Neoklassische Theorie

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Unter neoklassischer Theorie oder Neoklassik wird eine wirtschaftswissenschaftliche Richtung verstanden, die in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts begrundet wurde und die klassische Nationalokonomie abloste. [1] Charakterisiert wird die Neoklassik nicht durch bestimmte Lehrsatze, sondern durch ihre Methode, insbesondere das Marginalprinzip , das in Begriffen wie Grenzkosten oder Grenzerlos zum Ausdruck kommt. [2] Wesentlich haben zu ihrer Entstehung die Okonomen Alfred Marshall , William Stanley Jevons und Leon Walras beigetragen.

Die neoklassische Okonomie dominierte historisch die Makrookonomie [1] und bildete zusammen mit dem Keynesianismus die neoklassische Synthese , welche den Konsens der Mainstream-Okonomie der 1950er bis 1970er Jahre darstellte. [3] Sie floss ein in die neue neoklassische Synthese, die auch als Neukeynesianismus bekannt ist. [4] Der Neukeynesianismus ist der aktuelle wissenschaftliche Konsens der internationalen Wirtschaftswissenschaft. [5]

Es gab viele Kritiken aus der heterodoxen Okonomie an der neoklassischen Okonomie, von denen einige in neuere Versionen der neoklassischen Theorie integriert wurden, zum Beispiel in der Analyse von Marktversagen , der Spieltheorie oder der Informationsokonomik . [6] [7]

Historische Entwicklung

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Ausgangspunkt der Neoklassik waren die Grenznutzenschule und das von ihr begrundete Marginalprinzip. Diese Lehren wurden ungefahr gleichzeitig und unabhangig voneinander um 1870 von William Stanley Jevons in England, Carl Menger in Osterreich und Leon Walras in der Schweiz entwickelt. Damit wurde die klassische Wert- und Preistheorie, die Werte und Preise hauptsachlich durch Produktionskosten erklarte, um eine subjektive Komponente erganzt. Zugleich veranderte das Marginalprinzip auch die Produktionskostentheorie selbst, indem sie konstante Produktionskoeffizienten durch variable Grenzkosten abloste.

Ein weiteres Charakteristikum der Neoklassik ist neben dem Marginalprinzip die Betonung von Markten, die als prinzipiell sinnvoller und uberlegener Allokationsmechanismus betrachtet werden. In diesem Punkt knupft die Neoklassik an die Klassik und deren Vorstellung einer ?unsichtbaren Hand“ an und prazisiert ihre Lehren.

Wahrend und nach der Weltwirtschaftskrise wurden die makrookonomischen Implikationen der Neoklassik kritisiert, da diese weder eine zufriedenstellende Erklarung fur eine so schwerwiegende Krise lieferte, noch erfolgversprechende wirtschaftspolitische Empfehlungen abgab. Diese Lucken versuchten John Maynard Keynes und der darauf aufbauende Keynesianismus zu schließen. Dies bedeutete jedoch keineswegs ein Ende der Neoklassik: Zum einen blieb die Mikrookonomie von der Kritik unberuhrt, zum anderen erlebte neoklassisches Denken eine Renaissance auch in der Makrookonomie , nachdem im Gefolge der Stagflation der 1970er-Jahre der Keynesianismus seinerseits in eine Glaubwurdigkeitskrise geriet.

Seit den 1950er Jahren nimmt die Neoklassik eine vorherrschende Stellung ein, insbesondere bei der Methodenwahl, doch koexistiert sie stets mit konkurrierenden Stromungen.

Grundannahmen und Modelle

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Die Neoklassik ist keine einheitliche Stromung; insbesondere ist ?Routineforschung“ innerhalb der Neoklassik von den essentiellen Bausteinen des heutigen neoklassischen ?Mainstreams“ zu unterscheiden. [8] Unter Bezug auf Michael Fritsch nennt Ulrich Hampicke die folgenden funf konstitutiven Merkmale der ?naiven“ ?Lehrbuch“-Neoklassik:

  • Methodischer und normativ-politischer Individualismus ;
  • Utilitarismus im Sinne einer teleologisch-konsequentialistischen Ethik, der Trennung von Werturteilen und Instrumenten, der Orientierung an menschlicher Nutzenstiftung und der abwagenden Kalkulation;
  • Annahme individuell rationalen Verhaltens (d. h.: Vorliegen einer vollstandigen Praferenzordnung , Transitivitat der Praferenzen);
  • Tauschparadigma, konsequentes Denken in Opportunitatskosten ;
  • Glauben an die unsichtbare Hand und das Substitutionsparadigma.

Diese funf Axiome konnten jedoch verandert werden, wenn sich die hinter ihnen stehenden empirischen Annahmen als grob unzutreffend erweisen. Als wichtige Felder von Einschrankungen und Erganzungen nennt Hampicke

  • die Moglichkeit freiwilliger Kontrakte , mit denen die Individuen ihre Handlungsfreiheit zu Gunsten kooperativen oder koordinierten Verhaltens einschranken;
  • die Moglichkeit einer ?Government-Assisted Invisible Hand“, die markt-formige Allokationen dort ermoglicht, wo diese aufgrund prohibitiver Transaktionskosten nicht spontan erreicht werden;
  • Einfuhrung institutionsokonomischer Analyseansatze (strategisches Verhalten, unvollstandige Information, ?Macht“ in Tauschbeziehungen etc.).

Auch bei Verwendung ?kollektiven“ Verhaltens als Erklarung werde jedoch niemals der Boden des methodischen Individualismus verlassen.

Homo oeconomicus

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Die zentrale Illustration der Annahme der neoklassischen Theorie ist das Modell des ?Homo oeconomicus“. Dabei handelt es sich um ein fiktives Wirtschaftssubjekt , das feststehende Praferenzen hat und rational handelt in dem Sinne, dass es unter gegebenen Alternativen stets diejenige auswahlt, die seinen eigenen Nutzen maximiert. [9] [10] Zu beachten ist hier, dass ?Nutzen“ empirisch aus der Analyse von beobachteten Entscheidungen zwischen Alternativen rekonstruiert wird, ohne dass diesen Entscheidungen im ethischen Sinne eigennutzige Motive unterstellt werden mussen.

Das Prinzip rationalen Verhaltens ist auf zwei Institutionen ubertragen worden:

  • Die Haushalte , die im Rahmen ihrer Moglichkeiten (bestimmt durch gegebene Preise, Lohne und sonstiges Einkommen) die nutzenmaximierende Alternative (das Haushaltsoptimum ) wahlen. [10]
  • Die Unternehmen , welche unter den jeweiligen Bedingungen wie vollstandige Konkurrenz , Oligopol , Monopol etc. und gegebener Technologie die Produktion auswahlen, die dem Unternehmensziel (haufig, aber nicht notwendigerweise, Gewinnmaximierung) am besten entspricht.

Neoklassik als Theorie der Optimierungsentscheidungen

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Zusammengenommen fuhrt die Neoklassik mit Hilfe der Marginalanalyse alles wirtschaftliche Geschehen auf individuelle Optimierungsentscheidungen zuruck: Unternehmen maximieren ihren Profit, woraus sich die Faktornachfragekurven und Guterangebotskurven ergeben. Haushalte maximieren ihren Nutzen, woraus sich die Faktorangebotskurven und Konsumguternachfragekurven ergeben.

Ausgehend von diesem von Leon Walras entwickelten Grundprinzip verwendet die neoklassische Theorie mathematische Methoden, die oft als ? Marginalismus “ bezeichnet werden. Indem Carl Menger , Friedrich Wieser und Eugen Bohm-Bawerk das Grenzkalkul einfuhrten, haben sie gewissermaßen zweihundert Jahre nach Newton und Leibniz die Differentialrechnung neu entdeckt.

Aus dem Grundprinzip von Walras ergibt sich, dass die neoklassische Theorie grundsatzlich als ein System von Optimierungsaufgaben unter Nebenbedingungen aufgestellt und mit den mathematischen Methoden der Maximierung (zum Beispiel der Lagrangemethode ) analysiert werden kann. Dadurch ergeben sich Optimierungsbedingungen wie das Zweite Gossensche Gesetz oder die Wertgrenzproduktregel .

Im Laufe der Entwicklung wurde dieses Grundprinzip verfeinert, indem das Verhalten innerhalb des Haushaltes (Okonomische Theorie der Familie von Gary Becker ) und innerhalb des Unternehmens ( Prinzipal-Agenten-Theorie ) als Optimierung betrachtet wurde. Außerdem wird der Ansatz auf weitere Bereiche wie Politik ( Neue politische Okonomie ) oder Rechtssystem ausgedehnt.

Vollkommener Markt

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Viele Modelle der neoklassischen Theorie gehen von vollkommenen Markten aus, und zwar sowohl zur Untersuchung realer Markte als auch als Referenz im Vergleich zu Modellen unvollstandiger Konkurrenz. Dabei wird angenommen, dass der Markt die Preise vorgibt und der Unternehmer als Mengenanpasser reagiert.

Es werden jedoch auch Modelle unvollstandiger Konkurrenz analysiert:

  • Monopol (Monopson): Es gibt fur das betrachtete Gut nur einen Anbieter (bzw. Nachfrager). Durch die vom Produzenten angebotene (bzw. nachgefragte) Menge wird der Preis bestimmt.
  • Duopol , Oligopol : Es existieren zwei oder mehrere Anbieter. Um diesen Fall zu analysieren, mussen weitere Annahmen uber das strategische Verhalten der Unternehmen gemacht werden.

Weitere Standardannahmen

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  • Information und Informationsgewinnung: Grundmodelle der Neoklassik gehen von vollstandiger Information aus. Diese Annahme wird aber in vielen Modellen ersetzt durch beschrankte Information. Außerdem kann Informationsgewinnung integriert werden, indem Suchkosten und Transaktionskosten berucksichtigt werden.
  • Keine Externalitaten : Produktionsentscheidungen eines Unternehmers wirken nur uber den Markt auf den Konsum bzw. die Produktion anderer Individuen. Die Umweltokonomik kann als jenes Feld der Neoklassik bezeichnet werden, das systematisch in Bezug auf Umweltexternalitaten auf diese Standardannahme verzichtet.
  • Private Guter : Die betrachteten Guter stiften nur dem Nutzen, der sie besitzt (Rivalitatsprinzip). Alle anderen Individuen konnen durch rechtliche und/oder technische Maßnahmen vom Konsum ausgeschlossen werden (Ausschlussprinzip). Das Modell kann aber auf offentliche Guter (Kollektivguter) erweitert werden.

Auch fur die Analyse von institutionellen Gegebenheiten wie Vertragen, Privateigentum, Unternehmen, Wahlsystemen und Verfassungen im Rahmen der Neuen Institutionenokonomik werden einige der Zusatzannahmen aufgehoben.

Zentrale Thesen

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Die neoklassische Theorie lieferte mit ihrer marginalistischen Betrachtung die theoretischen Grundlagen fur die Auflosung des Wertparadoxons in der klassischen Nationalokonomie . Der Wert (ausgedruckt als Preis ) eines Gutes ergibt sich danach aus seinem Grenznutzen (Nachfrage) und seinen Grenzkosten (Angebot).

Von der klassischen Nationalokonomie hob sich die Neoklassik unter anderem durch die verschobene Fragestellung ab: Paradigma der Klassik war die Produktion : Sie fragte nach dem Ursprung, dem Wachstum und der Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums in der Gesellschaft . Paradigma der Neoklassik ist der Tausch (Handel) zwischen rationalen Individuen: Sie fragt nach der optimalen Verteilung ( Allokation ) gegebener knapper Ressourcen auf verschiedene Verwendungen und Individuen mit festen Interessen und vorgegebener Ausstattung an Gutern und Fahigkeiten.

Die Verteilungstheorie folgt der Grenzproduktivitat und nicht der Arbeitswerttheorie .

In der Neoklassik gibt es eine scharfe Trennung zwischen dem realen Sektor einer Wirtschaft, in dem die relativen Preise aller Guter und Produktionsfaktoren, die Produktionsmengen der verschiedenen Konsumguter und die Verteilung (Allokation) der Produktionsfaktoren auf die Produktion verschiedener Guter bestimmt wird, und dem monetaren Sektor, in dem letztlich nur die Geldpreise bestimmt werden, und von dem keine (langerfristigen) Wirkungen auf den realen Sektor ausgehen. Diese realwirtschaftliche ? Neutralitat des Geldes “ findet ihre theoretische Erklarung in der Quantitatstheorie des Geldes .

Gleichgewicht

Weiteres zentrales Element der Neoklassik ist die Gleichgewichtsanalyse. Die okonomische Analyse wird wesentlich als Analyse von Markten im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage verstanden: Sei es (bei Leon Walras ) im Sinne eines instantanen allgemeinen Gleichgewichts auf allen Markten (bestimmt durch die Losung eines Systems von Gleichungen), oder sei es (bei Alfred Marshall ) im Sinne von partiellen Gleichgewichten auf den jeweils betrachteten Markten in verschiedenen Zeithorizonten (etwa sehr kurzfristig zur Bestimmung von Marktpreisen , oder langfristig zur Bestimmung von normalen Preisen).

Die neoklassische Theorie geht grundsatzlich von der Funktionsfahigkeit und Stabilitat marktwirtschaftlicher Systeme aus. Auf allen Markten herrscht ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, wodurch auch die Preise aller Konsumguter und Produktionsfaktoren bestimmt sind. Storungen und Krisen werden auf Unvollkommenheiten des Marktes zuruckgefuhrt, der Markt findet nach Beseitigung dieser Unvollkommenheit wieder in ein Gleichgewicht (siehe auch Allgemeine Gleichgewichtstheorie ).

Eine Konsequenz aus dieser Kombination von individueller Optimierung und Gleichgewichtsdenken ist die Unmoglichkeit von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und Uberproduktion , solange kompetitive Markte nicht durch staatliche Intervention oder andere Verzerrungen (zum Beispiel von Gewerkschaften erzwungene uberhohte Lohne) in ihrer Funktion behindert werden. Die Neoklassik sieht damit das saysche Theorem immer erfullt, das allgemeine (gesamtwirtschaftliche) und langerfristigere Ungleichgewichte ausschließt, da sich jedes (gesamtwirtschaftliche) Angebot auch seine Nachfrage schaffe. Im Hinblick auf den Kapitalmarkt setzt dies voraus, dass uber den Zins als Preis des Kapitals auch Sparen und Investition sich im Gleichgewicht befinden.

Pareto-Optimum

Ein Pareto-Optimum , benannt nach Vilfredo Pareto (1848?1923), ist ein Zustand der Gesamtwirtschaft, in dem niemand besser gestellt werden kann, ohne dass ein anderer schlechter gestellt wird. Das Pareto-Optimum ist der normative Schlusselbegriff der Neoklassischen Theorie und das Gegenstuck zum positiven Begriff des Gleichgewichts. Das Erste Wohlfahrtstheorem verbindet diese beiden: Hiernach ist ein Gleichgewicht bei vollkommenem Wettbewerb stets ein Pareto-Optimum. Dieser Satz ist mathematisch beweisbar und die Fortentwicklung der intuitiven Vorstellung einer ?unsichtbaren Hand“: Unter idealisierenden Annahmen fuhrt Marktwirtschaft nicht zu Chaos, sondern zu einem gesellschaftlich wunschenswerten Zustand.

Universitare Lehre

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In der universitaren Lehre sind heute fast ausschließlich neoklassische, konsequent marktwirtschaftliche Okonomen vertreten. Punktuell kommen noch Spieltheorie und experimentelle Okonomie vor. [11] Im Mai 2014 wurde diese Dominanz von einem Bundnis von 40 Studenten-Vereinigungen aus 19 Staaten kritisiert und stattdessen eine Theorienpluralitat in der okonomischen Lehre gefordert. So wurden in Universitaten die sich gegenseitig widersprechenden okonomischen Theorien nicht gleichberechtigt vertreten und andere Schulen nicht in die Lehre mit einbezogen. Durch die daraus folgende methodische Einseitigkeit (vor allem quantitative Untersuchungen) konne die Okonomie deshalb auf viele Fragen wie z. B. Finanzmarktstabilitat und Klimawandel keine passenden Antworten finden. Unterstutzung erfuhren die Initiatoren unter anderem von Thomas Piketty . Bereits 2012 hatten uber 1000 Forscher und Studenten ein Memorandum verfasst, um auf ?Fehlentwicklungen innerhalb der Disziplin“ hinzuweisen. [12]

John Maynard Keynes kritisierte die makrookonomischen Aspekte der Neoklassischen Theorie.

In der Neuen Institutionenokonomik , so etwa in der Transaktionskostentheorie oder der Prinzipal-Agent-Theorie , werden Faktoren wie asymmetrische Information und Opportunismus berucksichtigt. Außerdem ist begrenzte Rationalitat haufig eine realitatsnahere Annahme als die des vollstandig rationalen Homo oeconomicus .

Okonomen wie Joan Robinson und Edward Hastings Chamberlin versuchten mit dem Modell der unvollstandigen Konkurrenz ein zutreffenderes Bild der Realitat zu entwerfen.

Vertreter der Umweltokonomik werfen der Neoklassik vor, zur Ignoranz des klassischen Produktionsfaktors Boden zu tendieren, in dem sich die okologische Begrenztheit menschlichen Wirtschaftens spiegle. Mit grundsatzlicherer Kritik an der Natur-, Macht- und Gerechtigkeitsvergessenheit der Neoklassik bemuht sich die Okologische Okonomik um eine okonomische Theorie nachhaltiger Entwicklung .

Joseph Schumpeter und andere lehnten die statische Betrachtungsweise der Neoklassik ab, da sie die Dynamik der wirtschaftlichen Prozesse nur unzureichend erklaren konne.

In der Kapitalkontroverse oder in der neoricardianischen Theorie werden die preis-, verteilungs-, wachstums- und kapitaltheoretischen Aussagen der Neoklassik in Frage gestellt. [13] [14] Eine Grundlage fur diese Kritik ist die Schrift Piero Sraffas The Law of Returns under Competitive Conditions (1926), in der Sraffa vor allem die Annahme eines fallenden Grenzprodukts der Arbeit kritisiert, was weitreichende Konsequenzen fur alle weiteren Annahmen der Neoklassik mit sich bringt. In den 1960er Jahren kritisierten Sraffa und weitere Forscher auch die neoklassische Annahme eines einheitlichen Kapitals, ohne die sich nicht die Deckung des Zinssatzes mit einem angenommenen Grenzprodukt des Kapitals behaupten lasst.

Eine umfassende Kritik der Neoklassik hat Steve Keen mit dem Buch Debunking Economics vorgelegt, in dem neben oben genannten auch prominente, neoklassische Autoren gegen die Neoklassik angefuhrt werden, deren Veroffentlichungen insofern in gangigen, neoklassischen Lehrbuchern ignoriert wurden.

Neben diesen fachinternen Kontroversen wird auch Kritik von externer Seite, genauer: der Wissenschaftstheorie , geubt. Im deutschsprachigen Raum ist in diesem Zusammenhang v. a. die Kritik Hans Alberts bekannt geworden, der die Art und Weise neoklassischer Modellbildung als ?Modell-Platonismus“ bezeichnet hat. [15] Albert kritisiert dabei in erster Linie die Tatsache, dass die Modellierung oft unter umfassende Ceteris-paribus -Vorbehalte gestellt wird, wobei man uber alle relevanten Rand- und Anfangsbedingungen, die eine Unter-Sonst-Gleichen-Bedingungen-Situation genau kennzeichnen, oft keine Kenntnis besitzt. Diese Ceteris-paribus-Vorbehalte ermoglichen jedoch die komplette Immunisierung einer Theorie gegen die Erfahrung: Erweist sich eine Theorie als empirisch widerlegt, kann man sich immer auf den Standpunkt zuruckziehen, dass die Theorie doch stimme, nur die relevanten Rand- und Anfangsbedingungen im speziellen Fall nicht vorgelegen hatten. Der Wissenschaftstheoretiker Alexander Rosenberg gelangt zu der Auffassung, dass die Neoklassik oft keine empirisch gehaltvollen Theorien vorlege, also nicht handfeste empirische Forschung betreibe, sondern lediglich komplexe Mathematik, die mit der Realitat nur noch wenig zu tun habe. [16] [17]

Auch der osterreichische Okonom Stephan Schulmeister kritisiert, dass die neoklassische Gleichgewichtstheorie keine empirisch-realistische, sondern eine abstrakt-idealistische Wirtschaftstheorie ist, der Mathematik den ?Schein von Objektivitat“ [18] verleihe. Doch die Angebots- und Nachfragekurven seien empirisch nicht beobachtbar, sondern lediglich einzelne Tauschakte, von denen man nicht wisse, ob sie zu Gleichgewichtspreisen erfolgten. Da ?Produktdifferenzierungen bedeutend und in der Konkurrenz der Anbieter ausschlaggebend sind, darf die Logik des Marktdiagramms nicht angewendet werden.“ Vollig sinnlos sei die Verwendung von Begriffen wie der Arbeitsmarkt , da hier das Unterschiedliche uber das Gemeinsame dominiere. ?Die einzigen Markte, auf denen der jeweils gehandelte Gegenstand vollkommen homogen ist, sind die Finanzmarkte.“ Doch gerade diese produzieren keine Gleichgewichtspreise. [19]

Der Zivilisationskritiker Fabian Scheidler sieht Teile der neoklassischen Okonomik als autoritare Quasi- Religion , weil sie auf ausgeklugelten Modellen beruhen, denen in der Wirklichkeit nichts entsprache. So habe Ulrike Herrmann gezeigt, dass einige ihrer Vertreter zum Teil den Wirtschaftsnobelpreis fur ?besturzenden Unsinn“ erhalten hatten. [20] Habe doch auch Paul Romer am 5. Januar 2016 in einem Vortrag an der Stern School of Business Parallelen mit der Stringtheorie bescheinigt: Ihr Versagen sei dadurch verursacht, ?dass sich der Respekt vor hochangesehenen Fuhrern zu einer Unterwurfigkeit gegenuber Autoritaten, was an die Stelle von objektiven Fakten“ trete.<Paul Romer: The Trouble With Macroeconomics. [21]

Laut Fabio De Masi wird von Wissenschaftstheoretikern und realistischen Okonomen zuweilen bezweifelt, dass die Neoklassik uberhaupt als wissenschaftlich bezeichnet werden konne. Denn Grundprinzip der Wissenschaft sei die Uberprufbarkeit der Annahmen (Axiome). Hinzu komme erschwerend, dass haufig nicht einmal die Ergebnisse neoklassischer Voraussagen stimmten. So habe beispielsweise die Einfuhrung des Mindestlohns in Deutschland die Arbeitslosigkeit nicht erhoht, wie von neoklassischen Okonomen in Talkshows prophezeit. Manche Studien fanden sogar einen positiven Effekt auf Nachfrage und Beschaftigung. Vor allem ignoriere die neoklassische Theorie, ?dass Beschaftigte keine Kartoffeln sind.“ Denn hohere Lohne entsprechen nicht nur hoheren Kosten fur die Unternehmen, sondern auch einer Steigerung zahlungskraftiger Nachfrage. [22]

  • E. Roy Weintraub: Neoclassical Economics. In: The Concise Encyclopedia Of Economics. www.econlib.org, abgerufen am 28. Marz 2024 .

Einzelnachweise

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  1. a b Tony Aspromourgos: ‘Neoclassical’ . In: The New Palgrave Dictionary of Economics . Palgrave Macmillan UK, London 1987, ISBN 978-1-349-95121-5 , S.   1?2 , doi : 10.1057/978-1-349-95121-5_723-1 ( springer.com [abgerufen am 23. Januar 2023]).
  2. Roger E. Backhouse: Marginal Revolution . In: The New Palgrave Dictionary of Economics . Palgrave Macmillan UK, London 2016, ISBN 978-1-349-95121-5 , S.   1?5 , doi : 10.1057/978-1-349-95121-5_2237-1 .
  3. Olivier Jean Blanchard: Neoclassical Synthesis . In: The New Palgrave Dictionary of Economics . Palgrave Macmillan UK, London 2016, ISBN 978-1-349-95121-5 , S.   1?5 , doi : 10.1057/978-1-349-95121-5_1218-1 .
  4. Michael Woodford: Convergence in Macroeconomics: Elements of the New Synthesis . In: American Economic Journal: Macroeconomics . Band   1 , Nr.   1 , 1. Januar 2009, ISSN   1945-7707 , S.   267?279 , doi : 10.1257/mac.1.1.267 ( aeaweb.org [abgerufen am 23. Januar 2023]).
  5. Jordi Gali: The State of New Keynesian Economics: A Partial Assessment . In: Journal of Economic Perspectives . Band   32 , Nr.   3 , 1. August 2018, ISSN   0895-3309 , S.   87?112 , doi : 10.1257/jep.32.3.87 ( aeaweb.org [abgerufen am 23. Januar 2023]).
  6. John O. Ledyard: Market Failure . In: The New Palgrave Dictionary of Economics . Palgrave Macmillan UK, London 1987, ISBN 978-1-349-95121-5 , S.   1?5 , doi : 10.1057/978-1-349-95121-5_1052-1 ( springer.com [abgerufen am 23. Januar 2023]).
  7. N. Gregory Mankiw: The Macroeconomist as Scientist and Engineer . In: Journal of Economic Perspectives . Band   20 , Nr.   4 , 1. August 2006, ISSN   0895-3309 , S.   29?46 , doi : 10.1257/jep.20.4.29 ( aeaweb.org [abgerufen am 23. Januar 2023]).
  8. U. Hampicke (1992): Okologische Okonomie, Individuum und Natur in der Neoklassik. Natur in der okonomischen Theorie: Teil 4. S. 20?38.
  9. St. Franz: Grundlagen des okonomischen Ansatzes: Das Erklarungskonzept des Homo Oeconomicus. In: W. Fuhrmann (Hrsg.): Working Paper. In: International Economics. Heft 2, 2004, Nr. 2004-02, Universitat Potsdam
  10. a b Gebhard Kirchgassner: Homo oeconomicus. Mohr Siebeck, Tubingen 2008, S. 13.
  11. Hartmut Kiehling , Wirtschafts- und Sozialgeschichte kompakt , Oldenbourg 2009, S. 105.
  12. ?Intellektuelle Monokultur“. Wirtschaftsstudenten prangern einseitige Lehre an . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung , 6. Mai 2014. Abgerufen am 6. Mai 2014.
  13. Michael Heine, Hansjorg Herr: Volkswirtschaftslehre. Paradigmenorientierte Einfuhrung in die Mikro- und Makrookonomie. Munchen / Wien 2003, S. 233ff.
  14. Vgl. Christian Christen: Politische Okonomie der Alterssicherung. Kritik der Reformdebatte um Generationengerechtigkeit, Demographie und kapitalgedeckte Finanzierung. Marburg 2011, ISBN 978-3-89518-872-5 , S. 321 ff.
  15. Hans Albert: Modell-Platonismus: Der neoklassische Stil des okonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung. In: Heinz Maus, Friedrich Furstenberg (Hrsg.): Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Okonomische Probleme in soziologischer Perspektive. Neuwied/ Berlin 1967, S. 331?367.
  16. Alexander Rosenberg: Economics: Mathematical Politics or Science of Diminishing Returns. University of Chicago Press, 1992.
  17. Alexander Rosenberg: The Cognitive Status of Economic theory. In: Backhouse, Nature of Economic Method. Routledge, London 1994, S. 216?235.
  18. Stephan Schulmeister: Der Weg zur Prosperitat. Ecowin, Munchen 2018, S. 18.
  19. Stephan Schulmeister: Der Weg zur Prosperitat. Ecowin, Munchen 2018, S. 369.
  20. Ulrike Herrmann: Den Nutzen maximieren. Worst-of der Wirtschaftsnobelpreistrager , taz v. 22. 08. 2017. zitiert nach Fabian Scheidler: Der Stoff aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken mussen. Piper Verlag 2021, S. 183 f.
  21. The Economist ; zitiert nach Fabian Scheidler: Der Stoff aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken mussen. Piper 2021, S. 285.
  22. Fabio de Masi: Wirtschaftsmarchen: Die Erklarung von Arbeitslosigkeit. In: Berliner Zeitung . 7. Mai 2023, abgerufen am 9. Mai 2023 : ?Beschaftigte gehen im Unterschied zu Kartoffeln einkaufen.“