Montagne Pelee
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Der Mont Pele mit den Ruinen des 1902 zerstorten
Theaters von Saint-Pierre
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Hohe
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1397
m
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Lage
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Westindische Insel
Martinique
|
Koordinaten
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14° 48′ 47″
N
,
61° 9′ 56″
W
14.813055555556
-61.165555555556
1397
Koordinaten:
14° 48′ 47″
N
,
61° 9′ 56″
W
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Typ
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Schichtvulkan
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Gestein
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Lava- und Ascheschichten
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Letzte Eruption
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1929 bis 1932
|
Der
Mont Pele
1
[
m?? p?'le
],
franzosisch
meist
Montagne Pelee
2
[
m??'ta? p?'le
], ubersetzt ?kahler Berg“, ist ein 1397 Meter hoher
Stratovulkan
auf der zu
Frankreich
gehorenden
Westindischen Insel
Martinique
in den
Kleinen Antillen
. Der
Inselbogenvulkan
ist der hochste
Berg
der Insel. Er gehort seit 2023 als Teil der
Vulkane und Walder des Pelee und die Pitons im Norden von Martinique
zum
UNESCO-Welterbe
.
Charakteristisch fur den Vulkan ist sein dickflussiges, zahfließendes
Magma
, das zur Pfropfenbildung neigt und die
Schlote
verschließen kann, was bei neuerlichen
Eruptionen
außerst explosive Ausbruche zur Folge hat. Diese brechen sich dann oftmals auf dem einfachsten Weg der Druckentweichung durch die Flanken Bahn. So entstehen mehrere hundert Grad Celsius heiße und bis zu 800 km/h schnelle
Glutwolken
, die die Hange hinabgleiten. Hohepunkt der international Aufsehen erregenden Aktivitatsphase zwischen 1902 und 1905 war der außergewohnlich heftige und folgenreiche Ausbruch vom 8. Mai 1902, welcher der an Opferzahlen gemessen weltweit verlustreichste des 20. Jahrhunderts war und auf dem
Vulkanexplosivitatsindex
(VEI) mit der Starke 4 verzeichnet wurde. Wahrend der
lateralen
Eruption wurde die sieben Kilometer vom Gipfel entfernt am Meer liegende Inselhauptstadt
Saint-Pierre
vollstandig vernichtet, wobei Schatzungen zufolge zwischen 28.000 und 40.000 Menschen ihr Leben verloren. Seit der letzten Eruptionsperiode zwischen 1929 und 1932 ist der Vulkan inaktiv und ein beliebtes Reiseziel von Touristen. Die Untersuchungen des Ausbruchs von 1902 fuhrten zu einer umfassenden wissenschaftlichen Uberwachung des Berges und werden heute als Beginn der modernen
Vulkanologie
angesehen.
Mit 1397 Metern ist der am nordlichen Ende Martiniques gelegene Mont Pele die hochste Erhebung der Insel. Es handelt sich um einen bis zum Gipfel bewachsenen, großflachigen
Bergstock
, der vornehmlich aus jungvulkanischem
Konglomerat
und
Bimsstein
-
Tuff
zusammengesetzt ist. Der Vulkan befindet sich an einer Schnittstelle der
kontinentalen
Sudamerikanischen
und
Nordamerikanischen
Platte sowie der
uberwiegend ozeanischen
Karibischen Platte
, also an einer so genannten
Triple Junction
, und ist ein typischer Vertreter eines
Inselbogenvulkans
. Dieser Bogen spannt sich uber mehr als 850 Kilometer von
Puerto Rico
im Norden bis hinab nach
Venezuela
und besitzt beispielsweise mit dem
Soufriere
auf
St. Vincent
und dem
Soufriere Hills
auf
Montserrat
weitere bekannte Vulkane.
Ausschlaggebend fur die Aktivitaten des Mont Pele ist die
Subduktion
der Sudamerikanischen Platte, die sich mit bis zu zwei Zentimetern pro Jahr unter die Karibische schiebt. Da die exakte Grenze zwischen Nord- und Sudamerikanischer Platte im
Atlantischen Ozean
allerdings undefiniert ist, ist unklar, ob nicht vielleicht auch beide unter die kleine Platte tauchen. Der Keil oberhalb des Plattenknicks wird daraufhin infolge von Fluiden aufgeschmolzen, die aus dem Krustenanteil dieser Platte in den Mantel entweichen. Das entstandene
Magma
besitzt eine geringere Dichte als das umgebende Mantelgestein und steigt auf Grund des Auftriebes vertikal auf. Es sucht sich einen Weg an die Erdoberflache. Diese Konstellation ist bemerkenswert, da sich normalerweise die stets dichtere und somit schwerere ozeanische Platte unter eine kontinentale schiebt.
Der Mont Pele ist der namengebende
[1]
Vulkan fur die Peleanische Eruption, einen der gefahrlichsten und unberechenbarsten der neun Eruptionshaupttypen. Sie zeichnet sich durch eine sehr hohe
Viskositat
des aufsteigenden Magmas aus. Dieses kann oftmals noch wahrend des Aufstiegs erharten und den Hauptschlot fur nachfolgende Ausbruche in Pfropfenform verschließen. In der Folge suchen sich die vulkanischen Fluide und Gase Seitenschlote und Risse im Gestein und brechen oftmals unter hohem Druck auf lateralem Wege in Form von
Glutwolken
durch die Flanken des Berges. Diese Pelee-Dynamik zahlt zur Gruppe der an Gase gebundenen Dynamiken (im Gegensatz zu den an Wasser gebundenen Dynamiken) und kann auch dahingehend wirken, dass dickflussige Lava unmittelbar abgelagert wird, sobald sie die Erdoberflache erreicht und an den Austrittsstellen halbstabile
Lavadome
bildet.
[2]
Wenn diese kollabieren, bilden sich an den Berghangen
pyroklastische Strome
.
Vulkanische Aktivitat auf Martinique besteht seit rund 300.000 Jahren. Vulkanologen gliedern die geologische Formationsgeschichte des Berges mittlerweile in drei unterschiedliche Phasen. Den Beginn in dieser Einteilung bildet das Stadium, in dem der Mont Pele noch ein gewohnlicher Stratovulkan mit
plinianischem Eruptionsmuster
war und eine wesentlich großere Hohe als heutzutage aufwies. Sein Hange wurden durch
Lahare
, Lavastrome und kleinteilige vulkanische Ablagerungen geformt. Dieser initiale Berg erhielt im Nachhinein den Namen
Paleo-Pelee
und noch heute sind an der Nord- und an der Westflanke Uberreste dieses Stadiums zu erkennen.
Die so genannte Zwischenphase setzte vor gut 100.000 Jahren nach einer langen Periode der seismischen Ruhe ein. Im Verlaufe dieser Phase kam es zur Herausbildung des Morne-Macouba-Lavadoms sowie spater durch eine große Eruption zur Formung der Morne-Macouba-
Caldera
, als die gesamte Gipfelregion uber der entleerten Magmakammer einbrach und der Berg einen Großteil seiner Hohe einbußte. Es kam noch zu weiteren Ausbruchen, als deren Folge sich zahlreiche pyroklastische Strome bildeten. Vor knapp 25.000 Jahren rutschte die Sudwestflanke in einem gewaltigen
Bergrutsch
ab, der nach Messungen in etwa mit dem
Kollaps des Nordhanges
des
Mount St. Helens
1980 vergleichbar gewesen sein muss.
[3]
Die bis heute vorerst letzte und noch immer andauernde Phase setzte vor etwa 13.000 Jahren ein und ist maßgeblich fur die aktuellen Ablagerungen in der Gipfelregion aus Bims und
Pyroklastika
. Fur die vergangenen 5000 Jahre konnten mehr als 30 Ausbruche nachgewiesen werden. Einer der schwersten war eine enorme Bimssteineruption vor 3000 Jahren, die die Caldera Etang Sec (frz.:
Trockener Teich
) formte. Die Aktivitatsphasen der Jahre 1902 bis 1905 und 1929 bis 1932 fullten diese Caldera mit zwei großen Lavadomen, die zwar teilweise wieder einbrachen, aber noch heute den Gipfel des Vulkans bilden.
Der erste dokumentierte Ausbruch des Mont Pele datiert aus dem Jahre 1630; es handelte sich jedoch nur um eine leichte eruptive Tatigkeit. Funf Jahre spater, 1635, kam es dagegen im Zuge eines schweren Ausbruchs zu einer umfassenden Verwustung der Berghange. Auf Grund dessen erhielt der Vulkan seinen Namen.
[4]
Alfred Lacroix
forschte nach 1902 in der Historie des Vulkans und fand Zeugnisse einer kleinen
phreatischen Explosion
am 22. Januar 1792. Obschon zu jenem Zeitpunkt erst 110 Jahre zuruckliegend, hatte kein Bewohner Martiniques Kenntnisse von dieser Aktivitatsphase. Einzig ein als ?Burger Dupuguet“
[5]
bekannter Augenzeuge veroffentlichte 1795 im
Journal des Mines
einen Bericht. Demnach folgte der Eruption ein starkes Erdbeben, wahrend ein intensiver
Schwefelverbindungsgeruch
in den Talern um den Berg hing. Das Mineral hatte sich auch auf
Farnen
und Felsen abgesetzt. Dupuguet berichtet, dass die Erde an mehreren Stellen aufgerissen gewesen und unzahlige Baume verbrannt seien. Menschliche Verluste waren nicht zu beklagen, es verendeten jedoch neben zahlreichen Vogeln auch 19
Opossums
.
1851 zeigte der Mont Pele, der damals nicht als Bedrohung galt, abermals Anzeichen leichter Aktivitat. Am 5. August gegen 23 Uhr vernahm man in den Siedlungen ein dumpfes, weit entfernt scheinendes Grollen, das sich verstarkte und uber langere Zeit anhielt. Einwohner aus Precheur und Saint-Pierre fluchteten in die Kirchen der Stadt. Die Behorden der Insel stellten in den folgenden Tagen eine wissenschaftliche Kommission zusammen, die die Hange auf der Suche nach der eruptiven Stelle bestieg und untersuchte. Es stellte sich heraus, dass es oberhalb des Riviere Claire an der Westflanke wohl zu einer erneuten phreatischen Explosion gekommen war. Die Vegetation war zerstort und die Umgebung von einer dunnen Ascheschicht bedeckt. Zudem registrierten die Wissenschaftler aggressiven Schwefelverbindungsgeruch und ausstromende Dampfe, die den Himmel verdunkelten. Auf 965 Meter Hohe fanden sich zwei große
Schlammtopfe
. Die vulkanischen Tatigkeiten hielten auf niedrigem Niveau an, bis sie im ersten Halbjahr 1852 ganzlich zur Ruhe kamen. Umfassendste Quelle dieses kleinen Ausbruchs ist ein Bericht der Kommission, der dazu dienen sollte, die Unsicherheit in der Bevolkerung zu zerstreuen und die Anwohner zu beruhigen. Er wurde im offiziellen Amtsblatt der Insel veroffentlicht. Die Ergebnisse verdeutlichen den Mangel an Wissen uber die geologische Beschaffenheit des Vulkans. Im Bericht war zu lesen, man hatte keinerlei
Lava
oder
vulkanische Bomben
gefunden; Schlamm und Asche seien die einzigen Auswurfe des Berges gewesen. Demnach sollte man ihn als Schlamm- und nicht als Feuervulkan klassifizieren, da auch die vorherige Eruption wohl gleichen Typs gewesen sei. Es zeigten sich auch nach intensiven Untersuchungen keine Risse, Erdrutsche oder Gewasserveranderungen und der Schadensbereich sei außerst begrenzt. Die Forscher waren sich sicher, dass Saint-Pierre und Precheur auch wesentlich großere Ausbruche nicht zu furchten brauchten. Die Beschaffenheit der Umgebung der eruptiven Zone sowie die
Erosion
in der
Klamm
des Riviere Blanche wurden fur den Schlamm einen naturlichen Abflussweg ins Meer bilden. Die Bauern der umliegenden Dorfer sollten wieder zuruckkehren und die Arbeit auf den Feldern wieder aufnehmen. Dabei sollten sie sich nicht von den von Zeit zu Zeit auftretenden Eruptivgerauschen und dem nach wie vor beharrlichen Geruch von
Schwefelwasserstoff
verunsichern lassen. Abschließend kam die Kommission im veroffentlichten Bericht zu dem Ergebnis, der Mont Pele sei lediglich eine weitere naturhistorische Kuriositat der Insel, die Besucher sicher gerne sehen wurden. Durch die Geschaftstuchtigkeit der Bewohner konnte sich der Vulkan zu einer Quelle fur Wohlstand und Gesundheit entwickeln. Die Passagiere einlaufender Schiffe aus Frankreich, die schon aus der Ferne die hohe weiße Rauchsaule am Himmel erblicken konnten, wurden sie fur eine pittoreske Dekoration der Insel sowie fur eine Vervollstandigung der Erhabenheit des Berges halten. Heutzutage wird davon ausgegangen, dass dieser beschwichtigende Bericht, in dem ? wohl aus Unwissenheit ? nicht auf die tatsachliche Gefahr durch den Berg hingewiesen wurde, einer der Hauptgrunde fur die hohen Opferzahlen im Jahre 1902 war. Die Bewohner der Vulkanregion hatten demnach den Ernst der Lage unterschatzt und sich auf die 50 Jahre zuruckliegenden Feststellungen der wissenschaftlichen Kommission verlassen.
Die ersten Vorboten fur ein Wiedererwachen des Vulkans waren
Fumarolen
, die im Jahre 1889 am Gipfel beobachtet wurden. Im Januar 1902 verstarkten sich diese; zudem nahmen Bauern an der Westflanke des Berges
Schwefelwasserstoffgeruch
wahr und fanden mehrere verendete Rinder und Vogel. Am 23. April 1902 stieß der Vulkan, begleitet von sanften Erdstoßen, erstmals wieder etwas
Schlacke
aus. Einen Tag spater kam es zu einer kleinen phreatischen Eruption. Einhergehend mit einem leichten Erdbeben erhob sich uber dem Berg eine dunne Dampf- und Aschewolke. Der Alltag der Bevolkerung wurde durch dieses Ereignis jedoch kaum beeintrachtigt. Ahnliche Aktivitaten hatte es bereits in den Jahren 1792 und 1851 gegeben, so dass man ihnen nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Als am 26. April ein Ascheregen uber Saint-Pierre niederging, organisierte man fur den folgenden Tag, den 27. April, eine kleine Expedition zum Gipfel. Die Teilnehmer sahen, dass der als erloschen geltende, 180 Meter weite Nebenkrater Etang Sec, die 3000 Jahre zuvor in der Bimseruption entstandene Caldera, mit kochendem Wasser gefullt war. In der Terre Fendue (
frz.
:
Rissige Erde
), dem Gebiet zwischen Etang Sec und dem kleinen Hauptkratersee Lac des Palmistes, bemerkten sie aus zahlreichen Rissen und Spalten im Gestein aufsteigende Dampfe. Noch wahrend die Expedition unterwegs war, nahmen die Einwohner Saint-Pierres zum ersten Mal Schwefelgeruch in der Stadt wahr. Drei Tage spater, es war der 30. April, traten die von den Berghangen talwarts fließenden Flusse Roxelane und Riviere des Peres uber die Ufer und fuhrten zahlreiche Baumstamme und Felsbrocken aus hoheren Lagen mit sich. Noch am selben Tag ging uber Le Precheur, einem Nachbarort von Saint-Pierre, und St. Philomene ein Ascheregen nieder.
Am 2. Mai kam es um 11:30 Uhr zu einer weiteren Eruption. Eine große schwarze Aschewolke stieg auf und uber fast der gesamten Nordhalfte der Insel regnete es feinen
Bims
, wahrend sich Le Precheur einem weiteren Ascheregen ausgesetzt sah, der einen Teil der Bevolkerung dazu veranlasste, nach Saint-Pierre zu fliehen. Die ersten Nutztiere an den Hangen des Berges starben, da die Asche ihr Futter
kontaminiert
hatte. Die Tageszeitung
Les Colonies
kundigte an, ein fur den 4. Mai geplantes Bergpicknick zu verschieben, und der aus dem
italienischen
Neapel
stammende Marino Leboffe, Kapitan der im Hafen liegenden
Frachtbark
Orsolina
der Reederei Pollio Fratelli S.R.L., außerte seine Besorgnis bezuglich eines drohenden Ausbruchs:
?Ich weiß zwar nichts uber den Mont Pelee, aber wenn der
Vesuv
so aussahe wie euer Berg heute Morgen, wurde ich Neapel verlassen. Und ich verschwinde von hier.“
[6]
In der Folge legte er mit seiner Mannschaft ab, obwohl das Schiff erst zur Halfte mit Zucker beladen war. Anwesende Zollinspektoren drohten ihm deswegen mit einer Gefangnisstrafe und dem Verlust des Kapitanspatents, Leboffe erwiderte jedoch ?Wer will sie [die Strafen] mir auferlegen? Morgen seid ihr alle tot.“ In der darauffolgenden Nacht auf den 3. Mai, einen Samstag, wurde auch die große Kustenstadt von einer dunnen Ascheschicht bedeckt. Die anhaltenden Aschefalle ließen schließlich die Telegraphenverbindung nach Le Precheur abreißen. Bei der Zuckerfabrik
Guerin
, etwa 3,2 km nordwestlich von Saint-Pierre gelegen, sichtete man tausende von Ameisen und
Hundertfußern
, die aus der Erde gekrabbelt waren. Mitarbeiter berichteten, dass die Pferde angefallen worden seien. Zur gleichen Zeit tauchten in den Straßen Saint-Pierres Hunderte giftiger
Lanzenschlangen
(
Bothrops lanceolatus
) auf, die auf Martinique
endemisch
ist. Auch sie waren vor dem unruhigen Berg gefluchtet. Durch ihre Bisse starben Augenzeugenberichten zufolge etwa 50 Menschen und rund 200 Haustiere. Zwei Tage spater, am Montag, dem 5. Mai, brach auf dem Gipfel des Mont Pele der Rand des Etang Sec ein. Der Kratersee ergoss sich uber die Hange. Es entwickelte sich ein Schlammstrom, der den Fluss Riviere Blanche sehr stark anschwellen ließ. Die Zuckerfabrik, die an dessen Mundung ins Meer lag, wurde zerstort und unter einer sechs Meter hohen Schlammschicht begraben. 25 bis 150 Menschen kamen dabei ums Leben. Als der Schlamm den Hafen erreichte, bildete sich eine kleine Flutwelle, die zwar keinen Schaden anrichtete, allerdings erstmals Panik in der Bevolkerung ausloste. Die Zeitungen warnten nun vor einem baldigen Ausbruch, und am nachsten Tag, dem 6. Mai, verließen rund 2000 Einwohner Saint-Pierres den Beschwichtigungsparolen des Burgermeisters zum Trotz die Stadt, mehrere Tausend dagegen kamen aus den umliegenden Orten in Vulkannahe in die Stadt.
Die Nacht auf den 7. Mai war gepragt von einem
Eruptionsgewitter
, das die Anwohner des Vulkans beobachten konnten. Ansonsten jedoch blieb alles ruhig. Zwar wolbte sich am Tag ein Lavadom minimal aus dem Etang Sec, der auch zu kleinen Teilen kollabierte und ungefahrliche
pyroklastische Strome
ausloste, doch eine so genannte wissenschaftliche Kommission kam nach einer Gipfelbesteigung zu dem Ergebnis, ?dass der Mont Pelee keine großere Gefahr fur die Einwohner von Saint-Pierre darstellt als der Vesuv fur jene von Neapel.“ Die Worte stammten vom einzigen Wissenschaftler dieser Gruppe, Gaston Landes, Professor am Lyzeum (d. h. tatsachlich Lehrer an einem
Madchengymnasium
) in Saint-Pierre. Als dann die Nachricht eintraf, dass der Vulkan
Soufriere
auf der Nachbarinsel
St. Vincent
ausgebrochen sei (bei diesem Ausbruch starben etwa 1680 Menschen), wahnten sich die Bewohner
Martiniques
in Sicherheit in dem Glauben, die Erde hatte sich nun beruhigt und die Gefahr fur ihre eigene Insel sei voruber. Trotzdem suchten Hunderte (andere Quellen sprechen von Tausenden) Bewohner des Hinterlandes in Saint-Pierre Schutz fur die Nacht. Dadurch stieg die Einwohnerzahl signifikant an.
Am Morgen des 8. Mai, dem
Himmelfahrtstag
, sandte der Telegraph von Saint-Pierre Meldungen nach
Fort-de-France
und berichtete von einer deutlichen Intensivierung der vulkanischen Aktivitaten. Um 7:52 Uhr riss die Verbindung ab. Zu diesem Zeitpunkt erschutterten drei schwere Eruptionen den Mont Pele, die noch in uber 600 km Entfernung zu horen waren. Die Sudwestflanke des Berges riss auf und eine
Glutwolke
wurde freigesetzt. Gleichzeitig stieg eine
plinianische Wolke
aus dem Gipfel und verdunkelte den Himmel um den Vulkan in einem Radius von 80 Kilometern. Die Glutwolke, die nach spateren Berechnungen eine Geschwindigkeit von etwa 670 Kilometern pro Stunde aufwies, raste auf Saint-Pierre zu und erreichte es nach knapp einer Minute. Die Stadt wurde komplett zerstort, die ungeheure Hitze verbrannte alles Brennbare, u. a. auch
Rumbrennereien
und Lagerhauser, die explodierten und so das Ausmaß der Katastrophe noch verstarkten.
Als die Glutwolke das Meer erreichte, begann dieses zu kochen. Im Hafen detonierten tausende Rumfasser, die fur den Export nach Europa gedacht waren. Die Mehrzahl der 18 vor Anker liegenden Schiffe sank oder verbrannte, so auch der
kanadische
Fracht- und Passagierdampfer
Roraima
der Quebec-Linie, der erst unmittelbar vorher um 6:30 Uhr angelegt hatte. Von den 68 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord uberlebten nur elf. Einzig der Besatzung des britischen Dampfers
Roddam
gelang es, rechtzeitig genugend Abstand zwischen sich und die Kuste zu bringen. Schwer angeschlagen und unter Verlust von mehr als der Halfte der Personen an Bord gelang die Flucht aus dem Hafen. Der
Purser
Thompson, der an Bord der
Roraima
war, berichtete spater:
?Der Berg wurde in Stucke gerissen. Es gab keine Warnung. Die Flanke des Vulkans war herausgerissen und schleuderte eine ungeheure Feuerwand geradewegs auf uns zu. Es klang wie tausend Kanonen. Die feurige Welle sturzte sich wie ein aufflammender Blitz auf uns und ging uber uns hinweg. Sie glich einem Hurrikan aus Feuer. (…) Das Feuer walzte sich in voller Ausdehnung direkt auf St. Pierre und die Schiffe. (…) Der Feuersturm vom Vulkan hielt nur wenige Minuten an. Er schrumpfte zusammen und setzte alles in Brand, was er antraf. Brennender Rum rann in Stromen die Straßen von St. Pierre hinab ins Meer. (…) Nach der Explosion war niemand Lebendiges mehr an Land zu sehen. (…) Das Feuer hatte die Schiffsmasten und Schornsteine hinweggerissen, als waren sie mit einem Messer abgeschnitten.“
[7]
Die Temperatur der Glutwolke muss knapp unter dem Schmelzpunkt von
Kupfer
(1084 °C) gelegen haben, da die kupfernen Telefondrahte der Stadt nicht angeschmolzen waren. Nahezu alle Einwohner von Saint-Pierre kamen innerhalb weniger Sekunden ums Leben. Besonders viele starben in den Kirchen, in denen gerade die Himmelfahrtsmessen stattfanden. In den ersten Stunden wusste niemand, was wirklich passiert war. Der Kontakt in die Stadt hinein war abgerissen, auch der Gouverneur
Louis Mouttet
(1857?1902) war nicht zu erreichen. Spater stellte sich heraus, dass er sich zusammen mit seiner Frau ebenfalls in Saint-Pierre aufgehalten hatte. Man weiß bis heute nicht genau, wie viele Menschen sich zum Zeitpunkt der Eruption im Ort aufgehalten haben. Zu den 28.000 Einwohnern mussen wohl einige tausend Feiertagsgaste und Fluchtlinge hinzugezahlt werden. Folglich schwanken die Angaben uber Opferzahlen zwischen 28.000 und 40.000. Der Ausbruch des Mont Pele verwustete ein 58 Quadratkilometer großes Gebiet. Die Ruinen der Stadt brannten noch mehrere Tage lang bis auf die Grundmauern nieder. Auf Grund der enormen Hitzeentwicklung war es in dieser Zeit zunachst nicht moglich, sich ihr zu nahern.
Wenige Stunden vor dem Ausbruch fand die noch heute existierende franzosische
Bark
Belem
aus
Le Havre
kommend am Morgen des 8. Mai keinen Ankerplatz auf der
Reede
vor Saint-Pierre. Der Stammplatz war durch die
Tamaya
besetzt, was zunachst noch das Missfallen des Kapitans Julien-Marie Chauvelon erregte. Er ließ weiter in Richtung des Ortes Le Robert auf der Ostseite der Insel steuern. Nach 30
Seemeilen
fand die
Belem
in einer Bucht Schutz vor dem Vulkan. Sie entging somit dem Untergang, musste allerdings vor der Weiterfahrt vom Ascheniederschlag gereinigt werden.
[8]
An Land uberlebten nur drei Einwohner Saint-Pierres den Vulkanausbruch. Der junge
Schuhmacher
Leon Compere-Leandre (1874?1936) hielt sich zum Zeitpunkt des Eintreffens der Glutwolke am Ortseingang auf und konnte sich schwer verletzt in das hoher gelegene Dorf Fonds-Saint-Denis retten. Havivra Da Ifrile, ein junges Madchen, war gerade auf dem Weg zur Kathedrale, als ihre Mutter ihr auftrug, in der Konditorei ihrer Tante einige Besorgungen zu machen. Dieser Laden lag neben einem kleinen alten Krater des Vulkans. Als sie ihn erreichte, bemerkte sie aufsteigenden Rauch am Krater, blickte hinein und entdeckte brodelndes Magma. Daraufhin rannte sie zur Kuste, bestieg das Boot ihres Bruders und schaffte es, zu einer Felsengrotte zu segeln, die sie vom Spielen kannte. Wahrend sie in der sicheren Grotte saß, horte sie ein zischendes Gerausch, als die Glutwolke das Meer erreichte. Das letzte, woran sie sich erinnerte, bevor sie das Bewusstsein verlor, war ein rasanter Anstieg des Wassers. Sie wurde spater zwei Meilen vor der Kuste in ihrem Boot treibend vom franzosischen Dampfer
Suchet
gefunden und gerettet. Als heutzutage bekanntester Uberlebender gilt
Louis-Auguste Cyparis
. Der Matrose befand sich zur Zeit der Eruption als Gefangener in einer Gefangniszelle, deren machtige Mauern ihn schutzten. Nach seiner Begnadigung reiste er mit einem Zirkus durch die
Vereinigten Staaten
und wurde zu einer Beruhmtheit.
Im Nachhinein ubten sowohl Inselbewohner als auch verschiedene Augenzeugen massive Kritik an den Stadtbehorden. Diese hatten wesentlich fruher auf die ersten Anzeichen vulkanischer Aktivitat reagieren und die Gebiete um den Berg
evakuieren
mussen. Eine letztlich nicht belegbare, aber oftmals zitierte Begrundung fur das Ausbleiben dieser Maßnahme waren die Bezirkswahlen. Der erste Wahlgang am 27. April 1902 war ergebnislos verlaufen und der zweite auf den 11. Mai angesetzt worden.
[9]
Moglicherweise spielten die politisch Verantwortlichen die Gefahr aus wahltaktischen Grunden bewusst herunter, um moglichst viele potenzielle Wahler in der Stadt zu halten. Die einzigen Einwohner, die sich eine Flucht mit dem Schiff von der Insel leisten konnten, waren die wohlhabenden Wahler der Progressiven Partei Mouttets. Dieser furchtete um seine Stimmen und beeinflusste den konservativen Herausgeber von
Les Colonies
, die vulkanischen Aktivitaten zu verharmlosen. Dennoch reisten im Vorfeld des Ausbruchs zahlreiche Einwohner Saint-Pierres nach Fort-de-France, wohin der Gouverneur daraufhin Gardisten und Wachposten entsandte, um fliehende Personen aus Saint-Pierre zu beruhigen, sie zur Ruckkehr zu bewegen und sie zuruckzuschicken. Am Tag der Eruption verließen die Gegenkandidaten Fernand Clerc und Louis Percin um 6:30 Uhr gerade noch rechtzeitig die Stadt und uberlebten die Katastrophe.
Nach dem Tod des
Gouverneurs
von Saint-Pierre zeichnete der Leutnant-Gouverneur fur erste Krisenhilfen verantwortlich und erließ auch den Befehl zur weitraumigen Evakuierung der Siedlungen in der Nahe des Mont Pele.
Obwohl die Stadt vollstandig vernichtet war, gelang es, in den Monaten nach dem Ausbruch zahlreiche beschadigte Alltagsgegenstande aus den Ruinen von Saint-Pierre zu bergen. Zu den Fundstucken zahlten unter anderem ein angeschmolzenes Parfumflaschchen, die Uberreste einer
Mausefalle
, eine geschmolzene Weinflasche, ein angeschmolzenes Essbesteck, zusammengeschmolzene Munzen, verschmolzene Eisennagel, bis zur Unkenntlichkeit geschmolzenes Glas, ein zerquetschter Kerzenstander, eine Engelsfigur aus korrodiertem Metall, mehrere Statuetten, deren Oberflachen durch die Hitze Sprunge bekommen hatten, eine angeschmolzene Taschenuhr, die um 8:15 Uhr stehengeblieben war, Porzellanteller mit in der Glasur eingeschmolzenen Ascheteilchen, verkohlte Speisen (
Pflaumen
,
Spaghetti
,
Kaffeebohnen
), ein verkohlter Becher, ein geschmolzenes Arzneiflaschchen, ein eisernes
Kruzifix
, dessen Holzkreuz verbrannt war, sowie ein verkohltes menschliches
Huftgelenk
.
[10]
Diese und viele weitere Gegenstande wie beispielsweise auch die deformierte und angeschmolzene Kirchturmglocke sind im
Musee Franck A. Perret
in Saint-Pierre ausgestellt.
Unmittelbar vor der Kuste liegen in 60 Meter Tiefe noch zahlreiche Wracks, so auch jenes der
Roraima
.
Nach der Einfuhrung des
logarithmischen
Vulkanexplosivitatsindex (VEI) durch Chris Newhall und Steve Self im Jahre 1982 wurde der große Ausbruch des Mont Pele vom 8. Mai 1902 als eine Eruption der Starke 4 klassifiziert. Dies ist ein mittlerer Wert, dessen Intensitat als ?groß“ festgeschrieben ist und der bislang 307 Ausbruchen im
Holozan
zugeordnet wurde.
[11]
Die Eruption forderte ungefahr 0,5 Kubikkilometer Asche und Gestein, was im Vergleich zu anderen großen Ausbruchen relativ wenig ist. So stieß der
guatemaltekische
Santa Maria
im Oktober des gleichen Jahres mehr als 5,5 km³
Tephra
aus
[12]
(VEI 6) und der
Novarupta
zehn Jahre spater zwolf
[13]
bis 15 km³
[12]
(VEI 6). Der international mit großen Medieninteresse verfolgte und auch von popularwissenschaftlicher Seite vielfach beschriebene
Ausbruch des Mount St. Helens 1980
(VEI 5) produzierte mit 1,2 km³
[13]
[12]
etwas mehr als die zweifache Aschemenge des Mont Peles, ebenso wie der
El Chichon
1982 (VEI 4).
[13]
[12]
Als Mitte Juni 1991 der
Pinatubo
auf den
Philippinen
mit einem VEI-Wert von 6 explodierte, betrug der Massenausstoß zwischen sieben
[13]
und zehn
[12]
Kubikkilometern, was ihn zu einem der machtigsten des vergangenen Jahrhunderts macht. Auch der bislang intensivste Vulkanausbruch des 21. Jahrhunderts ubertrifft auf der Skala den Mont Pele: Der
Chaiten
in
Chile
stieß zwischen dem 2. Mai 2008 und dem 5. Mai 2009 zwischen vier und funf Kubikkilometer Asche aus und ist mit VEI 5 gelistet.
[14]
Gemessen an den Opferzahlen ist der Ausbruch vom 8. Mai mit mindestens 29.000 Toten jedoch der verlustreichste des 20. Jahrhunderts. Der einzige andere Vulkan, der sich dieser Marke annaherte, war der
Nevado del Ruiz
in
Kolumbien
, dessen
Lahare
1985 zwei Stadte ausloschten. Die genaue Opferzahl ist auch in diesem Fall unbekannt, wird jedoch zumeist mit 23.000
[15]
angegeben. Bezieht man sich auf Todesfalle, die in direktem Zusammenhang mit den eruptiven Tatigkeiten ? also beispielsweise Glutlawinen, Ascheregen, Lavastromen, Gasaustritten und ahnlichem ? stehen, forderte auch im kompletten 19. Jahrhundert keine vulkanische Tatigkeit mehr Menschenleben als jene am Mont Pele. Die mehr als 36.000 Opfer des
Krakataus
1883 sind mehrheitlich dem durch dessen Ausbruch ausgelosten
Tsunami
zuzuschreiben und die Eruption des
Tambora
im Jahre 1815 ? die schwerste in neuzeitlicher Zeit ? totete mindestens 56.000 Menschen, von denen die meisten jedoch in den Wochen nach dem Ausbruch den Hungersnoten erlagen.
Zwischen Mai und Juli war der Vulkan noch sehr aktiv mit mehreren starken Eruptionen. Von dem bereits am 7. Mai im Etang Sec gesichteten
Lavadom
brachen auch nach der Haupteruption vom 8. Mai immer wieder großere Teile ab und losten pyroklastische Strome aus, beispielsweise am 20. Mai, als auch noch die letzten verbliebenen Gebaude Saint-Pierres zerstort wurden sowie am 6. Juni und 9. Juli. Alle Strome flossen in Richtung der ehemaligen Inselhauptstadt ab. Ende Juli ließ die Intensitat der Aktivitaten nach, weshalb der Gouverneur beschloss, die Fluchtlinge zuruckzuschicken ? nicht zuletzt deshalb, weil man in den zumeist uberfullten Fluchtlingslagern den Ausbruch von Seuchen befurchtete. Ende August wurde erneut eine stark erhohte vulkanische Aktivitat registriert. Es kam jedoch zu keinen weiteren Evakuierungen, da man davon ausging, eventuelle pyroklastische Strome wurden, wie auch ihre Vorganger, west- oder sudwestwarts in jene Gebiete abfließen, die ohnehin nach dem großen Ausbruch entvolkert waren. Am 30. August 1902 kollabierte jedoch ein Teil des Lavadoms und loste einen Strom aus, der zwar nicht die Große der vorherigen erreichte, sich allerdings uber die sudostlichen Flanken walzte. In Morne Rouge, der nachstgroßten Stadt der Umgebung, verloren 800 Menschen ihr Leben, in L’Ajoupa-Bouillon starben 250 Personen, in Basse-Pointe 25 sowie in der Ortschaft Morne-Capot zehn Einwohner.
[16]
Diese bis heute letzte todliche Aktivitat des Mont Peles verheerte eine Flache von 56 Quadratkilometern.
[17]
Im Oktober 1902 bildete sich im Etang Sec eine Felsnadel als oberflachlich erstarrte Spitze einer emporgepressten Lavasaule. Sie wuchs sehr schnell, teilweise bis zu 15 Meter am Tag, und erreichte als Maximum eine Hohe von 211 und am Sockel einen Durchmesser von 160 Metern. Die Nadel besaß in etwa das Volumen der
Cheops-Pyramide
und brach zwischen dem 6. Juli und dem 10. August 1903 etappenweise zusammen. An ihrer statt wuchs an gleicher Stelle ein Lavadom, der von einem steilen Zacken gekront war, dessen Spitze im September 1904 1479 Meter, Ende Oktober des gleichen Jahres aber nur noch 1458 Meter Hohe uber dem Meeresspiegel aufwies. Die letzte kleine Eruption seiner dreijahrigen Aktivitatsphase seit 1902 hatte der Mont Pele am 4. Juli 1905.
Seine bis heute (Februar 2019) letzte Aktivitatsphase hatte der Vulkan in den Jahren 1929 bis 1932. Zunachst formte sich ein neuer Lavadom im Etang Sec und ab Marz 1929 konnte man in der Gipfelregion eine ungewohnlich verstarkte fumarole Tatigkeit beobachten. Am Morgen des 16. August ereignete sich eine Dampfexplosion und eine kleine Aschewolke stieg aus dem Krater empor, wahrend auf der
Leeseite
des Berges leichter Ascheregen fiel. Zudem kam es in der Gipfelregion zu einigen Erdrutschen. Die Intensitat der vulkanischen Tatigkeiten nahm in den folgenden Wochen weiter zu und am 16. September veranlassten plotzliche Eruptionen die Behorden zur Evakuierung aller Ortschaften am Berg. Die Bevolkerung durfte Anfang Oktober zuruckkehren. Ein wesentlich starkerer Ausbruch in den fruhen Morgenstunden des 14. Oktober sorgte fur intensiven Ascheregen in der Ortschaft Precheur und vier Tage spater, am 18. Oktober, bedeckte ein ebensolcher die westlichen Flanken des Mont Pele. Ein erster pyroklastischer Strom vom neuen Dom loste sich am 22. Oktober und erreichte uber das Tal des Riviere Blanche nach knapp zehn Minuten das Meer. Es kam zu einer weiteren Steigerung der Aktivitat, allerdings mit nachlassender Intensitat. Diese dreijahrige eruptive Phase, deren samtliche pyroklastische Strome uber den Riviere Blanche abflossen und die hauptursachlich fur das gegenwartige Erscheinungsbild des Berges verantwortlich ist, endete im Dezember 1932. Sie forderte keine Todesopfer. Es verendeten allerdings zahlreiche Nutztiere an den Hangen und eine Straße zwischen Saint-Pierre und Precheur wurde zerstort.
Am 19. und 20. Juni 2010 gingen zwei großere, nichtvulkanische Lahare im Tal des
Riviere du Precheur
nieder, die Straßen und Brucken zerstorten, jedoch keine menschlichen Opfer forderten. Sie wurden ausgelost, als es am Samperre, einem Berg oberhalb des Riviere du Precheur, der durch teils locker geschichtetes Eruptionsgestein des Mont Pele gebildet wird, zu einem
Bergsturz
kam.
[18]
Der Ausbruch des Mont Pele vom 8. Mai 1902 und insbesondere die Untersuchung der Ursachen der lateralen Eruption gelten als Geburtsstunde der modernen
Vulkanologie
, da sie das Interesse zahlreicher namhafter internationaler Wissenschaftler weckten und der Ausbruch als erste vulkanische Eruption umfassend erforscht und analysiert wurde.
Einer der ersten Dokumentatoren vor Ort war der Naturkundler und Fotograf
Angelo Heilprin
, der nur wenige Monate nach dem Ausbruch eine beruhmt gewordene Fotoserie von den Ruinen Saint-Pierres, den verwusteten Hangen des Berges, den vulkanischen Tatigkeiten und den Fels- und Lavaformationen in der Gipfelregion anfertigte. Bereits am 16. Mai 1902 traf der
US-amerikanische
Geophysiker
Thomas A. Jaggar
(1871?1953) zusammen mit anderen Wissenschaftlern und Journalisten aus
New York City
kommend am Mont Pele ein. Schockiert uber das Ausmaß der Zerstorung widmete er sich in den Folgejahren intensiv der Vulkanforschung mit dem Ziel, Schutzmaßnahmen fur Anwohner zu entwickeln. Er grundete 1912 das
Hawaiian Volcano Observatory
, das er dem Leitsatz ?Ne plus haustae aut obrutae urbes“ (
de.:
?Nie mehr sollen Stadte zerstort werden“) unterstellte.
[19]
Im Juni reiste der Geologe Alfred Lacroix im offiziellen Auftrag der franzosischen Regierung nach Martinique und fuhrte bis September 1903 umfangreiche Studien durch. Er erkannte als erster das vulkanische Phanomen der gluhend heißen lateralen, teilweise gasformigen Eruptionswolke und bezeichnete sie als
nuee ardente
(
de.:
Glutwolke
). Gemeinsam mit Jaggar klassifizierte er den Eruptionstyp als peleanische Eruption und erkannte erstmals die Notwendigkeit einer permanenten Uberwachung des Vulkans. Um diese zu gewahrleisten, ließ er wahrend seines Aufenthaltes auf der Insel zwei Uberwachungsstationen errichten, eine an der Ostkuste in Assier und eine auf dem Morne-des-Cadets in Fonds-Saint-Denis. Uber die Ergebnisse seiner Forschungen veroffentlichte Lacroix in Frankreich mehrere Bucher.
Nach dem Ende der eruptiven Tatigkeit 1905 schwand jedoch das Interesse an der Erforschung des Vulkans. Dieser Umstand, der Mangel an adaquater Ausrustung und Lucken in der zeitlichen Uberwachung des Berges sind die Grunde dafur, dass die Hauptanzeichen fur den Ausbruch 1929 zunachst unbemerkt blieben. Wahrend der darauf folgenden Eruptionsphase ließ der Vulkanologe
Frank A. Perret
1929 einen
Seismographen
installieren und 1931 eine kleine Beobachtungshutte auf dem Morne Lenard uber dem Tal des Riviere Blanche einrichten. Der noch heute in Betrieb befindliche Seismograph geht auf den Entwurf von
Auguste Piccard
und
Alfred de Quervain
aus dem Jahre 1922 zuruck. Das Instrument besteht aus einer 20 Tonnen schweren Masse, die mit einer im Boden verankerten, mit Rußpapier uberzogenen Registriertrommel verbunden ist.
[20]
1937 erfolgte die Errichtung des noch bestehenden
Vulkanobservatoriums
am Ort der alten Uberwachungsstation Lacroix’ auf dem Morne-des-Cadets. Heutzutage gehort der Mont Pele zu den am besten beobachteten und untersuchten Vulkanen weltweit. Die Forscher im Observatorium sind mehrheitlich Mitglieder des
Institut de physique du globe de Paris
(IPGP), das die Station als eine von weltweit funfen leitet. Neben
seismischen
Untersuchungen werden auch Messungen der Verformung der Hange sowie hydrogeochemikalische Analysen zur Bestimmung der Gaskonzentration und -zusammensetzung in den Gewassern am Berg durchgefuhrt.
Was sich die wissenschaftliche Kommission in ihrem Untersuchungsbericht von 1851 erhofft hatte, ist mittlerweile Wirklichkeit: Der Mont Pele hat sich ? obschon aus alpinistischer Sicht nicht besonders herausragend ? auf Grund seiner Geschichte zu einer bedeutenden naturhistorischen Sehenswurdigkeit entwickelt und ist fur viele Touristen einer der Hauptgrunde, Martinique zu bereisen. Auch sind noch zahlreiche Ruinen des alten Saint-Pierre zu besichtigen, wie etwa das
Theater
, die Fortkirche oder das Pflegeheim
Bethlehem
(
frz.:
Asile ?Bethleem“). Die im Hafen oder unmittelbar vor der Kuste gesunkenen Schiffe, die untergingen, als die Glutwolke das Meer erreichte, sind ein beliebtes Ziel fur Hobbytaucher und Tauchtouristen.
Der Berg kann sowohl mit Fuhrungen als auch eigenverantwortlich bestiegen werden, vornehmlich zwischen Dezember und April. Doch auch wahrend dieser Zeit ist die Spitze regelmaßig in Wolken gehullt. Die Kletterei am Mont Pele wird mit dem
Schwierigkeitsgrad I (UIAA)
klassifiziert. Am haufigsten wird er von Sudosten bestiegen. Diese Route beginnt am Parkplatz der ersten Berghutte (frz.: Premier Refuge) auf 824 Metern Hohe und fuhrt uber die zweite Hutte (frz.: Deuxieme Refuge;
1245
m
) und den Kegel von 1902 (
1364
m
) zur dritten Hutte (frz.: Troisieme Refuge;
1320
m
) und schließlich uber den Dom von 1929 zum Gipfel
Le Chinois
(
1397
m
). Der Ruckweg ist uber die
Caldera
moglich. Auch aus westlicher Richtung ist der Aufstieg moglich. In diesem Falle erfolgt die Zufahrt ab
Quartier du Cimentier
bei
Precheur
auf einer schmalen und steilen Betonstraße bis zu einem kleinen Parkplatz auf 630 Meter Hohe. Der anschließende Aufstieg fuhrt direkt zur dritten Hutte. Die reine Gehzeit betragt je nach Kondition, gewahltem Parkplatz und Einbeziehung der Caldera etwa drei bis sechs Stunden.
Am 16. September 2023 wurden der
Mont Pele
und der Bergzug
Pitons du Carbet
als Naturerbestatten in das
UNESCO-Welterbe
aufgenommen.
[21]
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1
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