Die
Nike des Paionios
ist eine der wenigen antiken rundplastischen
Nikedarstellungen
, die als Kunstleroriginal erhalten blieb. Der griechische
Bildhauer
Paionios von Mende
schuf die
Klassische
Skulptur um 420 v. Chr. aus parischem Marmor. Gestiftet wurde die Nike dem Gott
Zeus
in
Olympia
von den mit
Athen
im
Attischen Seebund
verbundeten
Messeniern
und
Naupaktiern
. Anlass der Weihung war ein Sieg in einem nicht naher bezeichneten Krieg, bei dem es sich aber vermutlich um den
Peloponnesischen Krieg
handelt. Im 5. Jahrhundert v. Chr. wird die Nike zu einem Synonym fur einen militarisch erlangten Sieg und kann hier erstmals mit historischen Geschehen in Verbindung gebracht werden.
Das Original der Skulptur ist heute im
Archaologischen Museum
in Olympia zu sehen (Inventarnummer 46-8).
Die fragmentarisch erhaltenen Uberreste der Skulptur und der Basis wurden bei den deutschen Grabungskampagnen von Oktober 1875 bis Mai 1876 und der Jahre 1880 und 1881,
[1]
unter der Leitung von
Ernst Curtius
,
Gustav Hirschfeld
und
Friedrich Adler
, in Olympia aufgefunden und konnten durch Ubereinstimmung in Material und Bearbeitungsspuren einer einzigen Figur zugeordnet werden. Im Marz 1876 entdeckten Curtius und Adler das
in situ
liegende
Fundament
der dreieckigen Basis, deren einzelne Blocke und die
Plinthe
ebenfalls erhalten sind. Die Einlassspuren der Plinthe lassen eine Zuweisung an die Skulptur der Nike des Paionios zu und lokalisieren den ursprunglichen Standort der Nike etwa 30 Meter sudostlich des
Zeustempels in Olympia
, wo sie als
Beuteanathem
aufgestellt worden war.
Der Kopf der Statue wurde am 3. November 1879 mehr als 100 Meter von der Basis entfernt gefunden.
[2]
Er konnte anhand stilistischer und metrischer Untersuchungen der Statue zugeordnet werden.
Die Figur ist nur fragmentarisch erhalten. Ober- und Unterkorper der Nike sind weitestgehend erhalten geblieben und zeigen eine weibliche Figur mit Flugelansatzen an den Schultern. Die Nike ist schwebend dargestellt und mit einem
Himation
bekleidet, welches sich hinter ihr aufwolbt. Sie tragt zudem ein dunnes Untergewand, das an der rechten Schulter von einer Fibel gehalten wird. Von der linken Schulter hat sich das Gewand gelost und gibt die Brust frei. An der Taille wird das teils als
Chiton
, teils als
Peplos
gedeutete Gewand durch einen Gurtel gehalten. Die feinteiligen Gewandfalten heben sich von den breiten, regelmaßigen Falten des
himation
ab, der auf diese Weise als deutlich schwererer Stoff gekennzeichnet ist. Der linke Unterarm der Figur bewegt sich beinahe waagerecht vom Korper weg. Zudem zeigt der Faltenverlauf des
himation
, dass der fehlende linke Unterarm nach oben angewinkelt gewesen sein muss und sie das
himation
mit der linken Hand in die Hohe gerafft hielt. Der rechte Oberarm und das dazugehorige Handfragment hingegen waren parallel zum Korper ausgerichtet. Neben den Flugeln und dem Gesicht fehlen der Hals, beide Unterarme, die linke Hand und der großte Teil des
himation
. Die Figur weist eine Hohe von 1,95 Metern (mit Kopf 2,21 Metern) auf.
Die Nike des Paionios mit ihren nicht erhaltenen, ursprunglich ausgebreiteten Flugeln ist vom Himmel herabschwebend dargestellt. Sie scheint den linken, vorgesetzten Fuß bereits zur Landung angesetzt zu haben. Jedoch beruhrt sie den Boden nicht, da sich unter ihren Fußen ein Adler befindet. Dieser trennt die Skulptur von der Plinthe.
Die scheinbar schrage Huftlinie ist nur auf den Gurtel und das nach rechts wehende
apoptygma
zuruckzufuhren. Der Oberkorper der Figur folgt demzufolge nicht den Regeln der
Ponderation
. Daraus ergibt sich, dass der Unterkorper der Nike wie der einer stehenden Skulptur aufgebaut ist. Durch verschiedene Elemente wird dem Betrachter jedoch deutlich gemacht, dass sie keineswegs steht. Das linke Bein ist vorgestellt, wahrend das rechte zuruckgesetzt und verkurzt scheint. Tatsachlich kann die Skulptur bedingt als ponderiert bezeichnet werden, wenn ihr rechtes als Spielbein und das linke als Standbein begriffen wird. Zusatzlich bewirkte die dreiseitige Form des Pfeilers, dass dieser durch die starre Einansichtigkeit der Figur nicht mehr als geometrischer Korper, sondern als Flache wahrgenommen wurde. Dementsprechend wirkte er nicht als Standflache fur die Nike. So sind die Form des Pfeilers, die Positionierung der Nike und die auf Frontansicht gearbeitete Figur kunstlerische Gestaltungselemente, die die Darstellung des Schwebens unterstutzen.
Auf einigen Blocken der Basis sind die zum Monument gehorigen Inschriften erhalten.
Dedikationsinschrift mit darunter angebrachter Kunstlerinschrift des Paionios.
[3]
Inschrift
|
Ubersetzung
|
≫
Μεσσ?νιοι κα? Ναυπ?κτιοι ?ν?θεν Δι? / Ολυμπ?ωι δεκ?ταν ?π? τ?ν πολεμ?ων
≪
[4]
|
Die Messenier und Naupaktier weihten dies dem olympischen Zeus aus dem Zehnten der Kriegsbeute.
|
Die zweizeilige
Dedikationsinschrift
ist auf Block E des Pfeilers erhalten. Aus ihr geht hervor, dass die Messenier und die Naupaktier dieses Monument dem olympischen Zeus aus dem
Zehnten
ihrer Kriegsbeute weihten. Jedoch wird die Zuweisung zu einem bestimmten Weihanlass und damit an eine bestimmte Schlacht dadurch erschwert, dass die besiegten Feinde in der Inschrift nicht namentlich genannt werden. Weitere Informationen geben Schriften des
Pausanias
und des
Thukydides
. Beide antiken Autoren befassen sich mit dem Anlass der Weihung. Pausanias
[5]
gibt an, dass die Messenier behaupteten, sie hatten die Nike anlasslich ihres Sieges im Jahr 425 in der
Schlacht von Sphakteria
, einer kleinen Insel vor
Pylos
, geweiht und den Namen der Besiegten aus Furcht vor den
Lakedaimoniern
nicht genannt,
?denn vor den
Akarnanen
und
Oiniaden
furchte sich doch niemand“
. Pausanias selbst allerdings widerspricht dieser Auslegung und glaubt vielmehr, dass gerade eine Schlacht gegen die Akarnanen und Oiniaden um 455 v. Chr. der tatsachliche Anlass dieser Weihung gewesen sei.
Friedrich Koepp
[6]
schreibt hierzu,
?die Messenier geben die als ihre Feinde aus, die zu furchten am wenigsten schimpflich, die zu besiegen aber am Ruhmlichsten war“
.
Der von Pausanias angegebene Weihanlass kann jedoch nicht den Gegebenheiten entsprechen, da die Akarnanen in dieser Schlacht auf Seiten der Athener kampften und somit nicht Feinde, sondern Bundesgenossen der Messenier waren. Zudem ist es aufgrund von stilistischen Merkmalen undenkbar, das Monument mit einer Schlacht um 455 v. Chr. und daran anknupfend mit einer Datierung der Skulptur in die Mitte des 5. Jh. v. Chr. in Verbindung zu bringen.
Außerdem kann die von Pausanias wiedergegebene Behauptung der Messenier, die Schlacht von Sphakteria sei Anlass der
Weihung
, nicht ohne weiteres akzeptiert werden. So erwahnt Thukydides
[7]
in seinem Bericht uber ebendiese Schlacht neben den Messeniern nur allgemein deren Hilfstruppen, nicht aber explizit die Naupaktier. Zudem konnte bei Sphakteria kaum soviel Beute gemacht worden sein, dass das Zehnte fur ein solches Denkmal ausgereicht hatte.
[8]
Koepp konnte jedoch feststellen, dass die Nichterwahnung der Feinde in der Inschrift keineswegs einen Einzelfall darstellt. Sie ist nicht das einzige Anathem in Olympia gewesen, das den Namen der besiegten Feinde nicht nennt. Er stellt in Frage, dass die Messenier die Feinde aus Angst vor den
Spartanern
nicht erwahnten.
[9]
Es ist durchaus denkbar, in der Schlacht von Sphakteria einen Anlass fur die Weihung zu sehen. Das Nichterwahnen der Feinde kann damit erklart werden, dass nicht eine, sondern gleich mehrere erfolgreiche Schlachten im
archidamischen Krieg
das Motiv dieser Weihung darstellten.
Der eigentliche Anlass der Weihung kann anhand der Dedikationsinschrift demnach nicht abschließend geklart werden. Jedoch stehen hier eindeutig politische und nicht sportliche Motive im Vordergrund.
[10]
Inschrift
|
Ubersetzung
|
≫
Παι?νιο? ?πο?ησε Μενδα?ο? κα? τ?κρωτ?ρια ποι?ν ?π? τ?ν να?ν ?ν?κα
≪
[11]
|
?Paionios von Mende hat mich gemacht und er siegte [beim Wettbewerb um den Auftrag] fur die Akrotere des Tempels“.
|
Unmittelbar unter der Dedikationsinschrift hat sich auf Block E des Pfeilers die ebenfalls zweizeilige Kunstlerinschrift erhalten. Aus ihr geht deutlich hervor, dass Paionios von Mende der Schopfer der Skulptur war, zudem aber auch fur die
Akrotere
des angrenzenden Zeustempels verantwortlich gewesen ist. Die erwahnten Akrotere sind archaologisch nicht uberliefert. In der Inschrift weist Paionios explizit darauf hin, dass er nicht nur der Bildhauer der Nike sei, sondern daruber hinaus auch einen Kunstlerwettbewerb gewonnen habe. Dieser Wettbewerb war veranstaltet worden, um den Auftrag fur die Herstellung der Akrotere des Zeustempels zu vergeben. Auffallig ist das kunstlerische Eigenbewusstsein, das Paionios veranlasste, diese Siegesstatue auch dahingehend zu verwenden, seinen personlichen Erfolg zu dokumentieren.
Die jungste der erhaltenen Inschriften ist die so genannte
Krisisinschrift
.
[13]
Sie beinhaltet einen Schiedsspruch der
Milesier
uber die Zugehorigkeit der
Dentheliatis
, dem Grenzgebiet zwischen
Messene
und Sparta. Der in der Inschrift erwahnte romische Konsul
Quintus Calpurnius Piso
erlaubt es, den Schiedsspruch in das Jahr 135 v. Chr. zu datieren.
Auch
Tacitus
[14]
berichtet von einem langwierigen Streit, in dem beide Parteien ihre Besitzanspruche gegenuber dem im Grenzgebiet liegenden Heiligtum der
Artemis Limnatis
geltend machten. Im Jahre 146 v. Chr. ordnete
Lucius Mummius
letztendlich die Gebietsverhaltnisse in Griechenland neu und ubertrug es den Milesiern zu richten. Er setzte erneut ein Schiedsgericht ein, um die Zugehorigkeit des umstrittenen Gebietes festzulegen. Die Milesier entschieden zu Gunsten der Messenier und sprachen Messene dieses wirtschaftlich unbedeutende Landstuck zu. Das Anbringen der Krisisinschrift, die einen Sieg uber Sparta zum Inhalt hat, am Pfeiler der Paionios-Nike verdeutlicht, dass auch 300 Jahre nach der Aufstellung des Anathems, dessen antispartanische Bedeutung im Bewusstsein der Athener nicht verloren gegangen war.
Curtius und Adler fanden ausreichende Uberreste des Pfeilers, um ihn detailliert rekonstruieren zu konnen. Er bestand aus insgesamt 12 Blocken, die sich nach oben hin verjungten. So weist der unterste Block A ein Seitenmaß von ca. 1,90 Meter auf. Der oberste Block N dagegen nur noch ca. 1,19 Meter. Die Einlassspuren auf der Plinthe zeigen, dass die ursprunglich darauf befindliche Skulptur auf die nach Osten gerichtete Langsseite des dreiseitigen Pfeilers hin ausgerichtet war. Die Gesamthohe des Pfeilers wird auf 8,50 Meter Hohe rekonstruiert.
Aufgrund der erhaltenen Substanz ist eine annahernd vollstandige Rekonstruktion der Figur moglich.
Der erste Versuch hierzu wurde von
Richard Gruttner
im Jahre 1883 vorgestellt und zeigt die Nike mit einem Palmwedel in der rechten Hand, wahrend der Saum ihres sich im Wind wolbenden Mantels hinter ihr frei in der Luft ruht.
Eine weitere Rekonstruktion wurde auf Grundlage der fruheren Arbeit Gruttners 1894 von Ruhm
[15]
erstellt. Er nimmt leichte Veranderungen vor, wobei die auffalligste sich wiederum auf die rechte Hand bezieht. Ruhm zeigt die Nike ohne ein Attribut zu erganzen. Sie halt ihren Mantel nicht nur mit der Linken, sondern auch mit der Rechten fest. So wird die Illusion des Schwebens und des sich im Wind aufblahenden Mantels wirklichkeitsnah dargestellt. In dieser Rekonstruktion sind nicht nur der Faltenverlauf des Mantels, soweit er rekonstruiert werden konnte, berucksichtigt, sondern auch die weiteren der Skulptur zugehorigen Bruchstucke, welche bei den Grabungen zu Tage kamen.
Eine dritte Rekonstruktion wurde 1918 wiederum von Gruttner
[16]
angefertigt und stellt eine uberarbeitete Fassung seiner ersten Arbeit dar. Diese lasst die Nike das Mantelende mit der rechten Hand fassen. Er postuliert allerdings eine Siegesbinde als weiteres Attribut, welches er der Nike zusatzlich in die Hand gibt.
Eine Rekonstruktion und die inhaltliche Deutung des Motivs werden durch die Tatsache erschwert, dass Nike auf
Vasenbildern
meist in unterschiedlichen Funktionen dargestellt wird. Diese lassen keinen eindeutigen Aufgabenkreis der Nike erkennen. Auch andert sich mit dem Ende der
Archaik
die beinahe stereotype Darstellungsweise der Nike im
Knielaufschema
, sodass neben weiteren aufkommenden Bewegungsmotiven auch der Wirkungsbereich der Nike wachst.
In der
rotfigurigen Vasenmalerei
erscheint sie als Spenderin beim Opfer, als Begleiterin von
agonalen
Wettkampfen, als Attribut einer siegbringenden Gottheit oder, wie auf einem Bronzeblech des fruhen 5. Jh. v. Chr. dargestellt, als Wagenlenkerin eines Viergespanns. Die Darstellung in Verbindung mit einem militarisch errungenen Sieg bildet in der Vasenmalerei allerdings nur einen geringen Aspekt ihres Wesens. In der Rundplastik hingegen ist dieser Punkt der einzige Aspekt, der Beachtung findet. Dies ergibt sich aus der Aufstellung der Nikedarstellungen als Anatheme. Hier erscheint sie als Einzelfigur ohne Attribute. Es liegt auf der Hand, dass wahrend Nike in anderen Kunstgattungen fast ausschließlich anhand ihrer Attribute und der Begleitszenen begriffen wird, dies in der Rundplastik nicht notig erscheint. Sie findet allein als Symbol fur einen errungenen militarischen Sieg Verwendung.
Zur Rekonstruktion des Gesichtes lasst sich zudem eine romische Replik eines Kopfes aus der Sammlung Hertz in Rom heranziehen, der auf ein griechisches Vorbild aus dem letzten Viertel des 5. Jh. v. Chr. zuruckgeht. Dieser so genannte Hertzsche Kopf ist beinahe identisch mit dem erhaltenen Bruchstuck des Kopfes der Nike des Paionios. In Ubereinstimmung mit dem Hertzschen Kopf kann fur die Nike das in feinen Wellen uber den Kopf gelegte Haupthaar mit dem Haarband und das im Nacken zusammen genommene Haar mit Locken hinter den Ohren rekonstruiert werden.
Nach ihrem Sieg uber die Athener und ihrer Verbundeten in der
Schlacht von Tanagra
im Jahre 457 v. Chr. stifteten die Spartaner einen goldenen Schild nach Olympia, den sie zusammen mit einem Inschriftenstein am First des Zeustempels anbringen ließen. Die Inschrift, die nicht vollstandig erhalten ist, konnte aber mit Hilfe des Pausaniastextes vervollstandigt werden. Dieses Anathem konnte durch die Anbringung am wichtigsten Tempel des Heiligtums von jedem antiken Betrachter deutlich als die verbildlichte Niederlage Athens wahrgenommen werden. Zudem war es am hochsten Punkt des Tempels angebracht, welches die Bedeutsamkeit dieses spartanischen Sieges und die Hervorhebung des Zeus als offiziellen Trager dieses Sieges noch steigert. Auch ohne die Inschrift durfte dem antiken Betrachter die Intention und das ideologische Konzept dieses Anathems bekannt gewesen sein.
Die Herausstellung dieses spartanischen Sieges sollte die militarische Uberlegenheit des spartanischen Staates gegenuber den Athenern im
Peloponnesischen Krieg
demonstrieren. Vor diesem Hintergrund erlangt die Aufstellung der Nike des Paionios, die eine deutliche antispartanische Intention aufweist, eine besondere Bedeutung.
Sie muss als eine bildliche und politische Antwort auf das Anathem der Spartaner gesehen werden, die allein durch die Aufstellung nicht nur den spartanischen Sieg bei Tanagra schmalert, sondern auch den Kampf um die Vormachtstellung zwischen Athen und Sparta in Bilder fasst. Auf diese Weise wird der Konflikt zwischen Athen und Sparta auch im Heiligtum von Olympia ausgetragen.
Die Nike des Paionios steht in direktem Zusammenhang mit dem so genannten Tanagra-Schild und nimmt konkret Bezug auf das Anathem. Durch die Aufstellung der Nike mit dem Rucken zum Zeustempel bot sich dem antiken Betrachter von Osten her ein beeindruckendes Bild. Die Nike des Paionios machte durch diese Art der Aufstellung den Zeustempel und das daran angebrachte antiathenische Anathem zu ihrer Kulisse. Sie druckte so die Uberlegenheit Athens aus und tilgte den Erfolg der Spartaner symbolisch.
Ein weiteres Denkmal, das sich in diesen Anathemdialog einreiht, sind die so genannten
Niken des Lysander
. Sie sind archaologisch nicht uberliefert, sondern nur durch eine Erwahnung bei
Pausanias
bekannt und konnen allein durch ihr Motiv in einen engen inhaltlichen Zusammenhang mit der Nike des Paionios gebracht werden. Dass es sich sicher um eine Ubernahme des Motivs aus Olympia handelt und die Niken des Lysander nach der Nike der Messenier zu datieren sind, ergibt sich aus der zugehorigen Inschrift und dem Kommentar des Pausanias. Die Niken des Lysander wurden nach der
Schlacht bei Aigospotamoi
im Heiligtum der
Athena Ergane
in Sparta aufgestellt und orientieren sich in ihrer Ausarbeitung an der Nike des Paionios.
Die Ubernahme dieses Motivs nach Sparta, welches in Olympia eindeutig mit einer antispartanischen Intention behaftet ist, ist nicht unbewusst geschehen und hat rein denkmalpolitische Hintergrunde.
Dem Motiv kommt in diesem Zusammenhang also eine besondere Bedeutung zu. Denn es wird offenbar zum Sinnbild fur die Auseinandersetzung und den Anathemdialog zwischen Athen und Sparta. Die Niken des Lysander greifen das Motiv auf und passen es nicht einmal den außeren Rahmenbedingungen an. Die Bedeutung einer auf einem Adler stehenden Nike ist in einem Zeusheiligtum wie Olympia ersichtlich und verdeutlicht ? trotz des zunehmenden politischen Moments des Anathems ? die Verbindung zu Zeus. Dieses Motiv unverandert in einem Athenaheiligtum aufzustellen, wirft die Frage nach der Intention und der Bedeutung auf, die diesem Motiv fur die Spartaner zukam.
Sicher mussen die Niken des Lysander als eine politische Antwort auf die Nike des Paionios gewertet werden. Die Ubernahme des Motivs wirkt auf den ersten Blick unpassend. Hier wird nicht nur das Begleittier des Zeus in einem Athenaheiligtum dargestellt, sondern auch ein Motiv ubernommen, welches in Olympia mit einer deutlich antispartanischen Intention behaftet ist, um einen Sieg Spartas uber Athen zu demonstrieren. Ausdrucklich wendet man sich damit von der Intention eines solchen Anathems als reine Dankesgabe an die Gottheit ab. Zwar wurden die Niken des Lysander offiziell der Athena geweiht, der inhaltliche Bezug zu ihr fehlt allerdings vollig. Vielmehr tritt besonders in diesem Fall der historische Aspekt des Anathems in den Vordergrund. Auch aus dem Weihanlass der Niken des Lysander wird das provokante Konzept des Anathems deutlich. Die Schlacht bei Aigospotamoi brachte die Entscheidung uber den Ausgang des Peloponnesischen Krieges und gipfelte in der Kapitulation Athens.
Die Spartaner entschieden sich in polemischer Weise dafur, die bildliche Darstellung dieses uberaus hochgestellten Sieges, mit demselben Motiv darzustellen, welches in Olympia eindeutig mit einem antispartanischen Grundgedanken verknupft war. Sie ließen es zudem in zweifacher Ausfuhrung aufstellen. Diese bewusste Parallelitat stellt eine enorme Demutigung des athenischen Staates dar und eine deutliche Herabsetzung bereits errungener athenischer Siege uber Sparta.
[17]
- Wilhelm Dittenberger
,
Karl Purgold
u. a.:
Olympia: die Ergebnisse der von dem Deutschen Reich veranstalteten Ausgrabung. Textband 5: Die Inschriften von Olympia
. Berlin 1896.
- Alexandra Gulaki:
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. Dissertation, Bonn 1981.
- Klaus Herrmann
:
Der Pfeiler der Paionios-Nike in Olympia
. In:
Jahrbuch des Deutschen Archaologischen Instituts
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:
Die Nike der Messenier und Naupaktier in Olympia
. In:
Jahrbuch des Deutschen Archaologischen Instituts
89, 1974, S. 70?111 (
Digitalisat
).
- Friedrich Koepp
:
Uber die Weihinschriften der Nike des Paionios
. In:
Rheinisches Museum fur Philologie
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- Hans Pomtow
:
Die dreiseitige Basis der Messenier und Naupaktier zu Delphi
. In:
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- Hans Pomtow:
Die Paionios-Nike in Delphi
. In:
Jahrbuch des Deutschen Archaologischen Instituts
37, 1922, S. 55?112.
- Bernhard Schmaltz
:
Typus und Stil im Historischen Umfeld
. In:
Jahrbuch des Deutschen Archaologischen Instituts
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- Michael Siebler
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. Stuttgart 2004, S. 112?115.
- ↑
Eckart Olshausen
:
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In:
Der Neue Pauly
.
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- ↑
Siebler 2004, S. 112.
- ↑
aus Dittenberger?Purgold 1896, S. 379.
- ↑
Dittenberger?Purgold 1896, S. 377?384;
Inscriptiones Graecae
IX,1²
3:656
.
- ↑
Paus. 5, 26, 1.
- ↑
Koepp 1895, S. 269.
- ↑
Thukydides 4, 32.
- ↑
Vgl. Dittenberger?Purgold 1896, S. 381.
- ↑
Koepp 1895, S. 271.
- ↑
Siebler 2004, S. 154f.
- ↑
Dittenberger?Purgold 1896, S. 380; Inscriptiones Graecae IX,1²
3:656
.
- ↑
aus Dittenberger?Purgold 1896, S. 105?106.
- ↑
Dittenberger?Purgold 1896, S. 103?110.
- ↑
Tacitus,
Annales
4, 43
.
- ↑
Pomtow 1922, S. 59.
- ↑
Pomtow 1922, S. 62.
- ↑
Paus. 3, 17, 4.