Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zu dem in Wismar am Alten Hafen befindlichen Fachwerkhaus siehe
Gewolbe (Wismar)
.
Ein
Gewolbe
ist ein nach oben gebogenes
Schalenbauteil
und gehort somit zu den gekrummten
Flachentragwerken
. Wahrend ein
Bogen
in einer Ebene liegt, hat ein Gewolbe eine dreidimensionale Ausdehnung und eine Langsachse.
Im Gegensatz zu flachen
Raumabschlussen
wie Beton- und
Balkendecken
ist allen Gewolben gemein, dass keine
Biege-
und
Zugkrafte
auftreten, sondern
Nutzlast
und
Eigengewicht
ausschließlich
Druckkrafte
hervorrufen und als solche auf
Widerlager
wie
Wande
oder
Pfeiler
abgeleitet werden. Die zwischen den
Auflagern
wirkenden Lasten verursachen einen horizontalen
Gewolbeschub
, der entweder durch
Strebepfeiler
(Wandvorlage), massive Widerlager wie Erdreich oder Fundamente oder durch
Zugbander
zwischen beiden Auflagern aufgenommen werden muss.
Besonders in der
Gotik
entwickelten sich aus einfachen
Tonnengewolben
und
Klostergewolben
komplexe Gewolbeformen wie
Kreuzgrat-
,
Kreuzrippen-
,
Facher-
und
Netzgewolbe
, die in vielen Fallen ? meist aus statisch-konstruktiven und/oder finanziellen Grunden ? auch aus Holz gefertigt wurden.
Wie beim
echten Bogen
mussen bei
echten Gewolben
die Fugen zwischen den Steinen auf den (oder die) Mittelpunkt(e) ausgerichtet sein. Gewolbe mit horizontalen Fugen, die durch Vorkragen der einzelnen Steinschichten gebildet werden (
Kraggewolbe
), sind
unechte Gewolbe
. Auch Gewolbe aus Holz oder Stuck sind unechte Gewolbe.
[1]
Denkt man sich ein Tonnengewolbe von zwei sich kreuzenden Diagonalen (auf den Grundriss bezogen) unterteilt, heißen die dreieckigen Segmente zwischen den Widerlagern und dem Scheitel ?Wangen“ oder ?Walme“. Die Segmente zwischen ?
Schildbogen
“ und
Scheitelpunkt
heißen ?Kappen“. Die auf die
Laibung
projizierten Diagonalen, die Wangen und Kappen trennen, werden ?Gratbogen“, oder bei Rippengewolben ?Diagonalrippen“, genannt.
Wenn in der Langsachse eines Tonnengewolbes mehrere Kreuzgewolbe aufeinander folgen, bezeichnet man die entlang der Langswand aufgereihten Bogen als ?Schildbogen“, die Bogen an der Schnittstelle zwischen den einzelnen
Gewolbejochen
dagegen als ?
Gurtbogen
“ oder ?Gurte“. Liegen die Gewolbe von Mittel- und Seitenschiffen auf gleicher Hohe (
Hallenkirche
), werden die Gewolbebogen, die die Langsschiffe langs voneinander trennen, als
Scheidbogen
bezeichnet.
[2]
Die bei sechs- oder achtteiligen Gewolben auftretenden zusatzlichen Rippen werden ?Scheitelrippen“ genannt. Facher- und Netzgewolbe haben außerdem noch ?
Tiercerons
“, das sind vom Kampfer ausgehende Nebenrippen, und ?
Lierne
“, das sind Nebenrippen, die weder von einem Kampfer noch von einem zentralen Schlussstein ausgehen.
[1]
Im Gegensatz zur ebenen
Holzbalkendecke
oder
Flachdecke
treten bei einem Gewolbe nur
Druckspannungen
auf, sofern das Gewolbe der
Stutzlinie
folgt. Sofern auf das Gewolbe keine Auflast wirkt, entspricht die Stutzlinie der
Katenoide
. So ist es moglich, großere Raume ohne
Biegetrager
oder
Fachwerktrager
und ohne Hilfskonstruktionen wie
Hangewerke
,
Sprengwerke
oder eine Unterstutzung durch
Pfeiler
zu uberdachen.
Dabei ubertragt das Gewolbe nicht nur senkrecht wirkende Krafte an seine Auflageflachen (z. B. die
Mauerkrone
), sondern auch waagerecht wirkende Schubkrafte, die durch ein
Widerlager
aufgenommen werden mussen. Das Widerlager kann die horizontalen Krafte entweder durch quer unter dem Gewolbe gespannte Zugstabe abfangen, an benachbarte Tragkonstruktionen weitergeben oder uber die
Grundung
der Mauern an das Erdreich ableiten. In letzterem Fall muss die Stutzlinie bzw. die Katenoide uber das Gewolbe hinaus auch durch die tragenden Mauern verlaufen, so dass diese nicht nur dem Gewicht, sondern auch dem
Gewolbeschub
standhalten. In Kirchen und anderen Bauwerken mit weit gespannten Gewolben wurde der Gewolbeschub entweder zur Verminderung der Lastausmitte im Mauerwerk durch entsprechend starke Außenmauern und durch Erhohung des auf ihr vertikal lastenden Gewichts (etwa durch aufgesetzte Zinnen oder Turmchen) oder durch außen an die Mauern angesetzte
Mauerpfeiler
aufgefangen. Letztere wurden in der
Gotik
gestalterisch zu einem
Strebewerk
aufgelost.
Der Gewolbeschub steigt mit der Gesamtlast (Eigenlast zuzuglich Auflast) und dem Verhaltnis von Breite zu Hohe des Gewolbequerschnitts (je flacher das Gewolbe, desto mehr Schub).
Die Dicke eines gewicht- und materialsparend ausgefuhrten Gewolbes reduziert sich entsprechend der abnehmenden Normalkraft vom Auflagepunkt bis zum Scheitel.
Die Wikipedia wunscht sich an dieser Stelle ein Bild.
Weitere Infos zum Motiv findest du vielleicht auf der
Diskussionsseite
.
Falls du dabei helfen mochtest, erklart die
Anleitung
, wie das geht.
Der Bogen, der vom Innenraum des Gewolbequerschnitts (der Laibung) aus sichtbar ist, wird
innere Wolblinie
genannt.
- Einfache
Tonnengewolbe
werden meist als
Halbkreisgewolbe
ausgefuhrt, deren innere Wolblinie einen Halbkreis bildet.
- Bei den flacheren
Segment-
oder
Stichbogengewolben
bildet die Wolblinie weniger als einen Halbkreis, also ein
Kreissegment
von weniger als 180 Grad.
- Stellt die Wolblinie einen
Vielpassbogen
bzw.
Zackenbogen
dar, so besteht das Gewolbe aus mehreren zusammengesetzten
Zylindersegmenten
mit kleinerem Radius als dem des Gewolbes als Ganzem (ahnlich dem Rand einer Blute).
- Spitzbogengewolbe
bestehen aus zwei Segmentbogengewolben, die schrag aneinander lehnen, so dass am Scheitel ein spitzer Winkel entsteht.
- Bei
elliptischen Gewolben
bildet die Wolblinie eine halbe
Ellipse
.
- Bei
Giebelbogen
sind die Schenkel gerade und stoßen im Scheitel in spitzem Winkel aufeinander. Das Gewolbe hat die Form eines
Satteldachs
.
- Bei
Klinoidengewolben
, die im Bruckenbau Verwendung finden, wird der Druck gerade, in der Regel horizontal verteilt.
- Bei
hyperbolisch-parabolischen Gewolben
liegt eine komplexe, dreidimensional verzogene Form vor.
- Gewolbe mit ungleichen Gewolbeschenkeln nennt man
unsymmetrisch
, solche mit nur einem Schenkel
einhuftig
.
- Bei
gestelzten Gewolben
spricht man ? wie bei gestelzten Bogen ? von Gewolben, deren Gewolbeschenkel senkrecht nach unten verlangert sind.
Hat ein Gewolbe zwei gleich lange parallele Widerlager, so nennt man es ?Tonnengewolbe“, unabhangig von der Wolblinie. Bei rundbogigem Querschnitt spricht man von ?Rundtonne“, bei spitzbogigem Querschnitt von ?Spitztonne“. Ein Tonnengewolbe ist ?gerade“, wenn es einen rechteckigen Grundriss hat, ?schief“, wenn es parallelogramm- oder paralleltrapezformig ist. Stehen die Wande nicht parallel zueinander, ergibt sich statt eines Zylindersegments ein Kegelsegment.
Eine spezielle Form des Tonnengewolbes ist die ?
Preußische Kappendecke
“. Sie besteht aus mehreren parallel aneinanderliegenden Segmentbogengewolben. Die Hohe der Wolbung betragt ublicherweise weniger als 15 % der Breite. Preußische Kappen wurden vor allem im 19. Jahrhundert zur Gestaltung von Geschossdecken, aber auch als Kellergewolbe verwendet.
Preußische Kappen sind auch unter dem Begriff ?Berliner Gewolbe“ bekannt.
Tonnengewolbe, die als Dachtragwerk dienen sollen, werden haufiger als Holz- oder Stahlkonstruktionen errichtet und dann meist als
Tonnendach
bezeichnet. Beispiele sind das
Hammerbalken-Gewolbe
und das
Zollingerdach
.
Die
Stichkappe
ist ein ?kleineres Tonnengewolbe“, das in der Regel rechtwinklig (seltener schrag) in ein ?Hauptgewolbe“ einschneidet. Solche ?Nebengewolbe“ werden beispielsweise oberhalb von Fenster- oder Turoffnungen, an Nischen oder kleineren Nebenraumen angeordnet, um die Belichtung des Gewolbes zu verbessern oder einen seitlichen Zugang zu ermoglichen. Stichkappen sind vom Hauptgewolbe oft durch den sogenannten ?Kappenkranz“ abgetrennt. Haben die Scheitel zweier gegenuber liegender Stichkappen dieselbe Hohe wie der Scheitel des Hauptgewolbes, entsteht ein Kreuzgewolbe. Stichkappengewolbe sind haufig bei Kirchenbauten der
Barockzeit
.
Beim ?Klostergewolbe“ werden von den Seiten eines rechteckigen oder polygonalen Grundrisses aus
vier Wangen
gemauert, die zu einem gemeinsamen Scheitelpunkt aufsteigen. Seine Wangen sind dreieckige Ausschnitte aus einem
Tonnengewolbe
. Wo die Wangen aneinander stoßen, verlaufen
Falze
? im Gegensatz zu den
Graten
von
Kreuzgratgewolben
.
In großer Zahl findet sich das Klostergewolbe mit achteckigem Grundriss, als achteckige Abwandlung der
Kuppel
, besonders oft als
Vierungskuppeln
romanischer
Kirchen.
Schließt man die Kappen eines ?Tonnengewolbes“ durch zwei nach innen geneigte Wangen ab, wird es zum ?Muldengewolbe“. Das ?Muldengewolbe“ unterscheidet sich vom ?Klostergewolbe“ dadurch, dass es noch uber eine (verkurzte) Scheitellinie verfugt, wahrend alle Wangen des ?Klostergewolbes“ in einem gemeinsamen Scheitelpunkt zusammenlaufen.
Ein Spiegelgewolbe ist ein Muldengewolbe oder Klostergewolbe, dessen Rundungen in einer zentralen waagerechte Flache ? dem Deckenspiegel ? auslaufen. Das Gewolbe wird also unterhalb seiner (theoretischen) Scheitellinie durch eine waagerechte Ebene beschnitten. Diese Bauform eignet sich insbesondere fur
Plafondmalereien
.
Kuppeln
lassen sich als Sonderform des ?Klostergewolbes“ mit vieleckigem, kreisformigem oder ovalem Grundriss betrachten ? sie haben ebenfalls nur einen Scheitelpunkt und der ganze Umfang ihres Grundrisses bildet das Widerlager. Typische Beispiele der Kirchenarchitektur sind achteckige sogenannte ?Klosterkuppeln“ uber den
Vierungen
.
Großere Kuppeln werden haufig mit Tragwerken aus Holz und Stahl errichtet und dann in der Regel nicht mehr als
Gewolbe
bezeichnet.
Beispiele sind etwa die
Schwedlerkuppeln
,
Geodatische Kuppeln
und Kuppeln in der
Zoll-Lamellen-Bauweise
.
Die Bohmische Kappe ist eine mit der
Hangekuppel
verwandte Form des Gewolbes. Hierbei wird eine gratlose (im Gegensatz zum Klostergewolbe) Schale uber einen meist quadratischen Grundriss gespannt. Die das
Gewolbefeld
begrenzenden Bogen, die sich an den Seitenwanden ablesen lassen, sind bei der Bohmischen Kappe nicht halbkreisformig, sondern bilden flachere
Segmentbogen
. Das Platzlgewolbe ist im Vergleich zur Hangekuppel insgesamt flacher gewolbt.
[3]
Werden die beiden Wangen eines
Tonnengewolbes
mit quadratischem Grundriss durch zwei Kappen mit gleichem Gratbogen ersetzt, entsteht ein ?Kreuzgewolbe“ mit vier Graten, vier Schilden und vier Widerlagerpunkten in den Ecken. Wahrend die Grate beim ?Klostergewolbe“ als Innenkanten ausgebildet sind, sind es beim Kreuzgewolbe Außenkanten. Wahrend das Klostergewolbe aus vier Wangen besteht, sind es beim Kreuzgewolbe vier Kappen.
Falls die Kappen statt einer gleichmaßigen konkaven Wolbung zum Scheitelpunkt hin in eine konvexe Wolbung ubergehen, also spharisch gebaucht sind (und oben gegebenenfalls in einer Spitze enden), spricht man von
Busung
bzw. gebustem Gewolbe.
Das einfache Kreuzgewolbe kann auch als Kreuzgratgewolbe bezeichnet werden, welches als fur die romanische Architektur typisch gilt.
Bei der Entwicklung des ?Kreuzrippengewolbes“ liefen zwei Neuerungen fast parallel: zum einen die statische Auflosung des Gewolbes in tragende Rippen und darauf lastende Gewolbekappen (ahnlich der
Skelettbauweise
), und zum anderen brachte die fast gleichzeitig einsetzende Gotik den
Spitzbogen
mit sich, wodurch man variabler bei den Bogenproportionen wurde und damit neue Grundrisse, schmalere Mauern und hohere Raume moglich wurden. All die zuletzt genannten Neuerungen sind nicht dem Kreuzrippengewolbe an sich zuzurechnen, sondern der Tatsache, dass fast alle Kreuzrippengewolbe mit Spitzbogen ausgefuhrt wurden.
Die Technik des Kreuzgratgewolbes wurde bereits in der Antike entwickelt und in den romischen
Thermen
zur Perfektion gebracht ? im kaiserzeitlichen
Tetrapylon
von
Caparra
ist noch eines erhalten, ebenso in der Kirche
Santa Maria degli Angeli e dei Martiri
in Rom, dem einstigen
Frigidarium
der
Diokletiansthermen
. Im
Fruhmittelalter
wurde diese Gewolbeform wieder aufgenommen.
Kreuzgratgewolbe konnen als zwei einander durchdringende Tonnengewolbe definiert werden, wobei vier Kappen entstehen. Wo die Kappen aufeinanderstoßen, entstehen zwei sich kreuzende diagonale Grate, die von den vier Widerlagerpunkten in den Ecken ausgehen. Zum Bau eines Kreuzgratgewolbes ist stets eine vollflachig geschlossene Schalung erforderlich, da das Gewolbe erst nach der vollstandigen Aushartung tragt.
Da bei rein geometrischer Austragung des Kreuzgewolbes aus zwei einander durchdringenden rundbogigen Tonnen die Diagonalgrate eine gedruckte, statisch ungunstige Form erhalten, sind die meisten Kreuzgewolbe zur Mitte hin uberhoht. Denn der diagonale Grat, der eine großere Spannweite als die Schildbogen hat (weil die Diagonale eines Rechtecks langer ist als seine Kanten), wird bei statisch vorteilhafter rundbogiger Ausfuhrung wegen seines großeren Radius hoher als die Schildbogen. Man sagt dann, das Gewolbe sei mit
Stich
gebaut oder
gebust
.
Kreuzrippengewolbe sind der Form nach den Kreuzgratgewolben ahnlich, haben jedoch an den sich kreuzenden diagonalen Graten aus Steinen gemauerte Bogen, die Kreuzrippen. Im Kreuzungspunkt der Rippen befindet sich ein
Schlussstein
, dem noch ein nach unten ragender
Abhangling
angeformt sein kann.
Das Gewolbe wird durch die selbst tragenden Rippen gebildet und gehalten. Die Rippen kreuzen sich dabei wie die Diagonalen in einem Rechteck; sie leiten die Druck- und Schubkrafte des Gewolbes auf die
Pfeiler
ab. Jede Kreuzrippe setzt sich aus mehreren profilierten
Werksteinen
zusammen.
Das Kreuzrippengewolbe ist ein typisches Element der
gotischen Architektur
. Durch das Zusammenspiel von im Vergleich zum
Tonnengewolbe
hoheren (Spitz)bogen und immer ausgefeilterem
Strebewerk
konnten die Wande von seitlichen Schubkraften fast befreit werden, somit schmaler ausgefuhrt und mit großeren Fensterflachen versehen werden. Hohere Kirchenraume wurden moglich.
Als erste Kreuzrippengewolbe gelten die Seitenschiffsgewolbe der
Kathedrale von Durham
, kurz vor 1100 und damit 40 Jahre vor dem Beginn der Gotik mit dem Chorumgang der
Abteikirche Saint-Denis
. Bei den Querhausgewolben des
Speyerer Doms
ist die Bauzeit der Rippen fraglich, da die benachbarte Vierungskuppel in der Barockzeit stabilisiert wurde.
[4]
Steigt das Kreuzrippengewolbe zur Mitte hin stark an, so dass der Scheitel bzw. der
Schlussstein
des Gewolbes deutlich hoher liegt als die Scheitel der Schildbogen, spricht man vom
Domikalgewolbe
.
[5]
Dieses findet sich im Mittelalter besonders in den westfranzosischen Regionen Anjou und Maine (
Kathedrale von Angers
, Saint Serge in Le Mans,
Kathedrale von Le Mans
) und in Deutschland in Westfalen (
Dom zu Munster
,
Zisterzienserkirche Marienfeld
) sowie in den nach westfalischen Vorbildern erbauten mecklenburgischen spatromanisch-fruhgotischen Dorfkirchen mit gebustem Gewolbe. Oft sind Domikalgewolbe durch Langs- und Querrippen als achtteilige Gewolbe ausgebildet.
Ist ein Rippengewolbe in der Querrichtung durch eine vom Schlussstein zu den Außenwanden gehende Rippe in sechs Kappen unterteilt, spricht man von einem sechsteiligen Gewolbe, das typisch fur fruhgotische Kirchenbauten ist. Bei Verwendung der sechsteiligen Gewolbe entsteht das sogenannte
gebundene System
, bei dem einem Mittelschiffsgewolbe auf jeder Seite zwei Seitenschiffsgewolbe zugeordnet sind. Liegt auch in Langsrichtung eine Scheitelrippe, entsteht ein
achtteiliges Gewolbe
.
Kreuzrippengewolbe konnen durch weitere Rippen unterstutzt werden, sodass Rippenfacher, Rippensterne, Rippennetze oder andere Muster entstehen konnen. Dann werden die Gewolbe auch entsprechend bezeichnet (Fachergewolbe, Sterngewolbe, Netzgewolbe, Schlingrippengewolbe u. a., siehe dazu die folgenden Abschnitte).
Die Formen der Rippengewolbe erfuhren eine bedeutende Variation. Fachergewolbe pragten besonders die englische Gotik.
Das Sterngewolbe ist ein Kreuzgewolbe, bei dem die Gewolbekappen nochmals unterteilt werden. Werden in jeder solchen dreieckigen Gewolbekappe aus den drei Eckpunkten Rippen zweiter Ordnung hochgefuhrt, die sich in einem Scheitelpunkt vereinigen, entsteht ein weiteres Kleingewolbe. So bildet sich die Sternform der Rippen, die ihm den Namen gegeben hat. Beispiele fur Sterngewolbe finden sich auch in der
Backsteingotik
, unter anderem in der Dominikanerkirche in
Kulm
und in der Zisterzienserabteikirche in
Pelplin
.
Zellengewolbe (auch
Diamantgewolbe
) sind eine Sonderform der Gewolbe der Spatgotik, besonders zwischen 1450 und 1550 in Sachsen und Bohmen.
[1]
Statt die zwischen den Rippen (oder Graten) eines Sterngewolbes entstehenden Dreiecke wie ublich als durchgehende, gebogene Kappen auszumauern, wurden diese aus drei geraden Flachen als pyramidale Hohlraume ausgebildet, so dass eine vielfach gefaltete Decke entsteht. Das Netz der tragenden Verstrebungen wurde dabei ohne Lehrgerust durch kleine Gewolbe-?Zellen“ ausgefacht. Zellengewolbe sind (im Vergleich zu den anderen gotischen Gewolbeformen) relativ wenig verbreitet. Beispiele finden sich etwa in der
Albrechtsburg
in
Meißen
, in der
Marienkirche
in
Danzig
, im
Goglhaus
in
Krems
und in
Schloss Greinburg
in
Grein
an der Donau.
Wenn
Gurtbogen
fehlen, sich somit im Gewolbe keine
Jocheinteilung
mehr ablesen lasst und sich daruber hinaus die Gewolberippen vielfach uberkreuzen wie die Faden eines Netzes, spricht man von einem ?Netzgewolbe“.
Schlingrippengewolbe pragten besonders die Spatgotik
Obersachsens
und
Bohmens
, beispielsweise in den Pfarrkirchen in
Annaberg
,
Kuttenberg
und
Konigswiesen
oder in der
Albrechtsburg
in
Meißen
.
Fachergewolbe oder Strahlengewolbe
[6]
entstehen, wenn von Auflagern oder Diensten an der Wand mehr als drei Rippen ausgehen, wodurch sich pro Jocheinheit nicht die Kreuzform des Kreuzrippengewolbes, sondern zwei strahlenformig gegeneinanderlaufende Facher bilden. Englische Fachergewolbe bestehen aus vom Rippenansatz aufsteigenden, kegelformigen, gemauerten Schalen, deren Zwischenraume in der Gewolbemitte durch horizontale Platten abgedeckt werden.
[7]
Ein ?Schirmgewolbe“ oder ?Palmbaumgewolbe“ ist uber kreisformigem Grundriss errichtet und durch Grate und Rippen in segmentformig geschwungene und gekrummte Kappen gegliedert.
[1]
Es steht der Kuppel nahe.
Ein ?Radialrippengewolbe“ liegt vor, wenn von einem zentral gelegenen
Schlussstein
beispielsweise in gleichen Winkeln wiederholend Rippen bis an die Wand des (beispielsweise runden oder halbrunden) Raumes abgehen.
Ein solches Gewolbe findet sich im Schalenturm oberhalb der Kapelle in
Schloss Hinterglauchau
.
[8]
Das genannte Beispiel ist zeitlich wohl zwischen 1485 und 1534 einzuordnen.
Stalaktitengewolbe
oder ?Muqarnas“ kommen in der
islamischen Architektur
vor. Sie werden in der Regel als oberer Abschluss von Nischen verwendet oder in den
Zwickeln
beim Ubergang zwischen einer viereckigen Basis und einer Kuppel.
Diese
Sattelflache
ist in einem Vertikalschnitt wie ein ubliches Gewolbe in der Mitte aufgewolbt, also zu den Randern hin nach unten gekrummt, eine horizontale Tangente liegt obenauf. Die Betrachtung im quer dazu liegenden Vertikalschnitt zeigt Gegenlaufiges: Die Rander streben nach oben, die mittige Wolbung baucht sich nach unten aus, zuunterst liegt die Tangente an. Beide Tangenten liegen in gleicher Hohe und schneiden sich im Sattelpunkt.
Fruhe Formen wurden mit flachen Ziegelgewolben realisiert (?Katalanisches Gewolbe“).
Erst mit sowohl druck- als auch zugfestem Baumaterial hat diese Deckenform in moderner Zeit großere Verbreitung gefunden: vor allem als
Betonschale
in
Stahlbeton
.
Tonnengewolbe und manche andere Gewolbeformen werden erst in sich stabil, wenn die
Schlusssteine
gesetzt sind (Ausnahme z. B.
Santa Maria del Fiore
in Florenz). Sie mussen uber
Lehrgeruste
gemauert werden, die nach der Fertigstellung entfernt werden. Neben der Stutzfunktion legen Lehrgeruste auch die Form des Gewolbes fest.
Steile
Kraggewolbe
und bestimmte Bauformen
nubischer Gewolbe
konnen demgegenuber auch ohne Lehrgerust errichtet werden.
Siehe auch
Kraggewolbebauten aus Trockenmauerwerk
.
Auch das flach gewolbte
Flachziegelgewolbe
(
spanisch
boveda tabicada
), kann ohne Stutzkonstruktion erstellt werden. Es werden leichte Ziegel mit moglichst schnellhartendem Mortel bogenformig an das Auflager gesetzt und Reihe um Reihe wird der Bogen nach innen fortgesetzt. Nach Fertigstellung der ersten Tragschicht konnen weitere Schalen zur Verstarkung oben aufgemauert werden.
[9]
Ein Beispiel ist die
Escuela Nacional de Arte
, ein Nationaldenkmal westlich von Havanna auf Kuba.
Gewolbe wurden vorwiegend in
Haustein
,
Backstein
oder
Bruchstein
, seltener in
Gussmortel
ausgefuhrt. Besonders leichte Gewolbe stellte man aus
Kalktuffstein
oder
Tuffstein
oder hohlem, gebranntem, Topfstein her (Tuffgewolbe, Topfgewolbe).
Als Hilfsmittel beim quadratischen Kreuzgewolbe werden haufig vorweg
Gurtbogen
eingezogen, die auf Saulen ruhen. Zur Erstellung der Gurtbogen werden halbkreisformige Schablonen verwendet. Danach kann das Kreuzgewolbe auf die Gurtbogen aufgelegt werden.
In neuerer Zeit, vor allem seit den 1920er Jahren, wird auch dunnschaliger
Stahlbeton
als stabiles Baumaterial fur Gewolbe verwendet.
Kraggewolbe
, auch
falsche Gewolbe
genannt, mit horizontal gefugten Steinlagen sind seit der Vorzeit belegt; im 14. Jahrhundert v. Chr. z. B. aus
Mykene
. Sie wurden regional bis in die Neuzeit errichtet.
Die echte Gewolbekonstruktion mit radial gefugten Steinen war aber schon den
Agyptern
und
Assyrern
bekannt und wurde von den
Etruskern
in die Baupraxis des Abendlandes eingefuhrt. Vor allem die
Romer
haben den Gewolbebau weiterentwickelt und Tonnen-, Kreuz- und Kuppelgewolbe gebaut. In Rom haben sich einige herausragende Beispiele erhalten, so z. B. das
Pantheon
und die
Maxentiusbasilika
.
In Agypten wurden Ziegelgewolbe seit dem fruhen 3. Jahrtausends v. Chr. vielfach eingesetzt und ab Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. wurden Keilsteingewolbe errichtet. Monumentale Tempelbauten der pharaonischen Kultur im Niltal kamen jedoch ohne die Verwendung von Gewolben aus, da sogar die gewaltigen Portale mit Weiten von mehr als 7 Metern mit Werksteinbalken uberspannt wurden.
[10]
Die fruhchristlichen Basiliken waren in der Regel nicht gewolbt, sondern flachgedeckt. Bedeutende spatantike Wolbungsbauten finden sich in
Ravenna
, so beispielsweise
San Vitale
. In der byzantinischen Baukunst erlebten die Kuppelkirchen eine Blute. Das bedeutendste Beispiel ist die
Hagia Sophia
in
Istanbul
.
Mit der Eroberung Roms durch die
Germanen
ging ab dem 5. Jahrhundert im westlichen Europa der Bau von Gewolben stark zuruck. Eine der wenigen Ausnahmen war der nach
byzantinischem Vorbild
errichtete
Aachener Dom
mit seiner hohen Kuppel.
Die hochste Ausbildung erfuhren die Kuppelgewolbe in der
islamischen Architektur
und die Kreuzgewolbe in der Baukunst des Mittelalters und der
Renaissance
. Zunachst wolbte man nur die schmaleren und niedrigeren Seitenschiffe, die breiten hohen Mittelschiffe blieben flachgedeckt. Dies anderte sich erst um das Jahr 1000. Anfangs war das
Tonnengewolbe
die Hauptbauform. In Burgund entstand beim Bau der Kirche von
Cluny III
das Spitztonnengewolbe. Der erste durchgehend kreuzrippengewolbte Bau war die
Kathedrale von Durham
. Das Kreuzrippengewolbe entwickelte sich zur standardmaßigen Gewolbeform der
Gotik
. Durch die Verstarkung der Gewolbewiderlager mit Hilfe von Strebebogen und Strebepfeilern erreichten die Baumeister Gewolbehohen von bis zu 48 Metern (
Kathedrale von Beauvais
). Die Spatgotik bildete besonders in England und Deutschland dekorative Rippenfiguren aus, die Stern-, Netz- und Fachergewolbe.
Mit dem Ende der Gotik kehrte man in der Renaissance im Kirchenbau zur Tonnenwolbung zuruck, die oft durch seitliche Stichkappen zu den Fenstern geoffnet wurde. Fur die Deckenmalerei des Barock dienten oft Spiegelgewolbe großer Spannweite, beispielsweise
Balthasar Neumanns
Gewolbe uber dem Treppenhaus der
Wurzburger Residenz
. Zudem leitete die Renaissance eine neue Blute des Kuppelbaus ein, wofur die Kuppel des
Petersdoms
in Rom steht.
Mit den neuen Baumaterialien
Eisen
und
Beton
begann im 19. Jahrhundert eine neue Epoche des Gewolbebaus.
- Joseph Eich:
Die Gewolbe, ihr Wesen, ihre Gestalt und ihr Bau.
Band 1:
Gewolbeformen.
Polytechnische Verlagsgesellschaft Max Hittenkofer, Strelitz 1921.
- Waldemar Swida:
Statik der Bogen und Gewolbe. Theorie des Einzelbogens; Berechnungsbeispiele unter Berucksichtigung der neuesten Belastungsannahmen (DIN 1072) und Berechnungsbestimmungen (DIN 1975).
C. F. Muller, Karlsruhe 1954.
- Norbert Nußbaum, Sabine Lepsky:
Das gotische Gewolbe. Eine Geschichte seiner Form und Konstruktion.
Deutscher Kunstverlag, Munchen u. a. 1999,
ISBN 3-422-06278-5
(das zurzeit wissenschaftlich maßgebliche Werk).
- Stefan Burger:
Figurierte Gewolbe zwischen Saale und Neiße. Spatgotische Wolbkunst von 1400 bis 1600.
3 Bande. VDG, Verlag und Datenbank fur Geisteswissenschaften, Weimar 2007,
ISBN 978-3-89739-518-3
(zugleich: Dresden, Technische Universitat, Dissertation, 2004).
- Werner Muller, Norbert Quien:
Virtuelle Steinmetzkunst der osterreichischen und bohmisch-sachsischen Spatgotik. Die Gewolbeentwurfe des Codex Miniatus 3 der Osterreichischen Nationalbibliothek in Wien
. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2005,
ISBN 3-937251-03-0
(=
Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte
, Band 38).
- David Wendland:
Lassaulx und der Gewolbebau mit selbsttragenden Mauerschichten. Neumittelalterliche Architektur um 1825?1848.
Michael Imhof Verlag, Petersberg 2008,
ISBN 978-3-86568-117-1
(Zugleich: Stuttgart, Universitat, Dissertation, 2007).
- Karl-Eugen Kurrer
:
Geschichte der Baustatik. Auf der Suche nach dem Gleichgewicht
. Ernst und Sohn, Berlin 2016,
ISBN 978-3-433-03134-6
, S. 198?273, S. 464?466 u. S. 935 f.
- Manuel Maissen:
Gewolbebau der Spatgotik in Graubunden
.
Dissertation, ETH Zurich, 2020.
- Thomas Bauer, Jorg Lauterbach, Norbert Nußbaum:
Arnold von Westfalen und Benedikt Ried. Innovativer Gewolbebau im Dienst fruhneuzeitlicher Furstenhofe. Mit Seitenblicken auf Parallelentwicklungen im oberdeutschen Sakralbau
. Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 2021,
ISBN 978-3-88462-405-0
.
- Stefan Burger:
?17 schloß stein 5 anfenge“ oder Gewolbevisierungen raumlich begreifen. Zur dritten und vierten Dimension einer zweidimensionalen Entwurfszeichnung zum Schloss in Stolberg/Harz und Konsequenzen fur den Umgang mit spatgotischer Wolbkunst
. In:
INSITU
2023/1, S. 35?46.
- ↑
a
b
c
d
Pevsner, Honour, Fleming:
Lexikon der Weltarchitektur
, Prestel, 1992.
- ↑
Rudolf Gottgetreu
:
Das Kreuzgewolbe, eine Bauconstructions-Studie
. In:
Zeitschrift fur Bauwesen
.
Nr.
8
, 1875,
Sp.
399?404
(
zlb.de
).
- ↑
Boehmische Kappe;.
Abgerufen am 24. September 2019
.
- ↑
Auskunft des Speyerer Dombaumeisters Coletto.
- ↑
Wilhelm Rave
:
Das Domikalgewolbe
. In:
Deutsche Kunst und Denkmalpflege
, Jg. 13 (1955), S. 33?43.
- ↑
Hans Koepf
:
Bildworterbuch der Architektur
(
Kroners Taschenausgabe.
Bd. 194). 2. Auflage. Kroner, Stuttgart 1974,
ISBN 3-520-19402-3
, S. 284.
- ↑
Walter C. Leedy:
Fan vaulting. A study of form, technology, and meaning.
Scolar Press, London 1980.
- ↑
Schriftenreihe Sonderheft (zu Georgius Agricola), Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau, Glauchau 1994, Abb. 3 auf S. 46.
- ↑
Dirk Buhler, Santiago Huerta:
Ziegelgewolbe ? Die lange Wanderung einer Konstruktionstechnik vom Mittelmeer nach Deutschland
. In:
Mauerwerk-Kalender
.
Band
2019
(
upm.es
[PDF; abgerufen am 27. November 2019]).
- ↑
Ankundigung der Vortrags von
Ulrike Fauerbach
:
Gewolbe im Alten Agypten. Ursprunge, Entwicklung, Bedeutung und Alternative
.
In:
Momentum Magazin
, 12. April 2017.