Dieser Artikel behandelt den Begriff Modell aus allgemeinwissenschaftlicher Perspektive; zu anderen Bedeutungen siehe
Modell (Begriffsklarung)
.
Modell (
Kugel-Stab-Modell
) des
Benzol
-
Molekuls
(?Benzolring“)
Unter einem
Modell
versteht man in
Wissenschaft
und
Philosophie
eine Abbildung oder Reprasentation eines Objektes, eines Verhaltens oder eines Systems, das man verstehen mochte.
[1]
Eine einheitliche Terminologie ist aber weder in der Wissenschaft noch in der Philosophie in Gebrauch.
[2]
Die Unterscheidung zwischen Modell und Theorie ist unscharf. Wegen seines oft vorhandenen theoretischen Inhalts und weil eine
Theorie
oft mit Hilfe eines Modells dargestellt wird, werden beide Begriffe gelegentlich synonym verwendet.
[An 1]
Der Begriff des
Modells
stammt, seiner ursprunglichen Bedeutung nach, vom lateinischen ?modulus? (Maß, Takt, Vorbild) ab; entsprechend auch das italienische ?modello?, das franzosische Wort ?modele?, und das englische Wort ?model?. Im Zusammenhang mit der vor allem
nominalistischen
Stromung der neuzeitlichen Philosophie gewann der Begriff des Modells diejenige Bedeutung, die er bis heute in den modernen Naturwissenschaften erhalten hat:
[3]
- Einerseits ist das Modell technischer Reprasentant zum ?kunstlerischen Experimentieren?, als ein ?Raumgeber? anstelle des naturlichen Objekts. (Das schließt auch
Gedankenexperimente
mit ein, ebenso mathematisch-geometrische Konstruktionen zur Begrundung von Hypothesen und Naturgesetzen, oder auch
Computermodelle
. In diesem Sinn ist etwa das
Kopernikanische Planetensystem
ein Modell der Wirklichkeit.)
- Andererseits dient das reale oder begriffliche Modell als ?Muster? oder ?Vorbild zur Verwirklichung? fur eine endgultige Realisierung.
Allgemein dient der Modell-Begriff in den Wissenschaften als ein nomologisches ?Muster?, welches fur ein real gegebenes Objekt steht. Er ist somit seit den neuzeitlichen Wissenschaften von ?Uberlegungen zum Wesen losgelost? worden.
[4]
In der biologischen und medizinischen Forschung ist ein
Tiermodell
ein nichtmenschliches Lebewesen, dessen Zweck die Erforschung menschlicher Krankheiten ist, ohne dabei am Menschen direkt experimentieren zu mussen. Allgemeiner sind
Modellorganismen
ausgewahlte Spezies von
Bakterien
,
Viren
,
Pilzen
,
Pflanzen
oder
Tiere
, die ihre jeweilige taxonomische Gruppierung reprasentieren und der biologischen Forschung dienen.
[5]
In der
Chemie
dienen Modelle insbesondere zur Veranschaulichung von kleinsten Teilchen, wie beispielsweise
Atome
und
Molekule
, und zur Erklarung und Deutung von
chemischen Reaktionen
, die oftmals auch
simuliert
werden. Modellexperimente stellen haufig die Funktion von technischen Prozessen dar.
Z. B. sind in der Informatik spezielle Modellierungsmethoden entwickelt worden, um Bewertungen bereits vor der eigentlichen Systemrealisierung durchfuhren zu konnen.
Andere Anwendungen sind mit besonderen Modell-Begriffen verbunden.
- Ein
Computermodell
ist ein mathematisches Modell, das aufgrund seiner Komplexitat und/oder der schieren Anzahl von Freiheitsgraden nur mit einem Computer ausgewertet werden kann.
- 3D-Modelle von Korpern werden in der
Computergrafik
und verwandten Gebieten mit Hilfe der
geometrischen Modellierung
erzeugt.
- Ein
Digitales Gelandemodell
(DGM) bzw. Digitales Hohenmodell (DHM) ist ein digitales, numerisches Modell der Gelandehohen und -formen. Ein DGM bzw. DHM stellt im Gegensatz zum
Digitalen Oberflachenmodell
(DOM) keine Objekte auf der Erdoberflache
dar (z. B. Baume oder Hauser).
Mathematisches Modell
Mathematische Modelle
beschreiben die gegenstandliche Wirklichkeit, zum Beispiel in der
numerischen Wettervorhersage
.
Modell in der mathematischen Logik
Eine spezielle Bedeutung hat
Modell
in der
Mathematischen Logik
, die das Studium der Ausdrucksstarke von formalen Logiken und formalen Beweissystemen umfasst. In der Mathematische Logik|mathematischen Logik werden die Begriffe
Modell
und
Theorie
voneinander differenziert. Der Begriff des Modells geht dabei auf
Alfred Tarskis
Verwendung zuruck, die aus seiner formalisierten Semantik fur logische Sprachen entsprungen ist. Er bildet zugleich den Ausgangspunkt der
modelltheoretischen
oder
semantischen
Sicht auf wissenschaftliche Theorien.
[6]
[7]
[8]
Demnach bezeichnet ein Modell eine Objektmenge einschließlich der
Interpretation
aller symbolischen Formeln, die aus der formellen Theorie gewonnen werden konnen.
[9]
Somit versteht man unter einem Modell einen Gegenstand, der alle Pradikatensymbole, Funktionen und Operationen der Theorie
erfullt
.
[10]
In diesem Sinne ist die
Theorie
selbst eine formalisierte (logische) Sprache einschließlich der Modellmenge, dem
Axiomensystem
und dessen Menge an Aussagen, die aus ihm streng und sinnvoll
gefolgert
werden konnen.
Nach diesem vorrangig formalen Verstandnis von wissenschaftlichen Modellen bildet zum Beispiel das Axiomensystem der
Euklidischen Geometrie
die syntaktischen Struktur der Geometrie, das in uberlieferter Weise die
Theorie
genannt wird. Ihre
formalen
Modelle sind die Realisierungen der Theorie, interpretierte Strukturen. So ist etwa eine
Ebenengleichung
(z. B.
) formaler Reprasentant und
eine
Realisierung der Theorie der Euklidischen Geometrie. Ferner wird die bildliche Darstellung einer Ebene, in einem dreidimensionalen
Koordinatensystem
gezeichnet, das
reale
oder
ikonische
Modell der Ebenengleichung genannt. Reale (mathematische) Modelle sind sinnlich erfahrbar und haben einen faktischen Bezug zur Wirklichkeit.
[11]
[12]
Uber das Modellkonzept der mathematischen Logik konnen
metamathematische
Fragen der Vollstandigkeit des Axiomensystems, der Unabhangigkeit einzelner Axiome, der Korrektheit und Widerspruchsfreiheit fur ganze wissenschaftliche Theorien sinnvoll gestellt und beurteilt werden.
[13]
Dieser modelltheoretische, logische Gebrauch von 'Modell' wird auch in der
modelltheoretischen Semantik
verwandt, die an formale
Linguistik
angrenzt.
Unaufgeloster Grundlagenstreit, auch innerhalb der Philosophie der Mathematik, besteht darin, ob die formalen Eigenschaften der mathematischen Theorie genugen, um die mathematischen Modelle zu charakterisieren; und umgekehrt.
[14]
[15]
Die Frage wird in der Wissenschaftstheorie dahingehend diskutiert, ob eine
Isomorphie
zwischen Theoriestruktur und ihrer Modellklasse bestehen wurde.
[16]
In der
Physik
spielen Modelle ahnlich wie in der Chemie zur Veranschaulichung und zum Verstandnis von Atomen und
Elementarteilchen
eine große Rolle. Physikalische
Theorien
und Modelle sind eng verknupft und bestimmen das Denken in Modellen zur Erkenntnisgewinnung und zum Verstandnis von Relationen und Strukturen. Beispiele fur Theorien sind die
Atomtheorie
, die
kinetische Gastheorie
, die
Wellentheorie des Lichts
und die
Relativitatstheorie
. Beispiele fur Modelle sind etwa
Atommodelle
, das
Optische Modell
in der Kernphysik oder das
Standardmodell
der Elementarteilchenphysik, aber auch zum Beispiel große Computerprogramme zur numerischen
Simulation
des Klimas. Zur Modellbildung gehort auch die
Mathematisierung
physikalischer Gesetzmaßigkeiten. Im
didaktischen
Bereich werden Modelle haufig im Sinne von Analogien zwischen dem zu untersuchenden Objektbereich und schon erforschten Bereichen benutzt. Zusatzlich werden Demonstrationsmodelle als vereinfachte Abbilder (z. B. das
Planetenmodell
) benutzt. Simulationen dienen neben der Veranschaulichung physikalischer Zusammenhange der Uberprufung von
Hypothesen
. Experimente haben nicht nur im
Physikunterricht
oft Modellcharakter, indem sie die komplexe Realitat vereinfachen und sich bei der
induktiven
Herleitung von Gesetzmaßigkeiten auf das Wesentliche beschranken. Funktionsmodelle haben beispielsweise eine Bedeutung zur Verdeutlichung der Funktion von
einfachen Maschinen
.
Der Begriff wurde durch
Hans Albert
gepragt. Er kennzeichnet kritisch die Abweichung des neoklassischen Denkstils in der
Volkswirtschaftslehre
von der Methodologie einer empirischen Sozialwissenschaft.
[17]
Als Beispiele dienen das
Nachfragegesetz
, die
Quantitatstheorie
sowie die
Wachstumstheorie
.
Obwohl die
neoklassische Theorie
mit ihren Modellbetrachtungen offenkundig auf das wirtschaftliche Handeln von Menschen gerichtet ist, wird die soziale Verursachung des menschlichen Handelns, wie sie etwa die empirische Sozialwissenschaft auf unterschiedliche Weise in Rechnung stellt, großtenteils ausgeschaltet. Einige Theoretiker leugnen gar die Absicht, kausale Erklarungen zu liefern und begnugen sich anstelle von Aussagen, die
Informationsgehalt
besitzen, weil sie an empirischen Daten scheitern konnen, mit Aussagen, die nichts weiter als einen Realitatsbezug aufweisen (d. h. reale Dinge erwahnen). Verbunden wird diese Vorgehensweise mit der Tendenz, die Aussagen so zu gestalten, dass sie schon aufgrund ihrer logischen Struktur wahr sind. Erreicht wird dies durch
tautologische
Formulierungen oder die Anwendung von konventionalistischen Strategien (
Immunisierungsstrategie
), wozu zum Beispiel die Verwendung einer expliziten oder impliziten
ceteris-paribus-Klausel
rechnet. Dieser von ihren Anhangern in ihren praktischen Konsequenzen fur die Anwendbarkeit der analytischen Ergebnisse nicht immer uberblickte methodische Stil des Denkens in Modellen, die von jedweder empirischen Uberprufbarkeit bewusst oder unbewusst abgeschottet werden, lauft auf eine neuartige Form des
Platonismus
hinaus.
[18]
Platon
war davon uberzeugt, dass die Wirklichkeit durch rein logisches Denken erkannt werde; statt die Sterne zu beobachten, sollten wir deren Bewegungsgesetze durch das Denken ergrunden.
[19]
In der deutschen Nationalokonomie dominierte damals der Schulenstreit zwischen Begriffsrealismus (
Essentialismus
) und Modellplatonismus. Diese Frontstellung halt Albert fur aus methodologischen Grunden verfehlt; er setzt sich stattdessen ein fur Wirtschaftswissenschaft, verstanden als eine empirische Sozialwissenschaft. In diesem Sinne spricht er auch von
Marktsoziologie
oder einer ?Soziologie der kommerziellen Beziehungen“.
[20]
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- ↑
Z. B.: Erklarung der Lichtausbreitung durch
Newton
bzw.
Huygens
:
Korpuskeltheorie
/
-modell
bzw.
Wellentheorie
/
-modell
.
- ↑
J. Kopersky,
Models
(Internet Encyclopedia of Philosophy):
?…, a model is considered to be a representation of some object, behavior, or system that one wants to understand.“
- ↑
J. Kopersky,
Models
(Internet Encyclopedia of Philosophy):
?The word “model” is highly ambiguous, and there is no uniform terminology used by either scientists or philosophers.“
- ↑
Siehe zu dieser Charakterisierung und zu den Wortlauten Kaulbach, Mainzer (1984), hier in der
Literatur
, S. 45.
- ↑
Siehe zu dieser Charakterisierung und zu den Wortlauten Kaulbach, Mainzer (1984), hier in der
Literatur
, S. 47.
- ↑
TheFreeDictionary:
Animal disease model.
Abgerufen am 19. Dezember 2023
.
- ↑
Siehe etwa S. 253 f. In Suppes (1957/1999) der u. a.
Literatur
.
- ↑
Aktuellere Diskussion dazu etwa in M. Thomson-Jones (2004),
Models and the Semantic View
. In:
Philosophy of Science
, Vol. 73, No. 5, pp. 524?535 (Preview:
jstor.org
)
PSA 2004
.
- ↑
Ferner in umfassendem Uberblick zum gegenwartigen Diskussionsstand: 'R. Frigg (2023), in der u. a.
Literatur
, Abschn. 2.6 (
Logical models and structures
), S. 58 f., dort auch explizit als bezeichnet ?
Tarskian models
?, insofern "[t]his way of thinking about models and languages goes back to Tarski [...].".
- ↑
Die Modelltheorie bezeichnet das Modell auch als eine
Signatur
der Theorie.
- ↑
A. Tarski (1994). S. 123 der u. a.
Literatur
; bzw. Tarski (1941) des Kap. 37 (
Model and Interpretation of a deductive Theory
). Online:
archive.org
. Tarski (1994/1941), S. 5, spricht allgemein von
Aussagenfunktionen
(
sentential functions
), die durch die Interpretation zu
erfullen
sind, eine Bezeichnung, die noch aus der syntaktischen Phase der mathematischen Logik Anfang des 20. Jh. kommt (B. Russell, D. Hilbert).
- ↑
Siehe dazu Seite 336 f. in:
W. Stegmuller
,
Wissenschaftstheorie
. (Seiten 327 ? 353.) In: A. Diemer, I. Frenzel (Hrsg.),
Philosophie
. (Fischer) Main, Frankfurt am Main, 1958.
- ↑
Seite 97 in: Frederic Suppe,
The Structure of Scientific Theories.
Kap IV. D (
Models
, S. 95 ? 102.) 2. Auflage. Urbana, Chicago, London 1977.
- ↑
Siehe etwa A. Tarski (1994). S. 125 der u. a.
Literatur
; Kap. 41 (
Consistency and Completeness of a Deductive Theory
).
- ↑
Exemplarisch dafur ist die Diskussion, wie angemessen etwa der so genannte
Received View
sei, der vor allem die syntaktischen Elemente der Semantischen (modelltheoretischen) Sichtweise nach Tarski voraus nimmt, fur wissenschaftliche Theorien sei: Kap. IV (
Criticism of the Received View
, S. 62 ? 66), in: Frederic Suppe,
The Structure of Scientific Theories.
2. Auflage. Urbana, Chicago, London 1977.
- ↑
siehe auch R. Frigg (2023), in der hier angeg.
Literatur
, Kap.I.1:
Theory and Language
(S. 15 ? 45).
- ↑
Siehe dazu Frigg (2023), hier in der
Literatur
, S. 8, dort als ?fundamentales Problem der wissenschaftlichen Darstellung? eingefuhrt, und in Kap. II.6 (S. 185 ? 218), fur einen allgemeinen und anwendungsbezogenen Uberblick.
- ↑
Hans Albert:
Modell-Platonismus. Der neoklassische Stil des okonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung.
In: Ernst Topitsch (Hrsg.):
Logik der Sozialwissenschaften.
Kiepenheuer & Witsch, Koln/Berlin 1965, S. 406?434; zitiert nach: Friedrich Karrenberg, Hans Albert (Hrsg.):
Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung. Festschrift fur Gerhard Weisser.
Duncker & Humblot, Berlin 1963, S. 45?76.
- ↑
Hans Albert:
Der logische Charakter der theoretischen Nationalokonomie.
In:
Jahrbucher fur Nationalokonomie und Statistik
, 171, 1959, S. 1 ff.
- ↑
Hans Reichenbach:
Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie.
Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig 1968, S. 42.
- ↑
Siehe dazu Hans Albert:
Marktsoziologie und Entscheidungslogik.
(Mohr Siebeck) Tubingen 1998, insb. Kapitel IV und seinen Vortrag
Die Idee rationaler Praxis und die okonomische Tradition
(PDF; 0,1 MB).