Die
Modelltheorie
ist ein Teilgebiet der
mathematischen Logik
. Inhalt der Modelltheorie sind die Beziehungen zwischen den rein formalen Ausdrucken einer Sprache (
syntaktische Ebene
) und deren
Bedeutung
(
semantische Ebene
). Diese Beziehung wird uber sogenannte
Interpretationen
und eine als Erfullungsrelation bezeichnete mathematische
Relation
hergestellt.
Ganz allgemein gesprochen beschaftigt sich die Modelltheorie mit der Konstruktion und der Klassifikation von allen (moglichen) Strukturen und Klassen von Strukturen, im Besonderen mit solchen Strukturen, die axiomatisierbaren Sprachen oder Theorien entsprechen. Dabei geht es u. a. um die Aufgabe,
Modelle
fur ein vorgegebenes
Axiomensystem
zu konstruieren ? oft geht es um Modelle mit zusatzlichen Eigenschaften, die im Axiomensystem aber nicht spezifiziert werden konnen, z. B. die
Kardinalitat
des Modells. Weiterhin beschaftigt sich die Modelltheorie mit der
Aquivalenz von Modellen
, etwa der Frage, ob in ihnen die gleichen Aussagen gelten, und der Frage, wie viele (nichtisomorphe) Modelle eines Axiomensystems es gibt.
Ein
Modell
im Sinn der Modelltheorie ist eine mit einer gewissen Struktur versehene Menge (Universum, Individuenbereich, Tragermenge oder Domane genannt), auf die eine Menge von Aussagen zutrifft.
Dass die Tragermenge
eine Struktur habe, bedeutet, dass gewisse Relationen auf
definiert sind, also Teilmengen kartesischer Produkte
. Das Tupel aus Universum
und den Relationen heißt Struktur. Eine Struktur heißt Modell einer Aussage, falls die Aussage als eine Aussage uber die Struktur interpretierbar ist und dort erfullt wird.
Beispiel.
Zu den einfachsten Strukturen zahlen
Graphen
. Ein Graph
ist ein Tupel
mit
. Das Universum ware hier
und die (in diesem Fall einzige) Relation ware
. Um eine Aussage wie ?Julian und Chelsea sind Freunde“ in
zu interpretieren, konnte man (in diesem Fall musste man, da es keine andere Relation gibt)
als Freundschaftsrelation interpretieren; Julian und Chelsea mussten mit Individuen
aus dem Universum
identifiziert werden. Falls dann
, ware die Aussage in der Struktur
erfullt und
ware ein Modell fur die Aussage. Falls aber
leer ware, gabe es keine Moglichkeit,
so zu wahlen, dass sie Freunde sind, und die Aussage ware in dieser Struktur
nicht erfullt.
Allgemeiner wird nicht nur eine Aussage, sondern eine Menge von Aussagen in einer Sprache betrachtet. Die Modelltheorie beschaftigt sich mit den Fragen, welche Modelle jede Aussage der Menge erfullen und ob die Menge uberhaupt ein Modell hat.
Die erste Schwierigkeit ist die Entscheidung, welche Strukturen fur die Aussagen einer Sprache als Modelle in Frage kommen. Dafur wurde der Begriff der
Signatur
eingefuhrt, der jeden
Aussagensatz
der Sprache in Subjekt und Pradikat aufzuteilen sucht. Subjekte konnten
Eigennamen
(jede Sprache spricht uber gewisse Objekte und benutzt manchmal dafur Eigennamen),
Variablen
(sozusagen Pronomen, sie sind keine Eigennamen, beziehen sich aber auf die Objekte, uber die die Sprache spricht) oder
Terme
(andere mogliche Subjekte) sein. Die Grundidee in der Modelltheorie ist,
- Variablen mit nullstelligen Relationen,
- Eigennamen mit einstelligen Relationen, die nur ein Element enthalten,
- Terme mit
Funktionen
(das sind linkstotale, rechtseindeutige Relationen) und
- Pradikate
mit den ubrigen Relationen
zu assoziieren. Wie allgemein die Definitionen gemacht werden, hangt vom Kontext ab: In der
Kategorientheorie
versucht man sehr allgemein vorzugehen, in der Informatik deutlich weniger allgemein, in der Mathematik beschrankt man sich oft auf eine einzige Sprache (die Pradikatenlogik erster Stufe). Daher gibt es keine einheitlichen Definitionen, fur Details sei auf die Haupteintrage verwiesen.
Eine
Signatur
ist ein Tupel
bestehend aus drei Mengen und einer Funktion.
ist die Menge der Symbole fur Relationen,
ist die Menge der Symbole fur Funktionen,
ist die Menge der Symbole fur Konstanten,
ist eine Funktion, die jedem Symbol eine Stelligkeit (engl.
arity
) zuordnet.
Die Mengen
und
mussen paarweise disjunkt sein, durfen aber auch leer sein. Im Prinzip durfen sie auch unendlich sein, aber in aller Regel sind sie endlich. Die Elemente aus
nennt man
nichtlogische Symbole
.
Sei
eine Signatur. Eine
-
Struktur
ist ein Tupel bestehend aus:
- einer nichtleeren Menge
, dem
Universum
,
- einer
-stelligen Relation
fur jedes
-stellige Relationssymbol aus
,
- einer
-stelligen Funktion
fur jedes
-stellige Funktionssymbol aus
,
- einem Element
fur jedes Konstantensymbol aus
.
Sei
eine Sprache mit Variablen, Eigennamen, Termen und Pradikaten. Eine
Interpretation
von
in einer Struktur
ist eine Zuordnung
- der Individuennamen auf die Konstanten von
,
- der Terme auf die Funktionen von
,
- der Pradikate auf die ubrigen Relationen von
.
Eine
Belegung
ist eine Zuordnung
- der Variablen auf das Universum von
.
Eine Interpretation ist also moglich, falls die Sprache zur Signatur passt. Durch die Interpretation und die Belegung wird
zu einer Aussage uber die Struktur
. Meistens wird die Belegung als Teil der Interpretation definiert.
Sei
eine beliebige Sprache und
eine Teilmenge der Sprache. Eine Struktur
heißt
Modell
von
, falls es eine Interpretation (mit einer Belegung) gibt, sodass jedes Element aus
einer Aussage entspricht, die in der Struktur erfullt ist. Symbolisch:
, gesprochen:
erfullt
, oder auch,
ist wahr in
.
Man sagt, eine Aussage
folge
modelltheoretisch
aus einer Aussage
, falls jedes Modell von
auch ein Modell fur
ist; symbolisch:
.
Die Folgerungsrelation
wird dann auf beliebige Aussagemengen erweitert: Eine Aussagenmenge
folgt
modelltheoretisch
aus einer Aussagenmenge
, falls jedes Modell von
ein Modell fur
ist; symbolisch:
.
Unter der
Theorie eines Modells
versteht man die Menge aller Aussagen, die in ihm gelten. Jede Theorie
eines Modells ist
vollstandig
, das heißt, zu jeder Aussage
ist entweder
oder
.
- Eine Axiomenmenge lasst sich oft einfacher als Theorie eines Modells angeben als in einer aufzahlenden Form.
- Die Existenz eines Modells beweist, dass sich die Axiome nicht widersprechen, sie sind also konsistent. Eine Logik hat die Eigenschaft der Vollstandigkeit, falls umgekehrt jede konsistente Aussagenmenge ein Modell hat (dies gilt fur die
Pradikatenlogik erster Stufe
, siehe
weiter unten
).
- Existieren sowohl Modelle mit einer gewissen Eigenschaft als auch solche, die diese Eigenschaft nicht haben, so ist damit die logische Unabhangigkeit der Eigenschaft von den Axiomen bewiesen, d. h., diese Eigenschaft folgt nicht aus den Axiomen und lasst sich auch nicht auf Grundlage der Axiome widerlegen.
- Jeder Satz einer formalen Sprache induziert eine Menge endlicher Modelle, die ihn erfullen. So kann man jede Sprache als die Vereinigung aller Modelle, die von den Satzen der Sprache erfullt werden, betrachten. Eine Sprache heißt dann in einer Logik definierbar, wenn es einen Satz der Logik gibt, der von derselben Menge von Modellen erfullt wird. In der
deskriptiven Komplexitatstheorie
wird der Zusammenhang zwischen der
Komplexitatsklasse
einer Sprache und ihrer Definierbarkeit in gewissen Logiken untersucht.
Die geordnete Menge der rationalen Zahlen ist ein Modell fur die Axiome der
dichten
offenen
strengen Totalordnungen
:
(Trichotomie)
(Antisymmetrie)
(Transitivitat)
(Offenheit)
(Dichtheit)
Die geordnete Menge der reellen Zahlen und alle Teilmengen der reellen Zahlen, die die rationalen Zahlen enthalten, sind Modelle.
Die Theorie der dichten offenen strengen Totalordnungen ist ein Standardbeispiel in der Modelltheorie. Sie hat u. a. folgende Eigenschaften:
- Sie ist endlich axiomatisierbar, hat aber keine endlichen Modelle.
- Sie ist vollstandig und
modellvollstandig
.
- Alle abzahlbaren Modelle sind isomorph (zum
Beweis
), in uberabzahlbaren Kardinalzahlen gibt es nicht isomorphe Modelle. In der Sprache der Modelltheorie heißt das: Sie ist
-
kategorisch
, aber nicht kategorisch in uberabzahlbaren Kardinalzahlen: Ist
eine uberabzahlbare Kardinalzahl, so hat diese Theorie
nicht-isomorphe Modelle der Machtigkeit
.
- Sie ist der (eindeutig bestimmte)
Modellbegleiter
der Theorie der linearen Ordnung.
- Sie besitzt mit den rationalen Zahlen ein
Primmodell
. (Das ist ein Modell, das in jedes andere Modell elementar eingebettet werden kann.)
- Jedes Modell ist
atomar
.
- Sie hat
Quantorenelimination
.
- Sie ist nicht
stabil
.
Das einelementige Universum, das nur die Konstante
c
enthalt, ist ein Modell fur das Axiom
uber der
Signatur
.
Wie kann ein Modell fur die folgende Menge von
Aussagen
uber
aussehen (
sei eine Konstante,
sei eine zweistellige Relation)?
![{\displaystyle \forall x,y,z\,[(x=y)\vee (y=z)\vee (x=z)]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/0d756b039d20d813e02ebc4bfc56ef2463019a8b)
![{\displaystyle \exists x,y\,xRy}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/7f32eb3659cf2aa6647267c6f7b3caa8c4004d99)
![{\displaystyle \neg \exists x\,xRx}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/f60b5abe6b34aa7be122a5d68fdc02898080635b)
![{\displaystyle \forall x,y\,[xRy\rightarrow \neg (yRx)]}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ecfb8c65321663bfe72c70e5f5ebc175102e43de)
Die erste Aussage bestimmt, dass das Universum maximal zwei Elemente enthalt, die zweite und dritte Aussage zusammen gelten nur, wenn es zwei Elemente enthalt.
Es gibt bis auf Isomorphie nur zwei Modelle (wobei wir das Universum
zugrunde legen):
und
Das Modell
ist isomorph zu
. (Es gibt eine Isomorphie, die
auf
abbildet und
auf
.)
Die Aussagenmenge
![{\displaystyle \forall x\,xRx}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/27dd46055d3f9cea1873e36c8f9b10a911910db5)
![{\displaystyle \exists x\,\neg (xRx)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/c588656d2d214c39fc80b0e66d678807f6ccf8be)
ist nicht erfullbar, das heißt, sie hat kein Modell.
Es konnten Kriterien fur Aussagenmengen der Pradikatenlogik erster Stufe gefunden werden, die die Existenz von Modellen garantieren.
- So besagt etwa der
Godelsche Vollstandigkeitssatz
, dass jede syntaktisch konsistente Theorie (also jede Menge von geschlossenen Formeln, aus der kein logischer Widerspruch herleitbar ist) ein Modell hat.
- Der
Kompaktheitssatz
besagt, dass ein (unendliches) Axiomensystem genau dann ein Modell hat, falls jedes endliche Teilsystem ein Modell hat.
- Der
Satz von Lowenheim-Skolem
sagt daruber hinaus aus, dass jede Theorie (in einer abzahlbaren Sprache der Pradikatenlogik), die uberhaupt ein unendliches Modell hat, auch ein Modell jeder unendlichen
Kardinalitat
hat.
Die
Endliche Modelltheorie
ist ein Teilbereich der Modelltheorie, der auf die Eigenschaften logischer Sprachen (wie etwa der
Pradikatenlogik
) sowie auf endliche Strukturen wie etwa endliche Gruppen, Graphen und die meisten
Maschinenmodelle
fokussiert ist. Ein Schwerpunkt liegt dabei insbesondere in den Beziehungen zwischen logischen Sprachen und der
Berechenbarkeitstheorie
. Weiterhin bestehen enge Bezuge zur
diskreten Mathematik
, zur
Komplexitatstheorie
und zur Theorie der
Datenbanken
.
Typische Fragen in der endlichen Modelltheorie sind, zu welchen
Kardinalitaten
sich fur ein gegebenes
Axiomensystem
Modelle schaffen lassen. So ist diese Frage fur die
Korperaxiome
vollstandig geklart:
Primzahlen
und Primzahlpotenzen sind die alleinigen Kardinalitaten endlicher Modelle. Diese Menge naturlicher Zahlen heißt dann
Spektrum der Korperaxiome
.
Es ist bisher ungeklart, ob das Komplement eines Spektrums stets wieder ein Spektrum ist: Gesucht ist also eine Axiomenmenge dergestalt, dass alle endlichen Modelle eine Kardinalitat im Komplement des Spektrums besitzen. Diese Frage hangt auch mit dem
P-NP-Problem
aus der
Komplexitatstheorie
zusammen.
Die Ursprunge der Modelltheorie finden sich in der Algebra des 19. Jahrhunderts, so wie sie im umfangreichen Werk von
Ernst Schroder
:
Vorlesungen uber die Algebra der Logik
(1890?1905) dargestellt wird. Zentral war der Individuenbereich (damals auch
Denkbereich
genannt), auf den man einen algebraisch Ausdruck anwandte. Schroder fuhrte auch den Begriff der Struktur ein. Aber die Begriffe blieben undefiniert. Diese Tradition setzte sich selbst bei logisch-axiomatisch veranlagten Mathematikern wie
Ernst Zermelo
fort, der bei der Axiomatisierung der Mengenlehre den Begriff
Individuenbereich
ebenfalls ohne Definition lasst, obwohl seine Axiomatisierung auf dem Begriff grundete. Selbst
Albert Thoralf Skolem
, der einige Begriffe Zermelos zu prazisieren suchte, verwendete den Begriff ohne weitere Erklarung.
Der wohl erste Versuch einer Formalisierung findet sich bei Rudolf Carnap. Aber die moderne Modelltheorie weicht in wichtigen Punkten von seiner Auffassung ab. Er bezog Modelle (wie damals ublich) auf Axiomensysteme und nicht auf Aussagenmengen, sodass ein Axiomensystem schon dann ein Modell hatte, wenn die Axiome des Systems erfullt sind. Das ist aus wichtigen Grunden in der modernen Auffassung nicht mehr notwendig. Carnap verstand unter einem Modell fur die axiomatischen Grundzeichen eines gegebenen Axiomensystems bezuglich eines gegebenen Individuenbereichs
Folgendes: eine Bewertung fur diese Zeichen derart, dass sowohl der Bereich
als auch die Bewertung ohne Gebrauch deskriptiver Konstanten angegeben wird. Ein Modell fur die Grundzeichen heißt ein Modell fur ein Axiomensystem, wenn es alle Axiome erfullt, d. h., wahr macht.
[1]
Der Durchbruch zum modernen Verstandnis kam durch Alfred Tarski, der die Semantik eines Axiomensystems von seiner Syntax trennte und der Semantik den Vorrang vor der Syntax einraumte: Eine
syntaktische Folgerung
ist korrekt, wenn sie
semantisch
erfullt ist. Als weitere wichtige Meilensteine gelten die
Herbrand-Struktur
von
Jacques Herbrand
(1930) und die Wahrheitsdefinition von Tarski und
Robert Vaught
in
Arithmetical extensions of relational systems
(1956), die einige Unzuganglichkeiten von Tarskis ursprungliche Wahrheitsdefinition der 1930er Jahre aufhob. Besonders wichtig fur die Anwendungen in der Algebra waren die Arbeiten von
Anatoli Malzew
, der bereits ab 1936 Sprachen mit uberabzahlbar vielen logischen Symbolen einbezog.
- C. C. Chang, H. J. Keisler:
Model Theory.
Studies in Logic and the Foundations of Mathematics, Band 73, Elsevier Science, 1990,
ISBN 0-444-88054-2
.
- Wilfrid Hodges
:
Model Theory.
Cambridge University Press, 1993,
ISBN 0-521-30442-3
.
- Dirk W. Hoffmann
: Grenzen der Mathematik. Springer Spektrum, 3. Auflage, Berlin 2018,
ISBN 978-3-662-56616-9
, Kapitel 7: Modelltheorie.
- David Marker:
Model Theory: an introduction.
Springer Verlag, New York 2002,
ISBN 9780387987606
.
- Wolfgang Rautenberg
:
Einfuhrung in die mathematische Logik.
Vieweg Teubner, 3. Auflage, Wiesbaden 2008,
ISBN 978-3-8348-0578-2
, Kapitel 5: Elemente der Modelltheorie.
- Philipp Rothmaler:
Einfuhrung in die Modelltheorie.
Spektrum Akademischer Verlag, 1995,
ISBN 978-3-86025-461-5
.
- Wolfram Schwabhauser
:
Modelltheorie I.
BI Hochschultaschenbucher
Band 813, Bibliographisches Institut Mannheim 1971.
- Wolfram Schwabhauser:
Modelltheorie II.
BI Hochschultaschenbucher Band 815, Bibliographisches Institut Mannheim 1972.
- Herbert Stachowiak:
Allgemeine Modelltheorie.
Springer Verlag, Wien / New York 1973,
ISBN 3-211-81106-0
.
- ↑
Rudolf Carnap:
Einfuhrung in die symbolische Logik.
3. Auflage. Springer, Wien / New York 1968, S. 174.