, Talg oder rot,
rote
das Verrotten.
[1]
Auf
friesisch
heißt
ring
schlecht, minderwertig, krankelnd, kummerlich und
krak
auch hinfallig, schwach, mageres Tier oder boshafter Mensch.
[2]
Der Sprachforscher Heinrich Georg Ehrentraut teilte
Van de oll Rinkrank. Ein Mahrchen aus Oestringen
(
Jeverland
) in der Fachzeitschrift
Friesisches Archiv
mit (I, 1849, S. 162). Die
Bruder Grimm
ubernahmen es praktisch unverandert und ohne weitere Anmerkung.
Das einzige Grimm’sche Marchen aus seiner Gegend lasst sich keinem Marchentyp zuordnen, am ehesten
ATU
530
Prinzessin auf dem Glasberg
und ATU 1160
Einklemmen unholder Wesen
. Die Motive
Freierprobe
,
Glasberg
, alter
Zwerg
und Einklemmen des Bartes sind nicht ungewohnlich, eher schon der Umstand, dass die Prinzessin bei der Freierprobe scheitert (nicht er selbst) und dass sie in (nicht auf) dem Glasberg landet. Dies verdeutlicht vielleicht die Bedeutung des Glasberges als inneres Gefangnis, wahrend der Freier hier nur eine Nebenrolle hat.
Hedwig von Beit
deutet tiefenpsychologisch den
Glasberg
als Symbol der Sprodheit und Unzuganglichkeit, die vor den unreinen Seiten des Lebens zuruckscheut. Dahinter arbeitet eine schmerzhafte Bindung zum Vater, der die Tochter nicht loslassen will.
[3]
Vgl. KHM 65
Allerleirauh
.
- Jacob Grimm
,
Wilhelm Grimm
:
Kinder- und Hausmarchen. Mit einem Anhang samtlicher, nicht in allen Auflagen veroffentlichter Marchen und Herkunftsnachweisen
. Hrsg.:
Henz Rolleke
. 1. Auflage.
Band
3
:
Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort
. Reclam, Stuttgart 1980,
ISBN 3-15-003193-1
,
S.
273, 515
.
- Heinz Rolleke
:
Grimms Marchen und ihre Quellen. Die literarischen Vorlagen der Grimmschen Marchen synoptisch vorgestellt und kommentiert
(=
Schriftenreihe Literaturwissenschaft
.
Band
35
). 2. Auflage. Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2004,
ISBN 3-88476-717-8
,
S.
512?517, 583
.
- Hans-Jorg Uther
:
Handbuch zu den ?Kinder- und Hausmarchen“ der Bruder Grimm. Entstehung, Wirkung, Interpretation
. De Gruyter, Berlin / New York 2008,
ISBN 978-3-11-019441-8
,
S.
400?401
.
- Georgios Megas und Kurt Ranke:
Bart.
In:
Enzyklopadie des Marchens.
Band 1, Berlin und New York, 1977, S. 1280?1284.
- Donald Ward:
Glasberg.
In:
Enzyklopadie des Marchens.
Band 5, Berlin und New York 1987, S. 1265?1270.
- Hedwig von Beit:
Symbolik des Marchens.
Francke, Bern 1952, S. 712, 758.
- Hedwig von Beit:
Gegensatz und Erneuerung im Marchen.
Zweiter Band von ≪Symbolik des Marchens≫. Zweite, verbesserte Auflage, Francke, Bern 1956, S. 145?148.
- ↑
Karl Schiller und
August Lubben
:
Mittelniederdeutsches Worterbuch.
Dritter Band.
M?R.
Bremen 1877. S. 18?19, 420, 485, 512. (Photomechanischer Neudruck; Munster in Westf.; Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung)
- ↑
Ommo Wilts, Elene Braren, Nickels Hinrichsen:
Wurdenbuk for Feer an Oomram. Worterbuch der friesischen Gegenwartssprache von Fohr und Amrum
. Jens Quedens, Norddorf (Insel Amrum) 1986,
ISBN 3-924422-11-7
,
S.
150, 219
.
- ↑
Hedwig von Beit:
Symbolik des Marchens.
Francke, Bern 1952, S. 758.